Merkels Sommer-Pressekonferenz: NATO-Beistandspflicht für alle (und weiteres zur Sicherheitspolitik)

In ihrer traditionellen Pressekonferenz vor der Sommerpause in der Bundespressekonferenz in Berlin hat Bundeskanzlerin Angela Merkel am (heutigen) Freitag zu recht vielen verschiedenen Themen Stellung genommen; es schien, zu einer breiteren Themenpalette als in den Vorjahren (was natürlich auch an den Fragen lag).

Zur Dokumentation die Passagen, die sich auf die Verteidigungs- und Sicherheitspolitik beziehen oder zumindest am Rand damit zu tun haben, wie die Einschätzung von US-Präsident Donald Trump. Und der Hinweis: die Kanzlerin hat für das kommende Jahr Verteidigungsausgaben von 46,3 Milliarden Euro genannt. Das sind 3,4 Milliarden mehr als im Entwurf für den Verteidigungshaushalt 2019 vorgesehen; die genannte Summe enthält also auch Ausgaben, die nicht im Etat des Verteidigungsministeriums vorgesehen sind.

Die jeweiligen Aussagen Merkels im Wortlaut:

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Frage: Frau Bundeskanzlerin, Sie haben jetzt innenpolitische Projekte erwähnt, aber ich möchte gleich auf ein anderes Thema zu sprechen kommen, nämlich den US-Präsidenten, weil er ja die Weltordnung doch etwas verändert. Es hat jetzt mehrere Beispiele gegeben, dass er sich nicht an Zusagen hält, die er gemacht hat, in schriftlicher oder mündlicher Form. Zu nennen sind das Abrücken von der G7-Erklärung und jetzt nach der Pressekonferenz mit Trump die Korrektur dessen, was er dort gesagt hat. Deswegen hätte ich ganz gern von Ihnen gewusst: Haben Sie überhaupt noch eine gemeinsame Basis für Absprachen mit dem US-Präsidenten? Wieso können Sie sich darauf verlassen, dass das steht, was er gesagt hat? (…)

Merkel: Ich glaube, man kann schon sagen, dass der bewährte oder uns gewohnte Ordnungsrahmen im Augenblick stark unter Druck steht. Dennoch ist die transatlantische Zusammenarbeit auch mit dem Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika natürlich zentral für uns. Ich werde sie auch weiter pflegen.

Es ist so, dass das, was mir wichtig ist, was mir in meiner ganzen politischen Arbeit immer wichtig gewesen ist – Multilateralismus, die feste Überzeugung, dass wir, wenn wir zusammenarbeiten, Win-win-Situationen, also Vorteile für alle, schaffen können -, im Augenblick nicht immer das herrschende Prinzip ist. Trotzdem wird mich das jetzt nicht davon abbringen, weiter dafür zu werben. Ich glaube, nur so können wir vorankommen.

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Frage: Frau Bundeskanzlerin, welche Schlüsse ziehen Sie aus den Erkenntnissen über die russische Manipulation der öffentlichen Meinung in den USA für sich und für Deutschland?

Merkel: Für Russland ist die sogenannte hybride Kriegsführung, unter der man vielleicht auch Desinformation verstehen kann, erkennbar oder auch niedergeschrieben sozusagen ein festgelegtes Mittel, um zu agieren. Wir setzen alles daran, hier die richtige Faktenlage immer wieder darzustellen und zu argumentieren. Das haben wir in den vielleicht am sichtbarsten gewordenen Fällen wie im Fall Lisa oder dann auch zu unseren Soldaten in Litauen sehr schnell getan und haben damit, denke ich, auch gute Erfolge erzielt.

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Frage: Frau Bundeskanzlerin, Sie haben schon gesagt, wie wichtig die transatlantischen Beziehungen noch sind. Aber Präsident Trump hat vor Kurzem gesagt – ich zitiere -: Die Europäische Union ist ein Feind. – Kann es sich die Europäische Union noch leisten, Freund und Verbündeter zu sein, wenn der Präsident sagt, die Europäische Union sei ein Feind?

Merkel: Aus meiner Sicht müssen wir es uns leisten, weil wir die Vereinigten Staaten von Amerika als einen wichtigen Partner sehen, auch wenn er aus unserer Sicht nicht immer eine Politik macht, in der wir immer gleiche Meinungen haben. Die Geschichte der transatlantischen Beziehungen zeigt ja, dass es dabei auch viele Konflikte gab. Aber es lohnt sich allemal, diese Konflikte zu lösen. Ich hoffe, dass wir auch weiterhin die Kraft dazu aufbringen. Deshalb kann ich mir diese Wortwahl nicht zu eigen machen. Ich habe einen anderen Ansatz.

