Das G36-Drama, nächster Akt: Heckler&Koch klagt vor Gericht (Neufassung)
Der Streit um die derzeitige Standardwaffe der Bundeswehr, das Sturmgewehr G36, geht in die nächste Runde. Vor dem Landgericht Koblenz begann am (heutigen) Freitag ein Zivilprozess, den der Gewehrhersteller Heckler&Koch angestrengt hat: Das Unternehmen will mit einer so genannten negativen Feststellungsklage vom Gericht feststellen lassen, dass die Waffe eben nicht die Mängel hat, die das Verteidigungsministerium öffentlich erklärt hat. Und zum Prozessauftakt ließ das Gericht durchblicken, dass es offensichtlich geneigt ist, der Haltung der Firma zu folgen, wie dpa berichtet:
Richter Ralph Volckmann sagte am Freitag, die Kammer würde nach ihrer vorläufigen Rechtsauffassung der Klage des Herstellers Heckler & Koch stattgeben. Eine endgültige Entscheidung werde am 2. September nach einer abermaligen Stellungnahme beider Parteien verkündet.
Damit könnte dem Verteidigungsministerium eine Schlappe drohen – allerdings will auch das Ressort von Ursula von der Leyen nachlegen: In der kommenden Woche soll den Abgeordneten des Verteidigungsausschusses ein weiterer Bericht zu den technischen Untersuchungen des G36 zugehen. Darin sollen angeblich die vom Ministerium erkannten Mängel der Waffe bestätigt werden.
Im vergangenen Jahr hatte sich von der Leyen öffentlich darauf festgelegt, dass das G36 in der derzeitigen Konstruktion in der Bundeswehr keine Zukunft habe und durch ein neues Sturmgewehr ersetzt werden solle. Allerdings wird die Ausmusterung der rund 170.000 Waffen in der Truppe und der Ersatz sich über Jahre hinziehen.
Kern der Auseinandersetzung ist zum einen die Frage, ob das Sturmgewehr bei hohen Temperaturen und vor allem nach einer Vielzahl von Schüssen nicht mehr präzise trifft. Aber anderseits auch, ob der Hersteller in den 1990-er Jahren das geliefert hat, was die Bundeswehr damals bestellt hatte. Denn von den heftigen Gefechten, die in Afghanistan im Kampf gegen die Taliban die Waffe an ihre Leistungsgrenze brachten, war bei der Entscheidung für die Einführung des G36 als leichte Waffe für eine Wehrpflichtarmee nicht die Rede.
Vor allem den Punkt, ob das Sturmgewehr die vor zwei Jahrzehnten gültigen technischen Lieferbedingungen erfüllt, will Heckler&Koch vor Gericht klären lassen, wie das Unternehmen schon vor fast einem Jahr angekündigt hatte:
Heckler & Koch und Koch lässt Mangelfreiheit des G36 gerichtlich klären
Nachdem das Beschaffungsamt der Bundeswehr (BAAINBw) am 10. Juni 2015 gegenüber Heckler & Koch Gewährleistungsforderungen wegen angeblicher Mängel des Sturmgewehrs G36 erhoben hatte, hat das Unternehmen nun eine negative Feststellungsklage beim Landgericht Koblenz eingereicht. Ziel ist es, gerichtlich verbindlich feststellen zu lassen, dass die behaupteten Sachmängel nicht bestehen.
Das Thema hat sich jedoch ohnehin von der Sachebene – welche technischen Probleme hat das G36 tatsächlich, und wie wirkt sich das auf die Nutzung der Waffe aus? – längst auf eine politische Ebene verlagert. Der frühere Grünen-Bundestagsabgeordnete Winfried Nachtwei, der als Co-Vorsitzender einer Kommission die Auswirkungen im Gefecht untersucht hatte, brachte das im Interview mit dem ARD-Kollegen Christian Thiels auf den Punkt:
Ich vermute, dass ausschlaggebend wirklich waren: Schnitt machen gegenüber einem Rüstungsgut, was nicht mehr unter Kontrolle war – medial. Das Thema sollte zu Ende sein. Dass gleichzeitig dabei Vertrauen von Soldaten in der Hinsicht – gelinde gesagt – nicht berücksichtigt wurde, das steht auf einem anderen Blatt.
