Zur Dokumentation: ‚Das Ziel ist der Krieg gegen den Terror‘

Über den Einsatz der Bundeswehr im Kampf gegen ISIS will das Kabinett am (morgigen) Dienstag entscheiden – aber die Debatte läuft seit der vergangenen Woche natürlich auf Hochtouren. Das wurde auch in der Bundespressekonferenz am Montag deutlich; auch wenn die Sprecher verschiedener Ministerien gerne darauf verwiesen, dass es eben noch keinen Kabinettsbeschluss gebe.

Zur Dokumentation die – sehr umfangreiche – Abschrift der Bundespressekonferenz; mit den Aussagen der stellvertretenden Regierungssprecherin Christiane Wirtz, dem Sprecher des Verteidigungsministeriums, Jens Flosdorff, und Außenamtssprecher Martin Schäfer:

Frage: Ich habe zwei Fragen zum Mandat (für den Einsatz der Bundeswehr in Syrien). Herr Flosdorff, wären Sie so nett, einmal die am Wochenende genannte Zahl von 1.200 Soldaten aufzuschlüsseln? Das ist ja wahrscheinlich eine Obergrenze. Wie bezieht die sich auf die verschiedenen geplanten Einsatzteile? Die Menschen da draußen fragen sich, glaube ich, schon, wieso eine so hohe Zahl angesetzt ist und was da tatsächlich benötigt wird.

Zweitens: Das ARD-Hauptstadtstudio meldet gerade, dass der Mandatstext Einsatzkosten in Höhe von 134 Millionen Euro für das kommende Jahr vorsehe. Können Sie das bestätigen?

Flosdorff: Um mit der zweiten Frage zu beginnen: Ich will hier jetzt noch nicht über Detailzahlen aus dem Mandat berichten. Dazu tagt im Moment eine Staatssekretärsrunde. Wenn das innerhalb der Regierung beschlossen worden sein wird, werde ich Ihnen gerne spitz über alles Auskunft geben.

Was die zweite Frage angeht, diese Größenordnung und dass der militärische Ratschlag in die Richtung geht, zumindest einmal etwas in Richtung von 1.200 Kräften zu empfehlen: Das ist korrekt. Auch hier werde ich das nicht spitz auf die einzelnen Komponenten herunterrechnen. Das ist eine Obergrenze; das muss man wissen.

Darin ist sicherlich – das müssen Sie wissen – Folgendes eingerechnet: Für den Betrieb einer Fregatte, für den Betrieb von Tornados, für den Betrieb der Luftbetankung, für die Arbeit in den Städten [gemeint vermutlich: Arbeit in den Stäben – T.W.] , zur Koordination und auch zur logistischen Unterstützung sowie sicherlich auch für den Schutz werden Kräfte benötigt. Das muss nicht die Obergrenze ausschöpfen. Es muss aber auch Flexibilität ermöglichen. Wenn zum Beispiel einmal ein Flugzeug an einen anderen Standort verlegt wird, an dem vielleicht nicht dieselbe Infrastruktur vorhanden ist, dann muss vielleicht mehr Infrastruktur vor Ort zur Verfügung gestellt werden. Auch wenn Schiffe ausgetauscht werden, muss man grundsätzlich in Mandatstexten diesen Puffer mit berücksichtigen, sodass man dann kurzzeitig auch die doppelte Anzahl von Kräften einer Teilkomponente vor Ort hat. Dies nur zur Andeutung dessen, was wir Ihnen dann, wenn alles beschlossen sein wird, genau darlegen können.

Zusatzfrage: Ist schon klar, welche Fregatte das sein wird? Am Wochenende hieß es jetzt, es sei die „Karlsruhe“.

Flosdorff: Auch das werde ich Ihnen jetzt noch nicht sagen. Wir werden jetzt erst einmal das Mandat beschließen. Fregatten, die dafür infrage kommen, können innerhalb von wenigen Tagen vor Ort sein. Wir werden jetzt sicherlich auch nicht schon in dieser Woche vor der Situation stehen, dass die Fregatte direkt beim Flugzeugträger eingetroffen sein muss.

Frage: Herr Flosdorff, die Verteidigungsministerin hat ja davon gesprochen, dass sie sich vorstellen kann, im Kampf gegen ISIS auch mit syrischen Regierungstruppen zu kooperieren. Wie würde das konkret aussehen?

Flosdorff: Da empfehle ich auch, sich noch einmal die Originalaussagen anzuschauen und nicht sozusagen jede Tickermeldung zu verfolgen, die dann immer weniger Originaltext und mehr Eigeninterpretation enthält. Die Ministerin hat auch in diesem Interview klar darauf hingewiesen, dass es keine Zusammenarbeit mit Assad und auch nicht mit Truppen unter Assad geben wird. Sie hat vielmehr auf den Wiener Prozess verwiesen, der ja ein ganz klares Ziel formuliert, nämlich dass der totale Zerfall der Staatlichkeit in Syrien vermieden werden soll, dass die Staatlichkeit möglichst erhalten werden soll und dass es dafür einen Übergangsprozess geben muss. Danach wird man sehen, was sozusagen dabei hilft, diesen Staat Syrien zu stabilisieren. Dabei geht es aber nicht um eine aktuelle Zusammenarbeit. Jetzt wird es keine Zusammenarbeit mit Assad geben, auch keine Zusammenarbeit mit Truppen unter Assad.

