Steinmeier-Kritik am Säbelrasseln: Manöver ja, Propaganda nein
Nach den Äußerungen von Außenminister Frank-Walter Steinmeier am vergangenen Wochenende, die auch als Kritik an der NATO oder NATO-Partnern und ihren Übungen im Osten verstanden wurden, hat sich das Auswärtige Amt bemüht, den Schaden zu begrenzen. Der Außenminister habe sich nicht gegen Übungen der NATO und ihrer Partner gewandet, sondern dagegen, dass sie propagandistisch ausgeschlachtet würden, sagte Außenamtssprecher Martin Schäfer vor der Bundespressekonferenz.
Steinmeiers Kernsatz: Was wir jetzt allerdings nicht tun sollten, ist durch lautes Säbelrasseln und Kriegsgeheul die Lage weiter anzuheizen. Wer glaubt, mit symbolischen Panzerparaden an der Ostgrenze des Bündnisses mehr Sicherheit zu schaffen, der irrt.
Den vollständigen Wortlaut von Steinmeiers Äußerungen gibt es hier; die Aussagen von Schäfer, Regierungssprecher Steffen Seibert und BMVg-Sprecher Jens Flosdorff dazu hier zum Nachhören:
(Ein Foto der Plüsch-Anakonda habe ich dank des Leserhinweises gefunden; das Posieren von Soldaten mit der Schlange hatte der AA-Sprecher als ein Beispiel für die Propaganda genannt)
Nachtrag: Das Transkript des obigen Audios zum Nachlesen (netterweise haben das Bundespresseamt aus meinem Lapsus, als ich nach den deutsch-sowjetischen Beziehungen fragte, deutsch-russische Beziehungen gemacht) :
Frage : Eine Frage an Herrn Schäfer. Die Äußerungen des Bundesaußenministers in der „Bild am Sonntag“ haben national und international ein gewisses Aufsehen erregt. Ehe Sie jetzt den großen Bogen zum deutsch-russischen Verhältnis, der transatlantischen Freundschaft und der Einbettung Deutschlands in die Nato schlagen, wüsste ich gerne, wen der Außenminister konkret meinte, wenn er von „Säbelrasseln“, „Kriegsgeheul“ und „symbolischen Panzerparaden“ usw. spricht.
Schäfer: Die Äußerungen des Ministers sprechen für sich. Ich denke, alle haben inzwischen gesehen, dass über das hinaus, was gestern Morgen in einer großen deutschen Sonntagszeitung publiziert worden ist, die Äußerungen des Ministers etwas länger und ausführlicher gewesen sind als das, was dort im Blatt stand. Das finden Sie alles auf der Website des Auswärtigen Amtes. Das haben wir gestern – oder vielleicht schon vorgestern- vertweetet und in anderer Weise auch in den sozialen Medien bekanntgemacht.
Ich will Ihnen einfach noch einmal den Satz vorlesen, den Sie mir gerade in Ihrer Frage vorhalten. Es heißt dort:
„Was wir jetzt allerdings nicht tun sollten, ist, durch lautes Säbelrasseln und Kriegsgeheul die Lage weiter anzuheizen.“
Ich kann Ihnen dazu sagen, dass sich der Minister heute Morgen vor Beginn des Außenministerrates in Luxemburg dazu geäußert hat – im Übrigen wird das auch in dem Text der „Bild am Sonntag“ deutlich, der seit vorgestern öffentlich zugänglich ist -, dass er damit ausdrücklich nicht die auf dem Nato-Gipfel in Wales vor fast zwei Jahren, nämlich im September 2014, beschlossen Maßnahmen der Rückversicherung meint. Er meint damit auch nicht die Maßnahmen, die für den Nato-Gipfel in Warschau in Planung und Beratungen sind und die auf dem Gipfel am 9. und 10. Juli beschlossen werden sollen – manches davon ist bereits auch in der öffentlichen Debatte -, sondern ihm geht es darum, deutlich zu machen, dass ein Mehr an Sicherheit angesichts dessen richtig ist, was von russischer Seite in den letzten zweieinhalb Jahren geschehen ist – angefangen von der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim über das russische Verhalten in der Ostukraine -, dass aber Abschreckung nicht alles sein kann, sondern dass über Abschreckung hinaus der zweite Pfeiler, die zweite Säule der einschlägigen Nato-Beschlüsse wichtig ist, die mit ausdrücklicher Zustimmung der Bundesregierung erfolgt sind, nämlich den Dialog und das Gespräch nicht unmöglich zu machen, sondern im Gegenteil zu forcieren.
Da gibt es den einen oder anderen – ich glaube nicht, dass es jedenfalls in unserem oder in meinem Interesse wäre, Ihnen jetzt Namen zu nennen – – Aber wenn Vertreter der Nato vor Ort in den baltischen Staaten davon sprechen, dass man einen „totalen Krieg“ gegen Russland vorbereiten müsse, dann kann man solche Äußerungen, glaube ich, gut unter den Begriffen „Kriegsgeheul“ und „Säbelrasseln“ subsumieren. Ich zitiere den Außenminister und wiederhole noch einmal seine Äußerung:
„Was wir jetzt allerdings nicht tun sollten, ist, durch lautes Säbelrasseln und Kriegsgeheul die Lage weiter anzuheizen.“
Er hat ferner gesagt:
„Wir sind gut beraten, keine Vorwände für eine neue, alte Konfrontation frei Haus zu liefern.“
Zusatzfrage: Lernfrage: Meinen Sie eventuell den kommandierenden General der U.S. Army in Europa mit dieser Aussage?
Schäfer: Es hat Verantwortliche Generäle in der Nato gegeben – es gibt sie vielleicht auch weiterhin -, die durchaus durch markige Sprüche aufgefallen sind. Das ist mir auch aufgefallen.
Zusatzfrage: Dann würde mich als reine Lernfrage interessieren: Die Vorabmeldung in der „Bild am Sonntag“ war am Samstagmorgen öffentlich. Warum haben Sie mit der Veröffentlichung des Wortlauts, die auch eine Klarstellung war, mehr als 24 Stunden gewartet?
Schäfer: Erstens weiß ich nicht, wann eine solche Vorabmitteilung herausgegangen ist, weil es üblich ist, dass die Zeitungen eine solche Vorabmitteilung nicht der Institution oder der Person zukommen lassen, die den O-Ton in diesem Fall gegeben hat. Aber es war natürlich klar, dass es am Samstag eine Agenturlage war. Ich glaube, es ist schlicht ein Gebot der Fairness dem Medium gegenüber, solche Sachen erst in dem Moment zu veröffentlichen, wenn sie tatsächlich im Blatt stehen. So machen wir das jedenfalls immer.
Frage: Sie haben die Punkte aufgelistet, die Herr Steinmeier nicht meint: Maßnahmen der Rückersicherung, das, was auf dem Gipfel geplant ist. Meint er explizit auch nicht – oder zählt das zu Maßnahmen der Rückversicherung – die laufenden Nato-Manöver?
Schäfer: Ausdrücklich Nein. Der Außenminister ist der Meinung, dass es selbstverständlich erforderlich ist, dass sich die Bündnispartner – wie zum Beispiel bei dem nationalen polnischen Militärmanöver Anakonda oder auch bei anderen Nato-Manövern – natürlich auf den Ernstfall vorbereiten müssen.
Ich kann weder im Text in der „Bild am Sonntag“ noch in dem Text des Außenministers irgendeinen Satz erkennen, der insinuiert, dass damit aktuelle Nato-Manöver gemeint wären. Insofern muss es sich bei denjenigen, die das kritisieren, offensichtlich um ein Missverständnis handeln. Ich kann ihnen nur empfehlen, den Text im Blatt wie auch den, der sich auf unserer Website befindet, einmal nachzulesen.
Martialische Namen für Manöver, opulente Fotogelegenheiten für Panzerparaden oder Vergleiche zwischen Russland und islamistischem Terrorismus – all das sind, glaube ich, Dinge, die aus unserer Sicht nicht unbedingt dazu beitragen, die anstehenden schwierigen Fragen, die Meinungsverschiedenheiten, die Interessenunterschiede, die wir mit Russland haben, auch die Fragen des Umgangs und der Bewältigung der Kriminalität in der Ostukraine angemessen zu verbalisieren.
