Mehr als eine halbe Mrd Euro für die Bundeswehr – zur Bewältigung von Altlasten

Orion_P-3C_ILA2012

Verteidigungs- und Haushaltsausschuss des Bundestages befassen sich am (heutigen) Mittwoch mit Ausgaben von weit über eine halbe Milliarde Euro für die Bundeswehr. Für die Streitkräfte bitter: Der weitaus überwiegende Teil des Geldes kommt nicht etwa der Truppe für neues Gerät oder Ausrüstung zugute. Sondern ist Steuergeld, mit dem Fehler der Vergangenheit bereinigt werden sollen oder müssen.

Der größte Brocken ist die Sanierung eines vermeintlichen Schnäppchens. 2004 nahm die Bundeswehr der niederländischen Marine acht Seefernaufklärer des Typs Lockheed Orion P-3C ab (Foto oben). Die geplanten Beschaffungskosten mit Zubehör betrugen zunächst knapp 300 Millionen Euro, später stiegen sie auf mehr als 400 Millionen.

Jetzt wird für diese Flugzeuge mehr als eine halbe Milliarde Euro sozusagen an Reparaturkosten fällig. Die Einrüstung neuer Tragflächen und Leitwerke schlägt nach der Vorlage für den Haushaltsausschuss mit 292,4 Millionen zu Buche, hinzu kommt die Erneuerung der Missionsavionik für 218,33 Millionen und ein Mustereinbau (hm, da weiß ich gar nicht so genau, was damit gemeint ist) zum Erhalt der Instrumental Flight Rules, also des Instrumentenfluges, für 58 Millonen Euro.

Unterm Strich also für die Sanierung mehr Geld, als die gebrauchten Maschinen ursprünglich gekostet haben. Eine Übersicht über die Kosten – vor der heutigen Entscheidung! – hatte Spiegel Online im Februar mal veröffentlicht.

Ein weiterer massiver Ausgabenposten ist ebenfalls ein Geschäft, das mal als gut angesehen wurde: Die ausgelagerte Beschaffung von Bekleidung für die Truppe wird zurückgekauft. Zwar zahlt das Verteidigungsministerium für die in wirtschaftliche Schieflage geratene  Bekleidungsgesellschaft LHBw, wie bereits im März ausgehandelt, nur einen symbolischen Euro. Doch mit diesem Kauf sind zusätzliche Ausgaben von 75,46 Millionen Euro verbunden, unter anderem 38,6 Millionen Euro Verbindlichkeiten, knapp neun Millionen Rückzahlung Gesellschafterdarlehen und ähnliches.

Und darüber hinaus kommen auf die Bundeswehr 51,76 Millionen Euro für die zusätzliche Beschaffung von Bekleidung und persönlicher Ausrüstung zu – unter anderem knapp 17 Millionen für Ersatzbeschaffung, 7,57 Millionen für neue Erstbeschaffungen und 12,5 Millionen für Schutzwesten. Aber auch 7,3 Millionen für Beraterleistungen.

Dagegen sind die anderen Ausgaben, über die der Haushaltsausschuss befinden soll, ja direkt gut angelegtes Geld. 218,33 Millionen kostet die deutsche Beteiligung an einer deutsch-französischen Kooperation für Aufklärungssatelliten – das schießt Deutschland für die französischen optischen Satelliten zu (was auch schon zu erregten politischen Debatten geführt hatte, weil es die Ansicht gibt, das sollte Deutschland doch lieber in eigene Satelliten investieren). Und für die Unterauftragnehmerverträge beim IT-Projekt Herkules sind 238 Millionen Euro vorgesehen.

Von der Tagesordnung abgesetzt wurde übrigens die Forderung des Turbinenherstellers MTU, der eine Kompensation für die Triebwerke der nun nicht abgenommenen Eurofighter der Tranche 3B verlangt hatte. Das Thema scheint ein Dauerbrenner.

All diese Zahlen muss man sich mühsam zusammensuchen – die jeweiligen Punkte stehen zwar auf den Tagesordnungen der Ausschüsse. Aber so ziemlich ohne Details und schon gar nicht mit einer öffentlichen Erläuterung aus dem Ministerium, was da mit unseren Steuergeldern so angestellt wird. Deshalb die Erläuterung von einem Haushälter der Opposition, Tobias Lindner von den Grünen:

Das Ministerium modernisiert die Seefernaufklärer P-3C Orion für eine halbe Milliarde Euro. Dafür gibt es neue Tragflächen, neue Missions- und Flugelektronik. Der Bundesrechnungshof hat einen Bericht dazu verfasst und warnt vor Risiken in dem Vorhaben, kritisiert die gewählte Konsortiallösung, die eine klare Verantwortlichkeit seitens der Industrie verhindert und moniert Abweichungen von bundeswehrinternen Beschaffungsvorgaben. All dies erkennt die Bundeswehr zwar an, wischt die Kritik jedoch mit dem lapidaren Hinweis auf Zeitdruck und die Einschätzung, dass das Projekt risikoarm sei, zur Seite. Dieser Vertrag steht im Widerspruch zu den Ankündigungen der Ministerin, künftig auf eine angemessene Risikoverteilung, gute Verträge und klare Verantwortlichkeiten zu achten.
Die Verstaatlichung der LHBw wirkt eher als „Schrecken ohne Ende“ als ein „Ende des Schreckens“. Mit jedem neuen Bericht steigen die Kosten für die Rettung der Bekleidungsgesellschaft weiter; hinzukommt ein plötzlicher Mehrbedarf für Bekleidung von 50 Millionen, den das Ministerium erklären muss. Für Beratungsleistungen werden nun 7,3 Millionen anstatt wie angekündigt 1,83 Millionen Euro fällig. Wenn die Übernahme für einen Euro inzwischen Kosten von mehr als 120 Millionen verursacht, dann ist das alles andere als ein guter Deal. Ursula von der Leyen und ihr Ministerium haben sich über Monate hinweg nicht um das Chaos bei der LHBw gekümmert, bis ihnen der ganze Laden um die Ohren geflogen ist. Die teure Rettung, die das Ministerium jetzt durchführen muss, ist kein verantwortungsvoller Umgang mit dem Geld der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler.

und Lindners Fazit (einschließlich des Hinweises auf einen Bericht zur Hubschrauberbeschaffung, der dem Haushaltsausschuss ebenfalls heute zur Kenntnisnahme vorgelegt wird):

Sowohl beim Vorhaben Orion als auch bei den Hubschraubern wird deutlich, dass die Ministerin ihrem eigenen Anspruch nicht gerecht wird. Ihr selbst gepflegtes Image der „Alles-besser-Macherin“ bekommt erste Kratzer. Beim Hersteller der Hubschrauber konnte sie den „Resident Engineer“ nicht unterbringen, den sie noch im Spätjahr als große Verbesserung bei diesem Rüstungsprojekt öffentlichkeitswirksam gepriesen hat. Beim P-3C Orion schließt sie Verträge ab, bei denen es auch seitens des Bundesrechnungshofs erhebliche Zweifel am Vertragskonstrukt gibt. Frau von der Leyen wird schon jetzt ihrem eigenen Anspruch eines besseren Rüstungsmanagements nicht gerecht.

(Archivbild: Orion P-3C der Deutschen Marine bei der ILA 2012 – Bundeswehr/Schulze)