Länger in Afghanistan – aber noch keine Details

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Nachdem US-Präsident Barack Obama am (gestrigen) Donnerstag angekündigt hat, dass die US-Truppen länger als bisher geplant in Afghanistan bleiben, ist klar: Auch die Bundeswehr wird länger bleiben. Aber wie das konkret aussieht und wie das neue Mandat aussehen wird, wenn die derzeitige vom Bundestag gebilligte Entsendung zur Mission Resolute Support zum Jahresende ausläuft… das bleibt noch recht vage.

Dazu aus der heutigen Bundespressekonferenz das Video vom Kollegen Tilo Jung (die Abschrift liegt bislang noch nicht vor; wird nachgetragen unten):


(Direktlink: https://youtu.be/K8uHxCW8waY)

Während wir auf das Transkript warten, können wir ja mal eine Analyse der Ereignisse rund um Kundus in den vergangenen Wochen lesen: The fall and recapture of Kunduz vom Afghanistan Analysts Network.

Nachtrag 19. Oktober: Wie Reuters aus NATO-Kreisen erfuhr, haben Deutschland, Italien und die Türkei bereits die weitere Präsenz in Afghanistan zugesagt:

Germany, Turkey and Italy are set to keep their deployments in Afghanistan at current levels, senior NATO officials said on Monday after the U.S. government decided to prolong its 14-year-old military presence there. (…)
Gen. Philip Breedlove, NATO’s top commander in Europe, said he had assurances that NATO countries will continue alongside the nearly 10,000 U.S. troops in Afghanistan. While discussions of exact numbers are still continuing, the biggest national deployments are not in doubt, he said.
„Several of our largest contributors have already communicated with us that they will remain in their current posture,“ Breedlove told Reuters.
He declined to give details. But a second senior NATO official said Germany, Turkey and Italy were willing to remain in Afghanistan at their current levels.

 

Und noch nachgetragen: Die Abschrift der Fragen und Antworten aus der Bundespressekonferenz (aus dem obigen Video), mit Martin Schäfer für das Auswärtige Amt, Regierungssprecher Steffen Seibert und Boris Nannt für das Verteidigungsministerium:

FRAGE : Ich würde gern das Verteidigungsministerium und das Außenministerium in Sachen Afghanistan ansprechen. Da bremst US-Präsident Obama jetzt den Rückzug. Auch Frau von der Leyen hat schon angedeutet, dass die Bundeswehr dort länger bleiben könnte. Wie genau wird sich das jetzt in „Resolute Support“ weiterentwickeln und äußern?

DR. SCHÄFER: Das ist eine Frage, die wir jetzt noch nicht in toto beantworten können. Zunächst einmal gilt das, was für die Bundesregierung dazu von der Verteidigungsministerin und auch vom Außenminister gestern nach der Pressekonferenz von Präsident Obama gesagt wurde: Wir begrüßen diese Entscheidung, weil sie, so glauben wir, im Einklang steht mit den Notwendigkeiten der Sicherheitslage in Afghanistan und unserem Ziel, der afghanischen Regierung und den Menschen in Afghanistan weiter zur Seite zu stehen.

Dazu gehört unser großes ziviles Engagement. Dazu gehört aber auch, dass Afghanistan weiter Hilfe durch Beratung und Ausbildung in seinen Sicherheitsstrukturen braucht.

Präsident Obama hat in der Tat angekündigt, dass die Vereinigten Staaten von Amerika über das Jahr 2016 hinaus planen und beabsichtigen, ihre Militärpräsenz in Afghanistan aufrecht zu erhalten, wenn auch mit reduzierten Zahlen. Das setzt uns jetzt nach den Beratungen, die wir mit unseren Partnern und auch mit Washington in den letzten Monaten geführt haben, in die Lage, selber konkret zu planen. Es galt immer in Afghanistan das Prinzip „gemeinsam rein und gemeinsam raus“. Nur so macht das auch Sinn. Das bedeutet jetzt: Das „gemeinsam raus“ wird weder 2015 noch 2016, sondern irgendwann jenseits von 2017 erfolgen können, und zwar hoffentlich erst dann, wenn die afghanischen Sicherheitskräfte vollends in der Lage sind, die Sicherheit des Landes in die eigenen Hände zu übernehmen.