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Frage: Frau Bundeskanzlerin, was halten Sie angesichts dessen, was in Helsinki passiert ist, von der Einladung zu einem zweiten Treffen, die Donald Trump an Wladimir Putin geschickt hat? Halten Sie einen zweiten Gipfel für sinnvoll? (…)

Merkel: Ich finde, dass es wieder zur Normalität werden muss, dass sich russische und amerikanische Präsidenten treffen. Denn es ist ja richtig, dass wahrscheinlich 90 Prozent des Nuklearwaffenarsenals in den Händen dieser beiden Länder liegen. Schon allein aus Abrüstungsgründen gibt es viele Themen, die man dort besprechen muss, aber auch aus vielen anderen Dingen heraus. Deshalb freue ich mich über jedes Treffen.

Ansonsten kann ich die Einladung von zwei Staatschefs natürlich nicht kommentieren. Aber immer, wenn gesprochen wird, ist das im Grunde gut für alle – gerade wenn zwischen diesen beiden Ländern gesprochen wird. Dass seit, glaube ich, 2005 kein russischer Präsident mehr in den Vereinigten Staaten von Amerika war, muss ja nicht die Normalität sein.

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Frage: Frau Bundeskanzlerin, ich habe eine Frage zur politischen Kultur. Im Nachklapp des Helsinki-Gipfels erleben wir gerade, dass die Halbwertzeiten von Aussagen von Staats- und Regierungschefs relativ kurz geworden sind. Wenn ich mit Menschen in Russland rede, sagen diese mir, Lüge sei ein adäquates Mittel der Außenpolitik, ganz klar, Stichwort „grüne Männchen“.

Mich würde interessieren: Frustriert Sie das manchmal? Haben Sie das Gefühl, dass sich damit vielleicht auch etwas auf das deutsche System auswirkt, dass sich hier die politische Kultur nachhaltig verändert und Schaden nimmt?

Merkel: Ich denke, es gibt schon eine Veränderung in der politischen Kultur. Sie ist einerseits durch die völlig veränderten Möglichkeiten der sozialen Medien getrieben. Das ist gar keine Frage.

Ich denke auch, dass es sehr wichtig ist, dass wir uns von allen Seiten, sowohl vonseiten der Politik als vielleicht auch von Ihrer Seite, vonseiten der Journalisten, mit der Frage der Verantwortlichkeit für richtige Meldungen beschäftigen. Denn eines ist auch klar: In dem Moment, in dem im Grunde jeder durch die sozialen Medien Teilhaber, Teilnehmer und auch Akteur im Informationsaustausch ist, ist die Verantwortlichkeit für die Richtigkeit einer Angabe natürlich viel weiter gestreut. Ich persönlich denke nicht, dass die Plattformen einfach sagen können, sie seien nichts weiter als ein physikalisches Bindeglied zwischen verschiedenen Akteuren, sondern dass jeder, der so große Plattformen betreibt, auch dafür verantwortlich ist, dass darauf bestimmte Standards eingehalten werden.

Aber das ist ein langer und weiter Weg, weil es dabei um globale Verbreitungen geht und man mit nationalen Einzelmaßnahmen natürlich nur bedingt etwas erreichen kann. Jeder kann jetzt ja nur seinen Beitrag dazu leisten. Ich denke, ich habe schon auf die Frage von der Kollegin gesagt, dass es mir sehr wichtig ist, dass ich umso mehr versuche, auf meine Sprache zu achten, präzise zu sein, dass natürlich auch die Fakten stimmen und dass sozusagen durch Beispielgebung versucht wird, diesen Prozess einer manchmal auch – so würde ich sagen – gewissen Verwahrlosung ein wenig im Zaume zu halten, weil ich glaube, dass es zwischen Denken, Sprechen und Handeln einen ziemlich engen Zusammenhang gibt.

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Frage: Es geht um den erheblichen Druck auf Deutschland seitens des amerikanischen Präsidenten wegen der Militärausgaben. Wie würden Sie dieses Problem lösen? Werden Sie F-35 aus Amerika bestellen und sagen, damit sei die Sache erledigt, oder werden Sie in die Militärforschung oder die Forschung für militärische Zwecke zum Beispiel in der Militärindustrie investieren? Wie werden Sie die zwei Prozent erreichen, die Herr Trump von Ihnen verlangt?

