Dokumentation: Münchner Sicherheitskonferenz – Rede von der Leyens

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Die Münchner Sicherheitskonferenz hat am (heutigen) Freitag mit einer Rede der deutschen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen begonnen. Zur Dokumentation hier der Wortlaut der Rede – das veröffentlichte Redemanuskript ist checked against delivery, also mit der tatsächlichen Rede abgeglichen; und bis auf leichte sprachliche Abweichungen stimmt es überein.

An einigen Stellen habe ich den exakten Wortlaut fett markiert – zum Beispiel bei dieser aus deutscher Sicht besonders interessanten Aussage:

Was wir brauchen, ist ein Pakt für vernetzte Sicherheit. Auf dieser Logik basiert auch der neue Koalitionsvertrag in Deutschland: Wir sind einen neuen, einzigartigen Schritt gegangen. Wir haben festgelegt, dass in den kommenden vier Jahren zusätzliche Haushaltsmittel prioritär in zwei Bereiche fließen: in den Verteidigungsbereich und in die Entwicklungspolitik – womit ich unser NATO-Ziel und die ODA-Quote meine, gleichberechtigt 1:1. Das führt absehbar zu einem deutlichen realen Aufwuchs der Finanzmittel für beide Bereiche – auch schon dank der steigenden Wirtschaftsleistung.
Für mich als deutsche Verteidigungsministerin ist das eine ganz entscheidende Weichenstellung. Denn damit können wir die Trendwenden nachhaltig für die Bundeswehr fortführen. Und wir brauchen das dringend.

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Wir werden die Personalstärke der Bundeswehr anheben. Wir werden weiter investieren und modernisieren. Denn was ein Vierteljahrhundert nicht oder zu gering investiert worden ist, das holen wir nicht in zwei Jahren nach. Und wir können die Strategie für eine digitale Bundeswehr in der nächsten Dekade beherzt angehen.

Der Wortlaut insgesamt:

Vor vier Jahren stand ich zum ersten Mal hier vor dieser Konferenz. Damals haben der Bundespräsident, der Außenminister und ich gemeinsam die gleiche Botschaft formuliert: Deutschland muss mehr Verantwortung tragen in Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik.
Damals, im Februar 2014, konnten wir nicht ahnen, wie schnell die sicherheitspolitische Lage uns prüfen wird. Denn kurz nach der Konferenz begann sie sich dramatisch zu verschlechtern. Die Augen waren auch auf Deutschland gerichtet: Und wir haben Verantwortung übernommen.
Wir haben zusammen mit Frankreich mit den Vereinbarungen von Minsk einen ersten politischen Rahmen für die Konfliktlösung in der Ukraine geschaffen. Wir haben die OSZE Special Monitoring Mission in der Ost- Ukraine unterstützt. Wir haben die NATO-Ostflanke gestärkt mit der neuen schnellen Speerspitze VJTF und dem Air Policing über den baltischen Staaten. Wir sind vom ersten Tag an bei Enhanced Forward Presence in Litauen engagiert. Wir haben unser Engagement in Resolute Support Mission in Afghanistan verstärkt. Wir haben uns am Kampf gegen den IS beteiligt mit Aufklärungsflügen, Tankflugzeugen und durch Ausrüstung und Ausbildung der Peschmerga. Und wir haben unser Engagement in Mali stetig erweitert – vor allem in der VN-Mission MINUSMA.
Wir handeln gemeinsam mit unseren transatlantischen und europäischen Partnern. Im vergangenen Jahr konnte ich diese Konferenz mit meinem Kollegen Jim Mattis eröffnen. Heute eröffne ich mit meiner französischen Kollegin, Florence Parly. Beides ist Ausdruck deutscher Politik: Wir wollen transatlantisch bleiben – und zugleich europäischer werden.
Es geht um ein Europa, das auch militärisch mehr Gewicht in die Waagschale werfen kann. Das damit mehr Eigenständigkeit und Eigenverantwortung tragen kann – letztlich auch in der NATO. Das ist unsere europäische Zukunftsaufgabe.
Der Anfang ist gemacht: Wir haben die europäische Verteidigungsunion aus der Taufe gehoben. Wir haben uns politisch aufgemacht, eine „Armee der Europäer“ zu schaffen!

