Ein kalter Hauch: NATO-Abschreckung, Russland, Baltikum
Es mag ein Zufall sein, aber wer glaubt bei diesen Themen an Zufälle: In diesen Tagen mehren sich Veröffentlichungen, die sich mit der Abschreckung der NATO gegenüber Russland befassen (siehe dazu auch die Aussagen des US-Verteidigungsministers und des U.S. European Command) und die Verletzlichkeit des Baltikums thematisieren. Ich trage einiges davon hier mal – sicherlich unvollständig – zusammen, erst mal ohne Bewertung. Oder nur mit einer ganz vorsichtigen ersten Bewertung: Das ist mindestens ein eiskalter Hauch.
Einiges davon wurde hier schon mal in den Kommentaren erwähnt; aber zur Übersicht:
• Der deutsche Viersterne-General Hans-Lothar Domröse, Befehlshaber des NATO Joint Forces Command in Brunssum, hat am (heutigen) Donnerstag in einem Interview der Welt seine Empfehlung für die Aufstellung der NATO an der Ostflanke erzählt:
Abschreckung gegenüber Moskau funktioniert viel effektiver, wenn die Nato über schnell verlegbare Truppen mit modernem Gerät verfügt, als wenn man die Truppenpräsenz im Osten und im Baltikum einfach pauschal erhöht. Niemand weiß doch, wo ein potenzieller Angriff erfolgt. Wir können nicht dort größere Reserven halten, wo sie möglicherweise gar nicht gebraucht werden. Immer da, wo die Gefahr ist, packe ich die Truppen hin – das ist die Devise.
Das ganze Interview liest sich interessant (deswegen verlinke ich es auch hier, abweichend von der üblichen Praxis). In diesem Interview sprach sich Domröse auch dafür aus, dass die NATO mit ihren AWACS-Überwachungsflugzeugen in den Kampf gegen die ISIS-Terrormilizen eingreift – eine vor allem in Berlin sehr ablehnend betrachtete Idee der USA. Folgerichtig bekam Domröse auch gleich Ärger mit dem außenpolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Rolf Mützenich:
Der deutsche NATO-General überschreitet mit seinem „militärischen“ Ratschlag deutlich die Grenze zur politischen Stellungnahme.Die Frage einer Beteiligung der NATO an militärischen Einsätzen gleich welcher Art ist eine höchst politische Frage. Hier gilt nicht nur in Deutschland das demokratisch begründete Primat der Politik. Dieses Primat hat der General verletzt. Die Frage ist, ob er das selbstherrlich gemacht hat oder nur eine Auftragsarbeit erledigt hat. Beides kann nicht hingenommen werden. Nach mehreren Eskapaden wird es für die politisch Verantwortlichen Zeit, den Mann in seine Grenzen zu verweisen.
Nun ja, zum einen geht Domröse ohnehin demnächst in den Ruhestand; zum anderen haben auch seine Vorgänger immer wieder Ärger mit der Bundesregierung gehabt, wenn sie aus ihrer NATO-Position eine Sicht vertraten, die vielleicht bündniskompatibel war, aber in Deutschland ungern wahrgenommen wurde.
• Die Rand Corporation, eine amerikanische Denkfabrik, hat sich mit der Abschreckung am Nordostrand der NATO, im Baltikum, befasst. Aus der Zusammenfassung des Papiers Reinforcing Deterrence on NATO’s Eastern Flank – Wargaming the Defense of the Baltics:
In a series of wargames conducted between summer 2014 and spring 2015, the RAND Corporation examined the shape and probable outcome of a near-term Russian invasion of the Baltic states. The games’ findings are unambiguous: As currently postured, NATO cannot successfully defend the territory of its most exposed members. Across multiple games using a wide range of expert participants in and out of uniform playing both sides, the longest it has taken Russian forces to reach the outskirts of the Estonian and/or Latvian capitals of Tallinn and Riga, respectively, is 60 hours. Such a rapid defeat would leave NATO with a limited number of options, all bad: a bloody counteroffensive, fraught with escalatory risk, to liberate the Baltics; to escalate itself, as it threatened to do to avert defeat during the Cold War; or to concede at least temporary defeat, with uncertain but predictably disastrous consequences for the Alliance and, not incidentally, the people of the Baltics.
