Bundeskabinett beschließt Abzug aus Incirlik (Nachtrag: Transkript)

Etwa wie erwartet, auch wenn nun die Details interessant werden: Das Bundeskabinett hat sich am heutigen Mittwoch für den Abzug der Luftwaffe vom türkischen Stützpunkt Incirlik entschieden. Die Aufklärungs-Tornados und das Tankflugzeug samt der Technik sollen nach Jordanien verlegt werden, wie Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen nach der Kabinettssitzung mitteilte:

vdL_Kabinett_zu_Incirlik_07jun2017     

 

(Audiodatei mit freundlicher Genehmigung des Verteidigungsministeriums; bei einer längeren, aus technischen Gründen unverständlichen Frage habe ich gekürzt und einen Signalton gesetzt.)

Mehr Details dazu aus der Bundespressekonferenz von Regierungssprecher Steffen Seibert und den Sprechern von Verteidigungsministerium, Oberst Boris Nannt, und Auswärtigem Amt, Martin Schäfer. Der O-Ton beginn mit dem Bericht Seiberts aus dem Kabinett:

BPK_Incirlik_07mai2017     

 

Nachtrag 13. Juni: Bericht der Bundeswehr zur Vorbereitung der Verlegung

Ergänzung: Das Transkript zum obigen Audio aus der Bundespressekonferenz:

Dann kamen wir zum Thema İncirlik. Nach dem Besuch des Außenministers in der Türkei hat sich das Kabinett heute noch einmal ausführlich mit der Situation um den Zugang von Abgeordneten auf die Luftwaffenbasis in İncirlik befasst. Es ist klar: Der Dialog mit der türkischen Regierung muss aufrechterhalten bleiben. Die Gespräche mit den Vertretern der türkischen Regierung sind derzeit aber sehr schwierig. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass die Türkei an ihrer Position zu Abgeordnetenbesuchen in İncirlik festhält. Dieser Zustand ist, wie wir auch hier schon mehrfach betont haben, für eine Parlamentsarmee und damit auch für die Bundesregierung nicht hinnehmbar. Darüber herrschte völlige Einmütigkeit im Kabinett.

Das Kabinett hat die mündlichen Berichte der Verteidigungsministerin und des Außenministers dazu zur Kenntnis genommen. Die Verteidigungsministerin hat dem Kabinett dann Pläne für den Abzug von İncirlik nach Jordanien vorgelegt. Die Weisungen und die Pläne für die Verlegung der etwa 200 Soldatinnen und Soldaten werden jetzt konkretisiert, und mit der Umsetzung wird begonnen.

Bei der Verlegung der Aufklärungstornados und des Tankflugzeugs wird es eine Unterbrechung unseres Beitrags zur Anti-IS-Koalition geben. Das koordinieren wir eng mit unseren Partnern und informieren dann über unsere Zeitlinien.

Frage : Herr Seibert, vielleicht auch Herr Nannt oder Herr Schäfer, wie weit wird das mit eventuellen Beschlüssen des Bundestages verzahnt?

Ich verstehe es jetzt so, dass mit der Erklärung der Ministerin die Planungen und die tatsächlichen konkreten Arbeiten unverzüglich, also ab sofort beginnen.

StS Seibert: Es gibt keine Notwendigkeit für einen formalen Beschluss oder gar eine Neumandatierung. Denn das bestehende Mandat trifft hinsichtlich des Stationierungsortes keine Aussage, sondern es trifft nur eine Aussage hinsichtlich des Einsatzraumes der Mission. Der Bundestag wird über die Situation und die anstehende Verlegung über die Ausschüsse informiert werden. Ob darüber hinaus noch eine weitere Befassung stattfindet, liegt in der Verantwortung des Bundestages und gegebenenfalls in der Verantwortung der Fraktionen im Bundestag.

Zusatzfrage : Könnten AA oder BMVg sagen, wie es jetzt konkret weitergeht?

Nannt: Dann schildere ich einmal die weitere Verfahrensweise aus Sicht des BMVg. Ab jetzt werden verschiedene Telefonate mit unseren Partnern geführt. Wir sind noch in den Abstimmungen, angefangen mit der Ministerin, die sich heute und morgen mit den Koalitionspartnern im Kampf gegen den IS abstimmt und auch noch einmal mit ihrem türkischen Amtskollegen und mit Jordanien spricht.

