Bundesregierung hat kein Lagebild zum türkischen Leopard-Einsatz in Syrien (m. Nachtrag)

Seit dem Wochenende gehen die türkischen Streitkräfte gegen kurdische Milizen in Syrien vor – die Lage ist ein wenig unübersichtlich (eine Zusammenfassung zum Beispiel beim Deutschlandfunk). Und es gibt in dem Zusammenhang Bilder, die von Deutschland gelieferte Leopard-Kampfpanzer zeigen.

Wie beurteilt die Bundesregierung das, und was bedeutet das für mögliche Kampfwertsteigerungen türkischer Leopard 2A4 mit Hilfe deutscher Firmen? Dazu möchten sich sowohl Auswärtiges Amt als auch Verteidigungsministerium in Berlin vorerst nicht äußern; genau genommen: Beide sagen, sie können bislang nicht bestätigen, dass die Türkei von Deutschland gelieferte Leopard-Kampfpanzer in Syrien einsetzt.

Unser bisheriges Lagebild gibt es nicht her, dass wir diesen Einsatz bestätigen können, sagt AA-Sprecherin Maria Adebahr. Außer Medien-Bildern gebe es keine eigenen Erkenntnisse zu einem Einsatz von Leoparden, sagt der stellvertretende Sprecher des Verteidigungsministeriums, Oberst Holger Neumann.

Mit anderen Worten: Viel erhellendes ist von der (geschäftsführenden) Bundesregierung zu diesem Thema vorerst nicht zu erwarten. Die fluide Lage, sagt die AA-Sprecherin, erlaube noch nicht einmal die Bewertung, ob das türkische Vorgehen völkerrechtskonform sei.

Zum Nachlesen: 354 Kampfpanzer Leopard2 hat Deutschland an die Türkei geliefert; vor mehr als zehn Jahren. Und nach einem Bericht des Spiegels scheint die Bundesregierung nunmehr bereit, diese Panzer zum besseren Schutz gegen Minen und Lenkwaffen nachzurüsten.

Nachtrag: Das von div. Nachrichtenagenturen dazu:

Bei ihrer Offensive gegen die Kurden-Miliz YPG setzen die türkischen Streitkräfte offenbar auch deutsche Panzer ein: Deutsche und türkische Nachrichtenagenturen berichteten, dass Bilder von der Militäroperation Panzer vom Typ Leopard 2 A4 aus deutscher Produktion zeigten.

Eine dpa-Meldung geht noch weiter:

Ein Experte aus der Bundeswehr bestätigte der Deutschen Presse-Agentur in Berlin am Montag, dass Bilder von der Militäroperation Panzer vom Typ Leopard 2 A4 aus deutscher Produktion zeigten.

Nachtrag 2: Die Kampfpanzer wurden von einer SPD-geführten und einer unionsgeführten Bundesregierung ohne weitere Auflagen an den NATO-Partner Türkei geliefert. Das geht aus einer entsprechenden Frage der Linksfraktion an die Bundesregierung und der Antwort von 2011 hervor:

Frage 51 – Abgeordneter Jan van Aken (DIE LINKE)
Welche Ausführungen des Leopard-Panzers sind an die Türkei (bitte unter Angabe des Lieferdatums und der Stückzahl) unter jeweils welchen Auflagen geliefert worden, z. B. hinsichtlich des Einsatzes in kurdischen Gebieten?

Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Christian Schmidt vom 22. September 2011
An die Türkei wurden Kampfpanzer (KPz) Leopard in den Ausführungen Leopard 1 und Leopard 2 geliefert. (…)
Zu Leopard 2 A4
Gemäß Ressortabkommen zwischen dem deutschen und dem türkischen Verteidigungsministerium aus dem Jahr 2005 (erweitert im Jahr 2009) hat die Republik Türkei insgesamt 354 Kampfpanzer Leopard 2 A4 erhalten. Diese wurden in den folgenden Zeiträumen ausgeliefert:
– 298 Stück im Zeitraum November 2006 bis März 2009,
– 15 Stück – als Ersatzteilträger – im Januar 2010,
– 41 Stück im Zeitraum September 2010 bis Ende 2011.
Das oben aufgeführte Ressortabkommen enthält eine allgemeine Endverbleibsklausel, wonach die türkische Seite das Material Dritten nicht ohne vorherige schriftliche Zustimmung der Bundesregierung zur Nutzung überlassen oder verkaufen darf. Eine weitergehende Einschränkung der Nutzung ist gegenüber dem NATO-Mitglied Türkei nicht enthalten.