Fortunately, avoiding such a swift and catastrophic failure does not appear to require a Herculean effort. Further gaming indicates that a force of about seven brigades, including three heavy armored brigades—adequately supported by airpower, land-based fires, and other enablers on the ground and ready to fight at the onset of hostilities—could suffice to prevent the rapid overrun of the Baltic states.
• Und zu guter Letzt für alle, die es gerne mal dramatisch vor Augen geführt bekommen: In der BBC lief am (gestrigen) Mittwochabend eine, wie sagt man, DocuFiction:
Inside the War Room‘ – crisis gaming WW3 in the Baltics
Following the crisis in Ukraine and Russia’s involvement in Syria, the world is closer to superpower confrontation than at any time since the end of the Cold War. Now, a war room of senior former British military and diplomatic figures comes together to war-game a hypothetical ‚hot war‘ in eastern Europe, including the unthinkable – nuclear confrontation.
Das Fernsehstück ist leider für die Zuschauer außerhalb Großbritanniens nicht zugänglich; zwischendurch war es kurzfristig auf Youtube verfügbar und wurde wegen Copyright-Verletzung gelöscht. Falls jemand einen Hinweis hat, wo/wie es dennoch – natürlich legal – anzusehen ist, bin ich für Hinweise dankbar.
Und ebenso natürlich für Ergänzungen in den Kommentaren.
Nachtrag, da hier in den Kommentaren die SPD-Schelte für Domröse angesprochen wird – die Reaktion des Bundeswehrverbandes:
Als ehrenrührig, im Ton inakzeptabel und in der Sache vollständig verfehlt hat der Deutsche BundeswehrVerband die Kritik des SPD-Außenpolitikers Rolf Mützenich an den jüngsten Äußerungen des Nato-Generals Hans-Lothar Domröse zurück gewiesen. Der Bundesvorsitzende Oberstleutnant André Wüstner erklärte: „General Domröse ist ein charakterfester, einsatzerfahrener und ehrenwerter Soldat. Er genießt national wie international höchstes Ansehen. Er weiß um seine Rolle als Staatsbürger in Uniform, seine Befugnisse und das Primat der Politik. Ihm im Zusammenhang mit seinem Interview in der „Welt“ eine ´Auftragsarbeit´ zu unterstellen, ist eine bodenlose Unverschämtheit!“
Wüstner weiter: „Die Forderung, General Domröse sei in seine Schranken zu weisen, ist für den Deutschen BundeswehrVerband nicht nachvollziehbar. Hier ist eine Entschuldigung erforderlich.“
General Domröse hatte im Interview mit der „Welt“ seine Besorgnis über das aggressive Gebahren Russlands ausgedrückt und sich für eine Erhöhung der Verteidigungsbereitschaft der Nato ausgesprochen.
(Archivbild: General Hans-Lothar Domröse meets with troops at Capo Teulada, Sardinia, Italy on November 03, 2015 during NATO exercise Trident Juncture 15 – NATO Local PAO Capo Teulada via Joint Forces Command Brunssum)
@Klabautermann: Mein Gefühl war immer, dass eine generelle Zustimmung seitens Iran den Petro Dollar zu stützen die Grundlage eines jeden Szenaer zu Verhandlungen gewesen wäre. Auch mit entsprechenden Implikationen für die Zentralbank.
Wenn nein liest sich die Wolfowitz Doktrin wie eine gewaltsame Konkursverschleppung und Obamas Politik wir: „Hier, Besen für $3,99, gut um vor der eigenen Haustür zu kehren!“
@ KPK
Volle Zustimmung, aber ohne ein staatsähnliches Gebilde wie „Kurdistan“ im Nordosten von Syrien wird es keinen Frieden geben. Da müsste dann schon die Türkei oder der Iran die Gebiete der Kurden militärisch besetzen, wie China dies in Tibet gemacht hat. Dies würde aber ein jahrelangen Partisanenkrieg bedeuten.
@Georg: Sind die Gebiete seit je her. Die PKK war stink sauer, dass Erdogan den Waffenstillstand dazu nutzte, Militärbasen zu bauen. Ist ja sein recht, aber es sagt viel. Momentan Rennen in den Kurdengebieten vergewaltigende Paramiliärs rum. Iran: Ein groß der Todesstrafen richten sich ggn. Kurden.
@KPK hat da einen sehr nüchternen Blick. Er hält sich mit dem Fazit zurück. Die von Mythen und Liedern umsungenen kurdischen Krieger würden zum SCC aufschließen, wenn Erdogan so weiter macht.