StS Seibert: Wenn ich darf, würde ich gerne zu diesen Übungen auch noch etwas hinzufügen.
Zusatz: Ich wollte Sie gerade danach fragen.
StS Seibert: Ach so, dann war das wohl Telepathie.
Die beschlossenen Maßnahmen einschließlich der Übungen sind ja eine Reaktion auf das russische Vorgehen in der Ukraine. Sie sind allesamt rein defensiv; sie sind maßvoll; sie sind transparent – darüber haben wir hier am vergangenen Freitag schon gesprochen – und im Rahmen der internationalen Verpflichtungen der Nato, einschließlich der Nato-Russland-Grundakte.
Ich möchte aber auch für die Bundesregierung deutlich sagen: Es ist gut, richtig und wichtig, dass die Nato übt. Solche Übungen oder Beteiligungen an Übungen werden im Übrigen langfristig geplant. Zu solchen Übungen wird Russland auch ausdrücklich als Beobachter eingeladen. Sie werden auch entsprechend der Vorgaben aus den gültigen Rüstungskontrollregimes angekündigt.
Wir bedauern, dass Russland in diesem Fall der Einladung zur Beobachtung der jüngsten Übungen nicht gefolgt ist und dass es nicht seinerseits ebenso Beobachter zu seinen eigenen Übungen einlädt.
Zusatzfrage: Sie scheinen ja dem gleichen Missverständnis wie ein Großteil der Presse zu erliegen. Herr Steinmeier hat ja mit seiner Kritik gar nicht die Nato-Manöver gemeint, was Herr Schäfer gerade erklärt hat.
Die Frage, die ich an Sie richten möchte, ist: Aus der Partei der Bundeskanzlerin und auch aus der Fraktion der Bundeskanzlerin wird massive Kritik an der Äußerung des Außenministers geäußert. Teilt die Bundeskanzlerin diese Kritik und empfindet sie die Äußerungen des Außenministers jedenfalls als unglücklich?
StS Seibert: Bei mir lag da gerade überhaupt kein Missverständnis vor. Herr Schäfer hatte sich gerade sozusagen positiv über diese Übungen geäußert. Ich habe das verstärkt.
Ich kann Ihnen grundsätzlich sagen, dass es in der engen Zusammenarbeit der Bundeskanzlerin und des Außenministers gerade in Nato- und Sicherheitsfragen eine Konstante gibt: Deutschland verfolgt einen zweigleisigen Ansatz. Für uns gehören zwei Begriffe immer zusammen. Der eine Begriff ist die Verteidigungsbereitschaft und der andere ist die Dialogfähigkeit – so, wie die zwei Seiten einer Medaille und so, wie es auch gerade der Sprecher des Auswärtigen Amtes, wie ich glaube, sehr klar ausgedrückt hat.
Wir arbeiten gerade im Verhältnis zu Russland nach einer gemeinsamen Überzeugung. Die heißt, dass Sicherheit in Europa auf Dauer nicht gegen Russland zu erreichen ist, sondern nur gemeinsam mit Russland. Dafür bedarf es allerdings auch der Verantwortungsbereitschaft auf russischer Seite und keines völkerrechtswidrigen Vorgehens wie bei der Annexion der Krim oder keiner destabilisierenden Politik, wie Russland sie gegen die Ostukraine verfolgt hat.
Auf dieser Basis haben wir eine sehr enge Zusammenarbeit, die gerade auch im Falle der Ukraine immer wieder mit großer Mühe versucht, aus einer schwierigen Situation eine politische, diplomatische friedliche Lösung im Interesse der Menschen in der Ukraine zu machen. Gerade diese Bemühungen laufen im Moment ja auch durchaus intensiv.
Frage: Herr Seibert, ich möchte etwas direkter fragen: Teilt die Kanzlerin diese Kritik des Außenministers an den Nato-Manövern in Polen?
StS Seibert: Sie haben gerade sehr klar den Sprecher des Auswärtigen Amtes gehört, der diese Kritik ausdrücklich nicht auf die polnischen Manöver bezog. Im Übrigen wissen Sie, dass deutsche Soldaten an ihnen teilnehmen.
Zusatzfrage: Ich habe heute die „F.A.Z“, „DIE WELT“, und die „Süddeutsche Zeitung“ gelesen. Alle haben das als Kritik verstanden, nur die Kanzlerin nicht?
StS Seibert: Deswegen hat sich ja der Sprecher des Auswärtigen Amtes gerade so klar geäußert, damit Sie diesem Missverständnis nicht aufsitzen.
Zusatzfrage: Aber wie hat das die Kanzlerin verstanden, als Kritik oder als Lob?
StS Seibert: Ich habe noch einmal versucht, Ihnen die Grundzüge und die Überzeugungen, auf denen die Zusammenarbeit der Bundeskanzlerin und des Außenministers gerade auf sicherheitspolitischem Gebiet beruht, darzulegen. Da gibt es gemeinsame Überzeugungen, auf deren Basis wir arbeiten.
Frage: Herr Seibert, dann stelle ich die Frage andersherum: Ist denn die Kritik, die Herr Steinmeier auf diese Art an Nato-Generälen und an Äußerungen aus den anderen Nato-Mitgliedstaaten geäußert haben will, aus Sicht der Kanzlerin voll umfänglich berechtigt?
Herr Schäfer, vielleicht können Sie mir einfach sagen, wie das zustande gekommen ist. Es gab vonseiten der „Bild“-Zeitung offenbar die Anfrage, dass der Minister sich dazu äußert. War das ein Gastbeitrag, der eigentlich für die „Bild“-Zeitung formuliert wurde, aus dem nur zitiert wurde, oder ist das Stück für Stück entstanden oder war das einfach die lange Antwort, die Sie jetzt auf eine Anfrage von „Bild“ veröffentlicht haben?
StS Seibert: Ich kann nur wiederholen, was ich hier als gemeinsame Grundüberzeugung und Basis unserer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik dargelegt habe. Das ist ein zweigleisiger Ansatz: einerseits Ja zur notwendigen Rückversicherung gerade auch der östlichen Alliierten, Ja zur Stärkung der Verteidigungs- und Reaktionsfähigkeit des Bündnisses, also zu den Beschlüssen, die wir in Wales gemeinsam getroffen haben und die wir jetzt im Vorfeld des Warschauer Gipfels konkretisieren, und gleichzeitig immer auch Ja zur Offenheit, zum Dialog mit Russland.
Das ist unsere Politik. Ich glaube, da gibt es nicht den Hauch eines Unterschiedes zwischen der Bundeskanzlerin und dem Auswärtigen Amt.
Schäfer: Ich weiß nicht, was es jetzt zur Wahrheitsfindung beiträgt, Herr Steinmeier, wenn Sie sozusagen hinter den Kulissen den Umgang zwischen Medien und dem Auswärtigen Amt abfragen. Ich kann Ihnen versichern: Der Text, wie er am Sonntagmorgen von uns publiziert worden ist, ist in dieser Fassung und ohne ein Komma oder einen i-Punkt daran zu ändern, am Freitagmorgen an die Sonntagszeitung gegangen, in der Auszüge daraus publiziert worden sind.
Frage: Herr Schäfer, es waren ja doch einige überrascht über die Deutlichkeit dieser Aussagen. Manche mutmaßen, dass da eben nicht nur der Außenminister gesprochen hat, sondern auch der SPD-Politiker, der vielleicht ein bisschen an der Profilierung seiner Partei mitarbeitet, die der Parteichef gerade betreibt. Was sagen Sie dazu?
Schäfer: Das kann ich nicht nachvollziehen. Ihnen allen, die Sie unsere Arbeit zum Glück so intensiv und kritisch begleiten, wie Sie das tun, wird nicht entgangen sein, dass sich der Außenminister ganz selten – und wenn, dann aus gutem Grund und meist mit einem außen- oder europapolitischen Einfallstor – zu innenpolitischen Angelegenheiten äußert. Aus der Aussage des Außenministers, deren Dramatik ich gar nicht erkennen kann – aber darüber können wir gerne weiter miteinander reden, wenn Sie dazu noch Fragen haben sollten -, einen innenpolitischen Schlenker herzuleiten, scheint mir abseitig.