Die Verlegeplanung beginnen wir ab sofort. Das heißt, wir werden relativ zügig ein Vorkommando nach Jordanien schicken. Wir werden die Zeitplanung jetzt konkretisieren. Dabei geht es auch darum, dass wir zum Beispiel Verträge für den Bereich der Logistik machen und dass wir noch einmal eine Abstimmung darüber machen, wie die Versorgung der Soldaten vor Ort läuft. Auch in Jordanien sind wir in einem Camp untergebracht. Wir sind dort mit den USA und weiteren Bündnispartnern zusammen, sodass wir dort nicht allein auf uns gestellt sind. Dazu laufen jetzt die ganzen Absprachen.

Die Weisungen für die Umsetzung der konkreten Maßnahmen für die Verlegeplanung gehen heute noch hinaus. Weil wir mit den Aufklärungsflugzeugen und auch den Tankflugzeugen eine wertvolle Ressource für den Kampf gegen den IS im Rahmen der Koalition liefern, stimmen wir uns natürlich vorher mit unseren Partnern darüber ab, wann ein günstiges Zeitfenster ist, um die Kräfte dann sehr schnell und zeitgerecht herauszulösen. Diese Abstimmungen laufen heute und morgen. Ansonsten sind die Planungen, wie gesagt, ab jetzt sofort nach der politischen Entscheidung im Gange.

Schäfer: Für das Auswärtige Amt und den Außenminister möchte ich dazu sagen: Es ist nicht gut, dass es so gekommen ist, wie es jetzt gekommen ist. Der Besuch von Herrn Gabriel vorgestern hat uns die Gewissheit gebracht, dass wir unter den Bedingungen, die für uns wichtig sind, nicht mehr in der Türkei willkommen sind. Aber es ist gut, dass wir jetzt Klarheit haben und dass wir jetzt auf der Grundlage dessen, was heute im Kabinett besprochen wurde, agieren können. Das passiert natürlich in enger Abstimmung zwischen dem Verteidigungsministerium und dem Auswärtigen Amt. Bei all den logistischen Fragen ist es klar, dass das Verteidigungsministerium das alles in bewährter Weise managt.

Wir haben ein Interesse daran, dass das so schnell geht wie nur irgend möglich. Herr Nannt hat darauf hingewiesen, dass wir eine gewisse Zeit ausfallen und dass das die Handlungsfähigkeit und auch die Effizienz der Anti-ISIS-Koalition erheblich beeinträchtigt. Deshalb muss es uns darum gehen, diese Verlegung so schnell wie möglich hinzubekommen, damit wir so schnell wie möglich einsatzbereit und handlungsfähig sind. Das wird Hand in Hand zwischen dem Bundesministerium der Verteidigung und uns geschehen. Es gibt dabei ja auch einige Fragen rechtlicher und vielleicht auch politischer Natur. Das wird, wie gesagt, in bewährter Weise – es ist ja nicht der erste Auslandseinsatz der Bundeswehr, auch nicht in der Region, wir sind im Libanon, wir sind auch anderswo – zwischen den beiden Häusern abgestimmt.

Wir hoffen, dass wir gute Ergebnisse bekommen. Die Reaktion und die Gastfreundschaft der jordanischen Seite sind vorbildlich. Deshalb denken wir, dass das alles sehr gut, sehr schnell und sehr vertrauensvoll gehen kann.

Zusatzfrage : An Herrn Nannt: Die Ministerin hat in ihrem Statement heute Vormittag von einer gestaffelten Verlegung gesprochen. Was muss man sich darunter vorstellen? Kann es bedeuten, dass Teile noch in İncirlik bleiben und auch von dort aus fliegen, während ein anderer Teil schon verlegt wird?

Nannt: Hier gibt es einen großen Unterschied zu anderen, neuen Einsätzen, die wir sonst haben und bei denen wir die Verlegung komplett aus Deutschland machen. Hier machen wir eine Verlegung aus einem laufenden Einsatz heraus. Das heißt, es wird nicht so sein, dass wir plötzlich alle Fähigkeiten einstellen und das nach Jordanien verlegen, sondern es wird staffelweise vor sich gehen. Das heißt, die Tankflugzeuge werden relativ schnell einsatzbereit sein mit einem Zeitfenster von etwa zwei bis drei Wochen. Für die Aufklärungsflüge wird es zwei bis drei Monate dauern.

Wie diese Staffelung dann läuft, ist, wie gesagt, auch ganz klar abhängig von den Gesprächen mit der Koalition, wie es passt. Aber unser Ziel ist es, die Pause, die Unterbrechung, die aus operativen Gesichtspunkten einfach notwendig ist, möglichst kurz zu halten. Diese Planung setzen wir jetzt konkret um und werden das dann stufenweise auch so machen. Wir werden nicht morgen plötzlich sagen: „Wir erbringen dort keine Leistungen mehr für die Koalition, und irgendwann geht es weiter“, sondern wir werden es so machen, dass wir die Unterbrechung möglichst gering halten. Deswegen staffelweise.