Die Beratungen im Kreise der Partner von Resolute Support, das heißt in der NATO, laufen jetzt weiter. Sie sind ja vorher schon geschehen. Der Plan ist, dass bis zum Treffen der Außenminister der NATO beziehungsweise bis zum Treffen der Außenminister der Mitgliedstaaten von Resolute Support das ist für den letzten Monat im Jahr geplant, für Anfang Dezember, glaube ich; ein genaues Datum kann ich Ihnen nachreichen, wenn Sie möchten die Vorbereitungen so weit abgeschlossen sind, dass dann die politische Entscheidung darüber fallen kann, wie mit Resolute Support weiter umgegangen wird. Die Haltung der Bundesregierung haben Sie, wie gesagt, gestern den Äußerungen der beiden Minister entnommen. Sie sind der Meinung, dass es vernünftig ist, Resolute Support und damit auch das deutsche militärische Engagement in Afghanistan zu verlängern.

Was das in concreto bedeutet, wie viel Mann oder Frau Soldaten damit verbunden sind, das sind alles Fragen, die jetzt mit den Partnern besprochen werden müssen, weil es natürlich darum geht, ein schlüssiges verantwortbares Gesamtkonzept der militärischen Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft für Afghanistan auf die Beine zu stellen. Da sind wir jetzt gut im Zeitplan. Das wird dann sicherlich Anfang Dezember endgültig indossiert werden können.

STS SEIBERT: Ich möchte, wenn ich darf, ganz kurz, weil das wirklich eine sehr wichtige Angelegenheit ist, auch im Namen der Bundeskanzlerin einstimmen. Sie begrüßt diese gestrige Ankündigung von Präsident Obama zum künftigen Engagement der USA in Afghanistan ausdrücklich. Diese Ankündigung ist ein wichtiges Zeichen an die internationale Gemeinschaft, ein wichtiges Zeichen an die Bündnispartner der USA, aber vor allem ein wichtiges Zeichen an die afghanische Bevölkerung.

ZUSATZFRAGE: Herr Dr. Schäfer, Sie sagen, was das konkret heißt Soldaten, Soldatinnen , müsse alles mit den Partnern besprochen werden. Ist aber trotzdem jetzt schon vorstellbar, dass nicht nur Abzüge gebremst werden, sondern auch wieder aufgestockt wird? Das ist meine eine Frage.

Die andere Frage: Gibt es denn konkrete Planungen? Das wäre ja für die Bundestagszustimmung nötig.

DR. SCHÄFER: Die Mandate des Deutschen Bundestages sind grundsätzlich immer auf zwölf Monate angelegt. Das ist auch im Falle Afghanistans so. Es hat einmal eine Ausnahme in den letzten Jahren gegeben, als es aus Gründen des internationalen Kalenders erforderlich war, ein Mandat über 15 Monate zu verabschieden. Wir haben zwölf Monatsrhythmen. In diesem regelmäßigen Rhythmus wird selbstverständlich die Bundesregierung den Bundestag, falls erforderlich, um eine Verlängerung des Mandats bitten. Ich bitte Sie um Verständnis, dass wir zum jetzigen Zeitpunkt hier noch keine konkreten Äußerungen über Mandatssollstärken, Mandatsobergrenzen oder konkrete Planungen machen schlicht und ergreifend deshalb, weil es davon abhängt, in welchem Gesamtkonzept sich das Ganze bewegen wird.

VORS.: Vielleicht möchte das Verteidigungsministerium ergänzen.

NANNT: Ich habe keine Ergänzung dazu.

FRAGE: Ich habe in Erinnerung, dass derzeit die Mandatsstärke auf 850 festgelegt ist. Wie viele sind es denn im Moment konkret, die in Afghanistan sind? Ist diese Obergrenze ausgefüllt?