Wer den bisherigen G36-Streit in den Details nachlesen will: hier zur Sammlung der Einträge auf Augen geradeaus!
Nachtrag: Der SpOn-Kollege Mathias Gebauer war in Koblenz im Gerichtssaal, sein Bericht hier: Problemgewehr G36: Von der Leyen droht Pleite vor Gericht
(Archivbild: German soldiers of 12th Armored Brigade, 10th Panzer Division prepare to clear a room while conducting urban operation training during exercise Saber Junction 16 at the U.S. Army’s Joint Multinational Readiness Center in Hohenfels, Germany, March 31, 2016 – U.S. Army photo by Spc. Lloyd Villanueva)
Gerade das Interview offfenbart klar die von der Leyen gewählte Hinhalte-Strategie: „(Journalistische) Nachfragen nicht erwünscht.“
Danke dafür, T .W. und auch Herr Thiels – jetzt muss man die Ministerin zu einer Stellungnahme bringen, ggf. eben im Verteidigungsausschuss.
In rechtlicher Hinsicht ist es ein einfaches Verfahren. Die Schwierigkeiten liegen hier allein in der Sachverhaltsaufklärung. Und gerade hinsichtlich der Beweislast ist die Klage ein taktisch günstiger Schritt von H&K.
Interessant wird sicher auch werden, wer da für bzw. gegen wen als Zeuge auftreten wird.
Hans Schommer
Der Kollege @gebauerspon ist im Gericht und twittert… habe ich oben nachgetragen.
„G36-Drama“…wie dramatisch ist es denn ? Chance auf Tragödie ?….oder Comedy
Und wir dürfen life dabei sein, dank Twitter !
/SCNR
Wäre HK nicht auch gut beraten, die Esten als Pro-Zeuge auftreten zu lassen, mit der nationalen Begründung für die Beschaffung? (Oder waren es Letten?)
Nebenbei gefragt:
Was ist eigentlich aus der Kaliberdiskussion der FFF (Funktionalen Forderung Fähigkeitslücke) geworden? Ist 5,56x45mm tatsächlich noch das Zukunftskaliber für die nächsten 20 Jahre? Die Amis machen ja mit 300 Blackout, 6,5 Grendel, 6,8 SPC etc. rum.
Wenn die Twittertendenz derartig anhält, darf BMVg in Augsburger Puppenkiste umgetauft werden.
Wenn ich das getwitterte richtig interpretiere bedeutet das doch
1. die Klage wird zugelassen
2. der Beklagten wird sehr wahrscheinlicher Klageerfolg der Klägerin signalisiert
Dann fehlte eigentlich nur noch die Empfehlung eines Vergleiches, innerhalb dessen auch die Beklagte ihre Äußerungen zurücknimmt.
Kann das so in etwa laufen? Würde dem Bund sicher Prozesskosten sparen. Aber ob das BMVg bereit ist, zurückzurudern? Oder lieber mit einem Fünkchen Hoffnung auf ein besseres Ergebnis dann doch durch die Instanzen geht?
Hans Schommer
Schon zigmal geschrieben, „geliefert wie bestellt“. Ebenso, dass es nur einziges Schlupfloch für das BMVg für einen wie auch immer gewichteten Vergleich geben kann, das damalige BWB hat zwar beim für ein Gewehr „ungeeigneten“ Gehäusematerial Ultramid P6 geschlafen, aber H&K auch nicht seiner Aufklärungs- und Beratungspflicht genügt.
Das BMVg hat einen Vergleich mit HK, wie schon 2015 in allen Details verhandelt, in Koblenz heute morgen erneut abgelehnt. Damals bot HK damals eine verbesserte Version des G36 an, die Details sind hier glaube ich bekannt. Kosten für die Nachbesserung sollten laut dem Richter 600 Euro pro Waffe betragen.
Wenn ich es recht höre, sagen selbst die neuen Tests des BMVg, dass die Härtung die Präzisionsmängel fast vollständig behebt – natürlich ist das „neue“ G36 aber ein bisschen schwerer.
Der Richter hat sich hier in Koblenz sehr klar positioniert, dass BMVg diese Variante nicht nur prüfen müssen. Natürlich ist der Mann weder Waffen- noch Bundeswehrexperte, doch seine Worte waren teils sehr klar und politisch hässlich: „Die Truppe muss mit dem Gewehr auskommen“, so Volckmann, „die Soldaten kämpfen mit dem G36 teilweise im ihr Leben“. Folglich wäre die Nachbesserung ein „vernünftiger Weg“ gewesen.