@AoR
Nun ja, es ist mittlerweile wohl ziemlich erwiesen, dass der Regime Change im Irak und in Libyen in dem Moment „losgetreten“ wurde, als die jeweiligen Machthaber sich aus der Petrodollar-Diktatur befreien wollten – mit Hilfe der Cinesen (Libyen), bzw. der Russen (Irak). Das Petrodollar-System der USA ist die Grundlage für die Finanzierung der Streitkräfte, genau wie es der erste Papier-Dollar war im Sezessionskrieg des Nordens gegen den Süden.
Nun, das „Desertieren vom Petro-Dollar“ des Irak, Libyen konnte man militärisch einfangen, bei Rußland, China und auch Iran sieht das ganz anders aus…..wird spannend ;-)
Ne, wird ekelhaft… Auf Domröse hören, SOFORT eigene Verteidigung !
@ AoR
Türkische Militärbasen in Nordost-Syrien ? wohl eher nicht, sondern in den türkischen Kurdengebieten, oder ?
@Georg, ja im Südosten. Schauen Sie sich die Wahlergebnisse der letzten türkischen Wählen an. HDP vs. AKP und legen Sie sich ne ethnische Karte daneben.
Naja, mal sehen was wir dem SCO bezahlen, dafür dass er die Flüchtlinge zurück nimmt.
Empfehle einen Blick auf den algerischen Bürgerkrieg 1991-1999. Säkulärer arabischer Staat, soziale Probleme, Erstarken der Islamisten, jahrelanger Bürgerkrieg mit wechselseitigen Massakern; und daß und wie die Algerier für sich eine Lösung gefunden und einen Aussöhnungsprozeß eingeleitet haben. Sehr lehrreiches Modell. Auch, was passiert, wenn Geheimdienste oder Militär meinen, Islamisten für ihre politischen Zwecke lenken/unterwandern/instrumentalisieren zu können. Algerien hatte allerdings das Glück, daß sich keine ausländischen Mächte mit dem Ziel eines regime change eingemischt haben. Syrien hat das leider nicht. Auch so hat der Bürgerkrieg in Algerien mehr als 8 Jahre gedauert.
BTW, die Massen an „Flüchtlingen“ vom Balkan und aus Nord- und Schwarzafrika gehen weder auf das Konto „des Westens“ noch „Rußlands“. Die kommen nicht wegen des syrisch/irakischen Bürgerkrieges. Die ankommenden Afghanen gehen zumindest auch nicht auf das Konto Rußlands.
@AoR
Solange die Kurden unter sich selber nicht einig sind, wird es einen kurdischen Staat nicht geben:
http://www.heise.de/tp/artikel/47/47291/1.html
@ Klabautermann
Danke für den Link auf das „PNAC“., Projekt for the New American Century
Das mit dem Slogan „Gewinne privatisieren und Verluste sozialisieren“ haben wohl alle Mitglieder dieser Denkfabrik gut darauf gehabt. Der Investmentbanker John Lehmann, muss diesen Grundsatz aber anscheinend besonders innig verstanden haben. :-(
@Klabautermann: Klar, die Kurden „profitieren“ von einer uralten „indo-germanischen“ Kultur. Wenn ich ihnen als kurdischstämmiger jetzt mit „Hand auf dem Herzen“ sage, dass die PYD keine Tochter der PKK ist, dann wissen Sie wie stark der Zusammenhalt ist. Es handelt sich um komplett andere Stämme, gar intrakurdischen Sprachräume.
Trotzdem glaubt ein groß der deutschen Journallie die PKK wäre der Kopf der PYD.
@Georg
Na ja, auch in Sachen Euro-Krise kann man eine Verbindung zum Thema Petro-Dollar nicht ganz ausschließen. Es gab da einmal Gerüchte (die natürlich sofort dementiert wurden), dass einige Staaten „Geheimverhandlungen“ über die Ablösung des Petro-Dollar durch einen Petro-Euro geführt haben sollen (Deutschland gehörte nicht zu den gelisteten Ländern)…..die Gerüchte kamen so 2007 auf….wann war die Finanzkrise noch einmal ??
Die PNAC hatte ich seit ihrer Gründung auf der „Pfanne“……….ganz illustrer Haufen ;-)
@Klabautermann: Ist da der Trump auch dabei?