NANNT: Wir haben die Mandatsobergrenze von 850. Wir sind derzeit etwas darüber. Durch Kontingentwechsel, aber auch durch den Rückbau, den wir jetzt in Termez in Usbekistan machen, sind wir bei etwa 890 Soldaten. Das ist aber nur zeitweise.

FRAGE: Herr Schäfer, neben Ihrem Mantra „gemeinsam rein, gemeinsam raus“ das ist ja so eine Art „mitgehangen, mitgefangen“ gibt es aus Sicht der Bundesregierung gute Gründe, warum die Bundeswehr neben dieser Allianz in Afghanistan bleiben muss? Was kann die Bundeswehr da schaffen, was sie in den letzten 14 Jahren nicht geschafft hat?

DR. SCHÄFER: Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nicht so, dass die internationale Gemeinschaft wie wir seit gestern wissen, auch die Vereinigten Staaten von Amerika der Meinung wäre, dass man Afghanistan jetzt schon einfach seinem eigenen Schicksal überlassen könnte. Die Schritte, die wir in den letzten Jahren im Grunde seit der Londoner Afghanistan-Konferenz 2010 gegangen sind, nämlich das militärische Engagement der internationalen Gemeinschaft langsam, aber sicher zurückzufahren und gleichzeitig Sorge dafür zu tragen, dass die afghanischen Sicherheitsbehörden, die Polizei und das Militär in die Lage versetzt werden, das, was von der internationalen Gemeinschaft nicht mehr gemacht werden sollte, zu übernehmen, das alles haben wir über Jahre hinweg sehr sorgfältig geplant und haben damit auch das glaube ich, guten Gewissens sagen zu können einige Erfolge erzielt.

Die afghanischen Sicherheitskräfte sind grosso modo in der Lage, die Sicherheit des Landes zu gewährleisten. Über den Fall Kundus haben wir hier in den letzten Wochen ja des Öfteren gesprochen. Das können wir gern noch intensivieren, wenn Sie das wollen.

Aber ich glaube so hat es der amerikanische Präsident auch gestern zum Ausdruck gebracht , es geht jetzt darum, all das, was in 14 Jahren in Afghanistan erreicht worden ist an sozialen Errungenschaften, an Rechten der Frauen, an Schulbildung für Kinder, an Wiederaufbau von Infrastruktur nach einem Bürgerkrieg, der im Grunde seit dem Ende der Siebziger Jahre angedauert hat , nicht aufs Spiel zu setzen und noch etwas mehr Zeit, Geld und auch politisches Engagement zu investieren, damit das nicht verlorengeht, sondern den Menschen in Afghanistan erhalten bleibt. Es bleibt unser Ziel, dauerhaft dafür Sorge zu tragen, dass in Afghanistan nicht mehr Chaos und Anarchie aufkommen, dass Afghanistan nie mehr ein Hort des internationalen Terrorismus werden kann, so wie das im letzten Jahrzehnt noch der Fall gewesen ist. Wir sollten uns gemeinsam mit der internationalen Gemeinschaft wirklich dafür engagieren, dem Land auf die Beine zu helfen, den Menschen Perspektiven zu geben und für eine soziale und wirtschaftliche Entwicklung und Frieden zu sorgen.

NANNT: Vielleicht noch eine Ergänzung dazu: Wir haben in den letzten Jahren zusammen mit unseren nationalen und internationalen Partnern über 350.000 afghanische Sicherheitskräfte aufgebaut.

Was jetzt wichtig ist, weil Sie ja auch die Frage stellten, was die Bundeswehr da noch leisten kann: Wir haben jetzt eine Ausbildungs- und Beratungsmission. Das heißt, wir haben die Quantität an afghanischen Sicherheitskräften. Aber es ist natürlich auch wichtig, dass man weiterhin die Qualität herstellt. Da ist unsere Beratungs- und Ausbildungsleistung, die wir jetzt zum Beispiel ganz speziell in Masar-e-Scharif leisten, unheimlich wichtig. Da sollte man da kann ich den Worten von Herrn Schäfer nur zustimmen das, was man erreicht hat, nicht gefährden.