Und dann: „Es kann nicht sein, dass sich die Soldaten mit einem untauglichen Gewehr gegen die Taliban zur Wehr setzen müssen“. Ich überlasse die Bewertung der ziemlich politischen Zitate der fachkundigen Runde hier.
@ gebauerspon:
Was war heute Gegenstand der Verhandlung? Wurden nur Anträge gestellt? Wurde versucht, sich gütlich zu einigen (durch wen? und wie lange circa?)? Eine Beweisaufnahme fand sicherlich noch nicht statt, oder?
Hat der Vorsitzende angekündigt, wann es womit weitergeht?
Besonders bemerkenswert finde ich folgendes Zitat aus dem Artikel bei tagessschau.de:
„Im vertraulichen Gespräch räumen hohe Generäle dann auch ein, der medienwirksame Schlussstrich unter das Kapitel G36 sei übereilt und eigentlich unnötig gewesen.“
„Hohe Generäle“ müssten per Definition mindestens zwei und mindestens Generalmajor sein.
Welche „hohe[n] Generäle“ tätigen „im vertraulichen Gespräch“ derartige Aussagen, die ja implizit besagen, die Bundesministerin habe ein Milliardenprojekt (neues Sturmgewehr), das offenbar keine vordringliche Fähigkeitslücke schließt, per Dekret höchst priorisiert?
Und welche hohen Generäle haben die Ministerin vor der Verlautbarung ihrer Entscheidung beraten?
Das würde mich jetzt aber ernsthaft mal interessieren…
Diese richterlichen Kommentare mögen zwar „politisch“ klingen, sie sind es aber nicht.
Rechtlicher Hintergrund sind die in anderen Ländern durchgefochtenen Haftungs-Klagen von Angehörigen von verletzten/gefallenen Soldaten wegen Ausrüstungsmängeln, die – wenngleich nicht hauptursächlich – die „Gefahr für Leib und Leben“ der Soldaten im Einsatz nachweislich erhöht haben, und das dieses erhöhte Risiko durch den Dienstherren billigend in Kauf genommen wurde. In UK hat es da vor einigen Jahren eine Art Grundsatzurteil gegeben.
In Deutschland erinnere man sich an die Todesfälle auf der Meck-Vorpomm und auf der Gorch Fock. Auch hier sah die Marine nicht gerade gut aus und hat erst anschließend Ausrüstungsmängel im Bereich „Arbeitsplatzsicherheit“ organisatorisch und materiell beseitigt.
Just my two cents
Aber wie geht es denn nun weiter im Verfahren?
Hans Schommer
Welche Folgen, falls HK gewinnt?
@all
Gibt ne Neufassung oben.
@gebauerspon
Machst du noch ne SpOn-Geschichte, die ich dann gerne verlinke?
@gebauerspon
Erinnern Sie sich noch an diesen Artikel Ihres Kollegen Philipp Wittrock:
http://www.spiegel.de/politik/ausland/versicherungsschutz-fuer-soldaten-krieg-im-kleingedruckten-a-635547.html
„Bevor sie ihre Frauen und Männer ins Ausland schickt, bereitet die Bundeswehr diese nicht nur auf die Gefahren des Einsatzes, sondern auch auf jene im Kleingedruckten ihrer Versicherungsverträge hin. Ausführlich wird in Broschüren und im Intranet auf die Fallstricke der Kriegsklausel hingewiesen.
Mit diesem Status quo will sich Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) aber nicht länger zufrieden geben. Nun, da die Lage in Afghanistan auch für deutsche Soldaten immer lebensgefährlicher wird, sieht er Nachbesserungsbedarf auf Seiten der Versicherer. (…)“
Ziemlich „schräge“ Denke von Seiten des Dienstherren: Verlagerung des Haftungsrisiko auf die Versicherungs-oder die Ausrüstungsindustrie (?) insbesondere im „Kriegsfall“ ? Christian Thiels schreibt ja vom Vertrauen der Soldaten…..na ja, ob dieses Vertrauen immer so gerechtfertigt ist ? Imho auch eine Frage von Attraktivität eines Unternehmens.
