Nicht nur der Besenstiel: Der NATO-Speerspitze fehlt schon die Strickmütze

Die Notlösung des Panzergrenadierbataillons 371, bei einer internationalen Übung das fehlende Rohr der Waffe auf ihrem Boxer-Radpanzer mit einem schwarz gestrichenen Besenstiel zu ersetzen, hat national wie international Schlagzeilen gemacht. Sind diese Marienberger Jäger doch als Teil der NATO Response Force (NRF) dafür vorgesehen, die vom Bündnis im vergangenen September beschlossene neue superschnelle Eingreiftruppe Very High Readiness Joint Task Force (VJTF), die so genannte Speerspitze, in der Praxis zu erproben. Alarmierend waren in dem Zusammenhang auch die Meldungen über fehlende Waffen und wichtige Ausrüstung mit Nachtsichtbrillen.

Nun ist klar: Der Besenstiel ist nur die Spitze des Eisbergs. (Entschuldigung für das schiefe Bild.)

Die Informationen über die Besenstiel-Übung wie die Fehlzahlen bei Waffen und Ausrüstung sind nur ein Teil des Berichts, der vom Beauftragten des Generalinspekteurs der Bundeswehr für Erziehung und Ausbildung Mitte Januar nach einem Besuch beim Bataillon in Marienberg vorgelegt wurde. Mitte Januar, das ist gut vier Monate nach den Beschlüssen des NATO-Gipfels und gut einen Monat nach dem deutschen Angebot an die Allianz, die provisorische Speerspitze aufzubauen. Da fehlte es dem deutschen Einsatzverband immer noch an allem möglichen. Und nicht nur am Großgerät.

Der  Bericht (der mich aus technischen Gründen leider nur mit Zeitverzögerung erreicht hat) macht schon bei so simplen Dingen wie Strickmützen deutlich, wo es hakt:

Ein weiterer Punkt war die Nichtausstattung der Soldatinnen und Soldaten des PzGrenBtl 371 mit einer Mütze (Versorgungsnummer: 8405-12-382-9778), die in der Bundeswehr eingeführt ist. Obwohl die klimatischen Bedingungen im Winter in Marienberg die Ausstattung durchaus rechtfertigen würde, lehnt die LHBw in Frankenberg/Sachsen dies mit der Begründung ab „Panzergrenadiere gehören nicht zur Infanterie und gem. Ausstattungssoll stehe ihnen daher diese Mütze nicht zu.“ In der Konsequenz kaufen die Soldatinnen und Soldaten diese Mütze privat in den „Army Shops“.

Nun scheint diese Strickmütze ohnehin symptomatisch für vieles zu stehen, was bei der Bundeswehr organisatorisch falsch läuft. Hier ist nicht von teurem High-Tech-Gerät die Rede, sondern von einem simplen Alltagsgegenstand. Und nicht von einer Einheit im Heimatbetrieb, sondern vom deutschen Angebot der hochmobilen deutschen Truppe für die vorderste Frontlinie. Speerspitze ohne Mütze.

Die Mützen kann die Truppe in der Tat im Army Shop kaufen (zusammen mit Unterzieh-Fleece-Jacken oder Funktionsunterwäsche, die die Soldaten laut diesem Bericht ebenfalls privat beschaffen – obwohl es doch so etwas wie ein Einsatzbekleidungskonzept gibt). Aber es gibt ja noch genügend Dinge, die man eben nicht im nächsten Laden bekommt. Nach Gesprächen mit den Soldaten berichtete der Inspizient:

