Zwischenruf: Mit der ‚Todesliste‘ am Thema vorbei
Wäre ich bei der NATO oder den US-Streitkräften für Information Operations mit Ziel Deutschland zuständig (so was gibt es natürlich gar nicht), würde ich heute abend eine Flasche Schampus köpfen. Haben es die Deutschen doch geschafft, sich in einer moralischen und pseudo-rechtlichen Debatte darüber zu verkämpfen, dass ihre Soldaten im Krieg in Afghanistan getötet haben und Truppen anderer ISAF-Nationen dabei unterstützt haben. Das eigentliche Problem der Ziel-Listen mit Aufständischen, die so genannte Joint Prioritized Effects List (JPEL), haben die Deutschen über ihre engagierte Diskussion über Todeslisten völlig aus den Augen verloren.
Denn in der deutschen Öffentlichkeit geht es allein um die schon in den Jahren 2009 und 2010 geführte Debatte, ob Bundeswehrsoldaten auch jenseits von Notwehrsituationen Taliban und andere Aufständische angreifen und töten dürfen. Die Debatte ist spätestens mit der Entscheidung des Generalbundesanwalts, das Verfahren gegen Oberst Georg Klein nach dem Luftschlag von Kundus im September 2009 einzustellen, zumindest juristisch geklärt. Was die selbstquälerische und sehr deutsche Lust an der Diskussion darüber, dass Soldaten in einem Kriegseinsatz töten, nicht mindert.
Doch kein Mensch redet in Deutschland darüber, dass Listen wie die JPEL zwar rechtlich zulässig sind – aber ihr Zustandekommen in Teilen äußerst fragwürdig war und bleibt. Auch in dem Spiegel-Bericht, der am vergangenen Wochenende die jüngste Debatte auslöste, wird ein ganz großes Manko eher nebenbei recht spät im Text erwähnt:
Zu den wohl umstrittensten Entscheidungen der Nato in Afghanistan zählt die Ausweitung der Operationen auf Drogenhändler. (…) Im Oktober 2008 trafen die Verteidigungsminister der Nato laut dem NSA-Dokument eine folgenschwere Entscheidung: Drogennetzwerke seien künftig „legitime Ziele“ der Isaf-Truppen. „Drogenhändler wurden zum ersten Mal in die JPEL-Liste aufgenommen“, heißt es in dem Bericht. (…)
Anfang 2009 erließ der damalige Nato-Oberbefehlshaber Craddock eine Order, wonach die Strategie der zielgerichteten Tötungen von Taliban-Kadern auf Drogenproduzenten ausgeweitet werde. Das führte zu heftigen Diskussionen innerhalb der Nato. Der deutsche Nato-General Egon Ramms erklärte den Vorstoß für „illegal“, er verletze internationales Recht.
Und da liegt der Knackpunkt. Die Anwendung tödlicher Gewalt gegen Mitglieder organisierter bewaffneter Gruppen als Gegner ist nach dem Völkerstrafrecht humanitären Völkerrecht legitim; die Anwendung gleicher Gewalt gegen bloße Kriminelle ist es nicht. Zumal den deutschen Soldaten das Vorgehen gegen die Drogenkriminalität ausdrücklich eben nicht ins Mandat geschrieben wurde. Was zu der Frage führt, die leider von den Kollegen mit Zugang zu diesen Listen nicht beantwortet wird: Haben die Deutschen auch Personen für die JPEL identifiziert, die gerade nicht den Taliban zugerechnet werden konnten, wohl aber der Drogenkriminalität?
In US-Medien ist dieser Punkt als das wesentliche Neue des Spiegel-Berichts identifiziert worden. Leaked Documents Show the US Used Drone Strikes to Target Afghan Drug Lords, meldet das US-Magazin Vice News – unter Berufung eben auf den Spiegel.
Hierzulande gibt es offensichtlich nicht das Bedürfnis, zu klären, wer eigentlich auf dieser Liste stand, obwohl er nicht Partei in dem nicht-internationalen bewaffneten Konflikt in Afghanistan war, also fälschlich oder irrtümlich auf diese Liste geriet (ein aufrüttelndes Beispiel hier.) Wichtiger scheint die Frage, ob deutsche Soldaten in einem Kriegseinsatz tödliche Gewalt anwenden dürfen. Grundsätzliches halt. Damit man nicht über möglicherweise verstörende Details reden muss.
(Dieser kommentierende Zwischenruf musste nach der Sachdarstellung in den Threads hier und hier mal sein.)
(Archivbild April 2011: US-Soldaten vor einem Mohnfeld in Afghanistan – ISAF RC South)
@Memoria
Z.B.