Frage: Herr Nannt, können denn die Güter, die jetzt aus İncirlik verlegt werden müssen, direkt nach Jordanien geflogen werden, oder müssen sie erst nach Deutschland, zum Beispiel aus zollrechtlichen Gründen?

Können Sie etwas zur Sicherheitslage in Jordanien sagen? Ich spiele auf die Äußerungen des Wehrbeauftragten an. Müssen in Jordanien andere Maßnahmen ergriffen werden als in der Türkei?

Nannt: Es ist jetzt Aufgabe unserer Logistiker, das detailliert auszuplanen. Unser Punkt ist, dass wir natürlich gern möglichst direkt verlegen. Die zollrechtlichen Punkte habe ich jetzt nicht bei der Hand. Die Absicht ist, das unverzüglich zu machen, um natürlich auch die Zeitersparnisse zu haben. Wir sind jetzt dabei, auch das zu eruieren. Es kann sein, dass wir das auf dem Seewege tun oder auf dem Luftwege. Insofern muss man erst genau prüfen, welches die günstigsten Voraussetzungen sind, um diese Verlegung durchzuführen.

Zum Punkt Sicherheit: Der Einsatz im Kampf gegen den IS ist ein gefährlicher Einsatz, auch jetzt. Der Kampf gegen den IS wird ein gefährlicher Einsatz sein, ob aus der Türkei, aus İncirlik heraus oder aus Jordanien. Das ist unverändert.

Sie sprechen die Lage in Jordanien an. Wir sind dort nicht auf uns allein gestellt, sondern wir haben dort eine jordanische Liegenschaft, einen Flugplatz, von der aus wir agieren können. Wir haben dort unsere Partner. Sie wissen, dass auch die Amerikaner immer einen unheimlich hohen Sicherheitsstandard haben, wenn sie im Ausland operieren. In diesen Abstimmungen sind wir. Ich finde es falsch, zu sagen: Das eine ist gefährlicher, und das andere ist weniger gefährlich. – Der Einsatz ist – auch aus Soldatensicht gesprochen – gefährlich. Wir werden alles daransetzen, dass die Rahmenbedingungen so weit stimmen, dass wir den bestmöglichen Schutz unserer Soldaten dort vor Ort haben. Das gilt in Jordanien, und das gilt in der Türkei wie in jedem Einsatz.

Frage : Ich habe zwei Fragen dazu, die erste an Sie, Herr Seibert, noch einmal zur Einbindung des Bundestages: Wenn Sie sagen, dass es letztendlich Sache des Parlaments selber ist, das zu entscheiden, ist es denn dann aus Sicht der Bundesregierung, gerade weil Sie in den letzten Wochen und Monaten immer wieder betont haben, dass die Bundeswehr eine Parlamentsarmee ist, nicht wünschenswert, dass sich der Bundestag etwa in Form einer Entschließung oder auf ähnliche Weise selber in diesen Prozess einbindet?

Eine zweite Frage an das Verteidigungsministerium: Haben Sie eine grobe Schätzung, was diese Verlegung an Kosten verursacht? Ist das im Rahmen des laufenden Etats zu leisten?

StS Seibert: Ich habe hier keine Erwartungen an den Bundestag auszusprechen. Aber für die Bundesregierung ist völlig klar, dass sie den Bundestag über jeden einzelnen Schritt informieren wird. So hat es die Bundesverteidigungsministerin vor Kurzem auch angekündigt. Sie wird auch sofort nach dem Kabinettsbericht kommende Woche dem Bundestag berichten. Ich denke, das ist richtig.

Wie sich der Bundestag dann in seiner eigenen Verantwortung als eigenes Verfassungsorgan zu der Sache verhält, ob er, wie man ja lesen konnte, auf einen Entschließungsantrag hinarbeiten will, ist tatsächlich parlamentarische Angelegenheit. Ein neues Mandat ist nicht notwendig, das ist unsere klare Einschätzung. Wir sind uns darüber einig und gehen davon aus, dass es diese Einigkeit auch in weiten Teilen des Deutschen Bundestages gibt.

Nannt: Zur Dimension der Verlegung: Es sind ungefähr 200 Container. Darin ist viel technisches Gerät, darin sind Ersatzteile, der Gefechtsstand, Bürocontainer, die wir auch verlegen. Wie die Kosten sein werden, kann ich zum jetzigen Zeitpunkt noch gar nicht abschätzen, weil die Frage auch ist – das habe ich dem vorigen Fragesteller gerade gesagt -, welche Transportmittel man nimmt und wie wir das staffeln. Das kann ich also jetzt noch gar nicht bemessen. Ich sehe jetzt nicht, dass daraus irgendwelche Forderungen entstehen, wie Sie es jetzt ansprechen, sondern es ist jetzt letztlich unsere Aufgabe, das zu machen. Dafür haben wir das politische Mandat, und das werden wir jetzt so umsetzen.