Frage: Unabhängig davon, ob es üblich oder nicht üblich ist: Gab es, bevor dieser Beitrag veröffentlicht worden ist, irgendeinen Kontakt des Außenministers zur Kanzlerin – etwa in der Art, dass er gesagt hat „Ich habe da etwas Grundsätzliches zum deutsch-polnischen Verhältnis gesagt“ -, oder ist die Kanzlerin von diesem Beitrag letztendlich überrascht worden?
Zweitens. In der EU steht nun ja auch die Verlängerung der Wirtschaftssanktionen gegen Russland an. Gibt es nach Einschätzung der Bundesregierung irgendeinen Spielraum, zumindest ein Symbol abzusetzen, dass man gewillt ist, diesen Kurs harter Sanktionen in einiger Zeit umzukehren? Darauf hat vor Kurzem ja insbesondere auch die in Osteuropa engagierte deutsche Wirtschaft gesetzt. Ist eine Geste möglich?
StS Seibert: Die Kanzlerin und der Außenminister sprechen oft und regelmäßig miteinander; das ist die Basis ihrer engen Zusammenarbeit.
Was die Sanktionen betrifft: Das haben wir hier schon sehr oft diskutiert, und ich habe da gar keinen neuen Sachstand. Für die Bundeskanzlerin ist gültig, was auch im G7-Abschlussstatement in Ise-Shima noch einmal ausgedrückt wurde. Da hieß es:
„Wir erinnern daran, dass das Fortbestehen der Sanktionen in direktem Zusammenhang mit der vollständigen Umsetzung der Vereinbarungen von Minsk und der Achtung der Souveränität der Ukraine durch Russland steht. Die Sanktionen können abgebaut werden, sobald Russland diesen Verpflichtungen nachkommt. Dennoch sind wir bereit, auch weitere beschränkende Maßnahmen … zu ergreifen, um die Kosten für Russland zu erhöhen, sollten seine Handlungen dies erforderlich machen. Wir erkennen an, dass es wichtig ist, den Dialog mit Russland aufrechtzuerhalten …“
Es gibt also eine Ursache für diese Sanktionen. Die Aufhebung der Sanktionen ist gekoppelt an das Entfallen dieser Ursache. Wie ich es gesagt habe: Wir bemühen uns – unter anderem auch im Normandie-Format – sehr intensiv, politisch-diplomatische Fortschritte für die Ostukraine zu erreichen. Derzeit gibt es keinen Grund, von einer Aufhebung zu sprechen.
Schäfer: Das Erste, was ich auf Ihre Frage hin sagen möchte, ist: Man mag mir den Satz, den Satzausschnitt oder den Absatz in dem Text des Außenministers zeigen, der nicht auf der Linie der Bundesregierung wäre. Aber wie gesagt: Es ist immer gut, sich den Texten tatsächlich zuzuwenden. Wenn es da irgendetwas gibt, was ungeheuerlich ist oder was dazu geeignet ist, den Minister in einer herabwürdigenden Weise als Putin-Versteher darzustellen, dann mag man mich damit konfrontieren; dann stehe ich dazu gerne Rede und Antwort. Wer versucht, sein Gegenüber – ob Freund, ob Partner oder beides gleichzeitig – zu verstehen, der versucht das Beste fürs Land, glaube ich.
Es gibt überhaupt keinen Zweifel daran – der Minister hat das in anderen öffentlichen Äußerungen über das Wochenende auch noch einmal gesagt -, dass nicht nur wir, sondern auch unser Bündnispartner, die Vereinigten Staaten von Amerika, das allergrößte Interesse daran haben, gemeinsam mit Russland die großen Konflikte unserer Zeit anzugehen und zu lösen. Das gilt für den Fall Libyen, das gilt auch für den Nahost-Friedensprozess und für viele andere Konflikte, in denen, glaube ich, jedem mit gesundem Menschenverstand versehenen Beobachter klar ist, dass sich die Konflikte eben nicht gegen Russland, sondern nur mit Russland lösen lassen. Dass man im Kontakt mit einem so wichtigen und so großen Nachbarn Europas Themen hat, bei denen man besser miteinander auskommt als bei anderen, dass man Meinungsverschiedenheiten austragen muss und Interessengegensätze hat, die mal größer und mal kleiner sind, erleben wir – gemeinsam mit Ihnen – in den letzten Wochen und Monaten auch am Beispiel der Türkei. Es ist für uns, die wir die Interessen Deutschlands nach bestem Wissen und Gewissen zu vertreten haben, überhaupt nichts Ungewöhnliches, dass wir mit dem gleichen Land eine Vielzahl von Baustellen haben, von denen manche leichter zu erledigen sind und andere eben nicht. So ist das, und das ist eben konkrete Politik.
Was die Ukraine angeht: Herr Steinmeier ist heute beim Außenministerrat in Luxemburg. Auf der Tagesordnung steht dort auch die Frage des Umgangs mit der Krise in der Ukraine. Herr Steinmeier wird gemeinsam mit seinem französischen Amtskollegen Jean-Marc Ayrault den Außenministerkollegen von den wirklich intensivsten Bemühungen der Bundesregierung gemeinsam mit der französischen Regierung in den letzten Tagen vortragen, Fortschritte an den entscheidenden drei Baustellen zu erzielen: der allgemeinen Sicherheitslage, dem Umgang mit den Lokalwahlen und der Verabschiedung eines entsprechenden Gesetzes sowie der Sicherheit bei den Lokalwahlen.
Die Bemühungen um substanzielle Fortschritte bei der Lösung der Ukraine-Krise werden, während wir hier miteinander sprechen, intensiv fortgesetzt. Wir haben die Hoffnung da überhaupt nicht aufgegeben, auch wenn es ein unglaublich dickes Brett ist, das da zu bohren ist. Das geschieht im Übrigen gemeinsam von hohen Vertretern des Bundeskanzleramtes und der Bundeskanzlerin wie auch des Auswärtigen Amtes und des Außenministers. Wir ziehen da absolut an einem Strang, und wir haben nur ein Interesse: Dass wir diesen Konflikt überwinden können. Herr Steinmeier sagt immer: Sanktionen sind weder Selbstzweck noch dienen sie dem Ziel, Russland in die Knie zu zwingen. Sanktionen dienen dem Zweck, politisches Verhalten zu beeinflussen. Der Minister verfolgt das Ziel – im Übrigen gemeinsam mit der Bundesregierung -, genau das zu tun: nämlich die Ukraine und Russland dazu zu bringen, diesen Konflikt endlich zu überwinden. Wenn dazu entsprechende Schritte sinnvoll sein könnten – etwa im Falle von substanziellen Fortschritten in den einschlägigen Fragen -, dann würde das eventuell auch bedeuten, mit den Sanktionen umzugehen. Das ist nichts Neues, das hat der Außenminister seit Wochen gesagt, und das steht ausdrücklich auch nicht im Widerspruch zu der Passage, die Herr Seibert gerade eben aus der G7-Erklärung von vorletzter Woche vorgelesen hat.
Frage: Herr Seibert, es gab ja nicht nur das Interview oder die Äußerungen des Außenministers, sondern auch ein Interview mit dem früheren Bundeskanzlerin Gerhard Schröder zum Verhältnis zur Sowjetunion, in dem er sehr eindeutig sagt, er halte es für einen großen Fehler, bei den beschlossenen Nato-Maßnahmen an der Ostgrenze deutsche Truppen oder die Bundeswehr mit dem Lead zu betrauen. Hat die Bundesregierung eine Meinung zu dieser Aussage – teil sie die, verurteilt sie die, lehnt sie die ab?
Herr Schäfer, die nationale wie internationale Aufregung entstand ja offensichtlich durch eine gewisse Zuspitzung in der Vorabmeldung. Sie sagen, Sie hätten aus Gründen der Fairness 24 Stunden gewartet, ehe Sie den Wortlaut veröffentlicht haben. Das ist schön. Können wir jetzt immer damit rechnen, dass Fairness gegenüber den Medien über die außenpolitischen Belange der Bundesrepublik Deutschland gestellt wird?
