G36: Sammler 22. April
Der (heutige) Mittwoch ist dann wieder mal G36-Tag: Vor allem, weil Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen vor dem Verteidigungsausschuss des Bundestages zu den Problemen mit dem Standard-Sturmgewehr der Bundeswehr Stellung nehmen will.
Deshalb schon mal ein Sammelthread zu den Meldungen des Tages. Beginnend mit Berichten von Süddeutscher Zeitung (Link aus bekannten Gründen nicht) und Spiegel Online: Das Verteidigungsministerium und der frühere Ressortchef Thomas de Maizière seien bereits 2012 recht detailliert über die Präzisionsprobleme informiert worden.
Je mehr Details berichtet werden, um so mehr frage ich mich, ob wir eigentlich – von Einzelheiten abgesehen – so viel anderes erfahren, als schon in den ersten Berichten im April 2012 und in der amtlichen Zusammenfassung des Sachstandes im August 2013 zu lesen war…
Und/aber weil das hier ein Sammelthread ist:
Die Stellungnahme des Vorsitzenden des Bundeswehrverbandes, Oberstleutnant André Wüstner:
„Auch, wenn unsere Soldatinnen und Soldaten im Einsatz wie im Grundbetrieb dem Sturmgewehr G36 vertrauen: Die Untersuchungsergebnisse zeigen eindeutig, dass jetzt umgehend der Entwicklungs- und Beschaffungsprozess für ein neues System Sturmgewehr eingeleitet werden muss. Dieser Prozess darf sich keinesfalls zehn Jahre hinziehen!
Für die Zwischenzeit muss sicherstellt werden, dass Regeneration und Instandhaltung des G36 und damit der Ausbildungsbetrieb als wesentlicher Grundbaustein für die Einsatzbereitschaft von Streitkräften gewährleistet bleibt. Zudem muss geprüft werden, ob zügig eine auf dem Markt verfügbare und den heutigen Einsatzerfordernissen entsprechende Waffe beschafft werden kann oder ob das G36 für eine Übergangszeit modifiziert und optimiert werden kann.“
„Es ist gut und richtig, dass das Thema Ausrüstung der Bundeswehr die entsprechende Aufmerksamkeit des Parlamentes erfährt. Die Soldatinnen und Soldaten brauchen die bestmögliche Ausrüstung. Das gilt allerdings nicht nur für die Handwaffen, sondern für die gesamte Ausstattung der Bundeswehr. Sie leidet unter einem enormen Modernisierungsstau, der seinen Grund in den strengen Sparauflagen der vergangenen Jahre hat. In den kommenden Jahren muss hier deutlich mehr Geld in die Hand genommen werden.“
Derzeit, so Wüstner, geben Soldatinnen und Soldaten im Schnitt 1.000 Euro für privat beschaffte Ausstattung aus. „Es kann keine Perspektive sein, dass sie in Zukunft etwa auch noch ihre Funkgeräte oder Nachtsichtbrillen aufgrund von Mängeln oder fehlender Neubeschaffung selbst kaufen müssen. Die Menschen in der Bundeswehr setzen daher auf verantwortungsvolle Politik weit über das Thema G36 hinaus und damit auch auf eine zwingend erforderliche verbesserte finanzielle Unterfütterung der Bundeswehr. Dazu muss der Rüstungs- und Beschaffungsanteil für die entsprechende Modernisierung bereits 2016 auf 20% erhöht werden – sonst bleibt alles eine Farce!“
und des Vorsitzenden des Reservistenverbandes, Roderich Kiesewetter – der ja zugleich Bundestagsabgeordneter der CDU ist (deshalb finde ich seine Aufforderung auch an das BMVg interessant, den Dialog mit Heckler&Koch zu suchen…):
„Öffentliche Schuldzuweisungen helfen zu diesem Zeitpunkt niemandem, insbesondere nicht denen, die von den Problemen des Standardgewehrs unmittelbar betroffen sind“, appelliert Verbandspräsident Roderich Kiesewetter MdB an alle Beteiligten. „Im Interesse unserer Soldaten müssen Ministerium und Industrie jetzt in Dialog treten, um eine Lösung herbeizuführen.“ Es müsse nun festgestellt werden, ob die Neubeschaffung eines Sturmgewehres nötig sei, oder ob eine Weiterentwicklung des G36 gemeinsam mit dem Hersteller möglich wäre. Dazu wollte Verteidigungsministerin von der Leyen zunächst keine Stellung beziehen.
