NATO vor der Wahl: Luftüberwachung an der russischen Grenze – oder gegen ISIS?
Ein Merkposten, (wohl nicht nur) angesichts des Wochenendes bislang ohne Bestätigung: Der von der NATO geplante Einsatz von AWACS-Überwachungsflugzeugen für Missionen gegen die ISIS-Terrormiliz in Irak und Syrien könnte zu Lasten der NATO-Luftraumüberwachung an der Ostflanke des Bündnisses gehen. Das berichtet dpa am (heutigen) Samstag aus Brüssel:
Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur stehen nicht genügend Aufklärungsflugzeuge vom Typ Awacs zur Verfügung, um die von den USA für den Anti-IS-Einsatz angeforderten Leistungen ohne Kürzungen in anderen Bereichen zu ermöglichen.
Deswegen sollen militärischen Vorschlägen zufolge bis zu 720 Awacs-Flugstunden aus dem Kontingent des aktuellen Osteuropa-Einsatzes genutzt werden.Die im Zuge der Ukraine-Krise und der Spannungen mit Russland ausgebaute Luftraumüberwachung für Bündnispartner wie Estland, Lettland, Litauen und Polen wird demnach aktuell für weniger wichtig gehalten als der Anti-IS-Kampf. Zudem könne sie teilweise auch von Bodenstationen gewährleistet werden, heißt es aus Militärkreisen.
Auf die Unterstützung der Anti-ISIS-Koalition mit den Luftraumüberwachungsflugzeugen hatte sich der NATO-Gipfel im Juli in Warschau verständigt. Die Bundesregierung hatte zuvor lange gezögert, diesem Einsatz des Bündnisses zuzustimmen. Da etwa ein Drittel der AWACS-Besatzungen von der Bundeswehr gestellt wird, ist dafür ein Mandat des Bundestages erforderlich.
Die Mission wird nicht nur dadurch kompliziert, sondern vor allem auch dadurch, dass der türkische Flugplatz Konya eine der üblichen Einsatzbasen der Überwachungsflieger ist. Nach den Problemen mit dem Flugplatz Incirlik ist es natürlich problematisch, eine weitere Mission erneut von enem Flugplatz in der Türkei aus zu fliegen.
Eine Bestätigung für die dpa-Meldung gibt es bislang nicht; das deutsche Verteidigungsministerium sagt auch nichts dazu. Mal abwarten…
(Archivbild Juni 2015: Ein AWACS-Aufklärungsflugzeug der NATO auf der türkischen Basis Konya – Photo by Tech. Sgt. Richard Longoria/NATO E-3A Component)
Es würde mich interessieren, ob der Mangel um beide Missionen so wie gewünscht durchführen zu können an hierfür zu wenigen ursprünglich beschafften Flugzeugen (Verluste gab es zwar, aber es waren ja nicht wahnsinnig viele) liegt oder ob es an technisch bedingter Verfügbarkeit hängt. Die Flugzeuge dürften ja zumindest vom Herstellungsdatum her nicht mehr ganz taufrisch sein.
Weiß wer mehr, sofern die dpa da korrekte Infos hat?
Ich wäre bei der Bewertung, dass die NATO den Kampf gegen ISIS höher priorisiert als die Reassurance im Osten, vorsichtig. Diese Bewertung kommt von der DPA und nicht von der NATO.
Aus dem Ersatz durch Bodenstationen ergibt sich vielmehr ein Bild der flexiblen Resourcenverwaltung, die natürlicherweise begrenzt sind.
Die Neuverteilung einer EINZELNEN Fähigkeit stellt noch keinen Wechsel des Schwerpunkt dar…
Weiterhin scheint den USA die Einbeziehung der NATO in den Kampf gegen ISIS so wichtig zu sein, dass man diese Vakanz in Kauf nehmen will/kann.
Laut
https://de.wikipedia.org/wiki/Boeing_E-3
besitzt die NATO 17 Maschinen, von denen 14 bis 2018 ein moderneres Cockpit erhalten sollen;
besitz die USAF von 33 Maschinen, von denen 24 noch im Dienst sind (bis 2025) sowie
die RAF 8 sowie die Armée de l’air 4 Maschinen.
Bleiben also die gängigen Fragen:
– Wie viele Maschinen sind das operative Minimum an der NATO-Ostflanke
bzw. für Counter Daesh ?
– Wie viele Maschinen stehen wegen geplanter Wartung nicht zur Verfügung ?
– Wie viele der „nationalen“ Maschinen stehen für beide Schauplätze zur Verfügung (und werden auch national finanziert ?
Für mich stellt sich erstmal die Frage nach der Verifizierung der Informationen der dpa. Woher hat dpa das? Ist die Quelle wahr? Gibt es mehrere unabhängige Quellen? Ist die Quelle die offizielle NATO selbst?
Interessante Diskussion oder besser gesagt Spekulation. Hier die Fakten:
1. Der NATO AWACS Verband ist seit einem knappen Jahr in einer Umstrukturierungsphase, die im Kern eine 30%ige Reduzierung bedeutet.
2. Die Anzahl der Maschinen der sogenannten A-Komponente wird innerhalb der nächsten drei Jahre von 17 auf 14 Maschinen reduziert.