Zusatzfrage : Nur zur Klärung: Wenn Sie von irgendwelchen Forderungen sprechen, heißt das, dass Sie keinen Nachschlag zu Ihrem Haushalt vonseiten des Finanzministers oder von wem auch immer brauchen?

Nannt: Nein, es wäre auch unredlich, jetzt einen Nachschlag für eine Verlegung zu fordern. Man muss auch sehen, wie hoch der Verteidigungshaushalt ist und welche Kosten real durch die Verlegung entstehen.

Frage : Herr Nannt, eine technische Frage zum Tankflugzeug, das dort fliegt: Welche Flugzeuge werden überwiegend in der Luft betankt? Sind das die Tornados oder zum Beispiel auch die Flugzeuge der Amerikaner? Wenn das Tankflugzeug weg ist, wer ersetzt die deutschen Fähigkeiten, auch die Fähigkeiten der Tornados? Das ist die erste Frage.

Herr Schäfer, sehen Sie durch die ganze Geschichte eine Belastung der Beziehungen der Nato mit der Türkei?

Nannt: Beide Fähigkeiten, die wir dort stellen, sowohl die Tankflugzeuge als auch die Aufklärungsflugzeuge, sind wichtige Fähigkeiten für die Koalition. Dennoch sind wir nicht allein. Es ist eben nicht so, dass das das einzige Tankflugzeug wäre oder dass das die einzigen sechs Aufklärungsflugzeuge wären. Das ist genau der Punkt, den ich gerade schon angesprochen habe, dass wir uns jetzt – heute und morgen – noch einmal innerhalb der Koalition gegen den IS dazu abstimmen, wie wir diese Verlegung planen. Das heißt: ein günstiges Zeitfenster, eine möglichst kurze operative Pause, weil es eben wichtige Fähigkeiten sind. Das heißt aber nicht, dass durch die Verlegung plötzlich der Einsatz gefährdet wäre, ganz im Gegenteil. Wir haben viele Fähigkeiten, aber wir müssen uns sauber abstimmen. Diese Fähigkeiten werden wir in Jordanien wieder relativ schnell bereitstellen. Das ist unsere Aufgabe. Ich selber bin Operateur. Das setzen wir jetzt um. Wir werden erst mit den Partnern abstimmen, wann gute Lücken sind und wann gute Möglichkeiten sind. Dann wird das gemacht.

Was die Betankung angeht, so ist das nicht das Betankungsflugzeug unserer Tornados, sondern die Betankung findet natürlich für die Koalition insgesamt statt. Aber es ist eines von mehreren Tankflugzeugen, die dort insgesamt bereitgestellt werden.

Schäfer: Ich denke, Sie haben die Stellungnahme der Nato zu den deutsch-türkischen Beziehungen im Zusammenhang mit İncirlik zur Kenntnis genommen, dass die Nato es bedauert, dass es so gekommen ist. Immerhin haben wir eine Situation, in der der Nato-Beitrag zur Anti-ISIS-Koalition mit den AWACS, auf denen ja viele deutsche Soldatinnen und Soldaten sind, von der Türkei auch im Hinblick auf das Besuchsrecht nicht in Zweifel gezogen ist. Das heißt, die Türken haben aus innenpolitischen Gründen eine Haltung gewählt, die uns gezwungen hat, so zu agieren, wie es heute im Kabinett entschieden worden ist, aber sie sind nicht darüber hinausgegangen, sondern, wenn Sie so sagen wollen, mit gebremstem Schaum vorgegangen.

Das ist immer noch bedauerlich für uns, weil es das erforderlich macht, was Herr Nannt und wir Ihnen gerade erklärt haben und weil es bedauerlicherweise unweigerlich eine Pause in unserem Einsatz mit sich bringt. Ich hoffe, dass es uns allen gelingt – das gilt auch für die Nato -, den Fallout und die Folgen dieser sehr unangenehmen Entwicklungen möglichst gering zu halten. Dass der deutsche Außenminister vorgestern in Abstimmung mit der Bundeskanzlerin für die Bundesregierung in Ankara gewesen ist und dort ausdrücklich die Hand ausgestreckt hat, um auch angesichts von İncirlik und dieser schwierigen Lage zu versuchen, das mit der Türkei an den vielen Punkten, an denen wir gut zusammenarbeiten wollen, wieder hinzubekommen, haben Sie gesehen. Das gilt natürlich auch nach der heutigen Entscheidung.