StS Seibert: Ich möchte das Interview des Altbundeskanzlers nicht kommentieren.
Die Grundüberzeugungen unserer Russlandpolitik habe ich hier – auch gemeinsam mit dem Sprecher des Auswärtigen Amtes – noch einmal darzustellen versucht. Zu den Nato-Maßnahmen, die beim letzten Gipfel in Wales beschlossen wurden – Verteidigungs- und Reaktionsfähigkeit erhöhen -, gehören natürlich auch die Übungen. Ich wiederhole es noch einmal: Sie sind rein defensiv, sie sind maßvoll und sie sind transparent. „Sie sind rein defensiv“ heißt: Es geht keine Bedrohung Russlands von ihnen aus. Sie sind ein Ausdruck der Solidarität im Bündnis. Deutschland ist ein Teil des Bündnisses und damit auch ein Teil dieser Solidarität. Das drückt sich auch in der Teilnahme unserer Soldaten an diesen rein defensiven Maßnahmen aus.
Schäfer: Jetzt einmal vorsichtig gesprochen: Ich kann da keinen Widerspruch erkennen. Ich glaube, dass es möglich ist, im Verhältnis zwischen Medien und Regierung Fairness walten zu lassen und gleichzeitig die Interessen des Vaterlandes nicht zu beeinträchtigen; mir scheint das möglich zu sein.
Zusatzfrage: Das Problem am Samstag war doch, dass aufgrund der Vorabmeldung diese Agenturlage, wie Sie es nennen, entstand und dass natürlich auch international Medien auf „warmongering“-Warnungen des deutschen Außenministers eingestiegen sind. Das war für Sie aber noch kein Anlass, bereits am Samstag in irgendeiner Form klarstellend tätig zu werden?
Schäfer: Die Agenturmeldungen, die ich am Samstag gesehen habe, haben Äußerungen des Außenministers nicht in toto gebracht, aber haben Äußerungen des Außenministers gebracht, die er so getroffen hat. In den Agenturmeldungen war zu lesen – ich kann es nur noch einmal wiederholen -:
„Was wir jetzt nicht tun sollten, ist, durch lautes Säbelrasseln und Kriegsgeheul die Lage weiter anzuheizen.“
Nennen Sie mir in dieser Debatte einen – ob auf Regierungsseite oder auf Medienseite -, der das wollte.
Wir sind gut beraten, keine Vorwände für eine neue, alte Konfrontation frei Haus zu liefern. Der Außenminister warnt davor, in die Muster – die Verhaltensmuster und die rhetorischen Muster – des Kalten Krieges wieder einzutreten. Wer sollte etwas dagegen haben? Wenn nicht nur in Deutschland, sondern auch anderswo zur Kenntnis genommen wird, dass das die Haltung des Außenministers und der Bundesregierung ist, dann wüsste ich nicht, in welcher Weise das die Interessen unseres Landes beeinträchtigen würde.
Frage: Herr Flosdorff, in welchem Umfang nimmt denn die Bundeswehr an diesen Manövern teil?
Zweite Frage: Ich nehme an, dass innerhalb der Bundesregierung auch das Auswärtige Amt vorher über solche Manöver und über die Teilnahme der Bundeswehr daran informiert wird. Hat es da in diesem Fall irgendwelche Bedenken und Widersprüche vonseiten des Auswärtigen Amtes gegeben?
Flosdorff: Die Bundeswehr nimmt selbstverständlich im Rahmen der in der Nato beschlossenen Linie auch an Manövern in Osteuropa teil. Das sind teils Nato-Manöver, teils sind es nationale Manöver. Der Umfang hat sich gegenüber dem letzten Jahr geringfügig erhöht: 2015 hatten wir ungefähr 5000 Soldaten, die im Jahresschnitt an Manövern in Osteuropa beteiligt waren; in diesem Jahr haben wir 5500 Bundeswehrsoldaten, die sich an Manövern beteiligen. Das läuft aber neben den normalen „Reassurance“-Maßnahmen. Sie kennen das „Air Policing“ im Baltikum, das im Herbst wieder stattfindet, Sie wissen um das Engagement Deutschlands in der VJTF. Das alles geschieht in einem angemessenen Rahmen, transparent, defensiv und auch im Rahmen der Nato-Russland-Grundakte, und alles wird auch Russland gegenüber angezeigt.
Was Abstimmungsverfahren angeht: Soweit es erforderlich ist, wird in der Nato, aber selbstverständlich auch innerhalb der Bundesregierung abgestimmt, in welcher Form und in welchem Umfang sich die Bundeswehr beteiligt.
Zusatzfrage: Hat es da in diesem Fall irgendwelche Bedenken seitens des Auswärtigen Amtes gegeben?
Flosdorff: Es ist eine Vielzahl von Manövern, die ich jetzt nicht überblicke; ich kann jetzt einfach nicht in toto und absolut sagen, ob es auf Fachebene irgendwann einmal Bedenken gegeben hat. Mir ist davon jedenfalls nichts bekannt. Das wird immer abgestimmt, diese Verfahren laufen im besten Konsens, und ich kann hier überhaupt keine Klage führen über Abstimmungsverfahren mit dem Auswärtigen Amt – das läuft sehr gut.
Zusatzfrage: Herr Schäfer, wissen Sie das vielleicht?
Schäfer: Auch bei der Vorbereitung dieses Manövers, das auf den schönen Namen Anakonda hört – das ist ja keine Spezies von Schlangen, die in Europa verbreitet wäre, wenn ich das richtig sehe; bei uns sind es eher Ringelnattern und Blindschleichen, die wir als Schlangen haben -, gilt: Das geschieht – auch die Teilnahme der Bundeswehr – ausdrücklich mit Zustimmung des Auswärtigen Amtes. Trotz mancher Äußerungen aus Polen, über die wir uns an dieser Stelle auch unterhalten haben, hat es da nicht nur über die Beteiligung der Bundeswehr, sondern auch über die notwendigen logistischen und sonstigen Maßnahmen der Unterstützung für dieses nationale Manöver – wohlgemerkt: Anakonda ist kein Nato-Manöver, sondern ein Manöver des Bündnispartners Polen – jede Menge Unterstützungsmaßnahmen gegeben, so etwa die Erlaubnis der Durchreise von Partnerverbänden, die durch Deutschland nach Polen reisen mussten, um an diesem Manöver teilnehmen zu können. All das ist, soweit ich das beurteilen kann und so, wie Herr Flosdorff es sagte, innerhalb der Bundesregierung in vollständiger Übereinstimmung gemacht und unterstützt worden.
Frage: Herr Schäfer, kann man sagen, um die Position von Herrn Steinmeier gut zu verstehen, dass der Außenminister die Anakonda-Übung in Polen gut findet?
Schäfer: Ich kann nur das wiederholen und bekräftigen, was Herr Seibert und auch ich gerade gesagt haben, nämlich dass es richtig ist, dass das Bündnis übt. Darüber hinaus ist, glaube ich, gar nicht viel zu sagen. Ich glaube, die Beteiligung der Bundeswehr an diesem Manöver spricht für sich. Ich hatte in einem Nebensatz gesagt, dass, wenn uns etwas daran stört, es sozusagen eher – wie soll man sagen – die mediale Präsentation des Ganzen ist. Manche Äußerung von manchen, die eben nicht dem Ziel dient, den Dialog zu fördern, sondern die Konfrontation anzuheizen, ist ganz sicher nicht in unserem Interesse, und das hat der Außenminister gesagt.
Zusatzfrage: Aber die Äußerungen des Verteidigungsministers kamen vor zwei Wochen. Ich habe damals ja nachgefragt. Warum haben Sie sich damals nicht dazu geäußert?
Schäfer: Ich kann Ihnen nur sagen: Der Außenminister hat sich jetzt am Sonntag in einer Zeitung geäußert. Die Äußerungen – das haben mir die Kollegen aus der Nase gezogen – sind am Freitag der Zeitung gegeben worden, und das war aus Sicht des Außenministers der richtige Moment, das zu tun.
