Sammler: Vor dem NATO-Gipfel (Nachtrag: 4×30)

Am 11. und 12. Juli treffen sich die Staats- und Regierungschefs der NATO zu ihrem nächsten Gipfel im neuen Hauptquartier der Allianz in Brüssel – und vor allem die europäischen Mitglieder der Allianz sehen diesem Treffen nicht mit ungetrübter Vorfreude entgegen: Nach dem etwas, nun, erratischen Verhalten von US-Präsident Donald Trump bei und nach dem G7-Gipfel in Kanada Anfang Juni gibt es eine gewisse Besorgnis, wie sich Trump beim NATO-Gipfel verhalten wird und wie sich das auf das Bündnis auswirken könnte.

Zumal der Präsident wiederholt deutlich gemacht hat, dass er die Vereinbarung der Mitgliedsländer, bis 2024 einen Anteil von zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigungsausgaben anzustreben, für eine Bringschuld gegegenüber den USA hält. Dass Deutschland (wie andere Länder auch) für einen Zielkorridor hält und der NATO bis 2025 (nicht 2024!) einen Anteil von 1,5 Prozent gemeldet hat, macht das nicht einfacher.

Deshalb hier ein Sammler zum Blick auf diesen Gipfel im Vorfeld:

• Eine Einschätzung von Claudia Major von der Stiftung Wissenschaft und Politik:

Zwar wurden Entscheidungen vorbereitet, etwa um die 2014 beschlossene Refokussierung auf Bündnisverteidigung fortzusetzen. Doch öffentlich ausgetragene Konflikte unter Alliierten drohen den Gipfel zu überschatten und das höchste Gut der Nato zu unterminieren: die politische Einheit.

• Ein Blick der Washington Post auf Trump und sein Verhältnis zur NATO:

One European diplomat told me that in a private White House meeting in March, Swedish Prime Minister Stefan Lofven explained to Trump that Sweden, although not a member of NATO, partners with the alliance on a case-by-case basis. Trump responded that the United States should consider that approach. A senior administration official told me Trump was joking.

• Vor dem Gipfel schickte Trump Briefe an die Alliierten, in denen er sehr deutlich zur zugesagten Erhöhung der Verteidigungsausgaben aufforderte. (In den Kommentaren wird darauf schon Bezug genommen.) Wie unter anderem Foreign Policy berichtete:

In a sharply worded message to at least some countries in the 29-member alliance that didn’t meet defense spending thresholds — one that followed a general template but included additional language tailored to specific countries — Trump wrote that Americans were tired of funding Europe’s defense and wanted to see other NATO members carrying more of the load.
“[It is] increasingly difficult to justify to American citizens why some countries do not share NATO’s collective security,” said the letter, which was described to Foreign Policy by U.S. officials and foreign diplomats. (…)
The version being sent to Germany contained some of the harshest language, according to the officials.

• Ein eher technischer Hinweis: Nachdem zunächst Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen und dann auch Bundeskanzlerin Angela Merkel  davon gesprochen hatten, dass Deutschland der NATO einen Anteil der Verteidigungsausgaben von 1,5 Prozent am Bruttoinlandsprodukt für das Jahr 2025 melden werde, hat die Bundesregierung diese, äh, etwas unscharfe Aussage korrigiert. Jetzt ist allgemein davon die Rede, dass die 1,5 Prozent für 2024 gemeldet sind – zehn Jahre nach dem Gipfelbeschluss von Wales. Diese Jahreszahl nannte auch die Kanzlerin am 28. Juni bei ihrer Regierungserklärung vor dem Bundestag.

• Inzwischen stehen Termin und Ort eines Treffens zwischen Trump und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin fest – mit gewissem Abstand zum NATO-Gipfel: die beiden Staatschefs werden sich am 16. Juli in Finnland treffen, wie das Weiße Haus mitteilte:

President Donald J. Trump and President Vladimir Putin of the Russian Federation will meet on July 16, 2018, in Helsinki, Finland. The two leaders will discuss relations between the United States and Russia and a range of national security issues.

