Die Kanzlerin und die Bundeswehr: Kein Wort zum Krieg

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Frisch aus dem Bundespresseamt: Bundeskanzlerin Angela Merkel lässt sich von einem Freiwillig Wehrdienstleistenden befragen – und dankt der Bundeswehr für ihre Arbeit in der Flüchtlingshilfe.

Was soll, was darf die Bundeswehr leisten, heißt die im Video eingangs eingeblendete Frage. Und da ist interessant, was in diesem Video nicht zur Sprache kommt: Hat nicht der Bundestag erst am (gestrigen) Freitag beschlossen, deutsche Streitkräfte in einen Krieg gegen ISIS zu schicken?  Gilt der Besuch der Kanzlerin bei den schnellen Sanitätern am kommenden Montag nicht auch den Truppenteilen, die bei der in der NATO verabredeten schnellen Reaktionsfähigkeit mit Speerspitze und so besonders gefragt sind, und eben nicht nur als Teil herkömmlicher Auslandseinsätze?

Nachtrag: Vielleicht ist man, genauer: bin auch ich bisweilen betriebsblind. Denn dieses Kanzlerinnen-Statement kann man natürlich auch ganz anders lesen – nicht als Fehlen der nötigen Worte zum Krieg, sondern als klare Ansage an die eigene Partei: Die Bundeswehr ist keine Hilfspolizei im Inland und wird auch nicht dazu gemacht. Diese bedenkenswerte Sicht vertritt der Kollege Joachim Käppner in einem Kommentar der Süddeutschen Zeitung vom Montag, 7. Dezember:

Es war daher gut, dass Kanzlerin Angela Merkel gegen ihre Gewohnheit ein Machtwort sprach: Die Bundeswehr soll auch im Fall von Terroranschlägen nicht gerufen werden, hoheitliche Aufgaben im Inland sind Sache der Polizei. Diese nötige Klarstellung galt nicht den Streitkräften, in deren Reihen es gewiss kaum Begehrlichkeiten gibt, auch noch den Hilfssheriff zu spielen.

Sie galt der eigenen Partei. Viele Unionisten rufen wieder laut nach den Soldaten: zum Schutz vor Terroristen, zur Sicherung der Grenzen in der Flüchtlingskrise und so fort. Doch dies ist Aufgabe der Polizei. Und es gibt eine Reihe von guten Gründen dafür. Soldaten sind dafür nicht ausgebildet. Die Polizei lernt die Verhältnismäßigkeit der Mittel, die Armee lernt, welche Mittel es braucht, um einen Gegner auszuschalten. Wer ihren Einsatz fordert, will oft darüber hinwegtäuschen, dass die Polizei lange Zeit Opfer wilder Sparfestspiele war; dass die Bundespolizei jetzt deutlich mehr Personal erhält, kann man als stilles Eingeständnis des Dienstherrn werten, an der falschen Stelle gespart zu haben.

(Ich hoffe, die Kollegen der SZ sehen mir dieses auführliche Zitat nach.)

Die vom Bundespresseamt veröffentlichte Abschrift des Videos zum Nachlesen:

Video-Podcast der Bundeskanzlerin #41/2015
5. Dezember 2015
Die Fragen stellte Temuulen Zezegmaain, freiwillig Wehrdienst Leistender aus Berlin.

Temuulen Zezegmaain:
Frau Bundeskanzlerin, am Montag besuchen Sie die Bundeswehr in Ostfriesland. Ich selbst bin derzeit in der Flüchtlingshilfe eingeteilt. Viele Kameraden und mich würde interessieren: Wie lange dauert dieses Engagement noch an, und was wird getan, wenn dieses Engagement nicht ausreicht?