(Danke für den Leserhinweis in den Kommentaren.)

Nachtrag 3: Zur Dokumentation die Aussagen aus der Bundespressekonferenz:

Frage : Ich würde gerne von der Bundesregierung eine Beurteilung der jüngsten Entwicklung in der Türkei hören, wo ja eine Offensive in den türkischen Gebieten in Syrien begonnen hat.

Mich würde zum Zweiten interessieren, ob die Bundesregierung Erkenntnisse darüber hat, ob bei dieser Operation Leopard-Panzer vonseiten der Türkei eingesetzt werden.

Mich würde zum Dritten interessieren, ob, falls Leopard-Panzer eingesetzt werden, irgendwelchen künftigen Geschäften zur Modernisierung dieser Panzer entgegenstünde, dass die Türkei diese Geräte für solche Aktionen einsetzt.

Adebahr: Der Bundesaußenminister hat sich schon am Wochenende zur Lage geäußert und hat gesagt, dass die Bundesregierung mit Sorge nach Syrien blickt. Wir sehen, dass die militärische Konfrontation, die sich dort gegebenenfalls aufbaut, auch unkalkulierbare Risiken mit sich bringt. Wir haben zum Ausdruck gebracht, dass das Letzte, was Syrien jetzt braucht, weitere militärische Konfrontationen sind, denn die Menschen im Norden von Syrien wie auch an anderen Orten in Syrien leiden schon genug. Deshalb haben wir noch einmal ganz intensiv dazu aufgerufen, jetzt den politischen Prozess voranzubringen. Dazu gibt es Ende dieser Woche in Wien bei der sogenannten Genfer Runde erneut Gelegenheit.

Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen befasst sich heute mit der Lage in Syrien. Es geht zunächst um die humanitäre Situation, die in den Provinzen Idlib und Huta nach wie vor sehr schlecht ist. Es wird auch darum gehen, über das türkische Vorgehen in Syrien zu beraten und sich mit ihm zu befassen. Wir zählen darauf, dass die Mitglieder des Sicherheitsrats dort ihrer Verantwortung gerecht werden und dazu aufrufen, von unbedachten Schritten Abstand zu nehmen, um eben die Risiken in diesem syrischen Konflikt, der politisch gelöst werden muss, nicht noch weiter in die Höhe zu schrauben.

Zur Frage des Einsatzes von Leopard-Panzern: Unser bisheriges Lagebild gibt es nicht her, dass wir den Einsatz bestätigen können. Das ist mein Kenntnisstand von hier aus.

Neumann: Den gleichen Kenntnisstand hat das BMVg. Außer den Bildern aus den Medien, die Sie alle kennen, haben wir keine eigenen Erkenntnisse über den Einsatz von Leopard-Panzern.

Frage : Herr Seibert, die Türkei ist ein Nato-Partner. Wie bewertet Deutschland als Nato-Staat diese kriegerischen Aktivitäten des Nato-Partners Türkei gegenüber den syrischen Kurden, die zum Beispiel den IS vertrieben haben, die Jesiden vor einem Völkermord geschützt haben?

StS Seibert: Über genau diese Bewertung hat Frau Adebahr für das Auswärtige Amt gerade schon gesprochen.

Ja, die Türkei ist ein Nato-Partner. Die Türkei ist auch ein unmittelbarer Nachbar Syriens und damit in besonderer Weise von den gewaltsamen Auseinandersetzungen in Syrien betroffen.

Sie sprachen Erfolge im Kampf gegen den sogenannten IS an, die gemeinsam erzielt wurden. Natürlich dürfen diese Erfolge jetzt nicht gefährdet werden. Deswegen ist es genau so, wie Frau Adebahr gesagt hat. Was Syrien jetzt braucht, ist ein Ende der Gewalt und sind Ansätze von Stabilisierung. Es ist, wo immer man in Syrien hinschaut, eine erschütternde und zum Teil verzweifelte humanitäre Lage. Die Region Idlib ist angesprochen worden, in der sich Millionen Menschen aufhalten, die zuvor aus der kriegszerstörten Region Aleppo dorthin gewandert sind und denen der Krieg und die Gewalttaten des Regimes in Damaskus quasi dorthin gefolgt sind. Ost-Ghouta in der Nähe von Damaskus, nun schon jahrelang belagert und von humanitärer Hilfe abgeschnitten, ist in einer verzweifelten Lage.