Zusatzfrage : Eine ganz kurze Nachfrage: Was wäre der Worst Case? Sie sagten, die türkische Regierung habe die Sache – so habe ich Sie verstanden – mit angezogener Handbremse – – –

Schäfer: Wir haben auf der Grundlage des Mandats, über das wir hier sprechen und das bis Ende Dezember 2017 gilt, deutsche Soldatinnen und Soldaten an zwei Standorten, nämlich in İncirlik und in Konya. Für beide gilt die klare Vorgabe einer Besuchsmöglichkeit. Bei Konya gibt es jetzt die türkische Haltung, dass so etwas geschehen kann. Das wird in absehbarer Zeit sicherlich auch geschehen oder jedenfalls getestet werden. Für İncirlik haben wir die klare Absage. Deshalb musste das geschehen, was heute, wenn Sie so wollen, auch förmlich passiert ist.

Frage: Eine Frage hat Herr Schäfer sozusagen vorausschauend schon zu drei Vierteln beantwortet. Konya ist wegen der Besuchserlaubnis, die im Mai erteilt wurde, derzeit keinerlei Thema für die Bundesregierung. So werte ich das.

Zweite Frage: Gehen Sie, da die Türkei İncirlik auch innenpolitisch begründet hat, davon aus, dass es in der Reaktion irgendwelche Auswirkungen auf die Fälle von Yücel, Tolu und von anderen inhaftierten Journalisten geben kann? Anders gefragt: Gibt es gerade in diesen beiden Fällen irgendwelche Neuigkeiten, von denen Sie uns berichten können?

Schäfer: Vielleicht noch ein Wort zu Konya und zu İncirlik: Dass wir uns um unsere Soldatinnen und Soldaten im Ausland intensiv kümmern mit all den Facetten, die das mit sich bringt – Fürsorge, Besuchsrecht etc. – gilt für İncirlik und für Konya. Es gilt auch für den Libanon und all die anderen gefährlichen Orte – Afghanistan, Mali -, an denen deutsche Soldatinnen und Soldaten im Einsatz sind. Deshalb haben wir natürlich auch immer im Blick, was in Konya passiert und ob das alles so ist, wie wir es uns wünschen.

Vorgestern hat der Außenminister natürlich auch die – so muss man aus unserer Sicht schon sagen – Menschenrechtsfälle Tolu, Yücel etc. angesprochen und sowohl dem Staatspräsidenten als auch dem Außenminister sehr klar gemacht, was unsere Haltung dazu ist und was unsere Erwartungen sind. Er hat insbesondere gesagt, dass er sich wünscht, dass es sehr bald im Falle Yücel eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte in Straßburg gibt. Der Fall ist dort seit Monaten anhängig. Das Gericht hat uns wissen lassen, dass es beabsichtige, jedenfalls ein beschleunigtes Verfahren einer Entscheidungsfindung in diesem Fall anzuwenden. Was das angesichts eines relativ großen Staus von Bearbeitungen des Gerichtshofes genau bedeutet, vermag ich nicht zu sagen. Jedenfalls haben wir die Hoffnung, dass es zügig zu einem Urteil kommt und dass es vor allen Dingen zu einem Urteil kommt, das die Türken nicht nur akzeptieren und respektieren, sondern auch unverzüglich umsetzen. Auch diese Erwartung hat der deutsche Außenminister für die Bundesregierung dem türkischen Staatspräsidenten und dem türkischen Außenminister ganz deutlich gemacht.

Auch darüber hinaus und jenseits dieses hoffentlich bald eintreffenden Urteils des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte hat er noch einmal deutlich gemacht, wie wichtig für uns diese Fälle deutscher Staatsangehöriger in türkischen Haftanstalten sind, wie wichtig es ist, dass es anständige Haftbedingungen gibt und dass die Verfahren, die deutsche Staatsangehörige zum Gegenstand haben, zügig, rechtsstaatlich und fair geführt werden, einschließlich der Frage des Freiheitsentzuges, also der regelmäßigen Überprüfung, ob wirklich eine Untersuchungshaft in all diesen Fällen ständig angemessen ist, weil aus unserer Sicht eben keine Haftgründe dafür vorliegen. Klarer als der Außenminister das auch im direkten Gespräch gemacht hat, kann man das, denke ich, nicht machen. Unsere Haltung muss ich hier auf Ihre Fragen ja dreimal die Woche vortragen.

Zusatzfrage: Aber bleibt es nach wie vor dabei, dass der Status der ist, dass vonseiten der Türkei keine generelle konsularische Betreuung oder so etwas zur Diskussion steht, sondern dass es immer nur auf Einzelfallantrag und Bescheid hin geht?