@AoR
Trump und PNAC……? Da hab ich noch nichts gefunden. Aber Jeb Bush ist schon lange „dabei“
Interessanter Bericht zu einer multinationalen Übung in Hohenfels:
http://tinyurl.com/zd9qwul
Nebenbei wird erwähnt, „dass die deutsche Truppe keine direkte Funkverbindung zu den anderen Nationen, besonders zu den „Strykern“ hat“.
So sieht unser Beitrag zur NATO-Abschreckung im Jahr 2016 aus.
Es ist wirklich Zeit für neuen Funk (MotaKo).
Kdr x12 „Zum ersten Mal sei eine deutsche Einheit direkt einem US-amerikanischen Verband unterstellt, …“
Was für ein Murks wird da geschrieben . War mit meiner Kp bereits 1985 einen alliierten Rgt OPCON unterstellt, 7 Tage lang!
@Memoria
Was will ich denn mit einer direkten Funkverbindung zu den Strykern, wenn ich eh kein US-amerikanisches, taktisches Englisch verstehe/beherrsche ? Merke: Interoperabilität ist mehr als Funkverbindung. Nettes Malen&Matschen, was da veranstaltet wird…..
@Klaus-Peter Kaikowsky
So ist das heutzutage – wir „alten Säcke“ sind halt nur Kalte Krieger, die keine Ahnung haben….
@Klabautermann:
Die Englischausbildung wurde gerade für Feldwebel des Heeres in den letzten Jahren massiv ausgebaut.
Natürlich ist Interoperabilität mehr als Funk.
Aber ohne Funk ist alles nichts.
Der Bereich Funk wiederum ist ein weitgehend ignoriertes Paradebeispiele für die Zustände im Beschaffungswesen (SVFuA…).
Da fragt man sich schon wofür der Steuerzahler soviel Geld für die Innere und Äussere Sicherheit ausgibt, aber selbst die FAZ in diesen Kernbereichen des Staates ein Staatsversagen sieht.
Na, lieber klabautermann – auf taktischer Ebene funktioniert das schon; es gibt zwar Unterschiede, aber bei Pz bzw. PzGren kommt man schon miteinander klar und wie KPK bereits schrieb: Das ist jetzt nichts Neues.
So allerdings (FuAusstattung ca. 1960 [SEM] vs. modernem Gerät), scheitert es schon am Material…
@KPK:
Die Passage verwunderte mich auch.
@klabautermann:
Nach Angaben der US Army ist ein wesentliches Ziel der Übung die Verbesserung der Interoperabilität über sichere Verbindungswege. Offenbar haben wir erneut erhebliche Probleme.
Nichts Neues:
http://fkpg.de/battle-at-the-bunkerstrasse/
Aber bald ist ja angeblich Geld für neue Funkgeräte da.
Na ja, wir wissen einfach zu wenig über die Details – gehts hier nur um Sprech- oder auch um Datenfunk etc. Auf jeden Fall soll man Interoperabilität nicht mit Integration auf der subtaktischen Ebene verwechseln (gesicherte militärische tank-to-Panzer-Kommunikation)…ist ein recht kompliziertes Thema und bei weitem nicht nur eine Frage der Geräteausstattung.
Auf jeden Fall halte ich den Begriff „Staatsversagen“ in diesem Zusammenhang für eine mehr als maßlose Übertreibung, aber die FAZ ist auch schon lange nicht mehr das, was sie mal war.
@klabautermann:
Das Staatsversagen bezieht sich ja nicht auf irgendwelche Ausstattungsdetails, sondern den gesamten Zustand der Sicherheitsbehörden.
Und zum technischen Details:
Man kann auch alles als überkomplex darstellen oder man weiss bei der Führungsfähigkeit was man will und beschafft MOTS.
Mit der SEM-Familie ist man in jedem Fall nicht kompatibel.
Der Handlungsbedarf ist erheblich, da die SEM in wenigen Jahren nicht mehr versorgt werden können.
Die Ämterebene schiebt jedoch seit Jahren das Thema im Kreis (MoTaKo). Und bald hat man ja noch den neuen Cyber/IT-OrgBer.
Somit wird man die Probleme auch nicht gelöst haben bis DEU die VJTF 2019 stellt.
Und das ist dann zumindest Organisationsversagen.
Probleme erkennen, anerkennen, lösen?
@kpk, klabautermann
War da möglicherweise COMBINED ENDAVOUR gemeint?