Schäfer: Sie haben mich nicht gefragt, aber ich erlaube mir trotzdem, nur ein ganz kleines bisschen dazu zu sagen: In den Medien funktionieren die Dinge ja manchmal auf eine kuriose Art und Weise. Als der französische Außenminister – es war am vergangenen Freitag, glaube ich, oder vielleicht am Donnerstag – etwas zur Zusammenarbeit mit der syrischen Armee sagte, gab es unter Ihnen gleich ganz große Aufregung. Wenige Tage zuvor, am 22. November, also in der letzten Woche, hat Minister Steinmeier der größten deutschen und vielleicht sogar europäischen Sonntagszeitung, der „Bild am SONNTAG“, Folgendes gesagt:

„Bisher hat sich Assad weniger auf den Kampf gegen ISIS konzentriert, sondern vor allem die moderaten Gruppen bekämpft. Es muss endlich Schluss damit sein, dass sich die syrische Armee, die freie syrische Armee und moderate Milizen-Gruppen im Drei-Fronten-Krieg verschleißen, statt gemeinsam gegen ISIS zu kämpfen. Wir müssen jetzt alle zusammenbringen, die gegen ISIS sind.“

So hat es der Außenminister formuliert, und das interpretiere ich, wenn Sie es wünschen, gerne für Sie. Herr Flosdorff und die Verteidigungsministerin haben völlig zu Recht auf den Wiener Prozess hingewiesen. Da ist vor etwas mehr als zwei Wochen vereinbart worden, dass, wenn irgend möglich, bis Jahresende Verhandlungen zwischen der syrischen Opposition – wohlgemerkt nicht ISIS, nicht Al-Nusra und andere extremistische, islamistische Gruppierungen – und der syrischen Regierung, also dem Assad-Regime, über die Bildung einer Übergangsregierung losgehen sollen.

Sich vorzustellen, dass das alles funktionieren kann, wenn das Assad Regime, wenn der Präsident, wenn die syrische Armee nichts anderes macht, als den Krieg gegen moderate syrische Oppositionsgruppen fortzusetzen, ist schwer. Funktionieren könnte das aber, wenn, wie von iranischer und von russischer Seite in Wien gesagt worden ist, das Assad-Regime bereit ist, ernsthaft in solche Gespräche mit der syrischen Opposition über die Bildung einer Übergangsregierung einzusteigen. Genau das könnte doch gut dadurch unter Beweis gestellt werden, dass sich die syrische Armee unter dem Kommando des Präsidenten sozusagen aufmacht, diejenigen zu bekämpfen, die nach unser aller Überzeugung diejenigen sind, die am gefährlichsten sind – die Terroristen, die barbarischen Gruppierungen um ISIS und Al-Nusra herum – und die zu bekämpfen sich doch lohnt. Das heißt noch lange nicht, dass es deshalb einen Informationsaustausch oder eine andere Form der Zusammenarbeit geben muss. Aber zu sehen, dass sich das Assad Regime auch gegen die wendet, von denen es ja auch der Meinung ist, dass sie Terroristen sind, wäre, glaube ich, mit Blick auf den Wiener Prozess und die politischen Verhandlungen zur Bildung einer Übergangsregierung, die jetzt bald losgehen müssen, ein gutes Zeichen.

Frage: Herr Flosdorff, ich würde ganz gerne noch einmal auf die militärischen Ziele zu sprechen kommen, also die Zielsetzung bei diesem Einsatz. Was können Sie uns da noch an Details nennen?

Flosdorff: Das sind die Ziele, die die Koalition, die es ja nicht erst seit dieser Woche, sondern schon seit geraumer Zeit gibt, seit mehr als einem Jahr hat. Das ist natürlich zum einen der Kampf gegen den IS, das Stützen und Stabilisieren von Staatlichkeit, die da noch vorhanden ist, die Zerstörung der Fähigkeit des IS, Terror aus der Region heraus zu koordinieren, sowie die Lieferung eines Beitrags dafür, dass Menschen in der Region auch wieder eine Perspektive haben.

Zusatzfrage: Jetzt gibt es ja gerade beispielsweise von Abgeordneten der Linkspartei den Einwand, Krieg gegen den Terror könne auch zu mehr Terror führen. Was sagen Sie zu einem solchen Einwand?

Flosdorff: Das ist ein sehr pauschaler Einwand.

Frage : Herr Schäfer, Frau Wirtz, können Sie einmal kurz erläutern, wessen Krieg die Bundesregierung jetzt unterstützen will?

SRS’in Wirtz: Wessen Krieg? Den Krieg gegen den Terror.

Zusatzfrage: Wessen Krieg?

SRS’in Wirtz: Einfach den Krieg gegen den Terror. Das Ziel ist definiert, und das Ziel ist der Krieg gegen den Terror.

Zusatzfrage: Wer führt den Krieg?

SRS’in Wirtz: Der Krieg wird durch verschiedene Alliierte geführt, die sich sozusagen in der Anti-ISIS-Koalition zusammengefunden haben, und diesen Krieg unterstützt die Bundesregierung.

Frage: Herr Flosdorff, wie lange soll das Mandat dauern? Wie ist es zeitlich begrenzt? Wie viele Monate oder Jahre soll es dauern?

Wie Frau Wirtz eben gesagt hat, ist das eine Koalition, die den Krieg gemeinsam führt. Können Sie uns schildern, wer der Chef ist? Kommunizieren die deutschen Soldaten in den Tornados oder Fregatten mit einem französischen General, oder wie soll das konkret funktionieren?

Flosdorff: Zur ersten Frage: Üblicherweise werden Mandate für die Bundeswehr immer für ein Jahr vom Deutschen Bundestag mandatiert, und so wird es auch in diesem Fall vorgesehen sein.

Was die konkrete Führung und die Frage angeht, wer die Aufträge erteilt und wohin die Produkte gehen, gibt es durchaus unterschiedliche denkbare Konstellationen. Wenn Sie jetzt den französischen Flugzeugträger ansprechen, dann wäre es sicherlich so, dass die deutsche Fregatte auch in der Kommandostruktur des Flugzeugträgers stehen müsste. Es kann aber trotzdem sein, dass der Flugzeugträger seinerseits wieder der Koalition untersteht.

Was alle Flugbewegungen angeht, wird das auch schon von der Koalition koordiniert. Das muss jetzt auch nicht alles neu erfunden werden. Es ist schon seit geraumer Zeit so, dass das von Kuwait beziehungsweise von Katar aus koordiniert wird, was Luftbewegungen angeht. Was die Koordination von Maßnahmen am Boden angeht, wird das von Bagdad aus koordiniert, aber alles im Rahmen der Koalition, die schon besteht.

Zusatzfrage: Wann soll der Bundestag abstimmen?

Flosdorff: Da überfragen Sie mich. Das entscheidet der Bundestag selbst.

Frage: Herr Flosdorff, bis wann sollen denn die bis zu 1.200 Mann in der Region sein? Das ist die eine Frage.