Merkel: Die zwei Prozent und die Entwicklung der Verteidigungsaufgaben jedes Mitgliedsstaates der Nato in Richtung dieser zwei Prozent sind ja keine neue Entwicklung, sondern das ist ein Beschluss aus Wales 2014, den wir noch unter der Präsidentschaft von Barack Obama und noch in ganz anderen Situationen gefasst haben, und zwar nicht deshalb, weil wir diese Zahlen so wichtig fanden, sondern weil wir gesehen haben, dass wir ganz neuen Herausforderungen gegenüberstehen. Es war die Zeit nach der Annexion der Krim, die Zeit nach dem Eingriff in die Ostukraine. Damals hat man gesagt: Es ist nicht nur so, dass wir durch die Nato so wie zum Beispiel in Afghanistan agieren müssen, sondern wir müssen auch dem Thema der Bündnisverteidigung wieder eine größere Bedeutung beimessen. Deshalb haben alle diese Entwicklung unterstützt.

Wenn man sich anschaut, welche Ausgaben wir an die Nato melden, also Nato-relevante Ausgaben, dann sieht man, dass Deutschland seine Verteidigungsausgaben von 2014 – damals waren es 34,7 Milliarden Euro – bis zum Jahr 2019, wofür jetzt der Haushaltsentwurf vorliegt, auf 46,3 Milliarden Euro erhöht hat. Sie sehen also, dass hier in wenigen Jahren, in fünf Jahren, ein erheblicher Aufwuchs stattgefunden hat. Das ist auch bitter notwendig, weil es gar nicht um irgendeine Aufrüstung geht, sondern im Grunde um eine vernünftige Ausrüstung unserer Bundeswehr.

Wir haben auf der einen Seite eigene europäische Waffensysteme, und wir haben auf der anderen Seite amerikanische. Wir haben jetzt zum Beispiel unsere Drohnen aus Israel geleast. Das heißt, wir agieren auf dem gesamten internationalen Markt je nach der Qualität und der Notwendigkeit. In den letzten anderthalb Jahren haben wir auch eine massive Stärkung unserer europäischen Verteidigungsinitiativen erlebt, und zwar durch die strukturierte Zusammenarbeit und durch die Schaffung eines Verteidigungsfonds, der auch dazu genutzt wird, gemeinsame europäische Waffensysteme zu entwickeln.

Wir haben in Europa zurzeit 178 Waffensysteme. Die Amerikaner haben weniger als 50. Daran können Sie auch ermessen, wie ineffizient unsere Gelder ausgegeben werden. Denn jedes Waffensystem bedarf einer speziellen Wartung, einer speziellen Ausbildung und ist nicht kompatibel mit dem Nachbarwaffensystem. Deshalb werden wir in den nächsten Jahren – man muss sagen: Jahrzehnten – auf eine Vereinheitlichung in Europa hinwirken. Wir werden zum Beispiel auch ein gemeinsames europäisches Kampfflugzeug entwickeln; nicht wie heute, wo wir den Eurofighter und gleichzeitig die Rafale haben, sondern hier wird es gemeinsame Entwicklungen geben.

Das kann auch für die Wettbewerbssituation gut sein, denn wir wissen zum Beispiel, dass die Gründung von Airbus im zivilen Bereich der Luftfahrt dazu geführt hat, dass wir heute zwei große Anbieter haben. Das ist, glaube ich, insgesamt für den Wettbewerb auf der Welt sehr gut. Das heißt, man muss sich nicht einseitig auf Systeme eines Herstellers konzentrieren, sondern ein gewisser Wettbewerb ist insgesamt gut. So werden wir in Europa vorgehen. Dort, wo es Gründe gibt, auch amerikanische Systeme zu kaufen, wird man das tun, aber wir haben auch einen eigenen europäischen Anspruch.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, Sie haben vor ungefähr einem Jahr in München eine Rede gehalten und gesagt oder signalisiert, dass sich Deutschland und Europa nicht mehr auf die Vereinigten Staaten verlassen könnten und ihr Schicksal in die eigene Hand nehmen sollten. Manche beklagen, dass seitdem nicht viel geschehen sei. Verstehen Sie das und diese Kritiker?

Würden Sie sagen, dass Deutschland eine neue transatlantische Strategie braucht? Ist das irgendetwas, das sich die Bundesregierung überlegt?