Der Gastgeber hat sich auch dazu geäußert –und Erwartungen an das Treffen gleich mitgegeben:

The agenda of the meeting of Presidents Trump and Putin will be decided during the next two weeks, but they will certainly discuss the overall international situation and hopefully also arms control and disarmament issues. Even small steps in reducing tensions would be in everybody’s interest.
In addition to those topics, in my own conversations with the presidents I intend to take up our concerns on the tense situation in the Baltic Sea region as well as our Arctic objectives, in particular common efforts to tackle black carbon emissions.

• Die Stationierung von US-Truppen in Deutschland bzw. ein möglicher Abzug scheint auch als emotional bedingtes Druckmittel ins Spiel zu kommen, wie die Washington Post berichtet:

The Pentagon is analyzing the cost and impact of a large-scale withdrawal or transfer of American troops stationed in Germany, amid growing tensions between President Trump and German Chancellor Angela Merkel, according to people familiar with the work.
The effort follows Trump’s expression of interest in removing the troops, made during a meeting earlier this year with White House and military aides, U.S. officials said. Trump was said to have been taken aback by the size of the U.S. presence, which includes about 35,000 active-duty troops, and complained that other countries were not contributing fairly to joint security or paying enough to NATO.

• Nachtrag: Bei einer (von mir moderierten) Podiumsdiskussion der Deutsch-Atlantischen Gesellschaft zu dem Thema am 26. Juni habe ich den stellvertretenden Abteilungsleiter Planung im Verteidigungsministerium, Brigadegeneral Gerald Funke, und den deutschen NATO-Botschafer Hans-Dieter Lucas nach der so genannten 4×30-Initiative der USA gefragt, die auch auf dem Gipfel beschlossen werden soll. Aus deutscher Sicht ist das so verbindlich noch nicht – hier die Abschrift dieser Passage aus der Podiumsdiskussion:

Funke: Das was jetzt diese Four Thirties Initiative [angeht], die Sie angesprochen haben, also letztendlich in 30 Tagen 30 Battaillone, 30 Staffeln, 30 schwimmende Einheiten in Größenordnung von Fregatten verfügbar zu haben, ist eine neue Qualität, die wir bisher nicht akzeptiert haben. Die nicht Teil des NATO-Planungsprozesses sind, insofern können wir auch nicht sagen, wann wir das erreichen.

Moderator: Aber die Ministerin hat es doch unterschrieben neulich.

Funke: Nein, das hat sie nicht unterschrieben. Das ist so nicht richtig. Wir gehen davon aus, dass das Ganze, was dahinter steht, ein Teil des neuen NATO-Planungsprozesses sein wird. Der wird beginnen mit der Political Guidance 2019. Auch dafür wird der NATO-Gipfel jetzt im Juli sicher die ersten Grundlagen legen. Und dann werden wir sehen, was wir davon akzeptieren können und wollen. Das ist ja letztendlich auch etwas… wenn wir die Zahl 30 nennen, muss man vorsichtig sein. Die 30 bezieht sich nicht auf die Deutschen, die bezieht sich aufs Bündnis. Wenn sie von dem normalen Share ausgehen, können Sie sagen, etwa zehn Prozent werden uns treffen. Also von 30 Bataillonen werden es drei Bataillone sein, die dann deutsch gestellt sein müssen.
Um es klar zu sagen: Das Ziel ist sehr kurzfristig, das die amerikanische Seite dort umtreibt. Das können wir zur Zeit nicht. Das können wir auch nicht mit dem, was wir in dem Fähigkeitsprofil oder mit den Planungen, die wir jetzt gemacht haben, aufgesetzt haben. Das werden wir in der Kürze der Zeit nicht erreichen. Ob wir es in 2030 oder davor erreichen, ist eine ganz andere Frage. Das ist eine politische Frage, ob im neuen NATO-Planungsprozess die Regierung dieses Ziel akzeptieren wird in der Form, wie es sich jetzt darstellt. Oder in einer etwas aufgeweichten Form, das werden wir sehen.
Auch diese Zahl 30 Tage ist eine Zahl, die man genau hinterfragen muss. Es wird jetzt ein bisschen technokratisch, ich will nicht zu sehr ins Detail gehen: Wir gehen bisher davon aus, 30 Tage Notice to move, das heißt, eine Truppe steht fertig verpackt am Kasernentor und ist fertig, verlegt zu werden. Den Amerikanern schwebt ein bisschen mehr vor als diese 30 Tage am Kasernentor. Auch das ist eine Diskussion, die zu führen sein wird. Insofern mal gucken, was dort rauskommt. Politische Entscheidung.

