Abfangmanöver gegen Kündigungswelle: Luftwaffe will Jetpiloten auf Zeit

Um die problematische Materiallage der Luftwaffe deutlich zu machen, greift ihr Inspekteur Ingo Gerhartz gerne zu deutlichen Beispielen. Kürzlich habe ihn der Leiter des Deutschen Museums in München gefragt, ob er ältere Flugzeuge der Bundeswehr als Ausstellungsstück bekommen könne, erzählte der Generalleutnant beim Jahresempfang der Luftwaffe in dieser Woche. Seine nur vordergründig scherzhafte Antwort: Nein, die sind noch in den Einsätzen.

Zu geringer Klarstand der fliegenden Systeme, zu lange Inspektionszeiten in der Industrie, dazu ausstehende politische Entscheidungen wie die über einen Nachfolger für den betagten Tornado-Kampfjet und als Folge zu wenig Flugstunden für die Luftwaffe: An vielen dieser Probleme kann Gerhartz wenig ändern, weil er dafür auf Geld aus dem Haushalt angewiesen ist und die Planungen und Entscheidungen dazu abwarten muss. Eine Folge will der Inspekteur aber so schnell wie möglich mit Bordmitteln angehen: die besorgniserregende Resignation der fliegenden Besatzungen, die nicht mehr mit dem „Traumberuf vom Fliegen“ vereinbar ist.

Besonderes Augenmerk hat Gerhartz dabei auf die Gruppe mit den höchsten Anforderungen und der komplexesten Ausbildung in der Luftwaffe: die Piloten der Kampfjets. Eine Kündigungswelle bei diesen Offizieren hatte im vergangenen Jahr einen neuen Höhepunkt erreicht. Und es waren nicht nur die Kampfpiloten: In den Jahren 2016 bis 2018, so die Bilanz des Inspekteurs, haben 29 Luftfahrzeugbesatzungsangehörige, darunter 16 hochqualifizierte Fluglehrer bzw. Fluglehrerinnen (Fluglehrberechtigte) die Luftwaffe vorzeitig durch Kündigung verlassen. Alleine im Bereich der Kampfflugzeuge (Jet) waren es 12 Eurofighter-Piloten bzw. -Pilotinnen, darunter 6 Fluglehrberechtigte.

Gerade der Verlust der Fluglehrer schmerzt: Mit ihnen büßen wir zusätzlich zur mangelnden materiellen nun auch noch in kaum ersetzbarem Umfang personelle Einsatzbereitschaft ein, warnte der Generalleutnant in dieser Woche in einem Brandbrief an Generalinspekteur Eberhard Zorn. Aus diesem Grund schlug Gerhartz Änderungen in den Laufbahnen vor allem für die Jet-Piloten vor: Künftig, so seine Vorstellung, soll nicht nur der klassische Werdegang als Offizier und Berufssoldat den Weg ins Kampfjet-Cockpit ebnen, sondern zwei weitere Säulen im Fliegerischen Dienst – bis hin zu Zeitsoldaten, die sich auf 16 Jahre verpflichten, nicht zwingend studieren müssen und möglichst viel Zeit mit Fliegen verbringen können.

Entsprechende Regelungen gibt es bereits für die Piloten der Transportflugzeuge und der Hubschrauber der Luftwaffe, aber nicht für die Kampfjets. Hauptgrund dafür sind die höheren körperlichen Anforderungen an Jetpiloten, bei denen anders als bei Transport/Sonderluftfahrzeugen und Hubschraubern aus medizinischen Gründen eine fliegerische Verwendung Jet oft nicht bis zur dienstgradbezogenen oder allgemeinen Altersgrenze möglich ist. Die Folge: Piloten der, so die offizielle Bezeichnung, strahlgetriebenen Kampfflugzeuge landen auf militärischen Dienstposten, die ihnen das Fliegen nicht mehr erlauben – und kündigen lieber, statt an einem Schreibtisch zu sitzen.

Der Luftwaffeninspekteur setzt sich deshalb für ein Drei-Säulen-Modell für Jetpiloten analog zu anderen Fliegern ein: Den klassischen Berufsoffizier, der auch nach seiner Zeit im Cockpit mit fliegerischer Expertise weiter Dienst tut, (Berufs)Offiziere des militärfachlichen Dienstes, die nicht studieren (müssen), und Zeitsoldaten ebenfalls ohne Studium, die sich gezielt für begrenzte Zeit als Kampfflugzeugführer verpflichten.

Diese Neuregelung, die nach Ansicht der Luftwaffe ohne gesetzliche Änderungen möglich ist, soll nicht der einzige Schritt bleiben, um Jetpiloten zu gewinnen und vor allem auch zu halten. Gerade für die Fluglehrer soll nach Gerhartz‘ Vorstellungen ein individuelles Dienstzeitende vereinbart werden können, zudem ein monetärer Anreiz im sinne des derzeitigen Personalbindungszuschlags: Nur so könnten weitere drohende Abgänge von Berufssoldaten in die zivile Wirtschaft innerhalb dieser für die Luftwaffe besonders kritischen Engpassressource vermieden werden.

Neben weiteren Detailschritten, die der Inspekteur als Möglichkeit aufführt, fällt ein weiterer neuer Aspekt auf: Mehr als bisher sollen die Piloten, die nicht mehr im fliegerischen Dienst aktiv sind, trotzdem zum Erhalt ihrer Fluglizenz Trainingsstunden im Simulator und später auch so genannte Realflugstunden absolvieren. Das Verstärkungskonzept Fliegerischer Dienst ist eine Folge der erneuten Fokussierung der Bundeswehr insgesamt auf die Landes- und Bündnisverteidigung: Ausgebildete Crewmitglieder sollen im Ernstfall schneller auch wieder den Steuerknüppel übernehmen können.

Allerdings: Nicht nur die Personalsituation im Jet-Cockpit macht dem Inspekteur Sorgen. Sondern auch die am Boden. Wenn sich wie derzeit auf eine zivile Stelle in der Bundeswehr 20 Bewerberinnen und Bewerber meldeten, aber auf eine militärische Stelle nur einer – dann müsse die Luftwaffe über neue Modelle zum Beispiel bei der Instandsetzung ihrer Flieger nachdenken. Denn der Mechaniker an Jet oder Hubschrauber müsse vor allem am Heimatflughafen arbeiten können und nicht zwingend mit in Einsätze gehen können: Da komme dann auch ein Zivilist als Mitarbeiter infrage.

Eine Ergänzung, damit das nicht untergeht, auch wenn es  weniger mit der hier im Vordergrund stehenden Personalsituation zu tun hat, aber mit der materiellen Einsatzlage und da mit der Tornado-Nachfolge: Ein Überblick zu Boeings Plänen für die F/A-18 E/F Super Hornet und die EA-18 Growler, die ja zur Debatte stehen, hier:

Here’s Where Boeing Aims To Take The Super Hornet In The Decades To Come

(Foto: Eurofighter bei der Luftbetankung vom A400M – Bundeswehr via NATO Air Command)