Den Ausführungen des Richters entnehme ich, dass er fedenfalls den grundsätzlichen Haftungsaspekt in Sachen bewaffneter Einsatz „voll“ drauf hat.
Nun wird auch klar warum das BMVg dieses Thema aus den Medien haben will (keine schlafenden Hunde wecken) und warum kein Vergleich in Frage kommt (Übernahme von Teilschuld)….wird spannend ;-)
[Das war ein bisschen arg lang für ein Zitat – ich hab’s mal gekürzt, zumal der Link ja auch da steht. T.W.]
@ KPK:
Es wird festgestellt, dass … [das Rechtsverhältnis nicht besteht].
Was genau festgestellt wird, hängt vom Klageantrag ab. Und der liegt (mir) nicht vor. Niemand wird verpflichtet, in der Hauptsache etwas zu zahlen; vollstrecken lässt es sich ebenfalls nicht (von den Kosten des Rechtsstreits mal abgesehen).
Aber H&K lässt gerichtlich feststellen, dass das Unternehmen insoweit keine Fehler gemacht hat. Dies wiederum, und das ist der Hintergrund der Klage, lässt sich hervorragend medial nutzbar machen (vor allem im Hinblick auf diesen bisher unsäglichen Schlagabtausch zwischen den Parteien) und ggf. ist es auch für künftige Vertragsverhandlungen fruchtbar zu machen.
@T.W.
Yep, sorry for that ;-)
Ich bin ja wirklich Laie auf diesem Gebiet, aber das sieht langsam nach einem gewaltigen Politikum aus.
– BW Haftung und Sorgfaltspflicht als Arbeitgeber. Was sagt das zum Verhältnis zu seinen „Angestellten“ vs. Lieferanten (Lobby) aus?
– Unkalkulierbarkeit der Kosten von Auslandseinsätze aufgrund Schadensersatzansprüche.
-> Die Quadratur des Kreises/interdependenter Teufelskreis aus beiden Themen zusammengenommen. „Kein Geld für Ausrüstung weil Rücklagenbildung und zukunftsunsichere zusätzliche Belastung, dann Schadensersatzansprüche weil Mängel in Ausrüstung, dann von vorn.“ Reputationsschäden vorprogrammiert.
Mögliche Lösung: Bundestag versichert BW gegen Schadensersatzansprüche und übernimmt Kosten als „Neuverschuldung“?
@AoR
Tja, sehe ich auch so : „gewaltiges Politikum“……und deswegen werden sich die Medien sehr zurück halten, und den „Richterspruch“ abwarten – man will ja bei Hofe nicht unnötig in Ungnade fallen. Pikant auch der Gerichtsort Koblenz. Ehemals Standort der Trutzburg der aufrechten Fachrecken des BWB gegen den politischen „Bias“ aus dem BMVg. Dieser Richter könnte Geschichte machen ;-)
@ AoR | 03. Juni 2016 – 14:39
„Mögliche Lösung: Bundestag versichert BW gegen Schadensersatzansprüche und übernimmt Kosten als „Neuverschuldung“?“
Bisher war „der Bund“ in jedem Fall ‚Selbstversicherer‘. Dh man schloss fuer Bundesangelegenheiten keine Versicherungen ab, mit der offiziellen Begruendung dass die Versicherungspraemien die Versicherungsleistung uebersteigen wuerden, bei der Vielzahl der notwendigen Absicherungen.
Dann hat ARD gelogen mit dem G 36 Bericht oder was
Oder hat die Bw was billiger bestellt .weil es heißt nach Auftrag der Bw sei es richtig geliefert worden
???????
@MikeMolto: Und die Zahlungen belasten weder direkt per Vertrag, noch indirekt wie z.B im Rahmen von Haushaltsverhandlung; also weder tatsächlich noch gefühlt das BMVg?
Wäre eine Prämisse für meine oben genannte These zum Teufelskreis, welcher mit jedem zusätzlichen Einsatz schneller drehte.
ob lettland oder estland, weiss ich nicht. schicke gerne einen major der lit streitkräfte mit einsatzerfahrung in afg. der lacht nur über uns. der cousin meiner frau ist gerade wehrpflichtiger in klaipeda, der lacht noch mehr.