Das heißt: Syrien braucht ein Ende der Gewalt, braucht Ansätze der Stabilisierung, und dafür braucht es eine politische Lösung. Das ist der Weg, und dieser führt über den Genfer UN-Prozess. Wir wollen alles tun, um diesen Prozess zu fördern und zu unterstützen. Es ist gut, dass sich der UN-Sicherheitsrat heute nachdrücklich mit dieser Lage befassen wird. Es ist gut, dass er dabei vor allem auch auf die humanitäre Situation eingeht.

Zusatzfrage : Ich gehe davon aus, dass die Bundesregierung den Angriff der Türken verurteilt und nicht gut findet. Was tut denn die Bundesregierung ihrerseits dafür, dass die Türken mit diesem Angriff aufhören?

Sehen Sie diesen Angriff vom Völkerrecht gedeckt?

Adebahr: Die türkische Regierung hat ihrerseits mit einem identischen Schreiben vom 20. Januar an die Präsidentschaft des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen – das ist in diesem Monat Kasachstan – und an den Generalsekretär der Vereinten Nationen, Herrn Guterres, geschrieben und die Hintergründe und die Motivation ihres Vorgehens erläutert. Darin beruft sich die Türkei auf Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen. Das ist die Sicht der Türkei.

Für die Bundesregierung ist es eine fluide Lage. Es ist im Moment nicht möglich, zu beurteilen, wie man eine völkerrechtliche Einordnung vornehmen würde, weil unser Lagebild dieser komplexen und fluiden Lage einfach nicht vollständig ist, sodass man eine Beurteilung vornehmen könnte. Insofern bekommen Sie diese vom Auswärtigen Amt heute nicht.

Was man sehen muss – das hat Herr Seibert auch gesagt -, sind natürlich die Sicherheitsinteressen, die die Türkei hat. Auf der anderen Seite sehen wir, dass die Menschen in Syrien, wie schon mehrfach berichtet, leiden und dass Gewalt für diesen Konflikt und für die Menschen dort keine Linderung, sondern eine Verschlimmerung ist. All diese Fakten werden heute im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen unter den beteiligten Sicherheitsratsmitgliedern besprochen werden. Das ist eine Debatte, die wir ganz sicher unterstützen.

Frage: Eine Frage an das Verteidigungsressort. Kann man eigentlich ausschließen, dass die kurdischen Milizen bei Afrin auch deutsche Waffen einsetzen, die Sie beispielsweise über andere Kurdenmilizen bekommen haben?

Neumann: Über den Einsatz deutscher Waffen liegen mir keine Informationen vor.

Frage: Bundesaußenminister Gabriel hatte zugesagt, dass Deutschland prüfen wolle, ob man Minenschutzausrüstung für Panzer, also eine Aufrüstung der Leopard-2-Panzer, vertreten könnte. Die Frage wäre: Wird im Lichte dieser Offensive in Syrien – dass es eine türkische Offensive gibt, bestreitet ja niemand – und selbst, wenn das Lagebild nicht komplett ist, diese Anfrage noch einmal anders beurteilt?

Adebahr: Ich denke, am vergangenen Freitag ist von dieser Seite aus ausführlich zur Frage der Rüstungsexporte Deutschlands Stellung genommen und auch gesagt worden, dass wir zu Einzelfällen keine Stellung nehmen, dass es ein restriktives Rüstungsexportregime in Deutschland gibt und dass selbstverständlich alle deutschen Rüstungsexporte das rechtliche und gesetzliche Verfahren durchlaufen. Zu Einzelfällen nehmen wir nach wie vor von hier oben aus keine Stellung.

Zusatz: Der Minister hatte sich zu diesem Einzelfall selbst geäußert und hatte gefragt, ob es denn akzeptabel ist, dass türkische Soldaten, die gegen den IS kämpfen, ihr Leben riskieren, weil sie diese Minenschutzausrüstung nicht haben. Nun ist aber der Feind in dieser Offensive jemand anders. Von daher ist es, wie ich finde, schon möglich, auf das zurückzugehen, was er gesagt hat, und das im Lichte der Offensive neu oder auch nicht neu zu beurteilen.

Adebahr: Ich kann Ihnen von hier aus heute nur dazu sagen, dass selbstverständlich bei jeder Rüstungsexportentscheidung, die Deutschland trifft, sicherheits- und außenpolitische Erwägungen genau abgewogen werden, die Situation genau in Betracht gezogen wird und danach alle gesetzlichen Verfahren durchlaufen werden, die es gibt.

