Mehr als eine halbe Mrd Euro für die Bundeswehr – zur Bewältigung von Altlasten
Verteidigungs- und Haushaltsausschuss des Bundestages befassen sich am (heutigen) Mittwoch mit Ausgaben von weit über eine halbe Milliarde Euro für die Bundeswehr. Für die Streitkräfte bitter: Der weitaus überwiegende Teil des Geldes kommt nicht etwa der Truppe für neues Gerät oder Ausrüstung zugute. Sondern ist Steuergeld, mit dem Fehler der Vergangenheit bereinigt werden sollen oder müssen.
Der größte Brocken ist die Sanierung eines vermeintlichen Schnäppchens. 2004 nahm die Bundeswehr der niederländischen Marine acht Seefernaufklärer des Typs Lockheed Orion P-3C ab (Foto oben). Die geplanten Beschaffungskosten mit Zubehör betrugen zunächst knapp 300 Millionen Euro, später stiegen sie auf mehr als 400 Millionen.
Jetzt wird für diese Flugzeuge mehr als eine halbe Milliarde Euro sozusagen an Reparaturkosten fällig. Die Einrüstung neuer Tragflächen und Leitwerke schlägt nach der Vorlage für den Haushaltsausschuss mit 292,4 Millionen zu Buche, hinzu kommt die Erneuerung der Missionsavionik für 218,33 Millionen und ein Mustereinbau (hm, da weiß ich gar nicht so genau, was damit gemeint ist) zum Erhalt der Instrumental Flight Rules, also des Instrumentenfluges, für 58 Millonen Euro.
Unterm Strich also für die Sanierung mehr Geld, als die gebrauchten Maschinen ursprünglich gekostet haben. Eine Übersicht über die Kosten – vor der heutigen Entscheidung! – hatte Spiegel Online im Februar mal veröffentlicht.
Ein weiterer massiver Ausgabenposten ist ebenfalls ein Geschäft, das mal als gut angesehen wurde: Die ausgelagerte Beschaffung von Bekleidung für die Truppe wird zurückgekauft. Zwar zahlt das Verteidigungsministerium für die in wirtschaftliche Schieflage geratene Bekleidungsgesellschaft LHBw, wie bereits im März ausgehandelt, nur einen symbolischen Euro. Doch mit diesem Kauf sind zusätzliche Ausgaben von 75,46 Millionen Euro verbunden, unter anderem 38,6 Millionen Euro Verbindlichkeiten, knapp neun Millionen Rückzahlung Gesellschafterdarlehen und ähnliches.
Und darüber hinaus kommen auf die Bundeswehr 51,76 Millionen Euro für die zusätzliche Beschaffung von Bekleidung und persönlicher Ausrüstung zu – unter anderem knapp 17 Millionen für Ersatzbeschaffung, 7,57 Millionen für neue Erstbeschaffungen und 12,5 Millionen für Schutzwesten. Aber auch 7,3 Millionen für Beraterleistungen.
Dagegen sind die anderen Ausgaben, über die der Haushaltsausschuss befinden soll, ja direkt gut angelegtes Geld. 218,33 Millionen kostet die deutsche Beteiligung an einer deutsch-französischen Kooperation für Aufklärungssatelliten – das schießt Deutschland für die französischen optischen Satelliten zu (was auch schon zu erregten politischen Debatten geführt hatte, weil es die Ansicht gibt, das sollte Deutschland doch lieber in eigene Satelliten investieren). Und für die Unterauftragnehmerverträge beim IT-Projekt Herkules sind 238 Millionen Euro vorgesehen.
Von der Tagesordnung abgesetzt wurde übrigens die Forderung des Turbinenherstellers MTU, der eine Kompensation für die Triebwerke der nun nicht abgenommenen Eurofighter der Tranche 3B verlangt hatte. Das Thema scheint ein Dauerbrenner.
All diese Zahlen muss man sich mühsam zusammensuchen – die jeweiligen Punkte stehen zwar auf den Tagesordnungen der Ausschüsse. Aber so ziemlich ohne Details und schon gar nicht mit einer öffentlichen Erläuterung aus dem Ministerium, was da mit unseren Steuergeldern so angestellt wird. Deshalb die Erläuterung von einem Haushälter der Opposition, Tobias Lindner von den Grünen:
Das Ministerium modernisiert die Seefernaufklärer P-3C Orion für eine halbe Milliarde Euro. Dafür gibt es neue Tragflächen, neue Missions- und Flugelektronik. Der Bundesrechnungshof hat einen Bericht dazu verfasst und warnt vor Risiken in dem Vorhaben, kritisiert die gewählte Konsortiallösung, die eine klare Verantwortlichkeit seitens der Industrie verhindert und moniert Abweichungen von bundeswehrinternen Beschaffungsvorgaben. All dies erkennt die Bundeswehr zwar an, wischt die Kritik jedoch mit dem lapidaren Hinweis auf Zeitdruck und die Einschätzung, dass das Projekt risikoarm sei, zur Seite. Dieser Vertrag steht im Widerspruch zu den Ankündigungen der Ministerin, künftig auf eine angemessene Risikoverteilung, gute Verträge und klare Verantwortlichkeiten zu achten.