Die zweite Frage, noch einmal zu der Fregatte: Es hieß ja zunächst, die Fregatte würde entsendet werden, um die Luftraumüberwachung für den französischen Flugzeugträger zu übernehmen und diese zu stärken. Jetzt hieß es am Wochenende, das würden die Briten machen. Welche Funktion hat die Fregatte genau?

Flosdorff: Die Fregatte schützt den Flugzeugträger. Es ist international üblich – das ist Usus, das ist Standard -, dass ein Flugzeugträger als ein Hochwertziel immer von vielen anderen Begleitbooten in der Gruppe begleitet wird und so auch besser zu verteidigen ist. Das ist auch der Auftrag dieser Fregatte.

Wann können alle Soldaten in der Region sein? Hierin sind ja auch unterschiedliche Komponenten enthalten. Zurzeit sind Erkundungsmissionen unterwegs, die also Gespräche über mögliche Standorte und Stationierungsfragen mit der Türkei, aber auch mit Jordanien führen. Auch ist noch nicht letztlich geklärt, an welcher Basis – es kommen einige infrage – die Luftbetankung sinnvollerweise stattfinden wird. Wir gliedern uns dann ja auch in die Notwendigkeiten und Bedarfe der Koalition ein. Erst dann werde ich Ihnen genau sagen können, wann wie viele Soldaten wo sein werden. Da bitte ich jetzt einfach um Geduld. Wir sind jetzt einfach in der Phase, in der die Regierung gerade entscheidet, was wir für ein Mandat vom Parlament möchten, und dann wird sich das Parlament mit dem Mandat befassen und beraten. Natürlich planen wir parallel und schauen, dass wir für den Fall vorbereitet sind, dass es Zustimmung gibt, und dann soll und kann es auch schnell gehen.

Frage: Herr Flosdorff, man konnte ja heute in der „Bild“-Zeitung“ von dem Sechs-Punkte-Plan Ihrer Ministerin im Kampf gegen IS lesen. Das klingt jetzt zusammen mit diesen 1.200 Soldaten als Obergrenze ja doch so, als ob Deutschland eine ganz zentrale Rolle in diesem Kampf spielen würde. Können Sie mir noch einmal sagen, welche Bedeutung dieser Bundeswehreinsatz in dieser Gesamtkoalition jetzt eigentlich hat? Das wäre die erste Frage.

Zur zweiten Frage: Sie redet in der „Bild“-Zeitung unter anderem auch von Zweckbündnissen auf Zeit. Jetzt haben Sie eben gesagt, die syrischen Truppen wären mit diesem Zweckbündnis nicht gemeint. Mit wem ist das dann eigentlich ein Zweckbündnis auf Zeit? Die USA und Frankreich können es ja eigentlich nicht sein. Auf wen bezieht sich also der Begriff Zweckbündnis? Das klingt ja eigentlich eher negativ.

Flosdorff: Ich fange einmal hinten an: Das ist genau der Wiener Prozess, über den wir eben auch schon gesprochen haben.

Was war noch einmal die Frage davor?

Zusatzfrage: Wenn man den heutigen Gastbeitrag in der Zeitung liest, dann hat man den Eindruck, dass Deutschland im Grunde genommen an vorderster Front kämpfen würde. Können Sie das noch einmal einordnen?

Flosdorff: Wenn dieser Eindruck bei Ihnen entstanden ist, dann möchte ich dazu einordnend sagen: Es gab im Rahmen der Kategorien, in denen wir Auslandseinsätze durchgeführt haben, Einsätze mit deutlich höherer Personalstärke, auch mit einem Mehrfachen davon. Deutschland liefert ja auch nicht nur diesen Beitrag, der jetzt neu mandatiert werden soll, sondern ich muss daran erinnern, dass wir schon seit etwa einem Jahr in der Koalition aktiv sind. Wir sind ja schon in dieser Koalition gegen den Terror engagiert, nämlich mit den Soldaten, die wir in Erbil mit der Obergrenze 100 für die Ausbildung der kurdischen Kräfte im Nordirak haben, mit den Waffenlieferungen, mit den Materiallieferungen, die wir leisten, und mit der Unterstützung, die auch auf anderen Gebieten – nicht nur militärisch – zum Beispiel gegenüber der Zentralregierung im Irak geleistet wird, diplomatisch und humanitär. Wir halten dort auch den Zentralstaat so zusammen, wie es uns möglich ist.

Jetzt gibt es einen weiteren Beitrag. Der besteht im Wesentlichen aus den Komponenten Aufklärung und Logistik. Das ist eine sehr sinnvolle weitere Komponente, wenn man das bisherige Engagement der Koalition in Betracht zieht. Wir haben oft darüber geredet – auch hier -, wie schwierig es ist, in Syrien den Frontverlauf zu beobachten, die unterschiedlichen Gruppen im Blick zu haben und auch zu sehen: Wo bewegen sich Flüchtlinge? Wo bewegt sich der IS? Wo bewegt sich jemand anderes? – Das ist Aufklärung. Das ist eine sehr knappe Ressource, und davon kann man gerade in einer solchen Gemengelage nie genug haben. Dazu steuert Deutschland jetzt etwas bei.

Das Gleiche gilt für die Komponente der Luftbetankung. Das ist weltweit auch eine Mangelressource und gehört zu den „Nato shortfalls“, also den Fähigkeiten, von denen auch die Nato sagt: Davon haben wir zu wenig. Auch da ist das willkommen, was Deutschland beisteuert.

Zusatzfrage: Sagen Sie noch einmal etwas zu den Zweckbündnissen?

Flosdorff: Das Zweckbündnis ist das, was im Moment auf politischer Ebene stattfindet. Das ist der Prozess, dass alle Staaten, die in der Region Einfluss haben – von Russland über China und den USA bis hin zum Iran, zu Saudi-Arabien und der Türkei – und Einfluss auf die Geschehnisse in Syrien und dem Irak nehmen können, auch Einfluss nehmen. Wir brauchen einen Minimalkonsens, und dafür müssen, auch wenn das keine Zuneigung ist, die Leute ihr gemeinsames Interesse erkennen und es als erste Priorität ganz nach oben stellen, nämlich den IS zu bekämpfen, vielleicht andere Interessen hinten anzustellen und zu sagen: Wir bekämpfen jetzt gemeinsam den IS und stellen Einigkeit her, dies vor dem Hintergrund dessen, dass die Uneinigkeit der vielen Kräfte, die bisher in diesem Konflikt mitgewirkt haben, auch eine der großen Stärken und Vorteile war, die der IS gnadenlos ausgenutzt hat, indem er dort dann seinen Einfluss ausgeweitet und dort militärisch zugeschlagen hat, wo die Einigkeit nicht vorhanden war. Das muss ein Ende haben. Im Gegenteil: Das muss sich umdrehen.