Bereits im vergangenen Sommer hatte sie eine Überprüfung der Tauglichkeit des Gewehres in Auftrag gegeben. „Der Aufklärungswille der Ministerin ist offensichtlich. Eine Lösung kann aber nicht von heute auf morgen erwartet werden“, schätzt Kiesewetter die Lage ein und fordert eine schnelle Zwischenlösung für die im Einsatz befindlichen Soldaten. „Ihre Sicherheit steht über allem“, so Kiesewetter. Denkbar wäre es, in klimatisch wärmeren Regionen wie Afghanistan oder Mali bis auf weiteres auf das G3 oder andere Waffen der Nato-Partner zurückzugreifen.
Nachtrag: In diesen Thread gehört auch eine informative Geschichte der Reuters-Kollegin Sabine Siebold:
Das laute Schweigen der Truppe im Streit über das G36
Ausgerechnet diejenigen, deren Leben im Zweifel von der Waffe abhängt und die sich sonst selten mit Kritik an unzweckmäßiger oder fehlender Ausrüstung zurückhalten, melden sich in der aktuellen Diskussion kaum zu Wort. Verblüfft verfolgen sie stattdessen, wie eine bei den meisten Soldaten beliebte Waffe mit wissenschaftlicher Präzision um ihren guten Ruf gebracht und womöglich ausgemustert wird. „Ich war oft genug in Afghanistan und kenne keinen, der dort gesagt hat: Die Waffe ist Mist“, sagt ein Offizier. „Das G36 ist für den Zweck, für den es beschafft wurde, ein Supergewehr. Ich würde damit jederzeit wieder in den Einsatz gehen.“
(Foto: Tag der Infanterie an der Infanterieschule Hammelburg im Juli 2014 – Bundeswehr/Vennemann)
Ich komme aus dem Staunen nicht mehr raus.
Das G36 wurde mit Was-muss-es-können-Vorgaben eines Einsatzszenarios KalterKrieg / Wehrpflichtarmee beschafft und macht dafür genau das, was es soll.Das Gewher ist für diesen Zweck klasse und ich kenne niemanden, der die Waffe in die Ecke gehauen hat, weil sich z.B. kein Schuß bricht, Ladehemmungen auftreten oder wie auch immer. Sie tut genau das, was man von ihr erwartet hat.
Jetzt stellt man im Rahmen neuer Szenarios unserer Einsätze fest, das die Wirklichkeit anders aussieht und das G36 alleine dafür nicht reicht, weil es dann unpräzise wird.
Hier liegt doch der Hase im Pfeffer. In den aktuellen Szenarien DARF das G36 eben nicht die alleinige Waffe sein. Wer bitte schön will denn, wenn er mit dem G36 in einer Kampfsituation 100-150 Schüsse in Feuerstössen abgegeben hat, noch den Präzisionsschuss nachsetzen? Wir missbrauchen das G36, weil eben die anderen Waffen nicht genügend vorhanden waren/sind. Das G36 ist doch kein MG, also bitte MGs, die diese Aufgabe wahrnehmen.
Wo sind denn bei den ISAF-Gefechten die richtigen Kaliber? Genügend MG3 zumindest mit 7,62. Wo ist denn 20mm oder 30mm als Flankenwaffe auf Entfernung mit entsprechender Wirkkraft gegen Lehmziegelmauern und als Entfernungswaffe? Diese Gefechte sind mit G36 allein nicht zu bestehen (oder zumindest nicht so, wie wird es gerne hätten).
Wir haben vor Jahren mal einen netten Versuch gemacht, die alte Lw-FlgA 20 mm Zwillingsflak passt ideal auf einen abgeplanten 4to-Anhänger, fest montiert.
Wer mal diese Waffe im Bodenkampt erlebt hat, weiß dass auf der anderen Seite keiner mehr aufsteht. Entweder, weil er nicht mehr kann oder eben nicht mehr will. Selten so etwas demoralisierendes als Infanterist erlebt. Die Dinger stehen seit Jahren im Depot ungenutzt herum. Ist ja nur ein Beispiel.
Im Feuergefecht ist vieles wie beim Auto: Viel Hubraum hilft viel, also viel Feuerkraft (oder damit vor allem auch die richtige Mischung an Kalibern) hilft viel.
Die Diskussion insgesamt geht also voll am Thema vorbei.
Man wird es spätestens dann sehen, wenn auf der jetzigen Grundlagen die Technischen Paramter für die neu zu beschaffende Waffe festgelegt werden (wer macht das, für welche Szenarien ?). Was soll denn dort für Standardwaffe für alle Soldaten (also auch Logistiker, Führungsunterstüzter usw usw) drin stehen?
