Prominente SPD-Politiker stellen sich gegen NATO-Verhalten gegenüber Russland (m. Steinmeier-Wortlaut)

Russland, Motorräder mit Beiwagen

Am kommenden Dienstag Mittwoch ist der 75. Jahrestag des deutschen Angriffs auf Russland im Zweiten Weltkrieg am 22. Juni 1941. Und es mag viel mit diesem Jahrestag zu tun haben, dass an diesem Wochenende gleich zwei prominente Sozialdemokraten den Umgang der NATO und auch Deutschlands mit Russland kritisieren – und sich damit deutlich gegen eine Mehrheitsmeinung im Bündnis stellen.

Außenminister Frank-Walter Steinmeier kritisierte in der Bild am Sonntag (Wortlaut noch nicht veröffentlicht; Vorabmeldungen hier und hier – und unten, s. Nachtrag) Säbelrasseln und Kriegsgeheul der westlichen Allianz: Wer glaubt, mit symbolischen Panzerparaden an der Ostgrenze des Bündnisses mehr Sicherheit zu schaffen, der irrt. (…) Wir sind gut beraten, keine Vorwände für eine neue, alte Konfrontation frei Haus zu liefern. Neben gemeinsamer Verteidigungsbereitschaft müsse es auch Angebote zum Dialog und zur Kooperation geben. Ebenso müssten Abrüstung und Rüstungskontrolle in Europa wieder auf die Tagesordnung.

Altbundeskanzler Gerhard Schröder ging noch darüber hinaus und bezeichnete die deutsche Beteiligung an den geplanten zusätzlichen Bataillonen an der NATO-Ostgrenze als Fehler, der die Lehren der deutsch-russischen Geschichte ignoriere. Obwohl die Nato-Russland-Akte keine dauerhafte Stationierung von Nato-Truppen an der russischen Grenze zulässt, sollen diese jetzt genau dort hin, sagte der SPD-Politiker der Süddeutschen Zeitung (Samstagausgabe). Ich halte die Beteiligung der Bundeswehr vor dem Hintergrund unserer Geschichte für einen großen Fehler. (…) Aber von der Nato hätte ich so viel Klugheit erwartet, nicht ausgerechnet Deutsche mit Führungsaufgaben zu betrauen. 75 Jahre nach dem Überfall auf die Sowjetunion sollen wieder deutsche Soldaten an der russischen Grenze stationiert werden. Welche Wirkung muss so etwas in Russland haben? Darüber macht man sich in der Nato anscheinend kaum Gedanken.

Neben den rotierenden NATO-Bataillonen im Baltikum und in Polen, für die Deutschland die Führung eines Verbandes in Litauen plant, stehen offensichtlich die aktuellen Übungen der Allianz im Mittelpunkt der Kritik der Sozialdemokraten. Allerdings: Beim US-geführten Großmanöver Saber Strike mit insgesamt rund 10.000 Soldaten im Baltikum ist die Bundeswehr vergleichsweise gering mit einem Aufklärungszug beteiligt; für die amerikanisch-polnische Großübung Anakonda16 stellte Deutschland eine Pioniereinheit zum Brückenbau. (Dass die maritime Übung BALTOPS mit deutlich kampfkräftigerer Beteiligung der Bundeswehr von den Bundeswehrmedien selbst bislang kaum kommuniziert wurde, ist wieder eine andere Geschichte.)

Die Aufforderungen vor allem Steinmeiers (als Mitglied der aktuellen Bundesregierung) und Schröders sind vor dem Hintergrund der deutsch-russischen Geschichte und der von den Sozialdemokraten initiierten Ostpolitik nachvollziehbar. Auffällig ist allerdings, wie scharf damit der Gegensatz zu der allgemeinen Haltung in der NATO wirkt.

Und angesichts des Vorwurfs von Säbelrasseln und Kriegsgeheul bei der NATO – in deren Nordatlantikrat er sitzt – muss sich natürlich auch der amtierende Außenminister fragen lassen, inwieweit er die Transparenz bei Großmanövern auf westlicher Seite, die unter Beobachtung Russlands ablaufen, mit der Transparenz auf russischer Seite vergleicht – meist ohne westliche Beobachter.

Nachtrag: Die Vorabmeldung der Bild am Sonntag hier. (Deutsche Verlagswebseiten werden hier in der Regel nicht verlinkt; angesichts der Bedeutung der Steinmeier-Aussagen und da es sich um eine Vorabmeldung handelt, hier eine Ausnahme.)

Nachtrag 19. Juni: Das Auswärtige Amt hat die Aussagen Steinmeiers komplett im Wortlaut veröffentlicht:

Mit der Krim-Annexion und dem militärischen Aktivitäten in der Ost-Ukraine hat Russland bei unseren östlichen Nachbaren ein Gefühl der Bedrohung entstehen lassen. Das müssen wir ernst nehmen. Deswegen war es richtig, eine gemeinsame Reaktion der NATO zu finden – das haben wir seit dem NATO-Gipfel in Wales mit den Rückversicherungsmaßnahmen getan. Wir weichen unserer Verantwortung nicht aus!

Niemand kann den vorgesehenen Umfang der NATO-Maßnahmen als Bedrohung für Russland werten und bei allen Maßnahmen für uns war die strikte Einhaltung der NATO-Russland-Grundakte eine klare rote Linie.

Was wir jetzt allerdings nicht tun sollten, ist durch lautes Säbelrasseln und Kriegsgeheul die Lage weiter anzuheizen. Wer glaubt, mit symbolischen Panzerparaden an der Ostgrenze des Bündnisses mehr Sicherheit zu schaffen, der irrt. Wir sind gut beraten, keine Vorwände für eine neue, alte Konfrontation frei Haus zu liefern.

Es wäre fatal, jetzt den Blick auf das Militärische zu verengen und allein in einer Abschreckungspolitik das Heil zu suchen. Die Geschichte lehrt uns doch: neben dem gemeinsamen Willen zur Verteidigungsbereitschaft muss es immer auch die Bereitschaft zum Dialog und Kooperationsangebote geben. Und deswegen müssen wir mit unseren Partnern auch wieder verstärkt über den Nutzen von Abrüstung und Rüstungskontrolle für die Sicherheit in Europa sprechen.

Wir kehren keine Meinungsverschiedenheiten und Konflikte unter den Teppich. Gleichzeitig haben wir ein Interesse daran, Russland in eine internationale Verantwortungspartnerschaft einzubinden. Die Verhinderung einer iranischen Atombombe, der Kampf gegen radikalen Islamismus im Nahen Osten oder die Stabilisierung libyscher Staatlichkeit sind dafür aktuelle Beispiele.

Mehr als 70 Jahre Frieden in Europa, jedenfalls ohne einen großen Krieg auf europäischem Boden, sind das kostbarste Gut, das wir haben.
Ich jedenfalls werde dafür kämpfen, dass das nicht aufs Spiel gesetzt wird. Dafür gilt: Soviel Sicherheit, wie nötig – so viel Dialog und Kooperation, wie möglich.

(Bei diesem Thema bitte ich nicht nur um eine sachliche und nicht emotionale Debatte, sondern setze vorsorglich die Kommentare auf moderiert.)

(Foto: Deutsche Soldaten im Juni 1941 auf dem Weg nach Russland – Bundesarchiv via Wikimedia Commons unter CC-BY-SA-Lizenz)