Frage: Herr Schäfer, Frau Wirtz, in der Politik funktionieren die Dinge ja manchmal auf etwas seltsame Weise. Jahrelang hat man Herrn Assad und die Regierung als Kriegsverbrecher bezeichnet und jegliche Kooperation mit ihm als ein No-Go beschrieben. Jetzt würde man sich zumindest nicht ärgern, wenn auch er seinen Teil dazu beitragen würde, gegen IS zu kämpfen. Sieht Deutschland Herrn Assad eigentlich als Feind an?

SRS’in Wirtz: Ich möchte jetzt ungern in eine solche Freund-Feind-Wertung einsteigen. Ich weiß nicht, woher Sie die Unterstellung nehmen, dass man sich in irgendeiner Form eine politische Zukunft mit Assad vorstellt. Es geht jetzt darum, und diesen Prozess haben die Kollegen gerade auch noch einmal erläutert, dass man im Zuge dieses Wiener Prozesses eine politische Lösung und eine Übergangslösung hinbekommt, dass es darum geht, in Syrien staatliche Strukturen zu erhalten, und dass es nicht dazu kommt, dass diese staatlichen Strukturen komplett aufgelöst sind, sodass man dann auch schwerlich an eine Zukunft in dem Land anknüpfen könnte.

Davon getrennt muss man aber natürlich sehen, wie die Zukunft Assads aussieht oder was dann sozusagen mit dem Regime Assad selbst geschieht. Hierzu vertritt die Bundesregierung die Meinung, dass Assad selbst nicht Teil einer dauerhaften politischen Lösung in Syrien sein kann.

Schäfer: Nur in Ergänzung zu all dem, was Frau Wirtz gerade gesagt hat: All das, was wir zum Umgang mit der Syrien-Krise jetzt sagen, hätten wir vor zwei Jahren auch gesagt. Darin kann ich jetzt nichts Kurioses erkennen. Daran hat sich auch überhaupt nichts verändert.

Was uns vor zwei Wochen in Wien gelungen ist, ist, die Personalie Assad, die mehr als vier Jahre lang jeden Fortschritt im Kampf gegen die Gewalt und den Bürgerkrieg in Syrien komplett verhindert hat – – – Es gab mehrere Entscheidungen im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, bei denen sich Russland und China wegen der Personalie Assad geweigert haben, mitzuziehen. Es gibt das Genfer Kommuniqué von Mitte 2012, das letztlich in seiner Umsetzung genau daran gescheitert ist, dass man sich im Verhältnis zu Russland, inzwischen auch im Verhältnis zum Iran sowie vielleicht auch im Verhältnis zu einigen anderen nicht darauf einigen konnte, was mit der Personalie Assad geschehen mag. Es ist uns in Wien geglückt, einen politischen Prozess aufzusetzen, der genau diese Frage nicht löst, weil die Frage zurzeit nicht lösbar ist, der aber diese Frage nicht zu einer Bedingung für jede Art von Fortschritt auf dem Weg zu einer politischen Lösung für Syrien macht.

Ich würde mir, ehrlich gesagt, wünschen, dass es uns gelingen könnte, im militärischen Kampf gegen ISIS genau das Gleiche zu vermeiden, nämlich die Personalie Assad so sehr ins Zentrum zu stellen, als wenn es darum ginge. Es geht doch jetzt hier darum, dass all diejenigen, die erkannt haben, welche Gefahr ISIS für die Zukunft Syriens, für die Zukunft des Irak, für die Zukunft der Region, aber auch für die Bedrohung der Welt darstellt, diese Bedrohung erkennen und entsprechend handeln – politisch, militärisch und weltanschaulich. Wenn das syrische Regime sagt, dass es auf eigenem Territorium Terroristen bekämpft, dann soll es das doch bitte tun.

Frage: Ich würde gerne zwei Fragen stellen, eine an Herrn Schäfer, eine an Herrn Flosdorff.

Ich stutzte vorhin etwas, Herr Schäfer. Sie sagten, es gebe noch nicht einmal einen Informationsaustausch mit der syrischen Armee, also der Assad-Armee. Muss es nicht notwendigerweise Informationen geben, beispielsweise darüber, was IS-Stellungen, Stellungen der Opposition oder Stellungen der Armee betrifft, um einfach die richtigen Ziele auszumachen, gerade dann, wenn die Tornados aufsteigen?

Herr Flosdorff, gibt es auf irgendeiner Ebene einen Informationsaustausch mit den russischen Streitkräften, die auch in Syrien aktiv sind, allein schon, um Kollisionen zu vermeiden und nicht unbeabsichtigt Flieger unter Feuer zu nehmen? Wir alle haben ja noch den Abschuss dieses russischen Jets durch die türkische Armee vor Augen.

Flosdorff: Ich glaube, das, was Sie meinen, wird militärisch als „deconflicting“ bezeichnet. Das ist ein rudimentärer Informationsaustausch darüber, wer zu welcher Zeit an welchen Koordinaten in der Luft unterwegs ist. Das findet heute bereits zwischen der Koalition, die ja vom Golf aus – von einem amerikanischen Luftwaffenstützpunkt – koordiniert wird, und den anderen statt, die dort in dieser Region fliegen und nicht der Koalition angehören.

Das, was an der türkischen Grenze stattgefunden hat, war sicherlich ein Vorgang, der etwas mit Luftbewegungen zu tun hat, die jetzt nicht unbedingt mit Flügen im Kampf gegen den IS zu tun hatten.

Zusatzfrage: Sie sagten „und den anderen“. Gehört dazu auch die syrische Armee, also die Assad-Armee?