[Der deutsch-französische Aktionsplan, die „Feuille de Route“ und der Europäische Verteidigungsfonds geben dem kräftigen Schub. Deutschland und Frankreich sind bereit, das europäische Projekt gemeinsam weiter voranzutreiben – und wir laden alle Europäer ein, mit voranzuschreiten.]

Der Aufbau von Fähigkeiten und Strukturen ist das eine. Das andere ist der gemeinsame Wille, das militärische Gewicht auch tatsächlich einzusetzen, wenn es die Umstände erfordern. Präsident Macron hat ja recht mit seinen Forderungen an die Adresse von uns Europäern: mit seinem Bild eines „(une) Europe, qui protège“. Wir Europäer müssen beides sein – fähig und politisch entschlossen. Angesichts globaler Herausforderungen von Terrorismus, Armut und Klimawandel muss Europa endlich mehr Tempo aufnehmen. Diejenigen, die wollen, müssen voranschreiten können – ohne, dass sie von einzelnen blockiert werden. Das haben wir mit der PESCO in der Verteidigung geschafft. In der europäischen Außenpolitik sind wir noch nicht soweit. Bei kontroversen Fragen blockiert uns das Gebot der Einstimmigkeit – eigentlich brauchen wir auch so etwas wie eine PESCO in der Außenpolitik.
Und wir brauchen eine gemeinsame strategische Kultur Europas. Ein gemeinsames europäisches Verständnis unserer Interessen, unserer Ziele und unserer Instrumente des äußeren Handelns. Nur dann gewinnt Europa das nötige Gewicht.
Wenn ich von mehr Eigenständigkeit und Eigenverantwortung rede, so meine ich keineswegs nur das Militärische. Das Militär leistet einen wesentlichen Beitrag zur Bewältigung von Krisen und Konflikten, aber es gibt keine rein militärische Abkürzung zu einer stabilen und langfristigen Friedensordnung. Das ist unsere europäische Erfahrung vieler Jahrzehnte vom Balkan, über Afghanistan bis heute in Mali und Syrien – Irak. Es gibt aber auch Fälle, da müssen wir zunächst einen Schwerpunkt auf harte militärische Mittel setzen. Im Kampf gegen den Terror des IS wären Verhandlungsversuche zwecklos gewesen. Die Bilder des versuchten Genozids an den Jesiden haben sich in unser Gedächtnis eingebrannt. Der IS verhandelt nicht, der IS köpft. Deshalb war es richtig, die Koalition gegen den Terror zu schmieden – wir haben gemeinsam den IS militärisch geschlagen. Gewinnen werden wir aber auf Dauer in der Region nur, wenn es gelingt, politische und gesellschaftliche Stabilität zu schaffen.
Denn natürlich können Militärinterventionen Radikalisierung und Fanatisierung ganzer Generationen junger Menschen nicht verhindern. Gewaltsamer Extremismus entsteht vor allem dort, wo Politik und Regierung versagen. Wo Armut, Ausgrenzung und Marginalisierung an der Tagesordnung sind. Wo die Zukunftschancen so verengt sind, dass Gewalt und Extremismus zu einer Verlockung werden. Dort müssen wir ansetzen, wenn wir es ernst meinen mit stärkerer Verantwortung für unsere eigene Sicherheit.
Was wir brauchen, ist ein Pakt für vernetzte Sicherheit. Auf dieser Logik basiert auch der neue Koalitionsvertrag in Deutschland: Wir sind einen neuen, einzigartigen Schritt gegangen. Wir haben festgelegt, dass in den kommenden vier Jahren zusätzliche Haushaltsmittel prioritär in zwei Bereiche fließen: in den Verteidigungsbereich und in die Entwicklungspolitik – womit ich unser NATO-Ziel und die ODA-Quote meine, gleichberechtigt 1:1. Das führt absehbar zu einem deutlichen realen Aufwuchs der Finanzmittel für beide Bereiche – auch schon dank der steigenden Wirtschaftsleistung.
Für mich als deutsche Verteidigungsministerin ist das eine ganz entscheidende Weichenstellung. Denn damit können wir die Trendwenden nachhaltig für die Bundeswehr fortführen. Und wir brauchen das dringend.
Wir werden die Personalstärke der Bundeswehr anheben. Wir werden weiter investieren und modernisieren.Denn was ein Veirteljahrhundert nicht oder zu gering investiert worden ist, das holen wir nicht in zwei Jahren nach. Und wir können die Strategie für eine digitale Bundeswehr in der nächsten Dekade beherzt angehen.