3. Hinzu kommen die von der britischen Luftwaffe betriebenen 6 AWACS Maschinen sog. contribution in kind bzw. B-Komponente, die allerdings unter nationalem Kommando verbleiben bzw. ausschließlich für den Einsatz verfügbar gemacht werden.
4. Für die Intensivierung der Überwachung an der NATO-Ostgrenze stehen darüberhinaus noch die Maschinen der FRA Luftwaffe und der TUR Luftwaffe zur Verfügung und werden auch entsprechend eingesetzt.
5. Mit diesen Ressourcen kommt die NATO der Bitte der östlichen Bündnispartner nach Intensivierung der Luftraumüberwachung seit März 2014 mit fast täglichen Flügen entlang der NATO-Ostgrenze – jeweils ein Flug im nördlichen und einem Flug im südlichen Bereich – nach.
6. Für die A-Komponente bedeutet das, die Nutzung von annähernd 50 Prozent der jährlich leistbaren Flugstunden.
7. Erschwerend kommt hinzu, dass es nur Lfz der A-Komponente möglich ist, im Luftraum der TUR eingesetzt zu werden.
8. Daraus ergibt sich, daß ein gleichzeitiger Einsatz an der Ostgrenze und an der Südflanke der NATO nur durch entsprechende planerische Kompensation (Reduzierung an der Ostgrenze und Nutzung der damit freigewordenen Kapazitäten an der Südflanke) ermöglicht werden kann, denn eine Erhöhung der Flugstundenproduktion ist aus Ressourcengründen ausgeschlossen.
Das ist das ganze Geheimnis hinter dieser vermeintlichen Schwerpunktverschiebung, die im Übrigen keine Verschiebung sondern ausschließlich eine Umverteilung vorhandener Kapazitäten ist. Der Schwerpunkt verbleibt an der Ostgrenze des Bündnisses. Eine Bewertung bzgl. der Wünsche einzelner Bündnispartner bleibt der politischen Ebene des Bündnisses vorbehalten.
@HJB
Danke – Klartext. Eine offene Frage bleibt: Warum können nur Kat-A-Lfz um TUR-Luftraum eingesetzt werden?
@ONA
Vermutlich weil die Türkei Vorbehalte hat gegen den Einsatz von Überwachungs- und Führungs-Fliegern in ihrem Luftraum, die unter nationaler OPCOM/TACOM stehen und nur OPCON an die NATO abgegeben haben.
@ ONA, Klabautermann
Die Begründung weiß nur die politische Ebene in der TUR. Sicherlich ist die Unterstellungsfrage ein Teil der Antwort Eine weiterführende Diskussion hier ist jedoch nicht angezeigt. Die Tatsache als solche ist bei der Planung zu berücksichtigen.
@HJB
Zustimmung. Der politische „Bias“ der Türkei ist in der Tat ein völlig anderes und viel komplexeres Thema. Rein planerisch ließen sich bestimmte Wünsche östlicher Bündnispartner in Sachen Luftraumüberwachung ja auch durch andere assets als AWACS erfüllen……Global Hawk ? F124 und Co ? DCRC ?
Ob die für einige absehrbare AWACS-Lücke der Grund für den überraschend erscheinenden Einsatz des DCRC im Baltikum ist?
Ich hab aber wohl den Grund für den Einsatz von AWACS in NE wohl nicht verstanden. Es heisst immer im Kampf gegen IS, mir ist AWACS als Luftraumüberwachung bekannt. Auf was überwacht denn AWACS dort Luftraum? Auf Flieger von IS, gibt es welche, ist damit zu rechnen? Oder die syrischen und russischen? Oder machen sie Leitfunktion, führen sie jamanden an Ziele am Boden heran, machen sie auch Bodenaufklärung?
@Edgar Lefgrün
Das dachte ich auch zuerst, aber wichtig ist auch das Luftlagebild – da ist ja einiges „in der Luft“, was es zu dekonflikten gibt.
@Edgar
Die NATO E-3A verfügt auch über passive Sensoren, die ggf. eigene LFZ vor FlaRak u.ä. warnen können.
F124 Radar kann ned hinter Berge schauen….
@Schorsch
Da haben Sie sicher recht mit den F-124-Radar-Fähigkeiten, aber als Lückenfüller der politischen Wunschzettelerfüllung für die nordosteuropäischen Bündnispartner reicht das imho aus – außerdem eine gute Demo gegenüber Rußland, dass die (europäische) NATO mit ihren Kapazitäten noch nicht im overload ist.
@klabautermann
Eine F124 im Baltikum würde in der Tat ausreichen.
@Schorsch
Das denke ich auch – man muß eben den ganzen Verbund der NATO-Luftraumüberwachungs-Kapazitäten einmal ins Spiel bringen. Ein solcher Einsatz einer F-124 ist allemal sinnvoller als irgendwo im Mittelmeer oder sonstwo Piraten oder Schlepper zu jagen.
Und wo soll die F124 her kommen? Welche Hülle mit welcher Besatzung? Die Marine hat schlichtweg keine Einheiten mehr in Reserve.
@Edgar Lefgrün
Ein AWACS ist eine Command and Control Einheit, d.h. sie kann Einheiten in der Luft auch Bodenziele gemäß Dringlichkeit zuweisen, bzw. Rettungseinsätze direkt leiten indem es Fliegern kurzfristig neue Rollen gibt.