Flosdorff: Sie dürfen sich das nicht so vorstellen, dass es bei diesen Informationen um den Boden geht. Dabei geht es um die Luft und darum, wer sich wo in der Luft bewegt. Deutschland gehörte bisher auch nicht zu diesem „inner circle“ der Koalition. Wir werden, wenn wir dort fliegen, wenn wir Luftbetankungen durchführen und wenn wir Tornados schicken, auch in diesen Informationsaustausch eintreten. Aber ich hätte noch nie gehört, dass solche Informationen ausgetauscht werden, wie Sie sie gerade angesprochen haben.

Schäfer: Dass das „deconflicting“ nicht optimal gelöst ist, kann man tragisch an dem erkennen, was letzte Woche im syrisch-türkischen Luftraum mit einer russischen Maschine geschehen ist, und auch daran, dass man sich wünschen würde, dass es da mehr Austausch und mehr Informationen gibt, um so etwas zu vermeiden.

Die syrische Luftwaffe ist in den letzten Monaten im Wesentlichen dadurch aufgefallen, dass sie Fassbomben auf die eigene Zivilbevölkerung abgeworfen hat. Ich kann mir jetzt auf Anhieb beim besten Willen nicht vorstellen, dass es sozusagen einen Vertrauensvorschuss gegenüber der syrischen Luftwaffe gibt, sodass man jetzt – ich weiß es nicht – Informationen über Ziele oder sonst etwas austauscht, weil die Erfahrung, die wir in den letzten fünf Jahren mit der syrischen Luftwaffe gesammelt haben, die ist, dass die eine Art der Kriegsführung betreibt, die wir als abscheulich betrachten und die wahrscheinlich Kriegsverbrechen darstellt, nämlich Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht. Bevor es da zu irgendeiner Form der Kooperation kommt, die ich mir jetzt auf Anhieb in keiner Weise vorstellen kann, muss ganz viel passieren.

Flosdorff: Ich möchte das vielleicht gerade einmal ergänzen, damit das ganz klar ist. Man muss zwei Dinge auseinanderhalten. Das eine ist das „deconflicting“, das heißt, die Frage: Wer bewegt sich zu welcher Zeit durch einen bestimmten Luftraum? Das andere ist ein Informationsaustausch über Aufklärungsdaten, den Sie angesprochen hatten. Das ist eine ganz andere Geschichte. So etwas ist überhaupt nicht geplant, auch nicht ansatzweise, also dass in diese Richtung, die Sie erwähnt haben, irgendwelche Informationen fließen.

Frage: Aus Gründen der Effizienz stelle ich gleich drei Fragen, zwei an das Verteidigungsministerium: Herr Flosdorff, können Sie, weil das damit zusammenhängt, schon sagen, ob sich konkretisiert hat, wie der Einsatz in Mali aussehen wird? Die letzte Zahl war 650, und darüber hinaus gab es, glaube ich, noch nicht so viele Informationen.

Zweite Frage: Wissen Sie schon, wann das Weißbuch 2016 erscheinen wird, beziehungsweise die Frage ist auch – – –

Vorsitzender Szent-Iványi: Pardon, wenn ich einfach einmal dazwischen gehe. Wir waren jetzt noch beim Thema des Mandats.

Zusatz: Ja, aber die Frage nach dem Weißbuch hängt damit zusammen, weil ich fragen wollte, ob die Erkenntnisse im Zusammenhang mit dem Kampf gegen den IS jetzt in das Weißbuch einfließen werden.

Vorsitzender Szent-Iványi: Okay, aber wenn ich noch einmal dazwischenreden darf: Die Effizienz besteht auch nicht darin, dass wir sozusagen in einer Fragerunde gleich drei oder vier Fragen stellen.

Zusatz: Das waren jetzt zwei verschiedene Fragen. Ich kann die auch nacheinander stellen. Wir können auch noch weiterdiskutieren, und dann dauert es noch länger. Aber ich ziehe das auch gerne zurück, weil – – –

Vorsitzender Szent-Iványi: Mali schieben wir dann auf alle Fälle nach hinten. Die Frage zum Weißbuch, bitte!

Zusatzfrage: Mali hängt auch damit zusammen. Okay.

Die dritte Frage ginge an das Innenministerium: Erhöht sich nach Einschätzung Ihres Ministeriums die Terrorgefahr durch diesen Einsatz oder nicht?

Flosdorff: Zum Weißbuch: Es war angekündigt worden, dass das im Sommer nächsten Jahres veröffentlicht werden soll. Zum Weißbuch-Prozess, der bis dahin läuft: Sie dürfen davon ausgehen, dass alles, was es an aktuellen Entwicklungen und Erkenntnissen gibt, die zur Aktualität des Weißbuchs beitragen, auch in diesen Weißbuch-Prozess sowie in die Analyse und die Bewertung einfließen wird.

Plate: Auch die Bundesverteidigungsministerin hat sich ja schon einmal zu dieser Frage geäußert, aber ich kann auch gerne vonseiten des Bundesinnenministeriums noch etwas dazu sagen: Sie wissen sicherlich, dass es in Deutschland ohnehin kein System gibt, wonach die terroristische Gefährdung in Stufen sortiert dargestellt wird, wie es in anderen Ländern der Fall ist. 1, 2 oder 3, Grün, Gelb, Rot oder was auch immer – das gibt es bei uns nicht. Der Bundesinnenminister und auch wir als Sprecher von der Bank haben hier schon mehrfach gesagt, dass Deutschland im Fadenkreuz des dschihadistischen Terrorismus steht und dass die Gefährdungslage unverändert sehr hoch ist. Ich kann nicht erkennen, dass dieser Satz durch das, was geplant ist, in irgendeiner Weise verändert werden müsste.

Frage: Herr Flosdorff, Sie haben eben erneut auf die Ausbildung der Peschmerga und Jesiden verwiesen. Das hat ja andere Stimmen auf den Gedanken gebracht, dieses Angebot der Bundeswehr auf freiwillige Flüchtlinge aus Syrien auszuweiten, die dann mit militärischer Ausbildung zurückgehen könnten, um ihre Heimat freizukämpfen. Ist das rechtlich und praktisch möglich?

Flosdorff: Diese Frage ist noch nicht an das Ministerium herangetragen worden. Ich habe dazu keine Bewertung, die ich Ihnen hier irgendwie mitteilen könnte.

Zusatzfrage: Gibt es andere, die diese rechtliche Bewertung liefern könnten?