Werden wir endlich anfagen, unterschiedliche Forderugnen = Waffen für die verschiedenen Dienstteilbereiche zu beschaffen?? Das wäre ja gut.
Widerspricht aber aktuell dem Beschaffungsgang der Bw seit 40 Jahren, denn wir kaufen Tornado, der jede Rolle können muss, wir kaufen NH90 der ebenfalls viele Rollen abbilden soll usw, also wir wollen immer ein Grundmodell, das alles abbildet. Macht aber oft eben kein Sinn, da sind uns andere Nationen deutlich weiter.
@bwgrisu
Weil es verschiedene Fassungen gibt. Das „geläufige“ HK416 ist ein Sturmgewehr. Allerdings gibt es auch das HK416Bw oder auch das M27 IAR, welche auf dem HK416 beruhen und GRÖSSTENTEILS identisch. Allerdings gibt es ein paar Unterschiede, u.a. hat das HK416Bw / M27 IAR einen massiveren Lauf, welcher auch deutlich besser augf Hitze reagiert.
HK bezieht sich in den Mitteilungen auf das Gewehr, welches die BW VERMUTLICH zum Vergleichstest herangezogen hat. Nämlich ein das HK416Bw, welches eher ein Maschinengewehr denn ein Sturmgewehr ist.
Kurz und knapp: HK416 und HK416Bw sind zwei unterschiedliche Gewehre.
@FK70
Blöd nur für HK: Wenn die den Bericht nicht offiziell erhalten haben und er eingestuft sein sollte, müssten sie so tun, als ob sie ihn nicht kennen würden und dürften ihn weder zitieren noch widerlegen. Das tut weh!
(Wer einen Konjunktiv findet, darf ihn behalten)
@sven: Danke der Erkläung.
@Andre & Sven
Perfekt. Also ist der Hersteller schon mal brav und wir müssen nur einiges an Entlassungen im BMVg vornehmen.
Oder ist da auch wieder alles in Ordnung? Wer mag dafür plädieren?
@drohnendompteur
Ich rate einmal zu schauen, was auf der Homepage des DBwV steht und mit Sicherheit gibt man ihnen eine Auskunft im Verband mit welchen Themen sich der Verband hauptsächlich beschäftigt. Google hilft da nicht wirklich. Schwerpunkt des Gefechts war wohl bis vor wenigen Tagen das Artikelgesetz.
Der Verband hat sich nicht gegen oder für ein Produkt oder Hersteller ausgesprochen, auch nicht zum Thema G36. Er hat jedoch Forderungen für die Zukunft gestellt und zwar auf der Grundlage von bekanntem und aus alten Forderungen der Truppe im Einsatz.
Bei der „umgehenden“ Reaktion auf diverse Probleme eines relativ kostengünstigen Systems stellt sich die Frage, warum bei anderen und mit erheblichen Mängeln belasteten Projekten nicht ähnlich entschlossen gehandelt wird?
Vllt etwas OT : Ich habe von Einheiten gehört,bei denen eine direkte Zuordnung der Waffe zu einem Sodaten mangels Anzahl der vorhandenen Waffen nicht möglich ist. Ist das eigentlich so üblich? (Erfahrung/Kennen des Haltepunkts/Warmschiessverhalten…)
@Daniel Lücking:
Bitte mich nicht falsch verstehen, HK ist nicht aus dem Schneider. Unter Umständen hat das G36 ein Problem. Ich habe die Quelle nicht mehr im Kopf, aber anfangs hieß es, die Einbettung des (Metall)-Laufs in das Gehäuse (Kunststoff) würde sich bei hohen Temperaturen verziehen. (Vereinfacht ausgedrückt)
Aber ANSCHEINEND haben diejenigen, die die Untersuchung geleitet haben ein Gewehr als Vergleichsobjekt genutzt, welches einen deutlich dickeren Lauf hat und damit auch deutlich besser auf Hitze reagiert.
Ob jetzt der Kunststoff der Schuldige ist oder ein Teilschuld hat oder gar kein Problem darstellt weiß man nicht, da ja das BMVg den Bericht unter Verschluss hält. Entgegen vorheriger Ankündigung den letzten Freitag verfügbar zu machen !!!