Frage : Frau Adebahr, wenn Sie nicht genau sagen können, was für oder gegen einen Völkerrechtsbruch spricht, was spricht denn nicht dafür?

Adebahr: Sie bekommen von mir heute keine völkerrechtliche Einschätzung des gerade begonnenen fortdauernden Engagements der Türkei in Nordsyrien.

Zusatzfrage : Bricht die Türkei den Nato-Vertrag? Ich erinnere an Artikel 1.

Adebahr: Ich glaube, wir haben hier hinreichend deutlich gemacht, dass das Lagebild, das wir von dort haben, einfach unvollständig und wenig komplex ist. Wir haben auch deutlich gemacht, welche Interessen und politischen Erwägungen wir jetzt im Vordergrund sehen, die jetzt auch in New York diskutiert werden.

Frage GE: Es gibt sozusagen eine laufende Wiederannäherung an die Türkei, auch Gesprächskanäle, die teilweise sehr privat sind. Sie sagen, Sie haben kein richtiges Lagebild. Warum nutzt die Bundesregierung eigentlich heute an so einem Tag nicht diesen guten neuen Kontakt zur Türkei und fragt einfach mal: Hallo, was macht ihr? Was ist los? Gebt uns einmal Informationen. Oder hat so ein Kontakt stattgefunden und gab es Gespräche unter den Verteidigungsministern, Außenministern, vonseiten des Kanzleramtes?

Adebahr: Für das Außenministerium kann ich sagen, dass die Frage, wie man mit der Türkei dazu ins Gespräch tritt, bei uns besprochen wird. Wenn es Telefonate oder andere Gespräche gegeben hat, dann werden wir Sie, wenn es denn der Fall gewesen ist, darüber informieren, sobald wir das können.

Frage : Eine Frage an das BMVg. Sie haben gerade die Bilder angesprochen, die in den Medien von diesen angeblichen Leopard-Panzern gezeigt werden. Sind denn das nach Einschätzung des BMVg tatsächlich Leopard-Panzer?

Zweitens. Können die Flugzeuge der Bundeswehr, die ja im Kampf gegen den IS eingesetzt werden, auch in dem Gebiet so genaue Bilder machen, dass man erkennen könnte, ob es dort Leopard-Panzer gibt oder nicht?

Neumann: Über die Luftaufklärung wäre das technisch bestimmt möglich. Allerdings ist es natürlich dem Auftrag geschuldet, wo die Tornados eingesetzt werden. Der Auftrag lautet ja, im Kampf gegen den IS tätig zu werden.

Zu Ihrer ersten Frage: Wir kennen die Bilder. Wir können nicht sagen, ob die Bilder wirklich tagesaktuell sind. Ich kann Ihnen lediglich bestätigen, dass Deutschland zweimal Leopard-Panzer – Leopard 1 und Leopard 2 – an die Türkei geliefert hat. Das war einmal in den 1980er- und 1990er-Jahren der Leopard-1-Panzer in einer Stückzahl von 397 sowie zwischen 2006 und 2011 insgesamt 354 Leopard-2-Panzer.

Noch einmal: Über den Einsatz der Waffensysteme liegen dem BMVg keine Informationen vor.

Zusatzfrage : Es ist schon klar, dass man verifizieren muss, woher die Bilder kommen und ob sie aktuell sind. Die Frage war aber, ob man anhand der Bilder, die Sie gesehen haben, klar genug erkennen kann, ob das wenigstens – –

Neumann: Ich kann nur wiederholen: Technisch wäre das denkbar. Aber wenn Sie an das Mandat der Operation Counter Daesh denken, ist der Einsatz gegen den IS gerichtet.

Zusatz : Ich meine die Medienbilder.

Neumann: Auch was das angeht, habe ich keine Möglichkeit zu verifizieren, von wann sie stammen.

Zusatzfrage : Ist zu erkennen, ob das Leoopard-2-Panzer sind?

Neumann: Ich weiß nicht, von wann die Bilder stammen.

Frage : Was würde es denn für einen Unterschied machen, ob das Leopard-Panzer sind oder nicht? Falls sich das herausstellt, wäre das für die Bundesregierung schlimm?

Neumann: Welche Waffensysteme die türkische Regierung oder die Armee einsetzt, obliegt der türkischen Armee. Ich kann von hier aus nicht beurteilen oder einschätzen, welche Waffensysteme dort zum Einsatz kommen oder kommen sollten.

(Weiter nach Entwicklung.)