Schäfer: Na ja, die Antwort liegt ein bisschen in der Mitte. Ich denke, die Türken bestreiten gar nicht mehr, dass es ein Besuchsrecht und einen Besuchsanspruch bei Frau Tolu gibt. Nur ist es gleichwohl so, dass die Verfahren, die uns die Türken mit auf den Weg geben, immer mehrwöchige Prozeduren auf türkischer Seite vom Zeitpunkt der Beantragung eines konkreten Besuchstermins bis zu dessen Genehmigung erforderlich machen. Das macht uns, ehrlich gesagt, etwas Schwierigkeiten. Aber wir versuchen, damit umzugehen, weil wir darauf angewiesen sind, dass die türkische Seite dabei mit uns kooperiert. Wir finden auch im türkischen Außenministerium Ansprechpartner, die für unsere Wünsche und Anliegen empfänglich sind, insbesondere für das geltende Völkerrecht. Deshalb werden wir weiter dranbleiben und nicht nachlassen.

Richtig ist aber, dass wir, so wie es hier und heute steht, bei Deniz Yücel – das hatte ich Ihnen bereits vor einigen Wochen gesagt – einen anstehenden Besuch unseres Botschafters haben, aber darüber hinaus keine Zusage für weitere Besuche.

Frage: Die deutsche Luftwaffenbasis soll also geschlossen werden. Herr Schäfer, Sie sagten, Deutschland beziehungsweise die Deutschen seien in der Türkei aktuell nicht mehr willkommen. Trotzdem ist gleichzeitig aber eine Ausweitung der Zollunion mit der Türkei im Gespräch. Für viele scheint das erst einmal ambivalent zu sein.

Können Sie das aufklären? Was verspricht sich die Bundesregierung von diesem, wenn man so will, doppelten Vorgehen?

Schäfer: Erlauben Sie mir zunächst einmal, dass ich das, was ich gesagt habe, klarstelle. Ich meine, ich habe es klar gesagt, aber ich sage es für alle Fälle noch einmal: Wir sind unter den Bedingungen, die für uns, aus unseren verfassungsrechtlichen und politischen Erwägungen heraus – eine Parlamentsarmee, die Bundeswehrsoldaten ins Ausland schickt -, unter den Bedingungen, die für uns entscheidend sind, tatsächlich nicht mehr in İncirlik willkommen. Deshalb die heutige Entscheidung.

Darüber hinaus ist es so – auch das habe ich an dieser Stelle schon sehr häufig zu sagen versucht -: All das, was rechtsstaatliche Verfahren angeht, die Justiz angeht, den Umgang mit deutschen Staatsangehörigen angeht, die in der Türkei Gegenstand von Ermittlungsverfahren sind oder sich in Haft befinden, sind Dinge, die sich aus unserer Sicht ganz sicher nicht für irgendwelche Deals eignen, bei denen man das eine mit dem anderen aufrechnen würde.

Dass es andererseits so ist, dass partnerschaftliche Wünsche von türkischer Seite bei uns im Lichte einer Gesamtbewertung der Lage beantwortet und bewertet werden, liegt auf der Hand. Es fällt schwer, sich vorzustellen, dass weiterhin eine hohe Zahl deutscher Staatsangehöriger aus unserer Sicht in rechtsstaatswidriger Weise in türkischen Gefängnissen sitzt, während wir darüber hinaus so tun, als wenn alles ganz normal wäre. Insofern ist es natürlich so, dass wir bei allem, was es an türkischen Petita gegenüber der Europäischen Union oder im deutsch-türkischen Verhältnis gibt, auch immer einen Blick darauf haben, wie der Gesamtstand unserer Beziehungen ist und dass das natürlich einfließt – ohne dass es – das will ich noch einmal ausdrücklich sagen – irgendwelche asymmetrischen Deals oder gar schmutzige Geschäfte geben könnte oder würde, bei denen man das eine mit dem anderen vermengen würde.

StS Seibert: Ich darf vielleicht noch einmal einen Satz der Bundeskanzlerin aus ihrer letzten Regierungserklärung zu diesem Thema in Erinnerung rufen. Sie hat gesagt: „Eine […] Abwendung der Türkei von Europa, aber auch – und das sage ich mit Bedacht – Europas von der Türkei wäre weder im deutschen noch im europäischen Interesse. Es ist also Klugheit ebenso wie Klarheit gefragt.“ Ich denke, in Sachen İncirlik war das Bundeskabinett heute sehr klar. Aber wir werden auch klug sein.

Zusatzfrage: Außenminister Gabriel sprach auch von der Gefahr, die Türkei unter Umständen ansonsten an Russland zu verlieren. Worauf genau bezog er sich dabei? Durch welche Maßnahmen soll dieser Gefahr begegnet werden? Können Sie das etwas konkretisieren?

