Seltene Wortmeldung aus Deutschland: Wieder über nukleare Abschreckung reden

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Die nukleare Abschreckung von Seiten der NATO ist für die deutsche Politik ein ziemliches Nicht-Thema. In der Regel wird die Debatte darüber ungern geführt, weil man in der deutschen Öffentlichkeit damit nicht punkten kann. Deshalb fällt um so mehr auf, wenn jemand, der zwar kein Politiker ist, aber in strategischen Fragen das Ohr der Politik hat, dieses Thema erneut aufbringt.

Karl-Heinz Kamp, seit  Oktober vergangenen Jahres Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik, hat das in einem Kommentar für das US-Fachportal Defense News getan. Das Bündnis, fordert er, müsse gerade gegenüber Russland seine Atomwaffen wieder als Teil der Abschreckung verstehen:

NATO’s nuclear consensus, enshrined in the 2012 “Deterrence and Defense Posture Review,” was based on the condition that Russia is a partner of NATO who will not employ its nuclear posture against the alliance. These conditions, plus a number of other basics of the previous nuclear debates, are no longer valid. (…)
In light of these changes, NATO cannot avoid reopening the nuclear dossier to reassess the needs for nuclear deterrence in the “Article-5 world,” even if some allies hesitate for political and domestic reasons.

(…)
At the Warsaw summit, member states should agree on wording that highlights the need for nuclear deterrence against any threat to NATO territory, in order to reassure the allies in Eastern Europe. Given the profound changes ignited by Russia annexing the territory of a sovereign European state, just repeating previously agreed language would not be appropriate.
After the summit, NATO should initiate a comprehensive nuclear debate comparable to the process that led to the Deterrence and Defense Posture review. This debate should focus on the questions of how to get a consensus in NATO on the future role and relevance of nuclear deterrence.

Kamp ist nicht nur der erste Zivilist, den das Verteidigungsministerium an die Spitze der BAKS gesetzt hat. Er war auch Forschungsdirektor am NATO Defense College in Rom und Mitglied der Beratergruppe für das neue strategische Konzept der Allianz.

Nun muss man Kamps Meinung nicht teilen – aber auffällig ist schon, dass er sich zu einem Thema zu Wort meldet (noch dazu in einer internationalen Publikation), zu dem sich in Deutschland in der innenpolitischen Debatte niemand so recht zu Wort melden mag. Wie auch aus dem öffentlichen Umgang mit dem Thema nukleare Teilhabe der Bundeswehr insgesamt deutlich wird – zum Beispiel bei BMVg-Sprecher Jens Flosdorff vor der Bundespressekonferenz am 20. Januar dieses Jahres:

Frage: An das Verteidigungsministerium – und gegebenenfalls auch an Herrn Schäfer -: Sie haben ja gestern die Militärische Luftfahrtstrategie 2016 vorgestellt. Im Entwurf vom Dezember war noch die nukleare Teilhabe als vorzuhaltende erforderliche Fähigkeit aufgelistet; jetzt ist sie es nicht mehr. Warum?
Flosdorff: Die Militärische Luftfahrtstrategie ist ein wichtiger Teil des Modernisierungsprozesses der Bundeswehr. Sie enthält klar und transparent, welche Fähigkeiten wir in der Dimension Luft haben, was wir künftig brauchen, welche Anforderungen wir haben. Das ist ein Erklärstück, das für die interessierte Öffentlichkeit gedacht ist, soll aber auch als Orientierungspunkt für die Industrie weit in die Zukunft hinein dienen.
Dass der von Ihnen angesprochene Punkt darin nicht aufgeführt ist, heißt nicht, dass das keine Rolle spielt, sondern hat einfach damit zu tun, dass das ein öffentlich zugängliches Dokument ist und wir es hier mit Informationen zu tun haben, bei denen wir sehr schnell in einen Bereich hineinkommen, der der Geheimhaltung unterliegt.

Nachtrag:  Zu dieser Debatte passt der Eintrag von War on the Rocks:

Three Minutes to Midnight: Closer to Nuclear Conflict Than We Think
While at Stanford last month, we had a long conversation with former Secretary of Defense William Perry about the nuclear dangers facing the world. We were struck by his provocative and frightening outlook: that the possibility of a nuclear catastrophe today is greater than it was during the Cold War. North Korea’s recent bluster only underlines the dangers.

Nachtrag 2: Oliver Meier von der Stiftung Wissenschaft und Politik weist mich zu recht darauf hin, dass es von ihm im vergangenen Jahr auch ein SWP-Papier dazu gab:

Deutschland und die nukleare Abschreckung – Zwischen Ächtung und Aufwertung von Atomwaffen

(Archivbild Oktober 2015 – BAKS)