Welche Einsatzszenarien sieht die Bundesregierung für die Bw bis (Jahr) und welche Streitkräfteplanungen gibt es hierzu (Pers / Mat)?
Mit welche rechtlichen Problemen … etc.
In wie weit muß hierzu das Grundgesetz …
Ihre Frage ist auch gut, sollte aber „offen“ gestellt werden, als Unterfrage:
In wie weit wird die derzeitige Führerausbildung diesen Szenarien gerecht bzw. welche Maßnahmen sind geplant, Defiziten abzuhelfen?
Sie sehen, fragen kann man viel. Das kann ja auch die IBUK, intern. Wäre ich IBUK so würde mich das schon interessieren.
von der swp darf man diesbezüglich nicht allzuviel erwarten.
die spezifische militärexpertise ist dort, wie übrigens auch beim wissenschaftlichen dienst des bundestages, deutlich unterrepräsentiert.
es dominieren juristen und politikwissenschafler, dementsprechend fallen dann auch die handlungsempfehlungen aus.
operativer input müsste eigentlich täglich aus FüAk, von den BW Unis, Taktikzentrum und was es noch so an formal zuständigen Stellen gibt kommen.
was man dort den ganze tag so treibt weiß ich nicht, substantielle Beiträge zu nationalen oder gar internationalen debatten werden jedenfalls nicht generiert.
@Thomas Melber:
Egal welche Fragestellung, ändern wird das n.m.B. nichts.
Aber versuchen sie es einfach unter fragdenstaat.de.
Da der Kampf gegen ISIS auch Targeting beinhaltet
(http://m.huffpost.com/us/entry/6350140) und das – von der BReg formulierte – Bundestagsmandat für den deutschen Irak-Einsatz eine Mitwirkung an der Planung von Luftangriffen untersagt stellt sich ja erneut die Frage:
Aus rechtlichen oder politischen Gründen?
Eine rechtliche Begründung findet sich jedoch im Mandatstext (inkl. Begründung) nicht.
@Memoria
Vermutlich sowohl als auch, denn die air campaign der coalition of the willing erstreckt sich ja nicht nur auf den Irak, sondern auch auf Syrien, und offensichtlich befinden sich auch deutsche Staatsangehörige in den Reihen des IS. Diese Realitäten führen zu einem rechtlich-politischen Dilemma für die BReg, dass nur durch ein Chapter VII – Mandat der VN gelöst werden könnte….und ein solches gibt es ja bekanntlich nicht. Wenn die BReg sich zZt diplomatisch bemüht, einen deutschen Staatsangehörigen, der in China wegen Mordes verurteilt worden ist, vor der Todesstrafe zu retten, dann kann sie nicht gleichzeitig außergerichtliche Beihilfe zur gezielten Tötung von deutschen Staatsbürgern in Syrien/Irak leisten, wo ja mangels VN-Mandat das „Kriegsvölkerrecht“ nicht als staatliche Handlungsgrundlage herangezogen werden kann.
@klabautermann:
Vielen Dank für die sehr interessante Argumentationslinie.
Aus ihrer Sicht die fehlende UN.Sicherheitsratsresolution nach Kap. VII der VN-Charta der Dreh- und Angelpunkt.
Schaut man jedoch in das BT-Mandat (http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/18/035/1803561.pdf ,1. Verfassungs- und völkerrechtliche Grundlagen) dann sieht man dort ja den neuen „Brückenschlag“ zwischen der UNSR 2170 (http://www.un.org/en/ga/search/view_doc.asp?symbol=S/RES/2170%20(2014) ) und dem Art 24 GG.
Die Bundesregierung scheint ja der Ansicht zu sein, dass diese Grundlage für einen Ausbildungseinsatz ausreicht. Würde sie auch für eine aktive Teilnahme am Kampf gegen ISIS ausreichen? Ich behaupte: Wenn man es politisch wollen würde, dann schon.
Mit dem jetzigen Mandat hat man die Weichen neu gestellt. Auf der Argumentationslinie des Mandates kann ich auch einfach weitere Fähigkeiten einfügen.
Ein nichtinternationaler bewaffneter Konflikt liegt ja nicht in erster Linie nach einer Resolution des UNSR vor, sondern bei erheblicher Gefahr für den Staat (siehe Art. 87a Abs. 4 GG).
Oder sind sie der Meinung dass das Vorgehen der Koalition der Willigen im Irak völkerrechtswidrig ist?