Frage: Herr Schäfer, nur noch einmal zum Verständnis, weil Sie sozusagen die mediale Inszenierung von Manövern auch gerade selbst noch einmal angesprochen haben: Es gab ja zum Beispiel im letzten Jahr im Juni in Polen auch ein großes Manöver, also eine Nato-Übung, an dem etliche Verteidigungsministerinnen teilgenommen haben, Frau von der Leyen, die niederländische Verteidigungsministerin und, soweit ich weiß, auch die norwegische. Wäre es besser, wenn in Zukunft bei solchen Übungen dann eben keine Verteidigungsminister oder Verteidigungsministerinnen oder kein Herr Stoltenberg mehr teilnehmen würden?
Schäfer: Genauso wie ich es heute in einigen Kommentaren gelesen habe und genauso wie ich hier eben mit der Frage konfrontiert wurde, ob es denn nicht ein innerparteilicher oder innenpolitischer Schachzug des Außenministers sei, sich in dieser Sache einzulassen, kann ich hier nur sagen: All das, was Sie da mit Ihrer Frage unterstellen, hat er nicht gesagt. Mit der Präsenz von Politikern und auch von Verteidigungsministerinnen bei Manövern hat der Außenminister kein Problem, sondern er hat ein Problem damit, dass man – genau so, wie ich es gesagt habe – solche Manöver nutzt, um sie propagandistisch auszuschlachten. Das ist nicht in unserem Interesse, so glaubt er, und das ist eben nur ein Teil dessen, was wir brauchen, um den gegenwärtigen Konflikt nicht noch mehr anzuheizen. Das ist einerseits die Frage von mehr Sicherheit – dazu gehören Manöver, absolut -, das ist aber eben auch die zweite Säule, nämlich der notwendige Dialog, der mit Russland geführt werden muss, damit wir die Probleme, die wir miteinander haben, überwinden und im Gegenteil eine Eskalationsspirale nicht noch weiter anheizen.
Frage: Herr Schäfer, ich habe immer noch meine Verständnisprobleme, vor allem mit dem Text und Ihrer Interpretation. Vielleicht können Sie mir noch einmal diesen Satz erklären: „Wer glaubt, mit symbolischen Panzerparaden an der Ostgrenze des Bündnisses mehr Sicherheit zu schaffen, der irrt“. Jetzt würde ich gerne verstehen, welche symbolischen Panzerparaden es denn sind, die Herr Steinmeier konkret meint. Ist das jetzt vor den deutsch-polnischen Regierungskonsultationen sozusagen eine Schwierigkeit für ihn?
Schäfer: Überhaupt nicht. Eine symbolische Panzerparade ist auch nicht mit einem Militärmanöver gleichzusetzen; vielleicht rührt das Missverständnis des einen oder anderen daher. Über das hinaus, was ich Ihnen jetzt gerade auf mehrfache Nachfrage hin zu erläutern versucht habe, gelingt es mir, glaube ich, nicht mehr. Dann müssen wir für heute aufgeben. Vielleicht versuchen wir es übermorgen aufs Neue!
Zusatzfrage: Dann frage ich doch noch einmal: Welche symbolischen Panzerparaden sind denn gemeint?
Schäfer: Sie brauchen nur die segensreichen Mittel der sozialen Medien in Anspruch zu nehmen, Suchfunktionen zum Beispiel. Da gibt es große amerikanische Anbieter, und wenn Sie dort die richtigen Suchbegriffe eingeben, finden Sie Bilder, zum Beispiel von Soldaten, die sich südamerikanische Würgeschlangen um den Hals hängen. Da gibt es Bilder von genau dem, was hier in dem Text des Außenministers steht, nämlich von symbolischen Panzerparaden.
Die These und die feste Überzeugung, die der Außenminister auch mit diesem Satz zum Ausdruck bringen wollte, ist: Man muss üben, man muss auch den Ernstfall üben, und man muss sich vorbereiten, aber man muss das nicht in einer Weise tun, die die Sicherheit eben nicht verbessert, sondern verschlechtert, indem man zur Eskalation beiträgt.
(Foto: Polnische Soldaten bei der Übung Anakonda16 am 5. Juni 2016 mit Adelajda, der Plüsch-Anakonda – Foto Polnische Streitkräfte/Arkadiusz Dwulatek)
@MikeMolto
Lol – „Es war menschliches Versagen in mehreren Ebenen, nicht ‘Irrtum’ sondern ‘Befehlstreue’ bzw Unkenntnis“ Na ? Und wie nennt man das ? Group-Think-Falle.
Den Bericht hab ich selber und Ihnen empfehle ich die Lektüre von Dietrich Dörner – Die Logik des Mißlingens ;-)
@ klabautermann
Sie messen da aber auch ein wenig mit zweierlei Maß, oder? Wenn ich die Geschichte des Kalten Krieges und die deutsche Partizipation in der NATO recht im Kopf habe (ich war 9 als die Mauer fiel – und auf der „anderen Seite“), dann haben deutsche Politiker aus politischen Gründen immer auf die Vorwärtsverteidigung westdeutschen Territoriums bzw als dessen Vorläufer die massive Vergeltung gesetzt (und folglich Schwierigkeiten sich mit „flexible response“ anzufreunden). Stellen Sie sich mal vor ein amerikanischer Außenminister hätte ähnliche Kommentare in der Weltpresse verlautbaren lassen. Was meinen Sie hätten Unionspolitiker und ihnen zuneigende Medien für einen Aufschrei losgelassen (und 2 m² Haut des US Politikers gefordert)? Wir sollten alle nicht so tun als hätten sich deutsche Politiker in ähnlicher Lage immer völlig rational verhalten (FJ Strauß, anyone?).
Da fängt das Problem ja schon an. Planungen kann man immer nur für aktuelle Situationen plus erwartete/denkbare Möglichkeiten aufstellen. Wie aber will man planen, wenn ein Teil der NATO sich massiv von Russland bedroht fühlt (und sei es „nur“ aus historischen Erfahrungen und emotionalen Gefühlszuständen heraus), andere dem aber jedwede Berechtigung absprechen (was Sie de facto tun) und sich den Planungen verweigern? Der gordische Knoten der NATO im Augenblick ist nicht diese Pseudo-Debatte um 2% oder nicht – es sind die grundverschiedenen Bedrohungsempfindungen (Ost vs Süd vs Gar nix). Diesen zu lösen (zerschlagen käme der Implosion der NATO gleich) ist Aufgabe der Diplomaten. Dabei sind solche „Schlagzeilen“ einfach nicht hilfreich.
Richtig. Aber zum Dialog gehören zwei Seiten und ich habe nicht den Eindruck Russland ist an echtem Dialog interessiert (was ich übrigens auch der aktuellen polnischen Regierung abspreche). Stattdessen pocht der Staats- und Medienapparat auf etwas, was es weder im Völkerrecht (2€ ins Phrasenschwein) noch in irgendwelchen internationalen Verträgen gibt und was sich nur auf das eigene nationale Ego stützt (PS: Ich billige übrigens auch keinem anderen Land einen entrsprechenden Exeptionalismus zu – nicht den USA, nicht dem UK, Frankreich oder uns selber!). Welchen Zweck soll das Gerede haben, wenn die eine Seite nur Munition für den eigenen nationalen Circlejerk haben will? Die Art von „Ermattungsdiplomatie“ mag im besonderen Biotop in der EU funktionieren, aber das russische Establishment denkt nicht in diesen Kategorien und sieht sich nicht zwangläufig in der Pflicht zu Kompromissen. Da ist Steinmeier ein wenig „blind“ auf dem Auge.
@ csThor | 21. Juni 2016 – 15:51
M.E. haben Sie völlig recht. Ich sehe Steinmeier aber nicht als „Einäugigen“ (der wäre unter den Blinden ja König), sondern eher als „Schlitzohr“. Der Wahlkampf hat begonnen.
Hans Schommer
@ Klabautermann
Ohne Ihnen zu nah treten zu wollen: Könnte es sein, dass Sie Ihren Erfahrungshorizont recht absolut setzen und dabei dem (eigenen) Erkenntniszugewinn etwas im Weg stehen?