Uff. Leute, mit dieser finanziellen Haftungsgeschichte geraten wir in eine Sackgasse… Es geht bei der Klage um Gesichtswahrung auf beiden Seiten, weniger darum, wer für welchen Schaden, so es einen gibt, haftet…
Aus dieser Geschichte kommt UvdL jeden weiteren Tag schwieriger raus …
Es ist doch völlig unerheblich, ob ein neuer Test irgendwelche Mängel feststellt, die entstehen, weil a) die Physik mitredet und b) über die vertraglichen Forderungen hinausgegangen wird. Da kann das Verteidigungsministerium noch hundert Expertisen beauftragen. Diese Nebelkerzen waren doch schon bei den ersten Versuchen Rohrkrepierer.
Und was macht die neue Wumme? Sollte nicht mit Höchstgeschwindigkeit taugliches Schießgerät beschafft werden? Auch hier keine sinnvollen Impulse.
Die Baustellen dieser Ministerin werden auch nicht kleiner …
Pham Nuwen | 03. Juni 2016 – 17:53:
“ … Und was macht die neue Wumme? Sollte nicht mit Höchstgeschwindigkeit taugliches Schießgerät beschafft werden? Auch hier keine sinnvollen Impulse. …“
Läuft – aber „unternehmensintern“. Einfach mal stillhalten – meine und tue ich.
Hans Schommer
Ohne auch nur im mindesten eine neue Kaliber- und schon gar keine Gender-Diskussion vom Zaun brechen zu wollen, stimmt es eigentlich, dass beim G36 ein zentraler Anforderungsschwerpunkt das geringe Gewicht war, welcher letztlich dazu geführt hat, dass die Waffe halt so gebaut wurde wie sie gebaut wurde (Kaliber 5,56×45, leichte Werkstoffe)? Irgendwie bin ich der Meinung, dies als Begründung vor dem Hintergrund der Öffnung von Infantrieeinheiten für Soldatinnen Mitte der 1990er gehört zu haben … .
Ich habe das Buch „War“ von Sebastian Junger über eine amerikanische Einheit im Korengal, Afghanistan gelesen.
Er berichtet über seine Erfahrungen als eingebetteter Journalist über ein Jahr hin weg über die Kämpfe dort.
Ich denke, viele hier werden das Buch und die Berichte über die Heftigkeit der Kämpfe kennen.
Was mir bei der Debatte über das G36 und seine gerade in Afghanistan „festgestellten“ Mängel auffällt:
Das amerikanische Sturmgewehr wurde in dem Zeitraum über bitterer Kälte bis unerträglicher Hitze eingesetzt.
Der eingesetzte Waffenmix der amerikanischen Einheiten wurde sehr breit (der Mix an sich ) geschildert.
Kein Wort über Waffen-Mängel (außer die vorkommenden technischen Schwierigkeiten und das Auseinander-Nehmen der Waffe mitten im Gefecht) und kein Wort über einen nicht passenden Waffen-Mix für die eingesetzten Kräfte.
Und wie bei jeder Diskussion über das G36 und den Einsatz der BW in Afghanistan frage ich mich jetzt auch wieder, ob unsere Kräfte einen geeigneten Waffen-Mix hatten oder ob sie auf das G36 als leichte Unterstützungswaffe (per se nicht möglich) angewiesen waren?
War es nicht erst im letzten September, in dem die Bundeswehr/das BMVG eine „Handvoll“ neuer HK416 und leichter MG als einsatzerforderlichen Sofortbedarf orderte?
Auf ein Mal war da ein neuer Waffen-Mix möglich? So kurz nach dem G36-Debakel?
Das hatten wir hier (und andere an anderer Stelle) schon x-mal durchgekaut. Wenn die Kämpfer das StuGew als lMG benutzen müssen, weil es nicht genug MG gibt, oder selbst die nicht hinreichen, um einen Gegner niederzuhalten, und zudem Artilerieunterstützung nicht gewährt wird – was soll da noch bleiben?