Schäfer: Ich glaube, die von Herrn Seibert gerade zitierten Sätze der Bundeskanzlerin sagen auf andere Art und Weise etwas ganz Ähnliches. Angesichts einer in Gefahr geratenen Sicherheitslage Europas, von der wir 25 Jahre – ein Vierteljahrhundert – lang geglaubt haben, es sei alles ganz einfach, der Friede bei uns sei nach dem Fall der Mauer, dem Ende des Kalten Krieges und der deutschen und europäischen Wiedervereinigung ewig, müssen wir – manche reiben sich verwundert die Augen – feststellen, dass die Sicherheit und die Stabilität Europas eben nicht so in Stein gemeißelt ist, wie viele von uns es eine Generation lang geglaubt haben. Dazu gehört es auch, bewährte Bündnispartner – das ist die Türkei sicher – im Nordatlantischen Bündnis an Bord zu halten, weil die Stabilität und die Sicherheit nicht nur der Türkei, sondern darüber hinaus auch der ganzen Region im Südosten Europas für unsere Sicherheit und für unsere Stabilität von ganz übergeordneter Bedeutung sind. Deshalb haben wir jegliches Interesse daran, so gut es geht und soweit es geht, mit unserem Partner Türkei auch in Sicherheits- und außenpolitischen Fragen gut und vertrauensvoll zusammenzuarbeiten, um zum Beispiel gemeinsam darum zu kämpfen, die existenzielle Bedrohung, die es für uns alle durch den „Islamischen Staat“ gibt, ein für alle Mal zu beseitigen. Da sind wir auf gutem Wege.

Das gibt mir den Anlass, Ihnen auch zu sagen, dass wir uns darüber freuen, dass jetzt hoffentlich tatsächlich die letzte Etappe der Überwindung der von ISIS ausgehenden Gefahren – jedenfalls aus Rakka in Syrien – begonnen hat. Erste von uns sowie von der Anti-ISIS-Koalition unterstützte Einheiten haben Vororte von Rakka erreicht. Es gibt dort auch bereits Kämpfe, sodass wir ähnlich wie in Mossul im Irak – ja auch einer der „strongholds“ des IS – innerhalb absehbarer Zeit doch wirklich begründet hoffen können, vielleicht sozusagen das letzte Nest und sozusagen den letzten großen territorialen, städtischen Komplex, der noch von dem „Islamischen Staat“ beherrscht wird, wieder befreien zu können. Auch dazu bedarf es einer guten Kooperation innerhalb der Anti-ISIS-Koalition und auch zwischen Deutschland und der Türkei.

Frage: Ich habe zwei kurze Fragen, vielleicht auch mit der Hoffnung auf kurze Antworten. Erste Frage: Wird man nach der ja jetzt etwas holprigen Erfahrung mit der Türkei auch mit Jordanien im Vorhinein vertraglich klären, dass Besuche von Abgeordneten und anderen Besuchern, also auch von Journalisten, auf der Basis in Jordanien grundsätzlich erlaubt sind? Das wäre ja vielleicht ganz angebracht, um einen zweiten Limbo zu vermeiden.

Die zweite Frage bezieht sich auch auf die Verträge. Soweit ich weiß, gilt ja in Jordanien die Scharia. Wird man mit Jordanien einen Vertrag machen, wie es ihn ähnlich auch in Afghanistan und anderen Ländern gibt, der den deutschen Soldaten Immunität vor dem lokalen Gesetz einräumt?

Schäfer: Danke für Ihre Fragen. Einige davon haben wir an dieser Stelle schon vor einigen Wochen, weil wir uns ja nicht erst jetzt mit diesem Fall und der Frage einer Verlegung nach Jordanien beschäftigt haben, beantwortet. Ich habe gesagt, dass wir gemeinsam mit dem Verteidigungsministerium jetzt daran arbeiten werden, ein möglichst hohes Schutzniveau für unsere deutschen Soldatinnen und Soldaten in Jordanien hinzubekommen. Das ist deshalb nicht ganz so einfach, weil Jordanien eben kein Mitglied der Nato ist und deshalb eben das Nato-Truppenstatut, das all diese Regelungen zu unserer Zufriedenheit enthielte, für Jordanien nicht ohne Weiteres gilt.

Die Verteidigungsministerin hat – Herr Nannt, korrigieren Sie mich, wenn ich etwas Falsches sage – gerade noch einmal bekräftigt, was sie bereits vorher gesagt hat, nämlich dass sie mit dem König gesprochen und entsprechende Zusicherungen bekommen hat, dass das alles so sein wird, wie das für uns erforderlich ist. Das werden wir jetzt natürlich nacharbeiten.