Die Verstaatlichung der LHBw wirkt eher als „Schrecken ohne Ende“ als ein „Ende des Schreckens“. Mit jedem neuen Bericht steigen die Kosten für die Rettung der Bekleidungsgesellschaft weiter; hinzukommt ein plötzlicher Mehrbedarf für Bekleidung von 50 Millionen, den das Ministerium erklären muss. Für Beratungsleistungen werden nun 7,3 Millionen anstatt wie angekündigt 1,83 Millionen Euro fällig. Wenn die Übernahme für einen Euro inzwischen Kosten von mehr als 120 Millionen verursacht, dann ist das alles andere als ein guter Deal. Ursula von der Leyen und ihr Ministerium haben sich über Monate hinweg nicht um das Chaos bei der LHBw gekümmert, bis ihnen der ganze Laden um die Ohren geflogen ist. Die teure Rettung, die das Ministerium jetzt durchführen muss, ist kein verantwortungsvoller Umgang mit dem Geld der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler.
und Lindners Fazit (einschließlich des Hinweises auf einen Bericht zur Hubschrauberbeschaffung, der dem Haushaltsausschuss ebenfalls heute zur Kenntnisnahme vorgelegt wird):
Sowohl beim Vorhaben Orion als auch bei den Hubschraubern wird deutlich, dass die Ministerin ihrem eigenen Anspruch nicht gerecht wird. Ihr selbst gepflegtes Image der „Alles-besser-Macherin“ bekommt erste Kratzer. Beim Hersteller der Hubschrauber konnte sie den „Resident Engineer“ nicht unterbringen, den sie noch im Spätjahr als große Verbesserung bei diesem Rüstungsprojekt öffentlichkeitswirksam gepriesen hat. Beim P-3C Orion schließt sie Verträge ab, bei denen es auch seitens des Bundesrechnungshofs erhebliche Zweifel am Vertragskonstrukt gibt. Frau von der Leyen wird schon jetzt ihrem eigenen Anspruch eines besseren Rüstungsmanagements nicht gerecht.
(Archivbild: Orion P-3C der Deutschen Marine bei der ILA 2012 – Bundeswehr/Schulze)
(Übertragen aus FaceBoook-Parallelthread, Kommentar vom 01. Juli um 17:14)
Beim P-3C Orion würden in Anbetracht der insgesamt 668.840.000 € an „Sanierungskosten“ schon einmal die Jahresflugleistungen der 8 Maschinen und die DOC (variable bzw. mengenabhängige Betriebskosten Kosten) sowie IOC (fixe bzw. sprungfixe Kosten wie AfA, Kapitalverzinsung, Infrastrukturkosten, etc., die reziprok in die Kosten pro FlugStunde einfliesen) und deren Spezifizierung binnen der letzten 10 Jahre seit Erwerb interessieren.
Bei den IOC gibt dieses Sümmchen (Nachinvestition!), welches deutlich über dem ursprünglichen Invest von ca. 441.520.000 € liegt, einen ganz dumpfen Schlag! Es sind nunmehr ca.1.110.360.000 € zu verbuchen. Damit dürften Gesamtkosten pro Flugstunde von knapp 100.000 € (!) zusammen kommen und den bisherlgen Spitzenreiter T€uro-Fighter deutlich übertreffen.
Wenn der Spiegel bereits am 14.02.2015 in http://www.spiegel.de/…/bundeswehr-seeaufklaerer-orion… schrieb: „Trotz der hohen Wartungskosten waren Ende Januar lediglich drei der acht „Orions“ einsatzbereit, die übrigen befanden sich in verschiedenen Stadien der Inspektion. Eines der Flugzeuge hat seit 2006 sogar nur zweieinhalb Flugstunden absolviert – seine Instandsetzung wurde laut Bericht aufgrund von „fehlenden Kapazitäten bei der systembetreuenden Industrie“ verschoben, bis alle anderen Maschinen bearbeitet wurden. Die Maschine soll nun im März 2016 fertig sein – also zehn Jahre nach dem Kauf.“ , kann man sich vorstellen, was das für eine tolle Kosternrechnung ergibt.
