Schulz legt die SPD fest: Absage an Zwei-Prozent-Ziel der NATO

Die Sozialdemokraten haben wenige Monate vor der Bundestagswahl ihre Absage an den Beschluss der NATO festgelegt, bis 2024 eine Erhöhung der jeweiligen nationalen Verteidigungsausgaben auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts anzustreben. Bereits im Februar hatte Außenminister Sigmar Gabriel diese Vereinbarung der Allianz als bloße Absichtserklärung bezeichnet. Mit der Vorstellung seines Zukunftsplans wurde der SPD-Vorsitzende und Kanzlerkandidat Martin Schulz am (heutigen) Sonntag noch deutlicher:

Die Bundeswehr braucht mehr Geld, um ihren Aufgaben nachkommen zu können. Wir entziehen uns aber dem Zwang, die jährlichen Ausgaben für Verteidigung auf zwei Prozent des BIP und damit auf ca. 70 – 80 Milliarden Euro jährlich anzuheben. Der Beschluss der NATO von Wales, der alle Mitgliedsstaaten dazu auffordert, sich auf dieses Ziel zuzubewegen, ist falsch und unsinnig und wurde in Deutschland nicht parlamentarisch legitimiert.

Das ist die bislang schärfste Wortwahl der Partei gegen das Zwei-Prozent-Ziel. Gabriel hatte bei seiner Kritik im Februar noch eingeräumt: Auch mir ist klar, dass wir eine Verpflichtung eingegangen sind. Im März hatte der Außenminister das allerdings noch mal verschärft: Es handele sich um eine Zielrichtung, nicht um einen verbindlichen Endpunkt.

Schulz‘ Aussage ist, das dürfte in der Öffentlichkeit allerdings nicht so auffallen, auch eine schallende Ohrfeige für den früheren SPD-Kanzlerkandidaten, Außenminister und heutigen Bundespräsidenten Frank Walter Steinmeier. Der war nämlich als deutscher Chefdiplomat bei den Gipfeln von Wales 2014 und Warschau 2016 an der Seite von Bundeskanzlerin Angela Merkel dabei, als diese Vereinbarung getroffen und bekräftigt wurde. Ohne allerdings die Zwei-Prozent-Vereinbarung noch mal explizit zu erwähnen, hatte Steinmeier die Gipfelergebnisse in Warschau ausdrücklich gelobt.

Nun kann man in der Tat darüber streiten, ob die getroffene Vereinbarung wirklich sinnvoll ist und ob ein Verteidigungshaushalt dieser Höhe für Deutschland nicht nur finanziell möglich wäre, sondern auch vom Nutzen her etwas bringen würde. Dennoch ist es auffällig, dass Schulz eine Vereinbarung im Bündnis mit dem Argument angreift, sie sei nicht parlamentarisch legitimiert. Das stellt natürlich die Frage an die SPD, wie sie generell mit Abkommen/Verständigungen/Vereinbarungen in der NATO umgehen will und ob es aus ihrer Sicht für jeden Gipfelbeschluss zuvor eine parlamentarische Billigung geben muss.

Zum Nachlesen im Kontext die wichtigsten Passagen aus dem heute vorgestellten Zukunftsplan, aus dem Kapitel Zu mehr Frieden in der Welt beitragen:

Gegen neue Aufrüstungsspiralen – für Abrüstung

Wir stehen zur Verteidigungsfähigkeit unseres Landes und Europas, sehen dabei aber keinen Widerspruch zu Rüstungskontrolle und Abrüstung. Im Gegenteil: Beides gehört zusammen. Die Bundeswehr braucht mehr Geld, um ihren Aufgaben nachkommen zu können. Wir entziehen uns aber dem Zwang, die jährlichen Ausgaben für Verteidigung auf zwei Prozent des BIP und damit auf ca. 70 – 80 Milliarden Euro jährlich anzuheben. Der Beschluss der NATO von Wales, der alle Mitgliedsstaaten dazu auffordert, sich auf dieses Ziel zuzubewegen, ist falsch und unsinnig und wurde in Deutschland nicht parlamentarisch legitimiert. Wirtschaftliches Wachstum darf nicht automatisch zu mehr Waffen führen. Wir treten dafür ein, dass sowohl innerhalb der NATO und Europas zuerst geklärt wird, wozu und mit welchem Ziel die Verteidigungsausgaben eingesetzt werden sollen.

Mehr Effizienz durch eine Europäische Verteidigungsunion

Die Effizienz der Verteidigungsausgaben in Europa beträgt nur 15 % der USA. Wir müssen durch eine deutlich stärkere Integration der europäischen Fähigkeiten für Sicherheit und Verteidigung dazu kommen, unser Geld wesentlich effizienter einzusetzen. Dazu gehört auch die Konsolidierung der Rüstungsindustrie im Rahmen einer Europäischen Verteidigungsunion. Durch mehr Kooperation und mehr gemeinsame Beschaffung können vorhandene Ressourcen effizienter genutzt werden. Und wir werden den Weg zu einer europäischen Armee beschreiten.

Eine gerechte Entwicklungszusammenarbeit

Nicht mehr Waffen schaffen Sicherheit, sondern Konfliktlösung und -prävention und bessere Entwicklungschancen. Nachhaltige Entwicklung braucht mehr Geld für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe. Deshalb stehen wir zum Ziel, mindestens 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für öffentliche Entwicklungszusammenarbeit aufzubringen – und das unabhängig von Ausgaben für in Deutschland aufgenommene Flüchtlinge. Gleichzeitig werden wir die Mittel für Krisenprävention, Bekämpfung von Hunger, Not und Armut und die Entwicklungszusammenarbeit mindestens im Verhältnis 1,5 zu 1 erhöhen: Für jeden Euro, den wir zusätzlich für Verteidigung ausgeben, werden wir mindestens 1,50 Euro in humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit investieren. Und: Wir brauchen eine Partnerschaft mit Afrika auf Augenhöhe. Es reicht nicht, Unternehmen Märkte in Afrika zu öffnen. Es braucht faire Handelsregeln und verlässliche politische Zusagen. Den schwächsten Ländern müssen wir besonders helfen.

Eine einheitliche restriktive Rüstungsexportpolitik in ganz Europa

Wir wollen ein Verbot von Exporten von Kleinwaffen in Staaten außerhalb von EU, Nato und gleichgestellten Ländern. Außerdem setzen wir uns dafür ein, dass automatisierte und autonome Waffensysteme völkerrechtlich geächtet werden. Neue Waffensysteme, zum Beispiel Drohnen, müssen international erfasst und in ein internationales Regelwerk einbezogen werden.

(Das hier ist ein Blog zum Thema Sicherheits- und Verteidigungspolitik; eine globale Debatte über den Wahlkampf und die Positionen der Parteien würde den Rahmen bei weitem sprengen. Auch bitte ich darum, auf Kommentare, die auf Parteien-Bashing hinauslaufen und außer SPD-Beschimpfung keinen Inhalt haben, zu verzichten…)

(Foto: Der SPD -Parteivorsitzende und Kanzlerkandidat Martin Schulz bei seiner Rede während der Veranstaltung ‚Das moderne Deutschland – Zukunft, Gerechtigkeit, Europa‘ im Willy-Brandt-Haus am 16. Juli 2017 – Inga Kjer/photothek.net)