Das Thema wird aus meiner Sicht noch in 2015 auf uns zu kommen, denn Belgien, Dänemark, Italien, Frankreich und auch Großbritannien werden das nicht jahrelang durchhalten können bzw. wollen.
Noch ein Gegenargument zum Thema deutsche Staatsbürger:
Wenn wir in Sorge um deutsche Staatsbürger sind, sollten wir nicht gerade dann an der Operationsplanung (red-card-holder) teilhaben? Auch wenn die Amis da sicher nicht zu sehr mit sich reden lassen, aber so sind wir ja blind, taub und stumm.
@klabautermann
„… wo ja mangels VN-Mandat das “Kriegsvölkerrecht” nicht als staatliche Handlungsgrundlage herangezogen werden kann.“
Warum eigentlich nicht? Bei zwischenstaatlichen Kriegen gilt es ja (meist) auch.
Das Problem ist eben der Status des IS / DAESH.
Ansonsten käme ggf. das Recht des Staates zur Anwendung, auf dessen Gebiet der Konflikt stattfindet.
@Memoria und @Thomas Melber
Natürlich halte ich das Vorgehen der CotW gegen IS grundsätzlich nicht für völkerrechtswidrig, und ganz bestimmt nicht im Irak.
However, das Problem ist Syrien. Denn da kommt die BReg mit ihrer pragmatischen CotW-Rechtskonstruktion ganz schön ins Schleudern, denn Syrien hat niemanden eingeladen auf seinem Gebiet Terroristen gezielt zu töten (OK, das haben die Iraker so auch nicht in ihrer „Einladung“ formuliert, die US machen es trotzdem) und Syrien ist afaik auch nicht Mitglied dieser CotW. Hinzu kommt, dass die NATO auch nicht formal (so wie ISAF oder in Libyen) Teil dieser CotW ist, womit sich zwangsläufig die Frage stellt, nach welchen targetting Standards (ROE ??) denn gearbeitet wird. Vermutlich rein US-amerikanische, und das würde die BReg ganz schnell nach Karlsruhe bringen, falls sie sich aktiv am targetting cycle der USA beteiligen würde. Wie gesagt: das ist ein Dilemma.
@klabautermann:
Wenn man sich nochmal auf den Irak konzentriert, dann finde ich ihr Fazit („Vermutlich rein US-amerikanische, und das würde die BReg ganz schnell nach Karlsruhe bringen, falls sie sich aktiv am targetting cycle der USA beteiligen würde.“) interessant.
Da schließt sich der Bogen zum obigen Zwischenruf von T.W.
Wo ist denn wirklich das Problem? Beim Völkerrecht? Beim Verfassungsrecht? Beim Targeting? Bei der JPEL? Bei der Nominierung von Personen auf die JPEL? Bei den ROE?
Klare Antworten von offizieller Stelle fehlen sowohl für die Vergangenheit als auch für die Gegenwart und die Zukunft.
Ihre Antworten erinnern mich irgendwie an ähnliche Einlassungen von Referats- und Unterabteilungsleitern zu den ROE ISAF:
Man biegt sich die Rechts- und Sachlage halt so hin wie man sie – gerade – braucht.
Kontext, Stringenz und Realismus sind dann weniger wichtig.
@Memoria
Die BReg will sich natürlich nicht erneut (wie bei ISAF) in ein solches Völker-/Verfassungs-rechtliche Dilemma reinziehen lassen in Sachen Einsatz der BW. Was der BND etc. in Ko-operation mit CIA etc. macht in Sachen IS steht auf einem anderen Blatt und man wird das sauber getrennt halten vom Einsatz der BW.
@klabautermann:
Auch wenn die Legende – leider auch hier – dieser Tage wieder intensiv gepflegt wird:
Es gibt – abgesehen vom Teilbereich Drogenbekämpfung – bei ISAF kein verfassungs- oder völkerrechtliches Dilemma.
Es gibt ein Dillemma zwische Außen- und Innenpolitik, dass durch fortlaufendes Wegducken der politischen und (!) militärischen Eliten nur verschlimmert wird.
Bin mal gespannt, ob Ministerin und GI in der kommenden Woche sich zu Wort melden bzw. dazu noch befragt werden. Ich gehe nicht davon aus.
Die Presse scheint das Thema auch schon wieder vergessen zu haben, aber ne große Welle mit abstrusen Vorwürfen lostreten.
@Memoria
Natürlich ist imho das Dilemma in Sachen Einsatz der BW in einem „Krieg gegen (mutmaßliche) Terror(isten)“ das gleiche wie beim „Krieg gegen (mutmaßliche) Drogen(händler)“. So ist das nun mal in einer positivistischen FDGO, die auf die „Stärke des Rechts und nicht auf das Recht des Stärkeren“ setzt.