Frage: Jetzt muss ich Herrn Lucas mal fragen: Mit welchem Grad an erwarteter Verbindlichkeit von Seiten der USA rechnen Sie denn bei dem Thema? Die Verteidigungsminister haben es indossiert, wenn ich das richtig verstanden habe. Und jetzt höre ich von Herrn Funke, was mich ein bisschen überrascht: Na ja, wir haben es noch gar nicht akzeptiert. Rechnen Sie nicht damit, dass die USA sagen, das wollen wir jetzt auch als Beschluss festschreiben?

Lucas: Es ist damit zu rechnen, dass das, was die Verteidigungsminister in allgemeiner Form beschlossen haben, noch mal vom Gipfel indossiert wird. Aber richtig ist ist auch, dass im Einzelnen noch sehr viel offen ist. Es gibt dazu nicht nur nicht das, was man den so genannten militärischen Ratschlag nennt. Das ist in den politischen Komitees erst mal auf die Schiene gesetzt worden, aber es muss auch im Einzelnen noch mal militärisch genau angeschaut werden. Das wird dann nach dem Gipfel der Fall sein. Ich stimme zu, en detail ist da noch viel zu besprechen. Aber auch die amerikanischen Erwartungen sind klar.

Frage: Und auch der Zeitrahmen 2020?

Funke: Das ist das, was die amerikanische Erwartung ist. Ob das so Bestand haben wird beim Gipfel, danach beim NATO-Planungsprozess, bleibt abzuwarten.

Allerdings: In einem von der NATO veröffentlichten Fact Sheet klingt das etwas anders:

 

Nachtrag 3. Juli: Frühere US-Kommandeure in Europa haben auch Warnendes zu sagen – nicht schmeichelhaft für ihren Präsidenten:

Ex-NATO commander: Trump’s disdain for US-led alliance leads to ‘new and dangerous’ situation

Growing doubt about President Donald Trump’s commitment to the U.S.-led NATO alliance and concerns that a looming summit with Russian President Vladimir Putin could weaken the security pact cloud an upcoming summit of world leaders in Brussels next week, former U.S. military commanders in Europe said. (…)
“The alliance is at a moment of high tension … something is new and dangerous,” said retired U.S. Adm. Jim Stavridis, who served for four years as NATO’s supreme allied commander in Europe, in an interview with Stars and Stripes. “What is different now is the obvious antipathy, which feels deeply personal, on the part of the U.S. president toward the alliance in general and some of the key leaders in particular.”

Ein weiterer Nachtrag am 3. Juli: Das Center for Strategic & International Studies hat eine Untersuchung zum Thema burden sharing vorgelegt – das sich eben nicht nur am Prozentsatz des Bruttoinlandsprodukt bemisst:

Counting Dollars or Measuring Value – Assessing NATO and Partner Burden Sharing

… und die weiter oben schon erwähnten Briefe Trumps an europäische NATO-Partner sorgen unvermindert für Ärger, wie AP berichtet:

NATO allies defend military spending amid Trump criticism

(Wird bei Bedarf ergänzt)

(Foto: President Donald J. Trump arrives at the G7 Summit, June 8, 2018 – Official White House Photo by Shealah Craighead)