Auch der Fall P-3C Orion wird UvdL und den Inspekteur Marine samt der „stromlinenförmigen Ampelliste“ beim Rüstungsboard im Herbst einholen. Da wurde ein dicker Grüner Punkt für einen „Buchbestand“ von 8, für einen „Verfügungsbestand“ von 5, für „Ausb & Einsaz verfügbar“ von 2 LFZ und für einen kommentarlos fehlenden Flieger vergeben! Wie sagte doch Admiral Schimpf seinerzeut so schön im Interview mit dem Hardthöhen Kurier, „die acht Seefernaufklärer P-3C ORION komplettieren den Bestandteil der fliegenden Flotte“. Er meinte bestimmt den Buchbestand.
(automatisch angehängte Grafik und Link: Bild und Artikel des verlinkten Spiegel-Berichts)
(aus der AG-Facebook-Page vom 3 Juli, um 12.48)
@Lars Maassen, @all: […..] dann diskutieren wir eben hier unter offenen Namen weiter. [….] und der Troll hat genau das Gegenteil von dem erreicht, was er offenbar in seiner Primitivität beabsichtigte.
Nach erster Kosteneinschätzung lag ich beim P-3C- ORION zunächst irgendwo zwischen 80.000 € und 100.000 an Kosten pro Flugstunde nach der großen Sanierungsmaßnahme von knapp 700 Mio. €. Das Schwierige bei solch einer Beurteilung liegt nämlich darin, daß sich die kalkulatorische AFA nebst der kalkulatorischen Zinsen ganz wesentlich vom bilanziellen und steuerlichen Ansatz unterscheiden. Bemessungsgrundlage für die kalkulatorischen Abschreibungen sind der tatsächliche Werteverzehr bzw. die Wiederbeschaffungskosten oder Wiederherstellungskosten. Kalkulatorischen Abschreibungen sind nicht für die unterjährige Abgrenzung der handels- oder steuerrechtlichen Abschreibungen gedacht, sondern es wird so lange „technisch abgeschrieben und verzinst (samt Inflations- bzw. Preissteigerungsraten)“, bis der Lebenszyklus und damit die Nutzung des Investitionsguts erschöpft ist.
Dennoch wird es nicht ganz so katastrophal, als zunächst gedacht, denn aus dem „Nachinvest“ resultiert eine Verlängerung der Nutzungsdauer bis über 2025 hinaus, sodaß die „kalkulatorische AFA-Zeit der Anschaffungs-Investition (441.520.000 €)“ sich verlängert und wenigsten teilweise die drastisch erhöhte „technische AfA“ nebst Kapitalzins der „Sanierungs-Investition (668.840.000 €)“ kompensiert. Überschlägig (so etwa ± 10%) komme ich da nach genauerer Betrachtung auf zukünftige Kosten von ca. 71.000 €/FlgStD/AC ab 2015/16 (ohne Inflation). Damit werden die 70.011 € wie im VMBl 1/2012 ausgewiesen zwar wieder überschritten, aber der EuFi mit ca. 82.000 €/FlgStD/AC wird doch noch nicht erreicht.
Interessant sind im Vergleich auch die moderaten Kosten von A350, A319, A 319 und Global 5000. Diese werden allerdings durch die Lufthansa-Technik (und im Fall der Global 5000 von der LH und Bombardier gemeinsamen Tochter) gewartet und eben nicht durch ein „Potpourie aus bevormundeter Truppe, H&H-Lieferanten sowie Zeitarbeitsfirmen“. Ferner war die ganze P-3C-ORION-Chose längst seit Anfang 2011 im vollen Umfang dem BMVg bekannt (vgl. https://www.bundesrechnungshof.de/de/veroeffentlichungen/bemerkungen-jahresberichte/jahresberichte/2010-weitere-pruefungsergebnisse/2011-pressemitteilung-aktuelle-pruefungsergebnisse-in-den-bereichen-krankenkassen-steuern-konjunkturhilfen-marine-verkehr-und-bau).