Wir haben gute Erfahrungen und jahrzehntelange vertrauensvolle Beziehungen mit dem Königreich Jordanien, mit dem König selbst, mit dem Außenminister, mit dem Premierminister und sozusagen mit dem ganzen Staat. Deshalb glaube ich, Sie können ganz beruhigt sein, dass wir das auf eine Weise hinbekommen, die ein Schutzniveau unserer Soldatinnen und Soldaten sicherstellt, das aller Ehren wert ist.

Dass Sie auch Besuchsrechte für Journalisten einfordern, ehrt Sie, und das finde ich auch verständlich. Für uns geht es jetzt in erster Linie erst einmal darum, dass Abgeordnete dorthin können. Wenn dann auch Journalisten dorthin kämen, dann wäre das ganz wunderbar. Das ist uns wichtig, aber vielleicht zurzeit nicht das Allerwichtigste.

Zusatzfrage: Da ja jetzt beide Fragen nicht beantwortet worden sind, frage ich noch einmal konkret: Wird Deutschland auf Immunität der Soldaten vor dem lokalen Gesetz drängen, ja oder nein? Gibt es Verhandlungen über eine grundsätzliche Zusage von Abgeordnetenbesuchen? Man kann doch beide Fragen mit Ja oder Nein beantworten!

Schäfer: Ich kann mir nicht vorstellen, dass die jordanische Seite angesichts des öffentlich ausgetragenen Konflikts um das Besuchsrecht von deutschen Parlamentariern irgendeinen Zweifel daran haben kann, dass das für uns eine Voraussetzung dafür ist, nach Jordanien zu verlegen. Das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Ich kann Ihnen allerdings nicht von konkreten Verhandlungen berichten, die es womöglich gegeben hat, von denen ich aber nichts weiß, in denen diese Frage schon zur Sprache gekommen wäre oder gar geklärt worden wäre.

Was die Geltung der Scharia angeht, so bin ich jetzt und hier über den Anwendungsbereich der Scharia gegenüber Ausländern generell nicht ganz im Bilde. Deshalb bitte ich um Verständnis dafür, dass ich da zunächst erst einmal Rücksprache halten muss. Ich stehe selbstverständlich hinsichtlich solcher Fragen auch Rede und Antwort.

Frage: Ich habe noch eine Nachfrage zu der staffelweisen Verlegung. Heißt das, dass während dieser zwei, drei Monate, die das dauern soll, die deutschen Fähigkeiten nie komplett ausfallen, oder wie muss man sich das vorstellen? Sind das also zwei Fliegen? Inwieweit schwächt das bei aller Absprache mit den Partnern dann doch die Effizienz dieses Anti-ISIS-Einsatzes?

Nannt: Vielleicht zu der staffelweisen Verlegung: Das geschieht staffelweise, weil wir den Zeitraum möglichst kurz halten wollen. Es wird also zu einer operativen Unterbrechung kommen; das können wir gar nicht verhindern. Hintergrund ist, dass wir dort in İncirlik eine Auswertstation haben, die wir auch in Jordanien nutzen werden. Das heißt, die werden wir abbauen. Die werden wir auch nach Jordanien verlegen. Die Flugzeuge selbst sind jetzt nicht das Problem, aber die Bilder, die die Flugzeuge liefern, müssen auch ausgewertet werden können, sie müssen genutzt werden können. Das ist der Punkt, um den es dabei geht.

Aber es wird eben nicht so sein, dass wir jetzt morgen den Knopf ausschalten werden, sagen werden „Jetzt machen wir quasi Pause“, und dann geht es irgendwann weiter, sondern unser Ziel ist es natürlich, diesen Zeitraum möglichst kurz zu halten. Genau deshalb machen wir das eben staffelweise oder verzugsweise. Aber es wird bei den Tornados eine Unterbrechung von zwei bis drei Monaten und bei den Tankflugzeugen eine Unterbrechung von zwei bis drei Wochen geben; das ist so. Das ist für uns immer ein logistisches Thema, wahrscheinlich gar nicht so sehr ein Thema für Sie. Für Sie ist wahrscheinlich eher das Zeitfenster – zwei bis drei Wochen, zwei bis drei Monate – das Thema. Für uns, die Bundeswehr, ist es logistisch gesehen wieder so, dass wir das einfach staffelweise machen werden, um die Unterbrechung möglichst kurz zu halten.

(Archivbild: Start zum ersten Einsatzflug der deutschen Recce-Tornados im Anti-ISIS-Einsatz von Incirlik aus am 8. Januar 2016 – Bundeswehr/Falk Bärwald)