Gipfelbeobachtung: NATO beschließt Bataillone im Osten (Nachtrag: Merkel)

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Die Staats- und Regierungschefs der NATO haben auf dem Gipfel der Allianz in Warschau  erwartungsgemäß beschlossen, zusätzliche Truppen im Osten des Bündnisgebiets zu stationieren und regelmäßig rotieren zu lassen. Für die so genannte Enhanced Forward Presence (verstärkte vorgeschobene Präsenz) würden wie geplant in den drei baltischen Staaten sowie in Polen jeweils ein Bataillon eingesetzt, robust und multinational“, sagte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg nach der Sitzung des Nordatlantikrates mit den Gipfelteilnehmern am (heutigen) Freitag.

Über die Frage, wie lange diese Bataillone eingesetzt werden müssten, wolle er nicht spekulieren, sagte Stoltenberg. Aber die NATO-Mitglied hätten erst über die Verstärkung zur Unterstützung ihrer östlichen Verbündeten zu diskutieren begonnen, nachdem Russland in der Ukraine aktiv geworden sei. Das sei deshalb eindeutig eine Defensivmaßnahme.

Der Generalsekretär bestätigte zugleich die bereits bekannte Aufteilung auf die Nationen: Deutschland werde Rahmennation für das rotierende Bataillon in Litauen, Kanada für Lettland, Großbritannien für Estland und die USA für Polen. Weitere Nationen hätten zugesagt, sich an diesen multinationalen Einheiten zu beteiligen.

Die Bataillone werden voraussichtlich um 1.000 bis zu 1.200 Soldatinnen und Soldaten umfassend. Der deutsche Heeresinspekteur Jörg Vollmer hatte bereits angekündigt, er rechne damit, dass die Bundeswehr bis zu 600 Soldaten stellen werde – neben der Führung des Bataillons in Litauen auch ein bis zwei Kampfkompanien. Dabei werde es sich um einsatzbereite Gefechtsverbände handeln, die gemeinsam mit der gastgebenen Nation ständig üben sollten.

Stoltenberg betonte zugleich, die NATO setze nicht nur auf Abschreckung, sondern bemühe sich weiterhin um den Dialog mit Russland. Bei der geplanten Sitzung des NATO-Russland-Rates am kommenden Mittwoch werde das Bündnis die Beschlüsse des Gipfels erläutern.

Das als ersten Blick auf die Ergebnisse des Gipfels.

(Das Foto gehört als Ergänzung dazu:

Nachtrag 1: Das Statement von Bundeskanzlerin Angela Merkel am Rande des Gipfels (in der vom Bundespresseamt veröffentlichten Fassung):

BK’IN DR. MERKEL: Meine Damen und Herren, der NATO-Gipfel in Warschau hat begonnen. Wir haben heute erst einmal Montenegro als neues Mitgliedsland aufgenommen und haben uns in der ersten Sitzung mit den neuen Verteidigungsaufgaben auseinandergesetzt.

Ich habe hier noch einmal deutlich gemacht, dass es uns bei der NATO auf der einen Seite natürlich um die Verteidigungsfähigkeit geht, auf der anderen Seite aber auch immer um den Dialog mit den entsprechenden Nachbarregionen, denen wir uns zuwenden. Da gibt es auf der einen Seite die östliche Dimension der NATO, das heißt, den verstärkten Einsatz und die verstärkte Präsenz im Baltikum. Hier wird Deutschland auch einen Beitrag als sogenannte Rahmennation leisten zusammen mit Norwegen, mit der Deutsch-Französischen Brigade und mit den Benelux-Staaten, und zwar in Litauen. Andere Länder übernehmen die Verantwortung in den anderen baltischen Staaten und in Polen.

Wir werden gleichzeitig aber auch auf das Thema Dialog setzen; deshalb wird das Abendessen der Staats- und Regierungschefs heute dem Thema des Verhältnisses zu Russland gewidmet sein. Deutschland hat ja sehr viel Wert darauf gelegt, dass die NATO-Russland-Akte auch mit allen Maßnahmen, die wir zusätzlich unternehmen, weiter Geltung hat. Nächste Woche wird es dann auch einen NATO-Russland-Rat geben, auf dem man sicherlich auch über die Ergebnisse dieses Gipfels sprechen wird.