@klabautermann:
Ähhhh… Ja.
Also aus ihrer Sicht also doch ein völker- und verfassungsrechtliches Problem beim Targeting?
Klare Antworten haben sie mal wieder nicht gegeben.
Ich verweise auf obigen Zwischenruf und frage mich einmal mehr ob unsere Stabsoffizierausbildung und weitere Prägung im BMVg und höheren Stäben zu einem kollektiven Realitätsverlust bei gleichzeitigem Welterklärungsmodus führt.
Sie schreiben so, als wüsste der Dienstgrad im Einsatz besser über die Grenzen des Erlaubten Bescheid, als das BMVg und die Stabsoffiziere. Waren Sie evtl. sebst im Einsatz?
@Memoria
Ja, ich dachte ich hätte klar gemacht, dass ich völker- und verfassungsrechtliche Probleme sehe beim targeting gegen Terroristen und/oder Drogenhändler in einem BW-Einsatz, zumal wenn es kein Chapter VII Einsatz ist. Ich dachte das wäre klar genug rüber gekommen. Ich bin kein Jurist, habe auch keinen Welterklärungsdrang, mein Realitätsverlust ist ziemlich klein und als Stabsoffizier bin ich pensioniert, so dass ich mir eine eigene Meinung erlauben kann……und nur diese habe ich in Beantwortung ihrer Eingangsfrage hier gepostet ;-)
@klabautermann:
Ich gehe mal von aus, dass sie wissen was ich mit dem Absatz zu StOffzen meinte: Die allgemeine Kultur alles begründen zu können, und kurz danach das Gegenteil.
Ihre Sicht ist zweifellos die „unschuldige“ und damit auch rechtlich sauber.
Was mich an der Debatte immer wieder verwundert:
Warum diese überaus verrechtliche Diskussion?
Anscheinend will der Deutsche – wie von ihnen beschrieben – den Positivismus deutscher Prägung auf die Weltlage übertragen.
Völkerrecht ist aber keine positivistische Lehre.
Vielleicht liegt da – neben dem pazifistischen Tendenzen – das wirkliche Dilemma.
@Reservist122:
Das BMVg hat über Jahre die Probleme mit den ROE bei ISAF ausgeblendet. Daran wesentlich beteiligt waren Soldaten (GI, StAL Fü S V bzw. Ltr EinsFüSt, versch. RefLtr).
Dort hat man nicht fachlich beraten, sondern für das eben politisch gewollte, die passende pseudofachliche Erklärung geliefert (gilt für die militärischen Führungstäbe und die Abteilung Recht).
@Memoria
Ihren letzten Kommentar kann ich voll unterschreiben. In Sachen Rechtsauslegung bin ich so eine Art Agnostiker ;-)
Will sagen: es gibt kein Recht per se oder eo ipso, sondern nur Urteile, und Urteile werden von Richtern gefällt und nicht von bürokratischen Prozess- targeteers.
@Memoria
Ömm, wie kommen Sie dazu, das Völkerrecht gegen den Rechtspositivismus abzugrenzen?
Sind Sie da belesen?
So, als tatsächlichen völkerrechtler würde mich jetzt auch noch mal interessieren wo denn die ominösen „probleme mit targeting von IS im Irak/Syrien“ belegen sein sollen.
bitte konkret. pauschale verweise auf „das völkerrecht“ (gibt es so ohnehin nicht da vielerlei interpretationen der gleichen norm von nation zu nation).
Vulgo: Welche Norm soll warum eine Targeting beteiligung mit letaler konsequenz seitens D verhindern?
Me. stellt sich die Situation wie folgt dar.
Man differenziere folgende SAchverhalte
1.) Irak:
-Es liegt eine Einladung der irakischen Regierung vor auf deren Territorium militärisch gegen IS zu operieren. Damit ist die völkerrechtliche Diskussion beendet! Kein UN Mandat nötig, der Territorialsstaat kann einladen wen er will.
-Die nationale Authorisierung hatten wir schon durchgekaut: BReg argumentiert die Summe der Resolutionen contra IS und die breite Unterstützung durch diverse Staaten ließen in der Summe eine Qualifizierung als „organisation kollektiver sicherheit “ gem. Art.23 GG zu. Durchaus plausibel.