Hans Schommer
@ TM957 | 03. Juni 2016 – 22:39
Ich habe das Buch ebenfalls gelesen, und ebenso die Doku gesehen. Ich denke, dass die Ordonnanzwaffe der amerikanischen Infanterie, das M4, grundsätzlich keine besonders gute Waffe ist. Sie mag leicht und handlich sein, ist aber bereits bei mittleren Reichweiten nicht übermäßig präzise. Eine Ablösung wurde besonders Anfang der 2000er massiv vorangetrieben, ist aber aus verschiedenen Gründen (unggeignete Entwürfe wie das OICW, das Bestreben, sich den Umstieg auf ein anderes Kaliber offenzuhalten und der Unwillen, vor dem Hintergrund zweier laufender Kriege einen Systemwechsel durchzuführen). Deswegen ist der Waffenmix, den sie bereits beschrieben haben, auch besonders wichtig. In der amerikanischen Infanterie (und mittlerweile auch in der deutschen) stirbt der „klassische“ Gewehrschütze allmählich aus. Wer keine Sonderwaffe (MG, LMG, Zielfernrohrgewehr) hat, führt entweder eine Zweitwaffe (Panzerfaust, RGW, Abschussgerät Granate) oder hat eine Führungs- oder Sonderfunktion (Gruppenführer, Funkgerätebediener, Ersthelfer), was die Frage aufwerfen könnte, ob diese Soldaten wirklich ein langes Sturmgewehr mit hoher Reichweite brauchen, oder ob nicht bereits ein handlicher Karabiner ausreichen könnte. Diese Diskussion wird in den Staaten sehr lebhaft geführt, mit guten Argumenten auf beiden Seiten. Wenn sie sich mal Gefechtsvideos amerikanischer Soldaten anschauen (teilweise auch bei Sebastian Jungers Reportage), sehen sie schnell, dass die Gewehrschützen meist nur das Feuer anderer Waffen verdichten und diese unterstützen.
Trennung
Zum H&K-Prozess: Beide Seiten hätten in den vergangenen Monaten eine gemeinsame und für beide Seiten gleichermaßen gesichtswahrende Linie fahren können: Das G36 hat sich als leichtes und kostengünstiges Ordonnanzgewehr für eine Wehrpflichtsarmee Mitte der 1990er bewährt, und H&K hat geliefert, was verlangt war.
Die geänderten Bedingungen zwanzig Jahre später haben aber dafür gesorgt, dass das G36 entweder umfassend modernisiert werden (Schulterstütze, Visiereinrichtungen) oder durch ein anderes Modell ersetzt werden müsste. Statt die Zeit zu nutzen, um gemeinsam eine vernünftige Ersatzlösung auf den Weg zu bringen, haben sich im Endeffekt beide Seiten blamiert (wenn ich nur H&Ks „Öffentlichkeitsarbeit“ zurückdenken muss – brrrrrr)
@ AoR | 03. Juni 2016 – 16:58
@MikeMolto: Und die Zahlungen belasten weder direkt per Vertrag, noch indirekt wie z.B im Rahmen von Haushaltsverhandlung; also weder tatsächlich noch gefühlt das BMVg?
Aus welchem Haushaltstitel und Einzelplan der Bund seine ‚Versicherungsleistungen‘ zB WDB (Wehrdienstbeschaedigung) oder ‚UBoot rammt Bohrinsel unter Wasser‘ oder ‚Bundes-PolizeiHelo faellt auf Einfamilienhaus‘ bezahlt weiss ich nicht. Ich weiss nur mit Sicherheit dass der Bund dafuer nicht versichert ist. (Der Vorgesetzte, der evtl die Verantwortung traegt mag persoenlich und privat durch eine Dienst-Haftpflichtversicherung abgedeckt sein.)