Vorsitzender Szent-Iványi: Das ist offensichtlich nicht der Fall.

Frage: Herr Schäfer, hat sich eine Bundesregierung jemals zuvor ohne ein UN-Mandat an einem Krieg beteiligt?

Schäfer: Ich glaube, diese ganze Debatte, die wir hier jetzt führen, und darauf haben Herr Flosdorff und Frau Wirtz völlig zu Recht hingewiesen, sollten wir doch einfach einmal auf den Moment verschieben, an dem es einen Beschluss der Bundesregierung gibt, der dann dem Deutschen Bundestag zur Diskussion vorgelegt wird. Da gehört er hin.

Noch gibt es einen solchen Beschluss der Bundesregierung nicht, sondern eine Ankündigung. Es wird morgen eine Kabinettssitzung geben, in der es, wovon ich ausgehe, einen solchen Beschluss geben wird. Wenn es ihn dann gegeben haben wird – Futur II -, dann werden wir gerne darüber diskutieren. Jetzt gibt es ihn noch nicht. Warten Sie ab. Das Mandat wird dann kommen. Das wird dann im Bundestag ausführlich beraten werden, sicherlich auch unter dem Gesichtspunkt, den Sie angeführt haben.

Zusatzfrage: Ich habe mich nicht auf das Futur bezogen, sondern wollte, auf der Vergangenheit basierend, wissen, ob sich die Bundesregierung jemals an einem Krieg ohne UN-Mandat beteiligt hat. Ich denke dabei zum Beispiel an den Kosovo-Krieg, der, glaube ich, auch ohne UN-Mandat gelaufen ist, wozu Kanzler Schröder selbst gesagt hat, dass das ein Bruch des Völkerrechts gewesen sei. Nimmt die Bundesregierung jetzt also einen Bruch des Völkerrechts für diesen Krieg in Kauf?

Schäfer: Ich habe schon wieder ein Problem mit Ihrer Wortwahl. Sie reden von Krieg.

Zuruf: Frau Wirtz hat das vorhin auch gesagt!

Schäfer: Sie reden von etwas, das es noch gar nicht gibt. Es gibt noch gar keinen Beschluss der Bundesregierung, sondern es gibt einen Plan.

Zuruf: Es geht um die Vergangenheit, Herr Schäfer!

Schäfer: Vielleicht vertagen wir uns doch einfach auf morgen oder auf übermorgen oder auf Freitag, und dann reden wir darüber.

Zuruf: Nein!

Schäfer: Im Übrigen: Wenn es morgen einen Mandatsbeschluss der Bundesregierung geben wird, dann wird es einer sein, hinsichtlich dessen die Bundesregierung zutiefst davon überzeugt ist, dass er im Einklang mit dem Völkerrecht und dem deutschen Verfassungsrecht steht.

Zusatzfrage: Die Frage war: Warum? Wie kommen Sie darauf? Es gibt kein UN-Mandat. Wie soll das also völkerrechtlich in Ordnung sein?

Schäfer: Ich glaube, wir lassen es einfach bei dem bewenden, was ich gesagt habe.

SRS’in Wirtz: Ich würde gerne noch etwas zu dem Zwischenruf sagen: In der Tat – Sie haben gut zugehört – habe ich auf die Frage auch mit dem Wort „Krieg“ geantwortet. Dazu möchte ich aber noch einmal klarstellen, dass Krieg im völkerrechtlichen Sinne natürlich eine Auseinandersetzung zwischen zwei Staaten ist, dass die Bundesregierung aber durchaus davon ausgeht, dass man Krieg im umgangssprachlichen Sinne benutzen kann. Dieses Wort möchte auch ich hier in diesem umgangssprachlichen Sinne verstanden wissen; das nur noch einmal für das Protokoll. Deshalb danke ich für den Zwischenruf.

Zusatzfrage: Frau Wirtz, Herr Schäfer, wenn man anderen Staaten dabei hilft, in Syrien zu bombardieren, was außer einem Krieg soll das dann sonst sein?

SRS’in Wirtz: Ich wollte durch meinen Einschub gerade auch vermeiden, dass wir jetzt in Definitionsdiskussionen gehen. Deshalb habe ich gesagt: Krieg im völkerrechtlichen Sinne hat eine bestimmte Definition. Diese Definition liegt in diesem Sinne nicht vor. Umgangssprachlich kann man sehr wohl das Wort Krieg benutzen. Aber ich denke, hier stehen jetzt andere Fragen als diese definitorischen Fragen im Mittelpunkt.

Schäfer: Noch einmal: Wenn sich die Bundesregierung entscheidet, sich auf der Grundlage eines Mandats des Deutschen Bundestags an den auch militärischen Maßnahmen im Kampf gegen ISIS zu beteiligen, so erfolgt das auf der Grundlage des geltenden Völkerrechts.

Ihre Verengung auf die Frage eines Mandats – ich vermute, damit meinen Sie eine Maßnahme nach Kapitel VII der Vereinten Nationen – ist in diesem Zusammenhang nicht entscheidend, weil es darauf ankommt, ob das, an dem wir uns beteiligen wollen, im Einklang mit dem Völkerrecht steht, oder nicht. Wenn wir morgen diesen Beschluss fassen, dann sind wir davon überzeugt, dass das so ist.

Frage: Herr Schäfer, ich habe noch die Frage, wie die Interpretation im Auswärtigen Amt dazu ist, ob dieser Einsatz hilfreich ist, vielleicht auch nicht hilfreich ist oder aus ihrer Sicht keinerlei Auswirkung auf die Verhandlungen in Wien hat.

Schäfer: Die Frage, die Sie stellen, ist wichtig. Ich denke, dass die deutsche Beteiligung die Chance in sich birgt, dass es auch andere geben wird. Wir haben eben über die syrische Armee gesprochen. Man könnte in diesem Zusammenhang sicherlich auch das russische militärische Vorgehen, ganz bestimmt auch das iranische militärische Vorgehen anführen. Das Ziel ist, all das, was zurzeit gesagt und zum Teil auch getan wird, um ISIS zu bekämpfen, in einem größeren politischen Gesamtkontext so zusammenzubinden, dass daraus etwas wird, was so effizient und so effektiv wie nur irgend möglich dazu führt, ISIS zu bekämpfen und dann auch zu besiegen.

