Mehr Verteidigungsetat, frühestens ab 2017? Das gezielte Missverständnis

Der deutsche Verteidigungshaushalt, das wird in den Debatten über die Höhe der Ausgaben gerne übersehen, besteht nicht nur aus den Kosten für die Beschaffung neuer Panzer, Flugzeuge und Schiffe. Im Gegenteil: Die so genannten verteidigungsinvestiven Ausgaben machen gerade mal gut ein Fünftel des gesamten Etats aus. Genau so hoch oder deutlich größer sind andere Kosten, die zum Teil gesetzlich festgelegt sind (wie der Sold der Soldaten) und vom zuständigen Ministerium nicht einfach verändert werden können: für das aktive Personal standen im Haushalt 2014 fast 33 Prozent, für Mieten, Bewirtschaftung von Liegenschaften und Betriebskosten fast 20 Prozent, für die Versorgungsausgaben, also Pensionen, knapp 16 Prozent. Gerade mal gut acht Prozent waren für die Erhaltung des Materials, also für Wartungskosten und Ersatzteile, eingeplant.

Vor diesem Hintergrund ist es fast schon ein gezieltes Missverständnis, wenn die Diskussion über mehr Geld oder nicht für den Verteidigungsetat immer mit der Bemerkung versehen wird, zusätzliches Geld könnten Ministerium und Bundeswehr ja gar nicht ausgeben, weil die Industrie neues Gerät gar nicht so schnell liefern könne. Das ist zwar einerseits richtig, andererseits aber, siehe die Struktur des Haushalts, nur ein Teil des Problems.

Dieses gezielte Missverständnis bedient auch Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, der in einem Interview der Bild am Sonntag zwar mehr Geld für den Verteidigungshaushalt in Aussicht stellt – aber nicht vor 2017:

Natürlich werden wir angesichts der Krisen und Instabilitäten in der Welt in den nächsten Jahren höhere Leistungen für Verteidigung schultern müssen. (…)
Kurzfristig, also für das kommende Jahr, können Sie mit einem höheren Verteidigungsetat allerdings wenig ausrichten, weil die Industrie so schnell gar nicht große Rüstungsprojekte liefern kann.

(zitiert nach tagesschau.de, da das BamS-Interview ohnehin hinter einer Paywall steht und zudem aus bekannten Gründen nicht verlinkt wird)

Auch Schäuble hebt also nur auf die gerade mal gut 20 Prozent des Etats ab, die für neue Lieferungen aus der Industrie vorgesehen sind – und da noch nicht mal auf den ganzen Haushaltsposten: Neben den Großprojekten, die über Jahre laufen, stehen da auch kleinere Beschaffungen drin.

Aber darüber hinaus: Es geht, und das sagt kaum ein Regierungspolitiker laut, eben nicht nur um die Neubeschaffungen.

Bei der Auftaktveranstaltung für das neue Weißbuch der Bundeswehr kam im Februar auch zur Sprache, was die NATO angesichts der aktuellen politischen Lage von Deutschland als der zweitgrößten Wirtschaftsnation in der Allianz erwartet. Ja, natürlich die langfristige Anhebung des Verteidigungsetats auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts, zu der sich alle Staats- und Regierungschefs auf dem NATO-Gipfel im vergangenen Jahr verpflichtet hatten. Aber über dieses grundsätzliche Ziel hinaus verlangt das Bündnis vor allem von der Bundeswehr: Mehr Übungen, mehr Übungen, mehr Übungen. Realitätsnah und mit allem, was gut und teuer ist: Verlegungen, schnelle Reaktionszeiten, Übungseinsätze wohlgemerkt innerhalb der Grenzen des Bündnisses, aber eben nicht nur in Deutschland.

Mit anderen Worten: Die Truppe bräuchte schon vor 2017 mehr Geld, wenn sie all das erfüllen soll, was von den Fachleuten in Brüssel (und wohl auch im eigenen Haus) als nötig eingeschätzt wird. Und das hat nur am Rande mit der Industrie zu tun, die Großgerät später als eingeplant liefert. Auch ohne die teuren Neubestellungen ist Geld nötig, um zum Beispiel das fliegende Gerät öfter in die Luft zu bringen – das kostet nämlich richtig was. Oder um größere Verbände quer durch Europa zu verschieben. Oder auch nur, um allen Soldaten eine Strickmütze zuzugestehen. Von all‘ dem ist allerdings bei den Finanzdebatten so gut wie nie die Rede.

(Foto: Seebataillon übt Evakuierung von See: Mit einem Landungsboot werden geschützte Einsatzfahrzeuge vom Typ Dingo 2 der Küsteneinsatzkompanie angelandet. Gemeinsame Übung aller dem Seebataillon unterstellten Soldaten in Eckernförde am 17.11.2014 – Bundeswehr/Björn Wilke)