Mit diesen Vereinbarungen hat Deutschland zum ersten Mal einen konkreten „Pakt für vernetzte, umfassende Sicherheit“ in harter Währung verbindlich beschlossen. Deutschland steht zu seinen Zusagen in den Vereinten Nationen. Und Deutschland steht zu seinen Vereinbarungen in der NATO. Weil wir überzeugt sind, dass es eines nicht ohne das andere gibt: Sicherheit und Entwicklung.
Wenn wir IS unter schwersten Kämpfen aus einer Stadt vertrieben haben, dann gewinnen wir die Herzen der Menschen nur, wenn auch Wasser, Elektrizität und Jobs schnellstmöglich wieder da sind. Zugleich müssen die Aufbauhelfer aber dann auch wissen: sie sind nicht allein und schutzlos – Soldatinnen und Soldaten stehen an ihrer Seite. Einer kann nicht ohne den anderen.
Eigentlich ist das der Ur-Gedanke der transatlantischen Partnerschaft. Nach der dunkelsten Zeit in der deutschen Geschichte und dem militärischen Sieg der Alliierten über Nazi-Deutschland, haben uns die Amerikaner eben nicht den Rücken zugewandt, sondern uns den Marshallplan gegeben. Aus einem weitsichtigen Verständnis der eigenen Sicherheit.
Und das ist auch heute noch so. Nach der russischen Aggression gegen die Ukraine haben die USA ihre Truppenpräsenz in Europa wieder kontinuierlich erhöht. Das ist auch ein Verdienst unseres Kollegen Jim Mattis. Für dieses Zeichen der Solidarität sind wir Europäer sehr dankbar.
Amerika engagiert sich weltweit für seine – aber auch für unsere Sicherheit und Freiheit. Ich sage das auch als Vertreterin eines Landes, das derzeit ein gutes Stück weit davon entfernt ist, 2% seiner Wirtschaftsleistung für Verteidigung auszugeben, wohingegen die USA dies praktisch seit jeher leisten. Trotzdem bleibt die Grundidee der Verbindung von Marschallplan und NATO richtig. Erst beides gemeinsam schafft dauerhaft Stabilität und Sicherheit. Deshalb sehen wir mit Sorge, wenn bei manchen Partnern die Mittel für Diplomatie und Entwicklungszusammenarbeit oder die Vereinten Nationen immer weiter zurückgefahren werden.
Haben wir heute tatsächlich eine so unterschiedlich Sicht auf die Bedeutung des Zusammenwirkens von Militär, Diplomatie und Entwicklungsarbeit für unsere Sicherheit? Und ganz besonders zum Wert der Vereinten Nationen? Wir müssen als Freunde und Partner offen darüber sprechen und gerade diese Konferenz eignet sich dazu.
Deutschland will die Vereinten Nationen stärken. Wir sind auch bereit, in den kommenden Jahren einen noch größeren Beitrag zur Lösung der vielen Aufgaben zu leisten, vor die sich die VN gestellt sehen. Uns ist es wichtig, diesem umfassenden Verständnis von Sicherheit mehr Geltung zu verschaffen. Sicherheit und Arbeit, Sicherheit und Klimawandel, Sicherheit und Gesundheit, Sicherheit und Menschenrechte, die stäerkere Beteiligung von Frauen an der Lösung von Konflikten – das sind Verknüpfungen, auf die es ankommt. Wenn es meinem Nachbarn gut geht, erhöht das die Chancen, dass es auch mir gut geht.