Ich denke, dass das, was wir in den vergangenen Wochen und Monaten erlebt haben – so unzureichend koordiniert es vielleicht gewesen sein mag, was von russischer und auch von anderer Seite getan worden ist -, in der Tat zu einem zusätzlichen politischen, aber auch militärischen Druck auf ISIS geführt hat. Das lässt sich auch objektiv belegen. In Sindschar zum Beispiel, auch in anderen Gegenden des Irak, vielleicht sogar in Syrien spürt man und lässt sich belegen, dass ISIS unter Druck kommt. Wenn auch mit dem zusätzlichen deutschen Engagement im Kampf gegen ISIS andere ebenso bereit sind, sozusagen an einer gemeinsamen politischen Gesamtstrategie zu arbeiten, dann ist das im Kampf gegen ISIS zunächst einmal ein Fortschritt.

Sie haben aber konkret nach Wien gefragt. Der nächste Schritt wäre ein erneutes Treffen der Außenminister derjenigen Staaten, die sich vor zwei Wochen in Wien getroffen haben, gewissermaßen Wien 3. Ob das in Wien sein wird oder anderswo, ist noch nicht endgültig entschieden. Ich gehe aber davon aus, dass die Gruppe der Staaten, die sich um den Wiener Prozess kümmert, noch vor Weihnachten zusammenkommen wird, um zu schauen, welche Schritte es gegeben hat, um das, was am 14. November in Wien beschlossen worden ist, in die Tat umzusetzen.

Im Kern geht es dabei darum, die syrische Opposition zusammenzubringen und auch zu testen, ob die syrische Regierung wirklich bereit ist, das zu tun, was in Wien angekündigt worden ist, etwa vom russischen Auenminister und auch vom iranischen Außenminister, nämlich sich vorbehaltlos auf Gespräche einzulassen mit dem Ziel, eine Übergangsregierung mit vollen exekutiven Vollmachten zu schaffen. Noch einmal: Wer weiß, vielleicht kann der Kampf gegen ISIS dafür sogar ein Katalysator sein.

Frage: Frau Wirtz, Sie haben eben betont, die Bundesregierung will keine politische Lösung mit Assad, aber die staatlichen Strukturen müssen erhalten bleiben. Was heißt das eigentlich genau: „Staatliche Strukturen müssen erhalten bleiben“?

SRS’in Wirtz: Das heißt, dass staatliche Strukturen, dass überhaupt ein in irgendeiner Weise funktionierendes Staatswesen erhalten bleibt und dass nicht durch den Kampf, den es jetzt dort vor Ort gibt, alles zerstört ist und es auch keine Ansprechpartner mehr gibt, mit denen man dann im Rahmen einer Übergangsregierung und eines politischen Prozesses eine Zukunft Syriens planen kann. Das ist damit gemeint.

Zusatzfrage: Ich meine, es war Herr Schäfer, der sehr deutlich gesagt hat, mit der syrischen Luftwaffe kann es keinen Informationsaustausch geben, weil das, was die in den letzten Monaten getan haben, war Fassbombenwerfen, mit so jemandem kann man nicht zusammenarbeiten. Da heißt: Wer hält denn dann die staatlichen Strukturen überhaupt aufrecht? Mit wem können Sie zusammenarbeiten, wenn man sagt, Assad muss auf jeden Fall weg. Wer muss noch weg?

Schäfer: Die Erfahrungen, die wir in der militärischen Auseinandersetzung ab 2003/2004 mit dem Irak gesammelt haben, die Erfahrungen die andere gesammelt haben – am Irakkrieg hat sich die Bundeswehr auch nicht beteiligt -, die wir im Umgang mit der militärischen Auseinandersetzung in Libyen im Jahr 2011 sammeln konnten, zeigen, dass der Zusammenbruch eines staatlichen Gemeinwesens extrem schnell vor sich gehen kann. Sie erinnern sich vielleicht, dass es über Monate hinweg Luftschläge auf Libyen, auf das Gaddafi-Regime gab und plötzlich, innerhalb weniger Tage, alles zusammenbrach. Die Folgen davon erleben wir heute noch, dass wir nämlich heute mit Mühe und Not, mit extrem intensiven politischen und sonstigen Anstrengungen der internationalen Gemeinschaft darum ringen müssen, die verschiedenen Fraktionen, die sich in Libyen eben nicht in einem gemeinsamen Verfassungsgebilde wiederfinden, irgendwie zusammenzubringen, um staatliche Strukturen neu aufzubauen.

Ich denke, es ist inzwischen fast eine Binsenweisheit und wird von amerikanischer Seite auch nicht wirklich bestritten, dass im Irakkrieg auch Fehler im Umgang mit den existierenden staatlichen Strukturen des Baath-Regimes von Saddam Hussein gemacht wurden.

Wir meinen einfach, dass es sich lohnt, diese Beispiele anzuschauen und daraus Schlüsse zu ziehen. Einer der Schlüsse ist, dass man versucht, das zu erhalten, was es an staatlichen Institutionen und Strukturen unterhalb des autoritären präsidialen Regimes der Assads, die ja schon einige Jahrzehnte in Syrien regieren, gibt, weil das etwas sein könnte, worauf sich alle gesellschaftlichen Gruppen in Syrien verständigen können.

Im Übrigen sieht der Fahrplan von Wien, über den wir gerade gesprochen haben, vor, dass es im Laufe der Bildung einer Übergangsregierung und dann irgendwann der Durchführung von Wahlen auch dazu kommen soll, dass sich alle gesellschaftlichen Gruppen in Syrien darauf einigen, einen Verfassungsreformprozess in Gang zu setzen, an dessen Ende eine neue Verfassung für Syrien stünde, aber eben auf der Grundlage all dessen, was wir jetzt noch in einer sehr dramatischen und schwierigen Situation von den existierenden Strukturen erhalten können.

Frage: Eine ganz kurze Nachfrage an Frau Wirtz und Schäfer. Der französische Außenminister Fabius hat heute präzisiert, dass er sich als Bedingung für eine Zusammenarbeit mit den syrischen Truppen vorstellen könnte, dass Assad die Befehlsgewalt abgegeben hat. Könnte das auch für die deutsche Bundesregierung der Punkt sein, ab dem man mit den syrischen Truppen zusammenarbeitet? Also: kein Oberbefehlshaber Assad mehr?