Wir haben uns heute auch sehr intensiv mit der südlichen Dimension befasst, das heißt, mit der südlichen Nachbarschaft, mit Syrien, mit dem Kampf gegen den Bürgerkrieg dort, mit Irak und mit dem Kampf gegen IS. Diesbezüglich wird es zusätzlich zu den schon bestehenden Aktivitäten zum Beispiel der NATO-Mission in der Ägäis, die gegen Schleuser und Schlepper vorgeht auch eine Anzahl von neuen Aktivitäten geben. Hier geht es vorrangig um einen AWACS-Einsatz von der Türkei aus und auch um Ausbildungsmaßnahmen im Irak. Präsident al-Abadi hatte uns darum gebeten, dass wir der irakischen Regierung helfen, die Ausbildung vor Ort im Irak durchzuführen. Auch das wird die NATO machen.

Wir werden weiterhin das Mittelmeer ins Visier nehmen. Die Operation Active Endeavour wird umgewandelt in eine NATO-Mission, die nicht mehr auf Artikel 5 basiert, so wie das vor Jahren einmal beschlossen wurde. Dafür wird das gesamte Mittelmeer dann auch besser überwacht. Gerade mit Blick auf Libyen und auf die Schlepper und Schleuser ist das natürlich eine wichtige Aktivität.

Ein dritter Bereich ist heute Nachmittag noch zur Sprache gekommen, und zwar der Kampf gegen Cyberaktivitäten. Hier wird, ähnlich wie wir das jetzt auch bei uns in Deutschland bei der Bundeswehr gemacht haben, eine extra Abteilung gebildet, die sich neben den Streitkräften auch mit dem Schutz des Internets, der Datensysteme und der gesamten Infrastruktur beschäftigt. Auch das ist von großer Bedeutung.

Alle Beschlüsse wurden heute Nachmittag einmütig gefasst. Es war eine sehr konstruktive Arbeitsatmosphäre. Wenn man einmal schaut, was wir von Wales vor zwei Jahren, wo der letzte NATO-Gipfel stattfand, bis heute nach Warschau bereits umgesetzt haben, dann kann man sagen, dass die NATO jetzt sozusagen nicht nur auf dem Papier etwas beschließt, sondern das auch in die Praxis umsetzt immer in multilateralen Truppen mit vielen Mitgliedstaaten, die sich beteiligen. Insofern war das heute eine gute Sitzung, und ich denke, die Diskussion über Russland beim Abendessen wird auch noch einmal sehr wichtig sein.

FRAGE: Gab es denn den Ruf nach noch mehr Soldaten an der Grenze zu Russland?

BK’IN DR. MERKEL: Nein, es gab heute keinen Ruf nach noch mehr Soldaten; vielmehr gab es durchaus auch den Dank der litauischen Präsidentschaft, der baltischen Staaten und des polnischen Präsidenten an Deutschland und die anderen Nationen. Nach diesem NATO-Gipfel geht es aber erst einmal wieder um die Umsetzung all der Maßnahmen, und dabei müssen wir genauso glaubwürdig sein, wie wir das nach Wales waren.

FRAGE: Was erwarten Sie vom NATO-Russland-Rat?

BK’IN DR. MERKEL: Nun müssen wir ja erst einmal den NATO-Gipfel abhalten, bevor wir nächsten Mittwoch dann auf der Botschafterebene in Brüssel den NATO-Russland-Rat haben. Dort wird vor allen Dingen informiert werden. Ich glaube, man muss ein großes Interesse an Transparenz haben, also daran, dass man sich gegenseitig darüber informiert, was die jeweiligen Seiten tun, damit etwaige Gefährdungen ausgeschaltet werden. Wir wissen zum Beispiel, dass, wenn wir das Air Policing, also die Überwachung des Ostseeraums von den baltischen Staaten aus durchführen, dort zum Teil auch recht gefährliche Situationen entstehen können. Ich glaube, es ist im beiderseitigen Interesse so wie es ja zum Beispiel auch in Syrien Absprachen zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und Russland gibt , dass sich auch die NATO und Russland über die jeweiligen Aktivitäten sehr eng abstimmen.