-Nun noch die Frage wer darf wie wann getargeted werden:
Laut IKRK Guidance dürfen irreguläre Kämpfer ohne Kombattantenprivileg im nichtinternationalen bewaffenten Konflikt auch außerhalb „unmittelbarer Kampfhandlungen“ und jenseit des „schlachtfelds“ angegriffen werden, sofern sie teil einer „(hinreichend) organisierten bewaffneten Gruppe“ sind. Das is bei IS der Fall.
Ergo: auf erkanntens Ziel, feuer frei
– Kommen wir zu Syrien:
Der IS kontrolliert seit geraumer Zeit ein substantielles Territorium in Ostsyrien und übt dort staatsähnliche Funktionen aus. Der nominelle Terrirotialstaat „Syrien“ mit Regierung in Damaskus hat dort nichts mehr zu melden. Für diese Konstellation gibt es die Rechtsfigur des „stabilisierten de facto regimes“ gegen das auch ohne Einwilligung des Territorialstaates (hier Damaskus Syrien) vorgegangen werden kann wenn von dort Terrorismus oder militrärische Operationen ausgehen. das is bei IS in Richtung Irak der Fall.
-Jetzt noch die Frage ob UN Resolution gem. Kapitel VII für Intervention in Syrien gegen IS nötig? Jede NAtion hat gem. Art. 51 UNC das Recht auf Selbstverteidigung OHNE das dafür ein UN Mandat erforderlich wäre. Selbstverteidigung ist Souveränitätsimmanent!
Der Irak wurde unzweifelhaft vom IS aus Syrien angegriffen und dieser Angriff hat eindeutig die für die Selbstverteidigung nötige Schwelle des „bewaffneten Angriffs“ überschritten. Der Irak darf sich also, auch auf Syrischem Territorium, gegen den IS militärisch selbstverteidigen. Zu diesem Zweck darf er natürlich auch andere souveräne Nationen einladen ihm dabei behilflich zu sein. Man merkt, der Kreis schließt sich, die „Koalition der Willigen“ kann hier kollektive selbstverteidigung zugunsten des Irak üben.
Summa summarum. „Völkerrechtliche Probleme“ werden in D zu 90 % herbeifantasiert um die eigene Tatenlosigkeit, Passivität und argumentative Feigheit zu legitimieren.
Mit tatsächlichem Völkerrecht und dessen Schranken hat das wenig bis gar nichts zu tun.
@wacaffe
„Syrien“ sehe ich anders: der syrische Staat ist durchaus willens und in der Lage, den IS / DAESH – z.T. auch erfolgreich – zu bekämpfen.
Ein Eingriff in die Souveränität Syriens wäre nur legitim wenn der syrische Staat IS / DAESH einfach gewähren ließe bzw. keine Maßnahmen zur Bekämpfung ergriffe.
Zudem wäre dies eine Parteinahme für eine Konfliktpartei. Erschwerend kommt hinzu, daß Staaten, die an der CotW beteiligt sind, die syrische Regierung in ihren Bemühungen, den IS / DAESH zu bekämpfen durch Unterstützung anderer Kräfte hindern bzw. indirekt (und unwillentlich) IS / DAESH unterstützen.
Falls der Irak tatsächlich berechtigt sein sollte gegen IS / DAESH auf syrischem Staatsgebiet vorzugehen so berechtigt das den Irak sicher nicht, hierzu andere Staaten einzuladen.
@Thomas Melber
Sehe ich genau so.
@wacaffe
Das wird ja immer besser. Jetzt wird hier zwischen (dogmatischem?) und „tatsächlichen Völkerrecht“ abgegrenzt.
„“Syrien” sehe ich anders: der syrische Staat ist durchaus willens und in der Lage, den IS / DAESH – z.T. auch erfolgreich – zu bekämpfen.
Ein Eingriff in die Souveränität Syriens wäre nur legitim wenn der syrische Staat IS / DAESH einfach gewähren ließe bzw. keine Maßnahmen zur Bekämpfung ergriffe.“
Njet! Assad Syrien hat
1) lange de facto mit IS gegen FSA und Konsorten kollaboriert.
2) mittlerweile definitiv nicht mehr die militärische Kapazität zur Rückeroberung des IS Territoriums.
Ergo ist die Figur „stabilisiertes de facto regime“ samt seiner obig dargelegten konsequnzen einschlägig.
es kommt eben nicht nur auf den willen sondern auch die tatsächliche fähigkeit zur rückeroberung an.
2) Die PArteinahmeproblematik ist politischer nicht rechtlicher Natur
3.) Doch! Kollektive Selbstverteidigung hat die gleiche Reichweite wie individuelle. Der irak darf gegen die ursprungsorte der angriffe vorgehen (Raqqa et. al) ebenso die hilfswilligen drittstaaten.
so ist es in allen fällen kollektiver selbstverteidigung. was anderes müssten sie mir historisch oder normativ belegen.