Merkel: Ich glaube, dass der Satz wahr ist und sich auch durch die Ereignisse danach weiter bestätigt hat, dass wir uns nicht einfach auf die Ordnungsmacht und Supermacht Vereinigte Staaten von Amerika verlassen können. Ich finde, es ist auch legitim, dass Europa seine Rolle in der globalen Ordnung findet; denn die geographische Verortung Europas ist eine in einem ziemlich unruhigen Bereich der Welt. Wir haben nicht nur Russland als unseren Nachbarn, sondern wir haben vor allen Dingen auch den Mittleren und den Nahen Osten als unsere Nachbarn. Es gibt die Tatsache, dass der Kontinent, auf dem die wirtschaftliche Entwicklung am wenigsten so dynamisch stattgefunden hat, wie wir uns das wünschen, unser Nachbar Afrika ist, und das fordert Europa heraus. Ich verstehe in dem Sinne auch, dass die Vereinigten Staaten über Europa sagen: Ihr müsst in der Welt des 21. Jahrhunderts eine stärkere und gewichtigere Rolle bei der Lösung nicht nur militärischer, sondern auch politischer Konflikte einnehmen.

Dem wird Europa zum Teil gerecht. Ich finde, dass eine der beeindruckendsten und auch relativ zügig umgesetzten Dinge wirklich die strukturierte Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich ist – nicht gegen die Nato, sondern als Stärkung der Nato, aber natürlich auch mit der Möglichkeit, alleine zu agieren. Ich glaube nämlich nicht, dass die Nato zum Beispiel bei allen Konflikten in Afrika eine Rolle spielen wird. Das, was wir jetzt in Mali machen, und Ähnliches sind ja Ausdruck dessen, dass man nicht einfach Frankreich damit alleine lässt, sondern dass es da auch mehr europäische Initiativen gibt.

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Frage: Frau Bundeskanzlerin, Donald Trump hat Deutschland mehrmals kritisiert. Warum, denken Sie, tut er das? Was hat er gegen Deutschland? Was denken Sie darüber, dass er Deutschland so explizit kritisiert?

Merkel: Ich nehme es erst einmal zur Kenntnis. Ich habe da jetzt nicht nach der Motivation geforscht, sondern ich versuche, mit meinen Argumenten zu antworten. Sicherlich haben wir ja sehr enge Verflechtungen mit den Vereinigten Staaten von Amerika, gerade, was den Handel anbelangt. Wir sind ein Land unter den europäischen Ländern, das sehr intensiv mit Amerika handelt, und deshalb sind wir vielleicht auch prototypisch für eine Gesamtsituation.

Ich glaube, dass wir Argumente austauschen müssen. Wenn zum Beispiel der Handelsüberschuss Deutschlands oder Europas gegenüber den Vereinigten Staaten von Amerika genannt wird, dann ist es wichtig, zu sagen: Das stimmt, wenn wir uns nur die Waren und die Güter anschauen. Wenn wir aber Dienstleistungen und die in die Vereinigten Staaten von Amerika zurücküberwiesenen Gewinne hinzuaddieren, wenn man sich also die Leistungsbilanz insgesamt anschaut, dann sieht das ganz anders aus. Dann haben wir eine ausgeglichene bis für die Vereinigten Staaten von Amerika leicht positive Leistungsbilanz. Die ist für mich relevanter. Solche Argumente versuche ich einzubringen.

Aber sicherlich hat das auch etwas mit unserer ökonomischen Größe zu tun. Ich habe immer wieder gesagt: Bei den Verteidigungsausgaben sind wir nicht in der Spitzengruppe der europäischen Länder. Viele Osteuropäer sind hier weiter, Großbritannien ist weiter, Frankreich ist besser. Das bedeutet eben, dass wir unseren Verteidigungsetat auch weiter steigern werden.

So versuche ich einfach, mich mit der Kritik auseinanderzusetzen, aber auch eine eigenständige, souveräne Antwort zu geben. Die stimmt nicht in allem mit den Betrachtungen des amerikanischen Präsidenten überein, und darüber haben wir uns ja auch intensiv ausgetauscht.

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Frage: Sie haben jetzt zweimal gesagt, dass die Weltordnung so unter Druck sei. Sie haben das beim Katholikentag im Mai einmal als einen Zustand beschrieben, der kurz vor Kriegsausbrüchen – Dreißigjähriger Krieg usw. – entstanden ist. Sie beschreiben ja noch etwas vorsichtig, dass die Weltordnung unter Druck geraten ist. Aber für wie gefährlich halten Sie diese Situation? Wie nah stehen wir an dem Abgrund, dass diese Ordnung, wie Sie damals sagten, „schwupp, im Eimer“ sein kann?