Aus gutem Grund hat sich Frau Ministerin z.B. mit Frau Staatssekretärin Suder jemanden mit vollkommen anderer Denke in den Laden geholt und an einigen Stellen hat das ja schon Jahrzehnte alte Blockaden und Denkverbote gelöst.
Seit 2014 haben wir eine vollkommen neue sicherheitspolitische Weltlage. Hier und da hat sie sich schon vorher angekündigt, das haben wir aber munter verschlafen. Ihr Kapital an sicherheitspolitischer Lebenserfahrung von 1975 bis 1999 reduziert sich vor dieser geänderten Situation auf zwei bis drei Jahre Basisausbildung, alles weitere muss neu gelernt werden.
Hans Schommer könnte durchaus recht damit haben, dass es sich bei Steinmeiers Verhalten um eine Schlitzohrigkeit sondergleichen handelt, die nicht die Interessen der Bundesrepublik Deutschland beachtet, sondern versteckte Interessen verfolgt.
Da es hier wenig Beachtung findet, so will ich ein drittes Mal darauf hinweisen: Im Hintergrund sind die Dinge in Bewegung, gerüchtweise sollen Putin und Merkel miteinander im Gespräch sein (lt. ARD Korrespondentin Moskau). Die gerade erfolgte Verlängerung der Sanktionen ist nicht das Ende der Geschichte. Und wer verhandelt, der muss auch etwas anbieten können, inkl. Gesichtswahrung – und nein, es ist weder die Anerkennung der Krimannexion noch der Verkauf des Baltikums im Angebot. Siehe auch: http://www.spiegel.de/politik/ausland/reaktionen-aus-russland-auf-steinmeier-und-merkel-a-1098931.html
[Genial, diese Haltung: „Da es hier wenig Beachtung findet, so will ich ein drittes Mal darauf hinweisen“ – so lange, bis hier endlich das debattiert wird, was Sie wollen? Oder wie stellen Sie sich das vor? T.W.]
Hat der Herr Außenminister sicher überlesen.
http://www.mgfa.de/html/aktuelles/aktuelleergebnissederbevoelkerungsbefragung2015deszmsbw?teaser=0
Erstmals absolute Mehrheit der Bevölkerung für Erhöhung der Verteidigungsausgaben.
Bestiimmt nur wegen des Sicherheitsgefühl im Angesicht putinscher Friedfertigkeit.
Wiewohl Auslandseinsätze durch die Bank kritisch gesehen werden. Aber so ist der Michel nun mal.
Schlitzohr… muhaha / SCNR
@KPK: Der Michel versteht unter Verteidigungsausgaben sich Terrorabwehr. Der Sprecher der Polizeigewerkschaft braucht mehr PR. Die machen die Arbeit.
Etwas Hintergrund zur https://www.bellingcat.com/news/uk-and-europe/2016/06/21/russias-200th-motorized-infantry-brigade-in-the-donbass-part-2/
Ausrüstung, Bewaffnung und Verwendung.
Die motSchtz sind natürlich nicht im Rotationsmodus mitten im Donezbecken unterwegs.
Insofern brauchen die auch nie und nimmer den steimeierschen Säbel sich Aufmerksamkeit zu sichern.
Der Argumente wurden im Faden etwa alle angeführt in Bezug auf die Haltung des SPD-Außenministers, mit pro und contra.
Hatte er, Steinmeier, etwa Gedanken der Äquidistanz im Hinterkopf, der sicherheitspolitischen Äquidistanz? Also ideologisch gleicher Abstand, im Hinblick auf die Interessensgewichtung?
Geografisch easy going pro Moskau, 1.680 zum Kreml, 6710 zum White House.
Aber Vorsicht, der einzige mit Fortune im machtpolitischen Ausgleich war Otto Fürst von Bismarck. Wohlmeinende pro Steinmeier Kommentatoren dürften noch Egon Bahr, Schöpfer der Ostpolitik, ins Feld führen wollen. Nur hat sich sein Kanzler damals bei den Westalliierten rückversichert. Geht derzeit nicht , wir stünden allein im Feld.
Da passte dann im Extremfall das „zwischen-allen-Stühlen-sitzen“.
@Alf Igel: Danke.
@ klabautermann | 21. Juni 2016 – 15:18
„Lol – “Es war menschliches Versagen in mehreren Ebenen, nicht ‘Irrtum’ sondern ‘Befehlstreue’ bzw Unkenntnis” Na ? Und wie nennt man das ? Group-Think-Falle.“
Sie moegen das ‚Group-Think-Falle nennen, klingt so plakativ wie Ihre uebrigen humorvollen Einfaelle. Wird den Tatsachen aber nicht gerecht. Es gab keine ‚Gruppe‘.
Der Bericht zeigt explizit auf welchen Ebenen und von welchen Menschen die Fehler gemacht wurden.
@ csThor:
Nur angemerkt: es war Vorneverteidigung nicht Vorwärtsverteidigung! Vorne auf BRD Gebiet, nicht erst hinten an der Rheinlinie. Das Vorwärts auf DDR Territorium hatten seinerzeit interessierte Kreise der NATO immer gerne unterstellt. Und zumindest „unsere“ Manöver-/Übungsszenarien hatten sich immer darauf beschränkt. End-Ex etc. war immer tief im BRD Territorium. 1989 wäre dann vorbei mit den großen Stabsübungen.
Bei der Bundeswehr war Verteidigung an der Staatsgrenze angesagt und auch in den GDP geplant. Wer etwas anderes behauptet, ist entweder ein Troll oder ein Unwissender.
Hans Schommer
@MikeMolto:
Group Think: https://de.wikipedia.org/wiki/Gruppendenken
Googeln sie bitte bevor sie ausfällig werden …
Und ja, auch Deutschland leistet sich mit der Osterweiterung EU-NATO sogenannte strategische Tiefe. Mit der Ostukraine übrigens weit in den slavischen Bereich hinein. Wenn also wer Interesse an einer konstruktiven Osterweiterung hat, dann die BRD. Vorwärtsverteidigung dann in Polen … nur dass wir nach dem zweiten Weltkrieg besetzt waren, um Stationierung westlicher Truppen mussten wir uns demnach keine Sorgen machen. /SCNR
Der Satz hört sich gemein an, aber ich gönne den Polen nicht mehr und nicht weniger als uns selbst. Und RU hat gezeigt, Ostukraine ist nicht, da weden sie militärisch und schmei0ßen internationales Recht über Bord… verständlich und schlimm gleichermaßen.
@ Schorsch
Ich wollte keinesfalls irgendwas unterstellen, den Terminus hab ich auch nicht nachgeschlagen. Sorry dafür.
@Alf Igel
„Seit 2014 haben wir eine vollkommen neue sicherheitspolitische Weltlage. Hier und da hat sie sich schon vorher angekündigt, das haben wir aber munter verschlafen. Ihr Kapital an sicherheitspolitischer Lebenserfahrung von 1975 bis 1999 reduziert sich vor dieser geänderten Situation auf zwei bis drei Jahre Basisausbildung, alles weitere muss neu gelernt werden.“
Das meinen Sie vermutlich sogar ernst. Ich habe aber keine Lust, Kalten Krieg neu zu lernen ;-)
Vielleicht sollten aber einige andere lernen, wie man einen Kalten Krieg – den sie aus Altersgründen oder beruflich zumeist gar nicht miterlebt haben – gar nicht erst entstehen läßt ? Und vielleicht könnten dann berufserfahrene Berufs-Krieger und Berufs-Diplomaten wie ein F.W. Steinmeier dabei behilflich sein ?
@Klabautermann: Wahret den Anfängen!
Russland hat zwei Probleme:
1. Nach Innen: Schlicht, legitimation von Authorität innerhalb einer rießen Landmasse.
2. Nach Außen: Keine strategische Tiefe ohne Dominanz, da Mangel an natürlichen Grenzen. (vgl. Deutsches Reich I, II, III )
Frei nach Zbigniew Brzeziński: „Russland helfen ein ganz normales Land zu werden.“ This one is filling Bibles. Die Tugend der Kooperation vor Dominanz, Interessensausgleich vor autorithärer Herrschaft anderer Völker, das mussten wir Deutschen per Gewalt lernen.