@klabautermann | 04. Januar 2015 – 15:21:
Verstanden. Dann ist aber auch eine Kap. VII-Resolution nicht ausreichend. Dann müsste man in der Konsequenz jeglichen Einsatz im Rahmen von Kap. VII beenden, da es ja hierbei zur Mithilfe an Targeting kommen kann.
Ihre Bedenken sind jedoch keine rechtlichen mehr, sondern entspringen einem „ethischen Unbehagen“ (siehe auch SWP-Studie). Wenn man jedoch rechtlich argumentiert, aber ethische Gründe hat, dann unterstellt man jemandem mit anderer Sichtweise er würde das Völkerrecht oder die Verfassung brechen.
Genau dies stört mich an der erneut aufgeflammten Diskussion um das Targeting.
@wacaffe
Sie übersehen da aber nur die klitzekleine Tatsache, dass Syrien sehr wohl bereit gewesen wäre der CotW gegen IS beizutreten, was allerdings von den USA strikt abgelehnt worden ist. Völkerrecht ist eben immer auch eine Frage der politisch opportunen Auslegung, allerdings ist dieser Auslegung in Sachen targeted killing einer besonderen Norm zu unterwerfen und das ist im Falle Deutschland eben die Europäische Menschenrechtskonvention. Man kann das Völkerrecht eben nicht nur selektiv heran ziehen und mit allen möglichen Rechtskonstruktionen Teile des Völkerrechtes quasi ausblenden, so wie die USA nach 09/11 das gemacht haben.
@Memoria
Zustimmung. Allerdings würde ich mich keiner „Sichtweise er würde das Völkerrecht oder die Verfassung brechen“ anschließen, falls dieser „er“ so wie z.Bsp. @wacaffe argumentiert. Ich persönlich habe bei targeted killing – genau wie bei Folter – eben nicht nur Zweifel an der völkerrechtlichen Legitimität, sondern auch an der militärischen Effektivität.
@klabautermann
Zu welcher Norm der EMRK wird die Ächtung der gezielten Tötung erörtert?
@ klabautermann
oh boy.
jetzt kommen Sie plötzlich mit der EMRK.
ich weiß ja nicht inweiweit Sie in der Materie stehen aber mal abgesehen davon das es sich bei der EMRK nur um regionales nicht um universelles Völkerrecht handelt, ist die Anwendung von Menschenrechtsverträgen bzw. Abkommen durch humanitäres völkerrecht jedenfalls soweit gesperrt als es Ausnahmregelungen für den kriegsfall trifft.
Ich empfehle Lektüre des Art. 15 Abs. 2 EMRK zusammen mit Art. 2 EMRK.
Die EMRK verweist hier, was die Zulässigkeit der Bekämpfung irregulärer Kombatanten angeht, auf die geltenden Regeln des humanitären Völkerrechts.
und, sacre bleu, da sind wir wieder bei meiner obigen argumentation.
ICh hbe ähnlich wie memoria den eindruck das bei Vielen, auch vermeintlichen experten, unterschwellig eher eine gewisse renitenz a la „ich will aber nicht das das erlaubt ist“ maßgeblich für ihre Aussagen ist.
————
@klabautermann 2
bezüglich der effektivität kann man sicherlich streiten. das ist aber nun etwas völlig anderes als die diskussion über die legalität. Zumindest bei AG sollten wir das sauber trennen.
@Reservist122 | 04. Januar 2015 – 15:31 u. klabautermann
Mit meinem Verweis auf den Rechtspositivismus wolte ich daraufhinweisen, dass n.m.V. (aber vlt irre ich da ja?) das Völkerrecht erheblichen gewohnheitsrechtlichen Charakter hat (siehe als Extremfall: R2P). Somit ist das Völkerrecht weitaus interpretationsfähiger aber auch interpretationsbedürftiger als z.B. das deutsche Straf-, Verwaltungs oder gar Steuerrecht.
Zu den rechtstheoretischen und -philosophischen Problemen (auf S. 51 auch zu Kap VII VN-Charta): https://ius.unibas.ch/uploads/publics/41265/20131209152230_52a5d226dda75.pdf
Aber da sind sie wohl belesener als ich.
Es wird jedoch sehr oft in der deutschen Diskussion ein inländischer Maßtab an die Diskussion um das humanitäre Völkerrecht angelegt (keine klare Norm -> illegal). Dies erschwert – wie man ja auch hier sieht – oftmals die Argumentation.