Gerade der Punkt stört mich ganz massiv. Es gibt mehrere Indizien, dass der Test methodische Fehler enthält (z.b. Vergleich unterschiedlicher Waffentypen). Warum rückt das BMVg den Bericht jetzt nicht heraus? Was soll daran „geheim“ sein? Mir fällt kein guter Punkt dazu ein, außer natürlich, dass der Test B*ckmist (Entschuldigung ) ist. Aber andererseits kann ich das auch kaum glauben, dass da so gravierende Mängel von verschiedenen beteiligten Instituten gemacht wurde.
Kann man da nicht nachbohren?
@flg: Ihr Kommentar trifft die Sache ziemlich gut. Auch ich vermisse eine umfassendere Diskussion u.a. darüber, mit welchen WaffenARTEN die Soldaten je nach Einsatz ausgestattet sein sollten (mehr MG ? schwere Infanteriewaffen ?).
@Peter Pan
„wo kann “nachweislich bzw. nachvollziehbar” nachgelesen werden, das alle Waffen, welche getestet worden sein sollen, durch den Test gefallen sind ?“
Z.B. Hier: in dem Artikel in der FAZ „G36-Probleme
Breit gestreute Warnschüsse“ Von JOHANNES LEITHÄUSER, BERLIN
von heute (22.4.15).
@M.Steffen
im besagten Artikel ist weder nachvollziehbar noch nachweislich belegt, welche Waffen getestet worden sind…..
@Peter Pan
„Welche“ war nicht ihre Frage. (Das weiß keiner).
„Alle Durchgefallen“ steht in dem FAZ Artikel, bei ESuT, H&K jeweils mit Verweis auf das Gutachten selbst.
Alle G36- Threads zusammen ergeben inzwischen eine beeindruckende Menge an Kommentaren. Wer da mal Monate / Jahre zurückschaut, ist schon ein gutes Stück schlauer und geht den Fehlinformationen in Teilen der Medien nicht auf den Leim.
Kurz zusammengefasst läßt sich festhalten:
1 – Das G36 tut, wofür es entwickelt wurde und wie es bestellt wurde.
2 – Soldaten, die es im Gefecht selbst einzusetzen hatten sagen unisono, daß sie sich in jeden Fall auf das Gewehr verlassen konnten und daß sie es jederzeit wieder zum Einsatz mitnehmen würden
3 – Die Einsatzumstände große Hitze, fehlende MGs und Verwendung als LMG anstelle anderer etwas schwererer Waffen haben das G36 in Umstände gebracht, für die es nicht entworfen wurde und für die es nicht von der Bw angeschafft wurde. Trotzdem kam hier im Blog nach meiner Erinnerung nicht ein Kommentar, in dem jemand aus dem Einsatz berichtet hätte, daß das G36 ein, wie auch immer geartetes, Risiko für den Soldaten darstellen würde.
Auch der Herr Leithäuser von der FAZ und viele andere Qualitätsjournalisten hätten gut daran getan, nicht nur abzutippen, was aus den Schreibstuben des Ministeriums kommt. Hier auf AG ist so viel Expertise versammelt, daß sich daraus sicher ein differenziertes Bild ergeben hätte.
Das tragische ist an der Sache, daß HK nichts für den Schlamassel kann und daß sich kaum jemand die Mühe macht, seine persönlichen Ansichten mit den Erfahrungen der Soldaten aus dem Einsatz abzugleichen. Meinungsfreiheit bedeutet nicht, Vorgekautes kritiklos zu übernehmen und weiter tragen zu müssen. So ist das Ganze unverdient zu einer Existenzgefährdung für ein renommiertes Unternehmen geworden.
Bisher hat hier niemand angezweifelt, daß es
@Iltis: anscheinend haben Sie nicht alle Beiträge zu dem Thema gelesen. Denn dann wären Sie hier und da, sicherlich zu einem anderem Ergebnis gekommen…
@ Iltis: Nachsitzen und lesen! ;-)
Zugegeben, alle Beiträge aus den letzten 2 Jahren sicher nicht…
Sie wollen mir aber nicht nahe legen, in die Fragen zur Kunststoffmischung oder der Rohreinbettung einzusteigen? Mag sein, daß es da konstruktive Schwächen gibt. Diese offenbaren sich aber eben unter den genannten, von den Vorgaben abweichenden Einsatzbedingungen.
tagesschau.de: Das Sturmgewehr G36 wird nun aussortiert wegen mangelnder Treffsicherheit unter bestimmten Temperaturbedingungen. Wie sind denn die Erfahrungen der Soldaten mit dem Sturmgewehr?