Also die „Gangart“ wurde ja nun vom BMVg gewählt, nicht von HK. Ich jedenfalls drücke HK die Daumen, nicht zuletzt auch deswegen, damit diese Selbstdarstellerin namens Ursula von der Leyen mal endlich mal einen dicken, braunen Fleck auf ihre geföhnte, weiße Weste bekommt. Von der Tatsache mal abgesehen, dass es absolut albern war und ist, ein Cabrio zu bestellen und sich dann zu bescheren, dass das Cabrio nicht wie ein LKW genutzt werden kann. Und dann zu behaupten, das Cabrio sei deswegen nicht als solches brauchbar…
Der Bund ist Selbstversicherer, wie auch einige große Unternehmen:
https://de.wikipedia.org/wiki/Selbstversicherung
@Thomas Melber
Nö, man sollte schon einen Wiki-Artikel ganz lesen:
„Der Selbstversicherungsgrundsatz der öffentlichen Hand ergibt sich aus den §§ 7 und 34 LHO (Haushaltsgrundsätze der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit), wonach ein Bundesland seine Risiken an Personen, Sachen und Vermögen allgemein nicht versichert, sondern eventuell auftretende Schäden direkt aus seinen Haushaltseinnahmen deckt. Damit ist die Risikovorsorge der öffentlichen Hand vom Grundsatz der Nichtversicherung geprägt. Die Eigendeckung der öffentlichen Hand wird fälschlich als Selbstversicherung bezeichnet, wenn sie unter Verzicht auf Fremdversicherung im Schadensfall die entstehenden Kosten aus Haushaltsmitteln deckt.[3] Genau genommen handelt es sich hierbei meist um Nichtversicherung, weil risikoausgleichende Effekte weitgehend nicht vorhanden sind. Das gilt auch für die Selbstbeteiligung (oder Selbstbehalt), weil für den überwiegenden Teil eine Versicherung vorhanden ist und der Selbstbehalt im Schadensfalle vom Versicherten selbst zu tragen ist. Für Bund und Länder ist es häufig günstiger, im Schadensfall entstandene Kosten aus laufenden Haushaltseinnahmen zu tragen……..Das Selbstversicherungsprinzip des Bundes besagt, dass das Ausfallrisiko für Bundeseigentum vom Bund selbst getragen wird und dass grundsätzlich keinerlei sonstige Risiken des Bundes durch eine Versicherung abgedeckt werden. Auch hier liegt Nichtversicherung vor. Es wird davon ausgegangen, dass die öffentliche Hand die Risiken aufgrund ihrer Größe und Struktur besser selber tragen kann als sich zu versichern oder durch Risikotransfer auf einem entgeltlichen Weg auf Dritte zu übertragen. Wie die Altersvorsorge bei Beamten zeigt, steigt die Effizienz von Selbstversicherungssystemen mit zunehmender Fallzahl in größerem Zeithorizont kontinuierlich an. Diese Form der Nichtversicherung wird oft als Selbstversicherung bezeichnet, der Begriff ist jedoch in den meisten Fällen unzutreffend. Selbstversicherung ist der bewusste Verzicht eines Risikoträgers auf eine versicherungsvertragliche Risikoabsicherung, wenn ein ausreichender interner Risikoausgleich vorhanden ist……..“
Merke: wo „Selbstversicherung“ drauf steht, ist nicht immer „Selbstversicherung“ drin.
Der Risikotransfer im „Kriegsfall“ aka bewaffneter Einsatzfall geht imho eindeutig zu Lasten der Soldaten und deren Angehörigen/Hinterbliebenen.
Ihr wollt gerne im Detail die Frage der Selbstversicherung des Bundes diskutieren? Gerne, aber nicht hier. (Das ist ein ernst gemeinter Hinweis.)
Wer jetzt auf UvdL rum hackt verkennt Ursache und Wirkung. Weder HK noch das BmV sind schuld an der Affäre G36. …
M.Steffen | 04. Juni 2016 – 15:07:
„Wer jetzt auf UvdL rum hackt verkennt Ursache und Wirkung. Weder HK noch das BmV sind schuld an der Affäre G36. …“
Ursache: Grottenschlechte Beratung der Ministerin.
Wirkung: Unnötige außenwirksame Beschädigung ausnahmslos aller Beteiligten.
Hans Schommer
@Schommer
Ich denke auch das greift zu kurz.
Vielleicht hätte das BMVg bei Auswahl des Produkts „Sturmgewehr“ und des Herstellers einfach nur mehr Sorgfalt walten lassen sollen!?
re: Vtg-Amtmann
Und „Aufklärungs- und Beratungspflicht“ des Herstellers!?- Dürfte bei der Art- und Weise der Produktauswahl durch das BMVg eher eine „philosophische Betrachtungsweise“ sein!- Dass mir jetzt gerade das MG5 einfällt, ist vermutlich reiner Zufall ….
re audio001: Es soll Juristen geben, die neigen gar nicht einmal so praxisfremd zu dem Urteil, je unbeholfener der AG ist, desto höher ist die Aufklärungspflicht des AN.
Über diesen Schatten muß aber der AN erst einmal bei einem Vergleich springen und auch das erscheint mir als eine Frage der Fehlerkultur.
