Mehr Ausstattung für die Bündnisverteidigung: Bundeswehr legt Katalog ihrer Fähigkeiten fest (m. Nachträgen)

Die Bundeswehr soll im kommenden Jahrzehnt materiell deutlich besser ausgestattet und mit Schwerpunkt auf die Landes- und Bündnisverteidigung ausgerichtet werden. Generalinspekteur Eberhard Zorn unterzeichnete jetzt das neue so genannte Fähigkeitsprofil der Bundeswehr: Nach den Vorgaben im Weißbuch zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr 2016 und der im August veröffentlichten Konzeption der Bundeswehr listet das Fähigkeitsprofil recht konkret auf, wie die Truppe in den kommenden Jahren ausgestattet und aufgestellt sein soll – bis zur Zahl der Heeresbrigaden oder schwimmenden Einheiten.

Auf das – sehr technisch gehaltene – Papier hat bereits der verteidigungspolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Henning Otte, reagiert. Mit den Ausstattungsforderungen kommt nämlich auch die Debatte über die Ausgaben für die Bundeswehr erneut auf den Tisch: Es ist erforderlich, dafür die dringend benötigten Finanzmittel zur Verfügung zu stellen. Die Planungen gehen davon aus, dass wir uns bis 2023 auf einen jährlichen Finanzbedarf von etwa 60 Milliarden Euro hinbewegen müssen, erklärte Otte am (heutigen) Montag. Davon ist die mittelfristige Finanzplanung des Bundes, bislang bis zum Jahr 2022, noch recht weit entfernt.

Die in dem aktuellen Fähigkeitsprofil genannten Ziele bis zum Jahr 2031 kommen nicht durchweg überraschend – vieles davon war in jüngerer Vergangenheit immer wieder auch öffentlich genannt worden, zumal sie beim Kern Landes- und Bündnisverteidigung weitgehend den in der NATO vereinbarten deutschen Beiträgen zur gemeinsamen Verteidigung entsprechen.

Dabei legt die Forderungen an die künftige Aufstellung der Streitkräfte nicht in erster Linie die klassische Trennung nach Teilstreitkräften wie Heer, Luftwaffe und Marine und Organisationsbereichen wie Streitkräftebasis und Cyber- und Informationsraum zu Grunde: Zwölf so genannte Systemverbünde sollen die Aufgaben, auf die die Bundeswehr vorbereitet wird, für den Aufwuchs in den kommenden Jahren beschreiben.

[Die künftige Grundaufstellung der Bundeswehr] orientiert sich an den im Rahmen der kollektiven Bündnisverteidigung am Rande des Bündnisgebietes in Form einer Major Joint Operation plus erforderlichen Fähigkeiten sowie den hierzu zeitgleich zu erfüllenden nationalen Verpflichtungen.

Das bedeutet nicht nur grundsätzlich mehr und neues Material für die Bundeswehr, sondern in etlichen Bereichen die Beschaffung zusätzlichen Geräts auch über das bislang bereits geplante hinaus. So sind in der Übersicht für den Systemverbund Bündnisverteidigung Land bis 2018 (KORREKTUR) 2031 zahlreiche neue eichte Unterstützungshubschrauber (Light Utility Helicopter, LUH) in der Rolle Light Attack zusätzlich zu den Tiger-Kampfhubschraubern vorgesehen. Natürlich setzt die Bundeswehr auch darauf, dass die bereits vorgesehenen größeren Beschaffungen wie das Mehrzweckkampfschiff 180 (MKS180), das Taktische Luftverteidigungssystem (TLVS) oder der künftige schwere Transporthubschrauber ebenfalls wie geplant beschafft werden.

Die Konzeption für den Beitrag zu dem Systemverbund Bündnisverteidigung Land sieht dann so aus: Die Bundeswehr stellt den Rahmen für einen multionationalen Korpsstab und wesentliche Teile von zwei weiteren multionationalen Korpsstäben. Drei Divisionsstäbe sollen zunächst acht aktive Brigaden führen, zusammen mit Verbündeten sollen es bis zu 15 multinationale mechanisierte Brigaden sein. Nach 2032, so die Planung, könnte die Zahl der deutschen Brigaden auf zehn steigen. An diesem Systemverbund sind auch Luftwaffe (insbesondere mit mittleren oder schweren Transporthubschraubern), die Streitkräftebasis, der Sanitätsdienst und das Kommando Cyber- und Informationsraum beteiligt.