ZUSATZFRAGE: Ich habe noch einmal eine Frage zu Kundus. Sie hatten das ja gerade angesprochen. Herr Nannt, mich würde interessieren, ob deutsche Soldaten Teil des NATO-Teams sind, das den Luftangriff auf die „Ärzte ohne Grenzen“-Klinik untersuchen wird?

NANNT: Sie hatten keine deutschen Soldaten dabei.

ZUSATZFRAGE: Würden Sie sich wünschen, dass deutsche Soldaten dabei sind? Denn man würde sich ja quasi, wenn es um Kriegsverbrechen geht, eine unabhängige Untersuchungskommission wünschen, die zum Beispiel nicht aus Amerikanern besteht?

NANNT: Ich bin hier nicht dazu da, um hier Wünsche zu äußern. Wie gesagt: Wir sind bei der Untersuchung nicht dabei. Das wurde in verschiedene Bereiche aufgeteilt. Das wird jetzt auch im Bereich Resolute Support untersucht. Sie können sicher sein, dass diesem Vorfall genau nachgegangen wird.

FRAGE: Hat Sie die gestrige Äußerung oder Erklärung von Präsident Obama sehr überrascht? Das klingt fast so aus Ihren Darlegungen.

DR. SCHÄFER: Nein, sie hat uns gar nicht überrascht. Wir haben ja in den letzten Monaten intensiv hinter den Kulissen mit unseren Partnern und insbesondere mit Washington über all diese Fragen beraten. Es war klar, dass die Entscheidung für den amerikanischen Präsidenten nicht leicht sein würde, weil sie ja auch damit zu tun hat, mit welchen Versprechen er gegenüber seinem amerikanischen Wahlvolk angetreten war.

Ich denke, man kann da durchaus sagen, dass auch die Haltung der Bundesregierung, die wir in den letzten Monaten immer wieder auf ganz unterschiedliche Art und Weise mit der amerikanischen Regierung ausgetauscht haben, eine Rolle dabei gespielt hat, dass der amerikanische Präsident sich gestern öffentlich so eingelassen hat, wie er das getan hat.

ZUSATZFRAGE: Herr Nannt, schließen Sie in diesem Zeitpunkt aus, dass deutsche Soldaten, wenn der Einsatz dort geplant wird, nicht nur als beratende Kräfte dort sein werden, sondern auch als kämpfende?

NANNT: Ich glaube, die Antwort hat gerade Herr Schäfer schon in der ersten Antwort gegeben, dass wir jetzt dabei sind, das gemeinsam mit unseren Partnern abzustimmen. Wir haben eine Zeitlinie Anfang Dezember. Dort findet das NATO-Außenminister-Treffen statt. Alles Weitere muss man jetzt besprechen.

ZUSATZFRAGE: Also Sie schließen es nicht aus in diesem Zeitpunkt?

NANNT: Grundsätzlich schließe ich hier nie Antworten aus.

Wie gesagt: Wir haben jetzt diesen Zeitplan, der läuft. Alles Weitere werden wir dann sehen. Aber wichtig das habe ich auch mit der Antwort an Herrn Jung noch einmal betont ist einfach diese Ausbildungs- und Beratungsgeschichte, die entscheidend für die weitere Qualität der afghanischen Sicherheitskräfte ist.

DR. SCHÄFER: Ich glaube, es gibt Konsens innerhalb der internationalen Gemeinschaft, nicht in den Status quo ante zurückzukehren, sozusagen wieder einen festen Kampfeinsatz in der NATO oder mit irgendwelchen internationalen Allianzen zu beginnen.

(Archivbild: Bei der Übergabe des PRT Kundus am 6. Oktober 2013 – ISAF Regional Command North)