@ AoR | 21. Juni 2016 – 22:42
@MikeMolto:
„Group Think: https://de.wikipedia.org/wiki/Gruppendenken
Googeln sie bitte bevor sie ausfällig werden …“
1. Ihre Definition von ‚Ausfaellig‘ wuerde mich interessieren. (Klabautermann dankt Ihnen sicherlich)
2. Zur Sache: Group thinking ist mir ein Begriff. Das lag aber im Fall Chernobyl nicht vor. Es gab damals keine ‚gleichberechtigte‘ Gruppe von Entscheidern sondern Befehlsempfaenger und im Kraftwerk ueberforderte Vorgesetzte und Ingenieure…
@AoR
Im Prinzip Zustimmung. Anderseits wundere ich mich immer, warum man den Russen immer soviel „Lernunwilligkeit/Lernunfähigkeit“ unterstellt, so nach dem Motto: der Putin bedient nur uralte imperiale Reflexe und macht mit offenem Oberkörper neo-imperiale Machtpolitik ohne Rücksicht auf Verluste – mal überspitzt formuliert.
Das „near-abroad-Konzept“ kann seitens der RF doch militärisch nur „angewandt“ werden gegen ehemalige Sowjetrepubliken/-teilrepubliken, die a) nicht Mitglied von EU und/oder NATO sind und mit denen miltärisch relevante Verträge aus der Zeit des „Zerfalles“ bestehen (Stationierungsverträge etc.). Von daher sind die baltischen Staaten eigentlich „safe“ und Polen sogar double-safe, weil Polen ja keine Sowjetrepublik war.
Wenn man so will stellen also die russischen Grenzen zu den EU/NATO-Nachbarn – auch wenn diese Nachbarn einmal zur SU gehörten – eine Art „natürliche“ Grenze dar. Da gilt eben der olle Spruch von Gorbi: „Wer zu spät…….“
Anders gelagert ist eben der Fall Ukraine, Georgien et alia ehemalige SU-Rep. Da besteht eben noch die Möglichkeit, das Einziehen einer „natürlichen“ Grenze zwischen Rußland und EU/NATO zu verzögern, bzw. zu verhindern ohne dass ein Kalter oder echter Krieg deswegen zwischen NATO und Rußland ausbricht.
Ich stimme Ihnen dahingehend zu, dass Rußland ohne Dominanz im Inneren und der verbliebenen GUS sowie Einfluß gerade auch im „near-abroad“ – zu dem wie bereits gesagt Polen nie gehört hat – ein strategisches Tiefenproblem (insbesondere ein nuklearstrategisches) hat, das nur schwer durch den Vorteil der Inneren Linie kompensiert werden kann – denn die Linie ist verdammt lang und es ist wichtiger , die verbliebenen GUS-Länder zu dominieren als diese – excuse my french – baltischen Anhängsel – sowie den Einfluß/Berücksichtigung russischer Sicherheitsinteressen in den near-abraod-Staaten zu sichern, die noch nicht NATO/EU sind…..und dabei kommt eben der Ukraine ganz zentrale Bedeutung zu und so war die Krim-Annektion eine strategische Zwangfolge des a) Baroso-Ultimatums und b) des Regierungswechsels in Kiew und der unmittelbar danach einsetzenden Ent-Russifizierung der Ukraine seitens der neuen Regierung.
Der Donbass ist für Putin ein bargaining-chip, das Thema krim ist durch – hier gilt eben die normative Kraft des Faktischen. Die baltischen Staaten sind aus Sicht Putin’s noch nicht einmal ein bargaining chip – geostrategischer Streitwert unter 5 Rubel – und Polen grenzt nicht direkt an Rußland und ist abgepuffert durch Weißrußland, und kann pipelinemäßig und verkehrsmäßg über die Ostsee letztendlich umgangen werden.
Langer Rede kurzer Sinn: das Baltikum und Polen sind für Putin kein strategisches Thema, da können die kläffen so viel die wollen.
klabautermann | 22. Juni 2016 – 13:13:
“ … Langer Rede kurzer Sinn: das Baltikum und Polen sind für Putin kein strategisches Thema, da können die kläffen so viel die wollen.“
Bezüglich der baltischen Staaten: Wie bewerten Sie in der hier geführten Diskussion deren Bevölkerungsanteil an ethnischen Russen? Bislang wohl überhaupt nicht. Bedeutungslos?
Hans Schommer
@Hans Schommer
Ich denke einmal, dass der Bevölkerungsanteil an ethnischen Russen in den baltischen Staaten aus Putin’s Sicht in der Tat strategisch bedeutungslos ist. Das liegt eben daran, dass die baltischen Staaten – wie ich oben versucht habe zu erläutern – an sich strategisch und auch ökonomisch bedeutungslos sind aus Kreml-Perspektive, und dann auch an den absoluten Zahlen. Die strategische Instrumentalisierung der Minderheitenpolitik der baltischen Staaten – wie in den 90ern – ist imho kein Thema mehr in Moskau seit die baltischen Staaten EU-Mitglied sind, denn die EU macht Druck in Sachen Minderheitsrechte nach EU-Regeln.
In Lettland gibt es z.Bsp ca 165.000 russische Nichtbürger, die allerdings Aufenthalts-und Arbeitsrechte genießen, kein Visum für die Reise nach Rußland brauchen und von den EU-Ländern in Sachen Reisefreiheit wie Letten behandelt werden – sozusagen Pendler zwischen den Welten. Die würden ganz schön sauer reagieren, wenn ihnen Putin die Tour vermasselt ;-)
Ganz so einfach ist das freilich nicht, mit den ethnischen Russen.
In ESTLAND, z. B.:
Estland 1,341 Millionen.
Die größte Nationalitätengruppe bilden nach dem Stand vom 1. Januar 2009 die Esten – 68,6 %, es folgen Russen – 25,6 %, Ukrainer – 2,1 %, Belarussen – 1,2 % und Finnen – 0,8 %.
Von den estnischen Bürgern sprechen 83,4 % als Muttersprache Estnisch, 15,3 % Russisch.
RUSSEN erhalten nur dann einen EST- und damit EU-fähigen Pass, wenn sie sich einem Einbürgerungs- und Sprachtest unterziehen.
Da dies weite Teile ablehnen, hat sich mittlerweile im EST-Nordosten, Raum NARWA, eine RUS Diaspora eigener kulturellere Prägung gebildet, deren Übervater W. Putin ist. Dieser Personenkreis hat nur provisorische Pässe inne, die nicht zum Verlassen EST berechtigen.
Fähigkeiten einer 5. Kolonne sind damit stets gegeben.
@K-P K
Ach, die NARWA-Russen…..immer wieder gern genommen.
Absolute Zahlen ? Ich denke einmal: strategisch bedeutungslos dürfte da noch geschmeichelt sein ;-)
Das beachtenswerte an der Strategie ist, eine taktische Nuance kann strategischen „Mehrwert“ verkörpern.
Ein Heeresbeispiel dazu, die fehlgeschlagene Sprengung der Brücke von Remagen war
– unmittelbar – ein taktische Fehlleistung mit allerdings strategischer Auswirkung: Der Weg über den Rhein auf der letzten nicht zerstörten Brücke am Mittelrhein öffnete den Weg in den Raum Frankfurt ff, nach Thüringen.
Die absoluten EST-resistenten Zahlen in der Stadt NARWA werden mit 63.000 beziffert.
@ klabautermann | 22. Juni 2016 – 14:37
Der Donbass war aber für RUS „strategisch und ökonomisch“ bedeutungsvoll?! Bei Ihrer Argumentation fehlt mir die Stringenz
Hans Schommer
Immerhin ist durch die „Verwischung“ der Grenzen in der Ostukraine eine NATO-/EU-Mitgliedschaft der Ukraine auf absehbare Zeit unmöglich gemacht worden.