Es wurde aus der Erfahrung der Gesprächsteilnehmer bezweifelt, dass das fehlende Großgerät im Rahmen des „Ear Marking“ innerhalb der NTM [Notice to move]-Zeitvorgaben im einsatzbereiten Zustand zur Verfügung stehe. Durch BMVg Planung II 5 wurde Mitte 2014 die Aussonderung von knapp 6000 ungeschützten Radfahrzeugen im Heer zur Umsetzung angewiesen und auf Grund mangelnder Kompensationsmöglichkeiten teilweise ausgesetzt. Bei endgültiger Umsetzung der Aussonderung (Abruf viertes Los) seien Übungsvorhaben, aber auch der NRF-Einsatz, nur noch eingeschränkt durchführbar, da der Verband über keine Rüstsatzträger verfügen würde und somit nicht mehr führungsfähig wäre. […]
Die Angehörigen des Verbandes wollen professionell ihren Auftrag erfüllen. Die Defizite in der bereitgestellten Ausrüstung schränkt [sic] die professionelle und sichere Auftragserfüllung ein und entspricht somit nicht den Vorgaben aus dem strategischen Zielsystem der Leitung BMVg. Zudem leidet die Motivation der Truppe unter den dargestellten Umständen erheblich.

Und das ist nur die Problemlage beim Gerät. Beim Personal sieht es nicht gar so viel besser aus – in dem Bericht wird auch angesprochen, dass das Bataillon wegen Umstrukturierung und neu ausgebrachten Fähigkeiten echte Schwierigkeiten bei der Ausbildung hat. Zumal während der Stand-By-Phase für die NRF die Soldaten nicht einfach auf Lehrgänge geschickt werden können. So muss sich die Truppe auch bei Spezialisten mit Training on the job behelfen, wie es im Bundeswehrjargon heißt, Ausbildung am Arbeitsplatz (AAP). Das hat Folgen: Einschränkungen in der Auftragserfüllung des Verbandes, z.B. bei einem NRF-Einsatz, sind zu erwarten.

Gibt’s denn gar keinen Hoffnungsschimmer in diesem Bericht? Aber ja. Denn trotz Mangel von Gerät und Ausrüstung, trotz des Gefühls, die vorgesetzten Dienststellen nähmen den Auftrag NATO-Speerspitze nicht wirklich Ernst, bemüht sich der Verband mit seinen arg eingeschränkten Möglichkeiten um eine solide Auftragserfüllung, wie es in der Zusammenfassung des Berichts heißt:

Von Professionalität und Leistungsbereitschaft getragen erfüllt der Verband mit hoher Motivation seinen Auftrag. Ein ausgeprägtes Zusammengehörigkeitsgefühl, vorbildliches und beispielgebendes Verhalten, kameradschaftliches Miteinander und gegenseitige Unterstützung charakterisieren den Verband. Zeitgemäßes Führungs-, Kommunikations- und Informationsverhalten wird vorgelebt, das Vertrauen in die Vorgesetzten innerhalb des Verbandes ist deutlich erkennbar vorhanden. Allerdings wird die Stimmung im Verband derzeit maßgeblich durch die mangelnde Unterstützung der vorgesetzten Dienststellen bei der Bewältigung der ungelösten Problemfelder in der NRF Stand-by-Phase beeinflusst. Es entstand in der Wahrnehmung vor Ort der Eindruck, dass die Erfüllung des NRF-Auftrags von den vorgesetzten Dienststellen mit den Kommentaren „NRF wurde noch nie abgerufen“ bzw. „NRF ist doch nur ein Papiertiger“ nicht hinreichend unterstützt wird. Einschränkungen in der materiellen Einsatzbereitschaft des PzGrenBttl 371 (der Verband ist ohne erhebliche materielle Unterstützung von außen nicht vollumfänglich einsatzbereit) sind eine Herausforderung für die Verbandsführung und beeinflussen das soldatische Selbstverständnis. Die wahrgenommene Schere zwischen Auftrag und den verfügbaren Mitteln wird zunehmend als Belastung empfunden.

Der Bericht dürfte auch der Grund für die Anweisung von Generalinspekteur Volker Wieker gewesen sein, den Gefechtsverband materiell voll aufzustellen. Allerdings: Genau an dem Tag, als der Inspizient seinen vernichten Bericht schrieb, war die NATO schon der irrigen Annahme, ihr stünde eine einsatzbereite Speerspitze zur Verfügung. Ein Update so Anfang März wäre interessant.