SRS’in Wirtz: Ich denke, im Moment stellt sich diese Frage so nicht. Ich möchte an das anknüpfen, was Herr Flosdorff eben sagte, dass es derzeit keine Zusammenarbeit mit Assad und keine Zusammenarbeit mit Truppen unter Assad gibt. Das ist die Linie der Bundesregierung. So stellt sich die Situation derzeit dar. Ich möchte jetzt nicht weiter darüber spekulieren, welche Konstellation die Bundesregierung wie unterstützen würde. Alles Weitere wird man sehen.

Zusatzfrage: Der Außenminister hat dazu, sozusagen von Amt zu Amt, auch keine andere Position?

Schäfer: Nein, ich habe dem, was Frau Wirtz gesagt hat, überhaupt nichts hinzuzufügen, außer dass ich auf einen Satz verweise, den ich eben gesagt habe: Es ist uns gelungen, in Wien mit Mühe und Not nach vier Jahren vergeblichen politischen Ringens die Personalie Assad nicht zu einer totalen Blockade des politischen Prozesses machen zu lassen. Das gilt. Das ist auch die Position des Außenministers. Das ist überhaupt kein Widerspruch zu dem, was Christiane Wirtz gerade gesagt hat.

Frage: Herr Schäfer, Frau Wirtz, zum Grund für diesen Einsatz. Nachdem französische und belgische junge Männer einen Massenmord in Paris begehen, entscheidet sich die Bundesregierung für einen Einsatz in Syrien. Kann man die Logik der Bundesregierung so verstehen?

SRS’in Wirtz: Wie Sie diese Logik verstehen, möchte ich Ihnen überlassen.

Zuruf: Ich möchte Ihre Logik verstehen!

SRS’in Wirtz: Darf ich kurz ausführen? – Das ist sehr lieb.

Ich kann Ihnen nur sagen, dass wir uns alle, denke ich, sehr gut an das Wochenende und die Anschläge in Paris erinnern, die noch nicht lange zurückliegen, und daran, dass die Bundeskanzlerin dem französischen Präsidenten nach diesen verheerenden Anschlägen jedwede Unterstützung zugesagt hat. Jetzt geht es darum, dass die französische Regierung die deutsche Bundesregierung um Hilfe im Kampf gegen IS gebeten hat. Diese Hilfsbitte hat der französische Präsident in der vergangenen Woche in konkreten Bitten formuliert. Die deutsche Verteidigungsministerin und der deutsche Außenminister haben die grundsätzliche Bereitschaft erklärt. Jetzt geht es darum, dieses Mandat auszuarbeiten. Zur Stunde beraten die Staatssekretäre darüber. Morgen wird es im Kabinett und anschließend im Bundestag Thema sein. So stellt sich die Situation aus meiner Sicht dar.

Zusatzfrage: Die Kanzlerin war schon im gerade angesprochenen Irakkrieg vor etwa zehn Jahren für einen Einsatz der Bundeswehr. Das war damals auch ein völkerrechtswidriger Krieg. Hat die Kanzlerin aus dieser politischen Erfahrung nichts gelernt?

Herr Schäfer, nur eine kurze Frage: Ist der „Islamische Staat“ nach Auffassung der Bundesregierung ein Völkerrechtssubjekt?

SRS’in Wirtz: Zur Frage irgendwelcher Lernfortschritte der Bundeskanzlerin möchte ich mich jetzt nicht verhalten. Ich kann nur noch einmal sagen, dass das Mandat gerade formuliert wird und dass es völkerrechtliche Grundlagen für dieses Mandat gibt. Alles Weitere haben wir, denke ich, hier hinreichend erörtert.

Schäfer: Das, was wir „Islamischer Staat“ nennen, ist weder islamisch, noch ist es ein Staat. Es ist erst recht kein Völkerrechtssubjekt.

Frage: Frau Wirtz, die Kanzlerin hat Ende September in Brüssel gesagt – ich habe das Zitat noch hier -, zur Lösung der Syrienkrise müsse mit vielen Akteuren gesprochen werden, auch mit Assad. Ist das nach wie vor die Position der Kanzlerin?

SRS’in Wirtz: Ich kann nur an das anschließen, was Herr Schäfer eben ausgeführt hat, dass es jetzt im Wesentlichen darum geht, im Wiener Prozess einen politischen Prozess voranzutreiben. Wie Herr Schäfer eben ausgeführt hat, ist der Wiener Prozess auch deshalb ein großer Erfolg, weil man die Frage: „Assad, ja oder nein?“, die Frage, wie auch immer sich die Zukunft Assads gestaltet, erst einmal ausgeklammert hat. Ich kann nur noch einmal sagen, auch für die Bundesregierung, dass es einerseits darum geht, eben nicht die ganze Staatlichkeit in Syrien zu zerstören, sondern etwas zu haben, an das man anknüpfen kann, damit es überhaupt eine Zukunft in irgendeiner Form geben kann, und dass man andererseits davon getrennt die Frage der Zukunft Assad regeln muss.

Schäfer: Nur als Ergänzung: Natürlich wird mit Assad geredet, und zwar vom Vertreter der internationalen Gemeinschaft, nämlich vom Sonderbeauftragten der Vereinten Nationen, Staffan de Mistura. Ich weiß nicht, wie viele Male er schon in Damaskus gewesen ist und mit Assad geredet hat. Natürlich muss mit ihm geredet werden. Es gibt weder Grund noch Anlass, dass wir oder andere das zurzeit tun, sondern das tut er, weil es sein Job ist, der ihm von Wien mit auf den Weg gegeben worden ist, der auch Teil seines Mandats ist, dafür zu sorgen, dass es bald die Gespräche zwischen Vertretern der syrischen Regierung einerseits und den Vertretern der syrischen Opposition andererseits gibt mit dem Ziel, so schnell wie irgend möglich, am besten innerhalb von sechs Monaten, eine Übergangsregierung zu bilden. Das geht gar nicht, ohne dass man mit dem Regime in Damaskus redet. Wie soll das sonst gehen? Sie müssen sich ja auf etwas einigen.