Nachtrag2: das Transkript des Statements von Stoltenberg bei der Pressekonferenz:

Press conference
by NATO Secretary General Jens Stoltenberg following the meetings of the North Atlantic Council at the level of Heads of State and Government

Good evening.

We have just taken decisions to deliver twenty-first century deterrence and defence in the face of twenty-first century challenges. NATO has responded with speed and determination.

We have already delivered the biggest reinforcement of our collective defence in a generation.

We have tripled the size of the NATO Response Force to 40,000, with a Spearhead Force at its core. Able to move within days.
We have set up eight new headquarters to facilitate training and reinforcements in the eastern part of our Alliance.
And we have augmented the defences of Turkey, the Ally most affected by the turmoil in the south, with AWACS surveillance planes and defensive missile systems.
We have also sped up our decision-making, and developed strategies to deal with hybrid threats and complex challenges from the south.

Today, we took the next steps. And we have decided to enhance our military presence in the eastern part of the Alliance. With four battalions here in Poland, as well as Estonia, Latvia and Lithuania on a rotational basis. These battalions will be robust and multinational. They demonstrate the strength of the transatlantic bond. And they make clear that an attack on one Ally would be considered an attack on the whole Alliance.

And I’m pleased to announce that Canada will be the framework nation for Latvia. Germany will lead the battalion in Lithuania. The United Kingdom will lead in Estonia. And the United States will serve as framework nation in Poland.

I also welcome that many other nations, many other Allies announced during our meeting that they will contribute in different ways. Our presence will be in place starting next year.

This is an important step. But it is only one part of a bigger effort. Including plans for a tailored presence in the south-east, built around a multinational framework brigade in Romania.

Today we have decided to declare Initial Operational Capability of the NATO ballistic missile defence system. This means that the US ships based in Spain, the radar in Turkey, and the interceptor site in Romania are now able to work together under NATO command and NATO control. Importantly, the system we are building is entirely defensive. It is designed to shield against attacks from outside the Euro-Atlantic area and represents no threat to Russia’s strategic nuclear deterrent.

Today, we also recognised cyberspace as a new operational domain, joining land, air and sea. This means better protection of our networks and our missions and operations, with more focus on cyber training and cyber planning. NATO’s cyber posture remains defensive. But this is a clear sign that we are strengthening our collective defence in all areas. Allies have also pledged to strengthen their own cyber defences, and share more information and best practices.

NATO’s security depends on all our nations being prepared. So today, Allies committed to boosting their resilience. To improve civil preparedness, and ensure we have the right mix of capabilities to meet new challenges, including hybrid warfare.

Modern challenges require a modern Alliance. And they require the right resources. So today, we reviewed and reconfirmed the Defence Investment Pledge made two years ago.

2015 was the first year in many years with a small increase in defence spending. Estimates for 2016 show a further increase of 3% across European Allies and Canada. This amounts to eight billion US dollars. And many Allies are increasing the readiness and deployability of their forces. We still have a long way to go. But I believe that we have turned a corner.

NATO poses no threat to any country. We do not want a new Cold War. We do not want a new arms race. And we do not seek confrontation.

As we strengthen our deterrence and defence, we continue to seek a constructive dialogue with Russia. Russia is our biggest neighbour. It is a permanent member of the United Nations Security Council. And it plays an important role in security challenges in and around Europe. Russia cannot and should not be isolated.

Furthermore, with increased military activity in and around Europe, we have an interest in agreeing the rules of the road with Russia. We need to make every effort to avoid miscalculation and accidents. The NATO-Russia Council is an important tool to manage our relationship in this new, challenging security environment. I will convene a new meeting of the Council Wednesday next week to inform Russia on the decisions we have taken at the Summit.

NATO’s greatest responsibility remains the protection of our almost one billion citizens. This fundamental fact informs everything we do. And the decisions we have taken today will help keep our nations safe in a more dangerous world.

And with that, I’m ready to take your questions.

Die anschließenden Fragen und Antworten gibt es bislang nur als Video:


(Direktlink: https://youtu.be/_vr7B5H8t_o)

(Foto: NATO)