Für den angloamerikanischen Rechtsraum ist dies – so meine These – aufgrund der dortigen Rechtstraditionen (Richterrecht, case law) weitaus weniger ungewöhnlich.
Gewohnheitsrecht und eine anderes Verhältnis zur staatlichen Gewaltausübung führen zu einer völlig anderen Diskussionskultur (das heißt noch nicht, dass das Endergebnis in allen Teilen besser sein muss).
Wie gesagt – nur eine These:
Im Rückblick auf die Diskussionen der letzten Tage offenbart sich eine interessante Verbindung aus Pazifismus und Rechtspositivismus.
In der Kombination stellt man dann gern die anders Handelnden – mehr oder weniger subtil – als Rechtsbrecher da. Keine wirklich gute Diskussionskultur.
Man kann ja der Meinung sein, dass dieses Vorgehen unklug ist (siehe @Klabautermann), aber wenn man fortlaufend die völkerrechtliche Legitimität in Frage stellt, dann kommt man gar nicht mehr dazu die Effektivität wirklich zu diskutieren.
Das wiederum ist bedauerlich, da das Thema nicht auf AFG oder IRAK beschränkt ist.
Auch die UN-Einsätze erhalten einen immer offensiveren Charakter (siehe Kongo und Mali).
Damit bleibt auch dort das Thema Targeting (egal in welcher Ausformung) ein Thema zu dem Deutschland eine nationale Position finden muss – auch wenn es schwer fällt…
@Memoria
Auch wenn das Völkerrecht vieles zuläßt, so ist der einzelne deutsche Soldat strafrechtlich nicht unbedingt aus dem Schneider.
Und darum geht es doch: wie kann ich den Soldaten möglichst freistellen?
Bisher gingen die Verfahren ja glimpflich aus, das muß aber nicht immer so sein. Allein schon die Tatsache, daß staatsanwaltschaftlich ermittelt wird, ist für den Soldaten sehr belastend.
@ TM
Zumal der Soldat dann meist aus dem Einsatzland entfernt wird. Finanzielles Desaster bei manch einem und viel Stress noch zu Hause. Zudem fehlt der Einheit dann i.d.R ein Soldat.
Sowie Beförderungsstopp während des Verfahrens, und, und, und. Außerdem sind ja oftmals mehrere Soldaten beteiligt.
@Thomas Melber:
Das Thema strafrechtliche Relevanz haben wir hier glaube ich die letzten Tage zu genüge diskutiert.
Auch hier gibt es bei zweckmäßiger Auslegung kein zusätzliches Problem (siehe ISAF).
Die staatsanwaltschiftlichen Vorermittlungen waren sicher oftmals belastend.
Aber wenigstend hier trat ja ein Lerneffekt ein (verkürzte Ermittlungen, Schwerpunktstaatsanwaltschaft).
Ich sehe hier jedoch weiterhin Defizite bei der Ausbildung auf der Ebene der Kdr und KpChefs.
Diese Ebenen müssen diese Vorgänge sinnvoll einordnen, damit es nicht zu unötiger Verunsicherung oder gar Unruhe bzw Lähmung der Truppe kommt.
@ thomas melber
„Auch wenn das Völkerrecht vieles zuläßt, so ist der einzelne deutsche Soldat strafrechtlich nicht unbedingt aus dem Schneider.“
au contraire. Völkergewohnheitsrecht geht gemäß Art. 25 GG geltendem (einfachem) deutschen Gesetzesrecht vor. Nach Art. 59 GG werden völkerrechtliche verträge nach ratifizierung bundesrecht gleichgestellt.
verhält sich ein deutscher Soldat im Einsatz demnach völkerrrechtskonform ist eine Verurteilung in Deutschland de facto ausgeschlossen.
Zumal deutsches friedensstrafrecht ohnehin unanwendbar ist, da durch humanitäres völkerrecht gesperrt. lex specialis. (empfehlenswert hierzu die „Klein entscheidung“)
memorias ausführungen zum deutschen auslegungsprovizialismus sind me. ein ansatzpunkt die deutschen Verirrungen bei der Thematik zu erklären was sich auch in anderen völkerrechtsregionen (speziell bei Menschenrechten) immer wieder zeigt.
@wacaffe
Danke für diese verständliche und nachprüfbare Einlassung zum Recht.