Bundeskanzlerin Merkel
Erst einmal besuche ich die „Schnellen Einsatzkräfte Sanitätsdienst“ in Leer – und
freue mich auf diesen Besuch, weil ich mir vorgenommen habe, in den nächsten Monaten, ganz unbeschadet der Flüchtlingsarbeit, die verschiedenen Teilstreitkräfte der Bundeswehr auch einmal wieder im Innern zu besuchen – wir sprechen sehr viel über die Auslandseinsätze; auch die „Schnellen Einsatzkräfte Sanitätsdienst“sind natürlich für unsere Soldatinnen und Soldaten im Ausland sehr wichtig, weil sie sie begleiten, und weil sie sie dann auch unterstützen, was die gesundheitliche Versorgung anbelangt –, aber weil ich einfach auch ein Dankeschön an die sagen möchte, die im Innern ihren Dienst tun und ja jeden Tag dafür da sind, dass wir sicher leben können. Und das ist eine ganz wichtige Aufgabe. Nun ist eine Aufgabe hinzugetreten, in der Sie ja auch eingesetzt sind und die, wie ich hoffe, eine spannende Aufgabe ist für die, die das machen. Und hier bin ich der Bundeswehr und den Soldatinnen und Soldaten sehr dankbar. Es geht einmal um das Thema „helfende Hände“ – wo wird Unterstützung gebraucht, oft in sich sehr schnell verändernden Situationen –, aber auch um die Bereitstellung von Übernachtungsmöglichkeiten, von Aufenthaltsmöglichkeiten. Und die Bundeswehr verfügt natürlich über eine sehr starke Logistik, über die Möglichkeit, auch sehr schnell beim Aufbauen von Betten zu helfen, aber auch eben Einrichtungen insgesamt zu betreiben. Wann das Ende ist, kann man schwer sagen. Wir versuchen natürlich, die gesamte Flüchtlingsbewegung besser zu ordnen, besser zu steuern. Deshalb haben wir uns jetzt auch dem Schutz unserer Außengrenzen sehr viel verstärkter gewidmet und sprechen zum Beispiel mit der Türkei, um einfach auch aus der illegalen Migration, bei der Menschen auch ihr Leben aufs Spiel setzen, bei der Schlepper und Schleuser Geld verdienen, eine Form der legalen Migration zu machen, und über vernünftige Absprachen, eben Flüchtlinge auch zu unterstützen – auch bei uns. Wir können uns von dieser Aufgabe nicht abkoppeln und sagen: Sowas soll alles die Türkei machen – und Jordanien und Libanon. Aber wir müssen natürlich auch vor Ort helfen – in Jordanien, im Libanon, im
Irak – und auch die Lage der Flüchtlinge in der Türkei verbessern. Wir hoffen, dass das dann alles Schritt für Schritt in geordnete Bahnen kommt. Aber erst mal Ihnen – stellvertretend für alle anderen – ein herzliches Dankeschön für den ganz ungewohnten Einsatz.

Ein Bundestagsabgeordneter fordert den Einsatz der Bundeswehr zur deutschen Grenzsicherung. Er würde Bundeswehr-Drohnen an der deutsch-österreichischen Grenze vorschlagen. Um dies durchzusetzen, bräuchte man eine Gesetzesänderung. Würden Sie dieser Gesetzesänderung zustimmen?

Ich sehe darin keine Lösung. Wir haben die Bundespolizei. Die Bundespolizei macht im Augenblick ausnahmsweise Grenzkontrollen an der deutsch-österreichischen Grenze. Die Bundespolizei ist jetzt auch, mit dem Haushaltsbeschluss für 2016, deutlich besser ausgestattet worden, als das bislang der Fall war. Wir werden Tausende neue Bundespolizisten haben. Und ich glaube, die Bundespolizei kann diese Aufgabe alleine meistern. Da sehe ich keine Rolle für die Bundeswehr.

Werden durch die Terror-Anschläge in Frankreich Soldaten im Inland eingesetzt, oder bleiben die Sicherheitsmaßnahmen so, wie sie jetzt sind?

Die Sicherheitsmaßnahmen bleiben so, wie sie jetzt sind. Wir haben auch hier die Polizeien der Länder und des Bundes verstärkt. Wir haben auch den anderen Sicherheitsorganen – zum Beispiel dem Bundeskriminalamt, dem Bundesamt für Verfassungsschutz, dem Bundesnachrichtendienst – im Haushalt 2016 mehr Ausstattung gegeben, sowohl was Personal anbelangt, aber auch was technische Ausstattung anbelangt, damit diese Sicherheitsaufgaben von uns gut erledigt werden können. Und die Aufgaben der Bundeswehr liegen dort, wo sie das Grundgesetz auch vorgeschrieben hat. Und an der Stelle – worüber wir am Anfang gesprochen haben –, wenn es um logistische Unterstützung geht, wenn es um die Abnahme von Aufgaben geht, die sonst vielleicht die Bundespolizei selber lösen müsste, da kann die Bundeswehr helfen. Aber hoheitliche Aufgaben werden durch die Bundespolizei in Deutschland geleistet.

Wie Sie selbst sehen können, habe ich einen Migrationshintergrund. Noch sind es nicht viele junge Leute aus Zuwandererfamilien, die in der Bundeswehr Dienst leisten. Fänden Sie es positiv, wenn es mehr werden, und wie möchte die Bundesregierung das fördern?

Ich fände das auf jeden Fall wichtig und bin erst mal sehr froh, dass es Menschen wie
Sie gibt, die sich zu einem Dienst in der Bundeswehr entschieden haben. Genauso gibt es Menschen mit Migrationshintergrund bei uns in der Polizei, in der Bundespolizei, in den Länderpolizeien. Wir brauchen mehr Vertreter, auch gerade in den Organisationen des Staates, bei der Bundeswehr, bei der Polizei, bei den Lehrerinnen und Lehrern, die sozusagen beispielhaft für andere Migranten, für Kinder zeigen: Ja, ich kann in diesem Staat an allen Stellen meinen Beitrag leisten. Und insofern finde ich es von Ihrer Seite sehr schön, dass Sie sich für die Bundeswehr entschieden haben. Wir haben schon große Werbekampagnen gemacht, mit denen wir ganz gezielt Migrantinnen und Migranten ansprechen. Wir brauchen ja Vorbilder, Rollenmodelle, so dass andere sich dann auch entscheiden. Und deshalb wünsche ich auch speziell Ihnen ganz besonders viel Erfolg bei Ihrer Arbeit in der Bundeswehr.