Alpha-Scramble und Überschall: ‚Renegade‘ vor Stuttgart

Etliche Male im Jahr steigt eine Alarmrotte der Luftwaffe mit zwei Eurofightern auf, um ein verdächtiges Zivilflugzeug im deutschen Luftraum zu überprüfen, und meist bleiben diese Einsätze von der Öffentlichkeit unbemerkt. (Wenn es nicht zufällig ein Video davon gibt.) Meist haben die Airliner den Funkkontakt zur Flugsicherung verloren, weil die Funkfrequenz falsch eingestellt wurde, und die Situation klärt sich relativ schnell. Manchmal aber auch nicht, wie am (gestrigen) Samstagabend:

Weil der Funkkontakt zu einer koreanischen Boeing 777 abgebrochen ist, wurde das Flugzeug aufgefordert, am Landesflughafen in Stuttgart zu landen. Hierzu wurde das Flugzeug von zwei Abfangjägern der Bundeswehr begleitet. Da die beiden Düsenjäger mit Überschallgeschwindigkeit anflogen, erzeugten diese zwei lauten Knallgeräusche, was zu einem vermehrten Notrufaufkommen bei Polizei und Rettungsdiensten führte.

Bei der Polizei gingen in 30 Minuten etwa 250 Anrufe ein. Nachdem das Flugzeug in Stuttgart sicher gelandet war wurde festgestellt, dass das Funkgerät defekt war. Die 211 Passagiere, welche eigentlich nach Zürich wollten, müssen nun in Gebäuden des Flughafens übernachten.

berichtete die Polizei in Reutlingen am Sonntagmorgen. Am Freitagabend hatte es einen ähnlichen Fall gegeben, da war allerdings das Funkgerät tatsächlich auf die falsche Frequenz eingestellt.

Die so genannten Alpha Scrambles, die Alarmstarts der Eurofighter in Neuburg an der Donau und in Wittmund in Ostfriesland (wenn da nicht gerade gebaut wird, dann in Laage bei Rostock) gab es in den vergangenen Jahren mehr als zehn Mal pro Jahr, wie das Verteidigungsministerium auf Anfragen des Grünen-Abgeordneten Tobias Lindner mitgeteilt hatte (Bundestagsdrucksachen 18/7331 und 18/11323):

• 2013: 7
• 2014: 10
• 2015: 18
• Januar 2016 bis Mitte Februar 2017: 14

Der Umgang mit zivilen Flugzeugen, die sich nicht mehr wie vorgeschrieben über Funk melden und deshalb – nach den Erfahrungen von 9/11 in den USA – als potenzielle Terrorwaffen gelten, ist sauber abgestuft: Wenn die Befürchtung eines solchen Renegade-Falls besteht, geht die Kontrolle wie die Entscheidung über Gegenmaßnahmen von der NATO, die die militärische Luftsicherung koordiniert, auf die deutschen Behörden über. Dafür gibt es, im gleichen Gebäude wie das Combined Air Operations Center (CAOC) der Allianz in Uedem bei Kalkar am Niederrhein, das Nationale Lagezentrum Sicherheit im Luftraum.

In diesem nationalen Lagezentrum sind neben der Bundeswehr das Innenministerium bzw. die Bundespolizei und das Verkehrsministerium vertreten. Die Alarmrotte, Quick Reaction Alert- Intercept (QRA-I), startet dann auf Befehl der Luftwaffe – und die weiteren Schritte sind am Ende Entscheidung des German Air Defence Commanders, des Inspekteurs der Luftwaffe. Allerdings, so die letztendlich nicht sauber geklärte Rechtslage in Deutschland: Die Kampfjets dürfen eine verdächtige Passagiermaschine nur begleiten und abdrängen, nicht aber abschießen – so lange nicht eindeutig klar ist, dass sich keine Unbeteiligten an Bord befinden (aber die Debatte darüber ist ein gesondertes, abendfüllendes Thema).

In den aktuellen Fällen der vergangenen Tage kam das öffentliche Interesse, ja die öffentliche Wahrnehmung eigentlich nur deswegen zustande, weil die Eurofighter auf dem Weg zum verdächtigten Airliner mit Überschall unterwegs waren. Der Überschall-Knall führte zu den zahlreichen Anrufen bei der Polizei – und da hat sich in den vergangenen Jahrzehnten einiges verändert: Während des Kalten Krieges und einer deutlich höheren Luftwaffenpräsenz (nicht nur der Deutschen, sondern auch der Alliierten) über Deutschland gehörte ein Überschallknall eigentlich fast schon zur täglichen Erfahrung.

(Foto oben: Start einer Eurofighter-Alarmrotte, Archivbild 2014; Foto unten: Blick ins Nationale Lagezentrum Luftsicherheit in Kalkar-Uedem,  Archivbild 2015)