@ all
Nachdem das m. E. nach doch recht wasserdicht beantwortet wurde, ob Strafrecht oder nicht bei völkerrechtlich einwandfreiem Handeln und wir annehmen, die Bw und ihre Soldaten bewegten sich in ISAF im rechtlichen Rahmen ( wovon ich fest ausgehe und der Jurist mit dem ich meinen Einsatzzeitraum teilte übrigens auch), hätte ich gern mal folgende Frage diskutiert:
Wenn die Bundesregierung ihre Streitkräfte einsetzt und es nicht um einen unbewaffneten Einsatz in Form einer Beobachtermission o.ä. geht, wie sähe denn dann eine vernünftige Alternative zur JPEL und dem Trageting-Prozess aus?
Wie wollen wir folgende Faktoren zusammenbringen:
1. Gegnerische Infrastruktur und Personen, die wir auf keinen Fall gefährden wollen.
2. Gegnerische Infrastruktur und Personen, die für unsere Mission von Relevanz sind.
3. Mittel (z.B. positive/negative Beeinflussung, capture, kill, usw.) die wir in Bezug auf 2 einsetzen müssen, um
4. Effekte zu erzielen, die unser Missionsziel herbeiführen sollen.
Und wie veranschaulichen wir diese Alternative, um sie den militärischen und vor allem den politischen Entscheidunsträgern, bis hoch zum NAC, zur Billigung vorzulegen?
Denn sowohl rechtlich als auch ethisch muss es ja unser Ziel sein, nur auf die Faktoren gemäß 2. einzuwirken, die zwingend erforderlich sind um das Missionsziel zu erreichen. Bedeutet im Umkehrschluss wo immer möglich die zu schützen, die unter 1. fallen.
Ich bin da sehr zufrieden mit den bestehenden Tools. Die Gewerke die dabei entstehen sind stets nur so gut, wie die Handwerker, die die Tools benutzen!
Ich bin auf Input gespannt.
@Eule:
Sehr treffender Beitrag.
„wie sähe denn dann eine vernünftige Alternative zur JPEL und dem Trageting-Prozess aus?“
Um darauf eine Antwort geben zu können muss man zielorientert denken wollen.
Daran scheitert es in der sicherheitspolitischen und militärfachlichen Diskussion in Deutschland eben.
Lieber denkt man regelorientiert (siehe Diskussion hier), damit muss man „nicht über möglicherweise verstörende Details reden“ (siehe obigen Beitrag von T.W.).
Und das gilt nicht „nur“ für die Politik. Sondern eben auch für das militärischen „Establishment“.
Immer wieder interessant, wenn man bspw. Fragen zu offensiven C-IED-Maßnahmen aufwirft (attack the network). Erst sind alle dafür, weil ist ja C-IED u. Schutz, aber wenn es konkret wird: „ähhhm… das ist wohl politisch nicht gewollt…“.
Woher auch immer diese Leute wissen was politisch gewollt ist…
Das heißt nicht, dass man keine Regeln beachten sollte oder dass alles in den letzten Jahren auf der ganzen Welt richtig lief, aber der verriegelte Diskussionsansatz in Deutschland führt offenbar auch nicht weiter.
@ Eule
der von ihnen skizzierte 1/2/3/4 handlungsstrang ist ja bereits integraler bestandteil des JPEL und sonstiger targeting prozesse. wirkliche alternativen sehe ich dazu auch nicht, allenfalls kann man innerhalb des planungsprozesses die akzente anders setzen
„wie viel collateral damage ist uns person XY potentiell wert?“, „welchen kräfteansatz möchte bzw., kann ich nutzen“ usw.
wie memoria richtig anmerkt kommt die debatte leider viel zu selten im eigentlich militärischen bereich namentlich bei der effektivität, und wie sie sich gegebenenfalls optimieren lässt, an.
Die JSOC methode die Mccrystal im Irak und Afghanistan gefahren ist war ja durchaus erfolgreich im Rahmen der Auftragsparameter. fusion cells, transinstitutionelle abstellung von personal DEA/FBI/CIA usw. und dann find/fix/finish.
Das Konzept ließe sich mit entsprechenden Modifikationen durchaus umsetzen. Die Doorkicker vom KSK machen dann den exekutiven part.
(völker)rechtlich steht dem jedenfalls weder in Afgh. noch potentiell im Irak/Mali oder sonstwo was entgegen.
Die Blockade ist eher „Angst essen seele auf“ in den köpfen der politmilitärischen führung
@wacaffe
Das ist ja de facto auch nichts Neues, was McCrystal da erfunden hat. Das ist Time sensitive targeting und wird ja durchaus im Rahmen von capture-Operationen schon wie von Ihnen angedeutet durchgeführt.
Na guck. Eine konkrete Frage ob der Sache gestellt und ruhig ist es. Oder liegt es an der Arbeitswoche?