TDM und SB haben aber offenbar auch dieses Problem per „Papierlage, Aktentasche und Büroklammer“ vor sich hergeschoben, scheinbar eine Investitionssperre verhängt und jetzt kommt eben für dieses Laizer Faire die heftige Quittung, denn „die Summe aller Laster = konstant“. Anders ist auch der in dem angehängten EXCEL-Diagramm (vgl https://www.yumpu.com/de/document/view/39930206/kosten-pro-flugstd-im-jeweiligen-jahr ) deutliche Kosteneinbruch bis bzw. in 2013 bei den P-3C ORION nicht erklärbar. Hoffentlich hat man mit dieser künstlich niedrigen Planzahl nicht den Verteidigungsausschuß und den Haushaltsauschuß am vergangenen Mittwoch abgespeist?!
Wie gesagt der nächste Rüstungsboard nach den Parlamentsferien wird spannend und könnte zur (Koalitions-) Krise ausarten. Die Kostensituation beim Fliegenden Gerät der Bw ist insgesamt desatrös und weitaus katastrophaler als in 2014 mittels „Ampellisten“ und „KPMG-Wertungen“ samt großem Presse-Tam-Tam schön geredet! Genau das trifft aber die Verantwortung von UvdL und KS sowie deren unmittelbaren Führungskreis! Mit „FKK, Medienrummel und Selbstdarstellung“ allein, ist es also in sachen Sanierung der Bw längst nicht mehr getan.
Und ob die Führung des BMVg und der Bw als auch ein großer Anteil der Parlamentarier tatsächlich bewußt zwischen bilanzieller und kalkulatorischer AfA differenzieren (können), wage ich da sehr zu bezweifeln.
So regionale Bauvorhaben wie der „Triebwerksteststand“ (vgl. hddttps://www.bundesrechnungshof.de/de/veroeffentlichungen/bemerkungen-jahresberichte/jahresberichte/2014/teil-iii-einzelplanbezogene-entwicklung-und-pruefungsergebnisse/bundesministerium-der-verteidigung/langfassungen/2014-bemerkungen-nr-49-ausgaben-von-11-2-mio-euro-fuer-unnoetigen-triebwerkteststand-vermeiden ) und das Schaffen von Arbeitsplätzen (deren Wertschöpfung allerdings u.a. in Süddeutsche Regionen fällt) erscheinen da für den „strukturschwachen“ Wahlkreis Cuxhaven-Stade und den entsprechenden StS im BMVI wohl wichtiger. Gilt bei diesem doch eher das Brechstangenmotto „Dat geiht nich, gifft dat nich!“
(Man vgl. die „ICAO-SAR-Tragikkommödie bezüglich NH90-SEA LION (SAR-See) und H 135 T2+ (SAR- Land).
@Thomas Melber: Man fragt sich wirklich, dann die weuteren ca 200 Mio. € für die Fertigentwicklung bis FOC des „Juwels“, das da drin ist, mit dem man sehr schön gucken und schauen kann“ wie der exMinisteriumssprecher Stefan Paris (TDM-Era) auf der BPK sagte, sind da noch nicht dabei!
Und wo sind die definitiven zulasungsrechtlichen Unterschiede zwischen EuroHawk und TRITON, ausser auf dem Papier des LufABw? Da sollten sich die Damen UvdL und KS nebst deren Ghost Writer vielleicht bis zum Rüstungsboard noch etwas Plausibles einfallen lassen!
:>)
Die P3 „Steh“ ist die späte Rache der Holländer für das verlorenen WM Finale 1974.
Meine fliegenden Kameraden westlich der deutschen Grenz lachen noch immer über diesen Deal…:-)
Herr Wiegold, wurde eine genauere Aufstellung darüber veröffentlicht wie sich die 51,67 Mio € im Detail zusammensetzen ? Also was sich z.B. hinter den 17 Mio € Ersatzbeschaffungen verbirgt oder auch was hinter den rund 8 Mio € Erstbeschaffung steckt ?
Danke im Voraus
@Labacco
Diese Aufstellung habe ich leider (noch) nicht.
Ah ok, trotzdem danke !
Indien kann/will es sich leisten, die Beschaffung der P-8 mit 4 EA.
http://www.defensenews.com/story/defense/air-space/2015/07/15/india-boeing-p8-maritime-surveillance/30181931/
Bei der Boeing P-8 Poseidon handelt es sich um ein Seefernaufklärungs- und U-Boot-Jagdflugzeug der United States Navy (Multimission Maritime Aircraft [MMA]).
Na, immerhin, nachdem es sonst eher üblich zu sein scheint, Geschäfte so zu verschleppen, bis sie keine mehr sind… ;-)
http://www.janes.com/article/52874/indian-navy-officials-accuse-mod-of-dragging-feet-in-s-70b-purchase