Die Vereinten Nationen sind bei weitem nicht perfekt, aber sie sind der Rahmen für weltweite Sicherheit. Generalsekretär Guterres geht mit seinen Vorschlägen zur Reform der Vereinten Nationen genau in diese Richtung. Die Vereinten Nationen als Schirm einer regelbasierten internationalen Ordnung gilt es deshalb zu stärken, nicht ihre Möglichkeiten zu beschneiden.
Ja, die Vereinten Nationen brauchen Reformen. Aber sie brauchen keine Schwächung. Ja, nicht jede Resolution, nicht jede Entscheidung der Vereinten Nationen kann uns gefallen. Und: Ja, die gelegentlichen Selbstblockaden des Sicherheitsrates sind frustrierend – aber vergessen wir dabei bitte nicht: Die Vereinten Nationen das sind wir. Sie kann nur so stark sein, wie wir sie machen.
Wir alle haben doch unsere bittere Lektion aus der Flüchtlingskrise gelernt. Wir müssen Organisationen wie das Flüchtlingswerk UNHCR, das Welternährungsprogramm, das Kinderhilfswerk UNICEF, stärker machen, wenn wir nicht wollen, dass aus Ausweglosigkeit und Verzweiflung, Radikalisierung und Gewalt um sich greifen, auch in unserer Nachbarschaft.
Die Diskussionen der vergangenen Monate haben auch gezeigt, dass es keine transatlantische Arbeitsteilung geben darf, die da lautet: Die Einen sind zuständig für das scharfe Ende – die Anderen kümmern sich um die humanitären Folgefragen und den Wiederaufbau. Nein, alle sind für beide Seiten der Medaille verantwortlich. Dies müssen wir uns beiderseits des Atlantiks zur Richtschnur machen – wenn wir dies tun, dann bewahrt unsere transatlantische Partnerschaft ihre kraftvolle Strategie.
Ganz klar: Wir Europäer müssen uns gewaltig anstrengen, um diesem Anspruch an uns selbst gerecht zu werden. Aber auch unsere amerikanischen Freunde haben eine kostbare Verpflichtung jenseits des Militärischen.
Weil es das Leben uns ja ins Stammbuch schreibt: Was hilft es der Familie in Mossul, wenn sie vom Terror befreit ist – dann aber verhungert? Was hilft es, wenn wir mit dem Bauern in Mali eine Bewässerungsanlage installieren, er dann aber von Al Qaida abgeschlachtet wird. Was hilft es in Afghanistan der jungen Frau, das Jurastudium abzuschließen, wenn sie dann vor einer Wand aus Korruption verzweifelt. Was bedeutet es denn, dass das Durchschnittsalter in Europa 43 und in den USA 38 Jahre beträgt in Niger aber 14 Jahre? Wir ahnen doch, was auf unsere Kinder zukommt und welche Verantwortung wir bereits heute dafür tragen, dass ihre Aufgaben bewältigbar bleiben.
Wenn Deutschland als gefestigte Demokratie sich nicht hinter seiner Geschichte versteckt, sondern akzeptiert, dass Soldatinnen und Soldaten für Sicherheit und Freiheit kämpfen müssen. Wenn umgekehrt Entwicklungszusammenarbeit nicht mehr ein „nice to have“, sondern ein hartes „must“ ist. Wenn also Sicherheit und Entwicklung keine Gegensätze sind, sondern Soldaten und Polizistinnen, Lehrer, Ärztinnen, und Juristen gemeinsam planen und gemeinsam handeln; wenn nationale Egoismen nicht gewinnen, sondern die kooperative Weltordnung – dann bin ich sicher, dass unsere Kinder eines Tages sagen werden: ihr habt eure Zeit gut genutzt.

(Foto: Screenshot aus dem Livestream der Sicherheitskonferenz)