Die kategorische Ablehnung eines Vergleichs durch das BMVg beruht m.E. doch nur darauf, daß man nicht sagen will „liebe H&K, unsere Jungs haben sich zwar ziemlich dumm angestellt, aber ihr habt das genauso dumm schahmlos ausgenutzt“!
re: Vtg-Amtmann (Zitat: „liebe H&K, unsere Jungs haben sich zwar ziemlich dumm angestellt, aber ihr habt das genauso dumm schahmlos ausgenutzt“!)
Dann hoffen wir mal, dass diese (fiktive) Aussage u.U. nicht auch noch für das MG5 gelten könnte …
@Stephan L. | 04. Juni 2016 – 8:22
Ich glaube sie haben die Sache im allgemeinen und im speziellen (für die causa G36/Heckler&Koch/BMVg) auf den Punkt gebracht! Besser und knapper geht es kaum!
@Stephan L.
Volle Zustimmung und für mind 80% der Soldaten ist das G36 auch ohne Änderung die perfekte Waffe. Es war bekannt, dass man im Einsatz mit einem entsprechenden Waffenmix operieren muss, jedem Verantwortlichen war das bekannt. Leider sind unsere Ver-Antwortungsträger selbst jetzt nicht in der Lage, dass wir für unsere Waffensysteme (Soldat-Panzer-Flugzeug-Schiff) ausreichend Munition bekommen.
Quantität ist das eine, Qualität noch etwas ganz anderes!- Im Zusammenhang von z.B. nur 300 Sidewindern im Bestand – die übrigens bis 2018 auf LaGS-Standard umgerüstet werden sollen – stellt sich beispielhaft die Frage: Was ist mengenmäßig im Bestand überhaupt noch enthalten, welcher Teil des Bestandes ist bereits überlagert; repektive faktisch nicht mehr verwendbar, weil in seiner Wirksamkeit eingeschränkt oder sogar wirkungslos?!
Mithin dürfte sich auch bei einem Sturmgewehr die Frage stellen, welche leistungsgesteigerten Munitionstypen lassen sich praktisch verwenden (z.B. zur Bekämpfung von Hartzielen bzw. gegen Ziele mit einer Schutzweste …) und welche (neuen) Munitionstypen ließen sich zukünftig verwenden?
Mein Eindruck ist (ganz allgemein), dass man/frau in den letzten Jahren der Frage der „perfekten Einheit von Waffe und Munition“ (mal abgesehen von den Fähigkeiten des Bedieners der Waffe) und deren Wirksamkeit im Hinblick auf den sich weiter entwickelnden Waffeneinsatz eines potentiellen Gegners, zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt hat!
Und was hilft die Verfügbarkeit eines Waffensystem (unabhängig davon, dass noch nicht einmal eine akzeptable Verfügbarkeit von den Hauptwaffensystemen auch nur annähernd sichergestellt ist), wenn es an Munition in Quantität und Qualität mangelt oder diese sich zu bestimmten Waffensystemen überhaupt nicht im Bestand befindet!?
@audio001
Und was möchten sie denn dann gerne haben? Das wir wieder ein bis zwei Tagessätze Munition bevorraten? inklusive der Logistischen Einrichtungen? Das halte ich einfach nicht für bezahlbar und verkaufen können sie das dem Steuerzahler auch nicht.
@Forodir:
Das ist keine Frage von bezahlbar, sondern von gewollt.
Die Bundesregierung übernimmt immer mehr Aufgaben in Einsätzen und einsatzgleichen Verpflichtungen (nächster Schritt in Warschau), aber die Grundlagen fehlen.
Die Trendwenden warten weiter auf Umsetzung.
re: Foridir (Zitat: „„Das halte ich einfach nicht für bezahlbar und verkaufen können sie das dem Steuerzahler auch nicht.“)
Na, dann erklären sie mal dem Steuerzahler, dass er weit über 30 Milliarden Euro für eine Bundeswehr ausgibt die der Abschreckung und der Landesverteidigung dienen soll und bei näherem Hinsehen alles andere als abschreckt!
Man/frau könnte auch sagen, dass der Steuerzahler seit Jahren eine Operettenarmee finanziert und die Politik diesen Sachverhalt seit Jahren schweigend hinnimmt!
Hört sich das besser an als „ein bis zwei Tagessätze Munition bevorraten“ ….