Merkel: Ich habe das eigentlich im Zusammenhang mit der Frage gesagt oder sagen wollen, ob wir aus der Geschichte gelernt haben. Wir haben uns sehr viel damit befasst, gerade wir als Deutsche, ob wir aus der Geschichte des Nationalsozialismus und aus dem, wie die Bundesrepublik Deutschland entstanden ist, etwas gelernt haben. Ich habe den 20. Juli schon erwähnt, der dafür auch ein ganz besonderer Tag ist.

Ich glaube, dass wir jetzt in einer Zeit leben, in der die Zeitzeugen dieser schrecklichen Phase deutscher Geschichte mehr und mehr sterben, in der wir als nachfolgende Generationen vor der Verantwortung stehen, richtige Entscheidungen zu treffen, und dass sich in dieser Phase entscheiden wird, ob wir wirklich aus der Geschichte gelernt haben oder ob das von den zukünftigen Generationen sozusagen doch nicht so verinnerlicht wurde. Deshalb sind mir bestimmte Prinzipien so wichtig, über die sich jetzt ja auch eine ganze Auseinandersetzung entwickelt hat: Machen wir einfach aus Verzweiflung darüber, dass alles so langsam geht oder das es doch nicht so passiert, wie wir es wollen, jetzt auch unsere eigenen Dinge, oder fühlen wir uns auch dann, wenn es für uns schwierig ist, Europa wirklich verpflichtet? – Das ist für mich eine sehr grundsätzliche Frage.

In diesem Kontext meinte ich das. Wir können hier also zeigen, dass wir aus der Geschichte etwas gelernt haben.

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Frage: Der amerikanische Präsident hat sich ja in dieser Woche – Stichwort Montenegro – noch einmal zur Nato geäußert. Wie interpretieren Sie die Aussagen? Gehen Sie davon aus, dass er die Richtlinienkompetenz infrage stellt oder abschwächen will?

Merkel: Ich glaube, Sie meinen jetzt nicht die Richtlinienkompetenz, sondern den Artikel 5.

Zusatz: Entschuldigung, ich wollte „Beistandspflicht“ sagen.

Merkel: Der Artikel 5, die Beistandspflicht, ist ein zentrales Element der Nato, und nach meiner Auffassung gilt dieser Artikel 5 für alle Mitgliedstaaten der Nato, nicht nur für große oder für kleine oder für einige. Montenegro hat sehr, sehr viele Anstrengungen unternommen, um Mitglied der Nato zu sein, und es hat auch viel Einflussnahme in Wahlkämpfen gegeben. Insofern freue ich mich über das Mitglied Montenegro. Es ist ja auch ein Staat des westlichen Balkans, der ja auch eine europäische Aufnahmeperspektive hat. Sicherlich liegt dafür noch viel Arbeit vor uns, aber für jeden Mitgliedstaat gilt der Artikel 5 und damit die Beistandspflicht.

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Frage: Frau Bundeskanzlerin, können Sie uns sagen, was Ihnen durch den Kopf gegangen ist, als Sie die Pressekonferenz in Helsinki gesehen haben? Haben Sie da gedacht: Ja, da sind zwei Regierungschefs wichtiger Länder und die reden miteinander, das ist ja toll. Oder waren Sie überrascht oder vielleicht sogar besorgt über das, was da gesagt wurde? (…)

Merkel: Ich werde dazu keine Kommentare abgeben. Ich habe mich gefreut, dass die beiden gesprochen haben, und nehme das, was als Ergebnis da ist, zur Kenntnis. Ich glaube, dass es richtig ist, dass es weitere solche Treffen gibt; denn die ganze Agenda konnte ja überhaupt nicht abgearbeitet werden. Insgesamt liegt mir an verlässlichen Beziehungen zwischen Amerika und Russland. Dass es da Meinungsverschiedenheiten gibt und dass es da auch große und zum Teil tiefe Meinungsverschiedenheiten gibt, ist nicht verwunderlich, denn die gibt es zwischen Russland und Deutschland zum Beispiel auch.

(Ehe Irritiationen aufkommen angesichts der Reihenfolge der Fragen und der Antworten: In der Bundespressekonferenz werden die Fragesteller i.d.R. in der Reihenfolge aufgerufen, in der sie sich gemeldet haben – die Fragen werden nicht nach Themen vorsortiert.)

(Foto: Janine Schmitz/photothek.net )