Der entsprechende Systemverbund Luft sieht die Bereitstellung von vier so genannten Air Task Forces vor. Gemeinsam mit Verbündeten soll die Luftüberlegenheit über Einsatzgebieten erzwungen werden können, auch bei Bemühungen des Gegners um eine so genannte Anti Access/Area Denial-Fähigkeit. Dabei sollen gleichzeitig die Lufthoheit über Deutschland, die deutsche Nukleare Teilhabe und ein Beitrag zur integrierten NATO-Luftverteidigung gewährleistet bleiben.

Zur See sieht das Fähigkeitsprofil langfristig die zeitgleiche Bereitstellung von mindestens 15 hochseefähigen Kampf- und Unterstützungseinheiten zum Wirken in allen „Maritime Warfare Areas“ (3-dimensionaler Seekrieg) vor – einschließlich Befähigung zur Randmeerkriegführung, Unterwasserseekriegführung und U-Boot-Bekämpfung, konventionelle U-Boot-Operationen,  Seeminenabwehr und -einsatz,  Überwasserseekriegführung mit maritimer Luftverteidigung und Abwehr ballistischer Raketen.

Dabei, das macht die aufgeführte Liste der Nationalen Prioritäten für die Fähigkeitsentwicklung deutlich, müssen zum Teil schon lange aufgegebene Fähigkeiten neu erlernt und aufgebaut werden: Wiedergewinn der Fähigkeit zur Seekriegsführung aus der Luft ist als eine solche Priorität die offensichtliche Kehrtwende nach dem vor mehr als einem Jahrzehnt vollzogenen Schritt, die darauf spezialisierten Marinefliegergeschwader außer Dienst zu stellen.

Weitere im Fähigkeitsprofil aufgeführte Systemverbünde sind unter anderem der Cyber- und Informationsraum, die Spezialkräfte, der Weltraum und zum Beispiel etwas, was recht allgemein Unterstützung heißt – aber auch massive Anstrengungen erfordern dürfte: 10 Logistikbataillone, 1 Bataillon für Reception, Staging and Onward Movement (RSOM), ABC-Abwehr-, Feldjäger- und Spezialpionierkräfte sowie querschnittliche IT- und Geolnfo-Unterstützung, sanitätsdienstliche Leistungen und Leistungen der Wehrverwaltung.

Auch wenn die Landes- und Bündnisverteidigung auch in Ausstattung und Organisation (wieder) die Kernaufgabe der Streitkräfte wird: Auslandseinsätze, im Bundeswehr-Sprech Internationales Krisenmanagement, wird es auch weiterhin geben. Dafür sieht das Fähigkeitsprofil so genannte Missionspakete vor – mit dem Hinweis, dass auch in der NATO die Aufgaben von kollektiver Verteidigung und internationalen Einsätzen zur Krisenbewältigung zwar gleichrangig gesehen werden, aber kaum gleichzeitig stattfinden werden.

Allerdings machte schon CDU-Mann Otte darauf aufmerksam, dass die Planungen für die Streitkräfte in den kommenden mehr als zehn Jahren nicht nur ein finanzieller Kraftakt sein dürften: Wichtig ist, dass die Beschaffungsstrukturen so optimiert werden, dass die Modernisierung und Aufstockung des Materials und der Strukturen auch gelingt.

Nachtrag: Es gibt inzwischen zu dem neuen Fähigkeitsprofil diverse Berichte; aus bekannten Gründen nur der Link zu tagesschau.de:

Neue Struktur der Bundeswehr: Zurück zur Kernaufgabe

Nachtrag 4. August: Beim Besuch der Marineoperationsschule in Bremerhaven hat Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen das neue Fähigkeitsprofil erstmals öffentlich eingeordnet: Das ist ein großer Modernisierungsplan. Aus ihrem Statement:

vdL_Bhaven_Faehigkeitsprofil     

 

… und noch mal bei der Marinetechnikschule in Parow:

Jetzt auch eine Erläuterung auf der Webseite des Verteidigungsministeriums (nicht gar so detailliert):

Neues Fähigkeitsprofil komplettiert Konzept zur Modernisierung der Bundeswehr

(Archivbild: Vorführung mit Hubschrauber NH90 beim Transporthubschrauberregiment 30 in Niederstetten während des Besuchs der Verteidigungsministerin am 20.08.2018 – Bundeswehr/Martin Stollberg)