Nebenbei hat man ein im Maßstab der Ukraine wichtiges Industriegebiet lahm gelegt. Und das Gebiet kann ja im Fall der Fälle noch als „Sprungbrett“ nach Kiew genutzt werden. Den Fuß hat man auf jeden Fall in der Tür…
@K-P K
Ich denke einmal unser Verständnis von Geo-Strategie/Geo-Politik und rein miltärischer Strategie/Taktik sind nicht unbedingt identisch ;-)
Wieviel potenzielle „Grüne Männchen“ sind denn Ihrer Schätzung nach unter den 63.000 „EST-resistenten“ ethnischen Russen ? Glauben Sie wirklich, dass Putin durch hybride Annexion dieser NARWA-Russen/der Stadt NARWA das Risiko eingeht, dass Estland alle Grenzverträge/Protokolle kündigt, den Betrieb der Nord-Stream-Pipeline und deren Ausbau unterbindet und die EU die territorialen Luft-und Seeräume für russische Schiffe/Flugzeuge sperrt ? Schon mal auf die Karte geschaut ?
@Hans Schommer
Für die ukrainischen Russen war der Donbass natürlich “strategisch und ökonomisch” bedeutungsvoll. Für Putin war und ist das aber eher die Krim. Und als die ukrainischen Russen und ihre „Geschäftspartner“ in Rußland das zu doll getrieben haben (Girkin und Co), da ist er ganz schnell eingeschritten, zog erst MINSK I und dann II aus dem Zauberhut und nun ist der Donbass eben nur noch ein bargaining-chip für Putin in Sachen Sanktionen und zur Sicherung eines prominenten Platzes am Verhandlungstisch der big players.
So jedenfalls meine Analyse, bzw. Meinung.
@ klabautermann | 22. Juni 2016 – 16:11
Jo – und wo is nu der grundlegende, essentielle Unterschied zu den baltischen Staaten?
Hans Schommer
@Lesen Sie doch einfach mal meine Kommentare ab http://augengeradeaus.net/2016/06/steinmeier-kritik-am-saebelrasseln-manoever-ja-propaganda-nein/comment-page-2/#comment-240389 in diesem Faden
klabautermann | 22. Juni 2016 – 16:23:
„@Lesen Sie doch einfach mal meine Kommentare …“
Das hab ich getan – und daher rührt auch meine kritische Frage. Welche durch Ihre Beiträge nicht beantwortet wurde. Also nochmal:
Wo is nu der grundlegende, essentielle Unterschied zu den baltischen Staaten?
Hans Schommer
@Klabautermann
„Geo-Strategie/Geo-Politik und rein miltärischer Strategie/Taktik sind nicht unbedingt identisch“ – Absolut richtig, mehr noch, streiche: identisch -.
Meiner Auffassung nach entsprechen beide Denkrichtungen den bekannten beiden Seiten ein und derselben Münze. Zugestandenermaßen orientiere ich mich anfangs stets am militärischen Möglichen, operativ und taktisch. Der Folgeansatz unter Einbeziehung der politischen Absicht dürfte dann die Geostrategie umfassen.
Mit „glauben“, also annehmen, erwarten, sich einbilden, – hat die Beurteilung der Möglichkeiten des Handelns nun aber nichts zu tun.
Relevanz darf allein haben, ob er (Putin) die fraglichen Möglichkeiten hat, oder eben nicht. Und die hat er, wie er überhaupt alle Optionen auf seiner Seite hat.
Und militärische Führer haben alle Optionen zu beurteilen, ohne Wunsch/Glaubensattitüden. Um dennoch bei „glauben Sie“ zu bleiben, nein, glaube nicht, dass Putin dies machen wird.
ABER er hat die Fähigkeiten dazu.
Das Glauben überlasse ich dann notgedrungen der Politik und bitte auch das Ertragen der Folgen, sofern ihr Glaube trog.
Die Karte, ich bin in der Vor-GPS-Zeit groß geworden, lehrt mich (wieder mil Überlegungen), sämtliche operativen Vorteile bei Russland. Die vier NATO-Gefechtsverbände nehmen sie mit einem Schmunzeln zur Kenntnis, in Anbetracht des Gefechtswertes. Entscheidend ist der keinesfalls, entscheidend ist die strategische Aussage. „Wir sind als Bündnis zur Stelle, mit Art 5 im Gepäck“.
@ klabautermann
„Das meinen Sie vermutlich sogar ernst. Ich habe aber keine Lust, Kalten Krieg neu zu lernen ;-)“
Ja, ich meine von mir getätigte Äußerung selbstverständlich ernst und wenn ich zwecks Verdeutlichung von was auch immer Ironie oder Zynismus anwende, dann ist das so dick, dass ein durchschnittlich gebildeter Europäer das erkennt.
Nein, die Regeln des kalten Krieges gelten nicht in der Gegenwart. Dafür haben sich zu viele Parameter verschoben. Trotzdem ist es richtig, „Kalten Krieg“ zu kennen, genauso wie die Mechanismen der peloponnesischen Kriege oder der Schlacht von Azincourt.
Ein Ergebnis der Mechanismen des Kalten Krieges war, dass er über 40 Jahre heißen Krieg aus Europa ferngehalten hat. Das scheint unseren aktuellen „Experten“ wie Steinmeier irgendwie nicht zu gelingen. Dass aktuell schon deutschen Abgeordneten um Verteidigungsstaatssekretär Ralf Brauksiepe ein Besuch in der Türkei untersagt wird, zeigt ja mal wieder, wohin unsere ach so tollen Diplomaten Deutschland manövriert haben.
Ihre mitschwingende Unterstellung der Kriegstreiberei überlese ich mal diplomatisch, denn würden Sie das ernst meinen, hätten Sie sich für einen sicherheitspolitischen Dialog disqualifiziert.
@K-P K
Zustimmung. Ihre Analyse aus der Sicht militärischer „Fähigkeitsvergleich“ kann ich sicherlich mittragen. Nun hat ja selbst Hodges zu Protokoll gegeben, dass die baltischen Staaten schlicht und einfach nicht zu verteidigen sind, und das für eine wirksame und glaubwürdige militärische Abschreckung die NATO gegenwärtig noch einigen „Nachholbedarf“ hat. Mit anderen Worten: die Eskalationsdominanz liegt eigentlich gegenwärtig und auf absehbare Zeit bei Putin. Also ist es doch eigentlich nur „klug“, dass man auch über Eskalationsbremsen nachdenkt – und zwar gemeinsam dialogisch, denn am Ende der Eskalationsspirale droht der superheiße Krieg.
Putin hat ja nun gestern/vorgestern wieder kräftig mit seinem Säbel gerasselt, gleichzeitig aber das Signal ausgesendet, dass er nach dem Gipfel eine Sitzung des NATO-Rußland-Rates befürwortet – also warten wir es ab ;-)
@Alf Igel
Ich fürchte wir kommen nicht zueinander. Es scheint mir eine schon fast philosophische Frage zu sein ;-) Die historische Erfahrung/Bewertung des Kalten Krieges aus US-amerikanischer Sicht (insbesonder unter R.Reagan) und die historische Erfahrung/Bewertung des Kalten Krieges aus gesamtdeutscher Sicht unterscheiden sich eben in einigen ganz essentiellen Punkten.
@Klabautermann: Dann hat Putin uns mit Syrien, Krim et. Al. so erschreckt, dass er jetzt bekommt was er will?
Er sitzt entfesselt am Tisch und gibt den Ton an. SiPo nahe Schreiberlinge berichten zunehmend darüber, wo hybride Krieger Russlands überall die Hand im Spiel haben.
Entweder hat der KGB ein Heer an Zersetzungsagenten und Desinformanten entsandt und wir haben den Ernst der Lage nicht erkannt.
Oder die Softpower – Anwürfe sind in sich tendenziell eine „Desinformation“ und wir glauben den Müll den z.B Spiegel bei WaPo abgeschrieben hat. So wäre die Tragweite und öffentliche Wahrnehmung der Information ein Anzeichen von Paranoia.
Wie man es wendet, in beiden Fällen muss gehandelt werden. Vorwärtsverteidigung entweder als Beruhigungspille oder gegen tatsächliche Bedrohung. Kurzum Steinmeier hat recht, er beweist Handlungsfähigkeit auch auf friedensstiftendem Parkett.
Diejenigen, welche ihn unangemessen betitelt haben erhielten Post für den „Frontdienst“ bei Norwegen. / SCNR