ISIS-Sammler: Kobane und anderswo
Die syrische Stat Kobane nahe der türkischen Grenze ist weiterhin zwischen den islamistischen ISIS-Terrormilizen und Kurden umkämpft, und sie ist weiterhin das Symbol für den – in der internationalen Wahrnehmung: vom Scheitern bedrohten – Krieg gegen ISIS. Am (heutigen) Dienstag ein erneuter Versuch der Sammlung der vorliegenden Informationen:
Kobane wird von drei Seiten angegriffen – dpa via tagesschau.de:
Der Kampf um Kobane dauert mit unverminderter Härte an. Offenbar nimmt die Terrororganisation „Islamischer Staat“ die syrische Grenzstadt inzwischen von drei Seiten in die Zange. Es gebe heftige Gefechte im Süden, Westen und vor allem im Osten der Stadt, berichtete ein kurdischer Aktivist telefonisch der Nachrichtenagentur dpa.
Einen Vorstoß des IS auf das Zentrum Kobanes konnten die Kurden aber offenbar abwehren.
In einem Punkt irrt allerdings dpa (oder tageschau.de): Die USA sind nicht die einzigen, die in Syrien Angriffe auf erkannte ISIS-Stellungen und Einheiten fliegen. Das geht aus der (gestrigen) Übersicht des U.S. Central Command hervor:
In Syria, two airstrikes southeast of Kobani destroyed two ISIL training facilities, while four strikes south of Kobani destroyed two ISIL vehicles, struck two small ISIL units and damaged an ISIL tank. One airstrike northeast of Kobani destroyed an ISIL vehicle. An airstrike east of Dayr az Zawr destroyed an ISIL armored vehicle staging facility. One airstrike northeast of Al Hasakah struck a small ISIL unit. To conduct these strikes, the U.S. employed U.S. attack, bomber, fighter and remotely piloted aircraft deployed to the U.S. Central Command area of operations. In addition, United Arab Emirates and Kingdom of Saudi Arabia aircraft participated in these airstrikes.
(Nachtrag: tagesschau.de hat die Passage, laut der allein die USA in Syrien angreifen, inzwischen entfernt.)
Kobane steht natürlich deshalb im Mittelpunkt der öffentlichen Wahrnehmung, weil sich die Kämpfe in Reichweite der Objektive auf dem Media Hill auf der türkischen Seite der Grenze abspielen. Im Irak allerdings kann ISIS auch weitere Geländegewinne verzeichnen – die Provinz Anbar scheint zu fallen:
Iraq army pressured by ISIL in west: official
The Iraqi army is under serious pressure in the west of the country, officials said, with the world’s attention fixed instead on the Syrian town of Kobane as it battles a similar Islamic State in Iraq and the Levant offensive.“It’s tenuous there. They are being resupplied and they’re holding their own, but it’s tough and challenging,“ a senior US defense official, who spoke on condition of anonymity, told the AFP news agency.
Dozens of US-led air strikes in recent weeks on the western Anbar province, including near the city of Ramadi, have helped counter the group’s fighters while the capital Baghdad remained secure, the official added. (…)
The difficult circumstances in Anbar offered a stark contrast with battlefield reports from the country’s north, where more capable Kurdish soldiers have made some headway.
Unterm Strich scheint die Tendenz: Die Luftschläge allein reichen nicht aus – siehe CNN:
International airstrikes are not stopping ISIS militants as they advance on northern and western fronts, threatening slaughter in the holdout Syrian Kurdish city of Kobani and securing their grip on Iraq’s Anbar province next to Baghdad.
Islamic State fighters launch fresh attacks on #Kobane, attempting to encircle Kurdish forces http://t.co/tBbPwT1Tug pic.twitter.com/g1pZB5iCBL
— BBC News (World) (@BBCWorld) October 11, 2014
Weiter nach Entwicklung.
(Foto:A U.S. Air Force F-15E Strike Eagle receives fuel from a KC-135 Stratotanker over northern Iraq after conducting airstrikes in Syria, Sept. 23, 2014. These aircraft were part of a large coalition strike package that was the first to strike ISIL targets in Syria – U.S. Air Force photo by Senior Airman Matthew Bruch)
Die Grünen würden einem „robusten UN-Einsatz“ der Bundeswehr gegen IS zustimmen – auch mit Bodentruppen (sueddeutsche.de, „Grüne würden Bundeswehreinsatz gegen IS unterstützen“). Tja mit UN-Mandat läuft das dann ja ganz leicht…
So ein politischer und militärischer Unsinn.
@Memoria: Erstaunlich, daß mit Göhring-Eckhard eine führende Gründe einen Einsatz von deutschen Bodentruppen befürwortet. Ich sehe dies als einen Akt von politischer Vernunft.
Für Syrien brauchen wir ein UN-Mandat oder einen Nato-Beschluß verfassungsrechtlich gesehen oder ein Hilfsersuchen von Assad und letzteres wollen wir ja wohl kaum haben.
Wenn die Grünen auch nur teilweise dafür sind, dann ist die Mehrheit im BT schon sicher.
Kobane kann man noch militärisch helfen, einen militärischen Unsinn kann ich dort nicht erkennen, nur das Problem Assad und der Bürgerkrieg in Syrien wäre nicht zu Ende, wenn wir Kobane helfen. Es würde also bestenfalls eine Schutzzone für Flüchtlinge entstehen, aber eine Gesamtstrategie des Westens gegen ISIS würde weiterhin fehlen.
@Voodoo | 12. Oktober 2014 – 17:55
1+
Andererseits ist das Lesen leichter Schmunzelkost an Sontagen durchaus empfehlenswert.
Interessanter Bericht zu den Problemen der USAF beim Kampf gegen IS:
http://www.thedailybeast.com/articles/2014/10/10/troops-grumbling-that-obama-s-air-war-against-isis-is-too-little-too-late.html
Die Lösung wären eigentlich Special Forces (die ODAs hätten alle notwendigen Fähigkeiten) – aber das widerspricht der politischen Auflage zu Bodentruppen.
@Closius:
Es ist Unsinn, weil wir ja nicht mal die politische Kraft aufbringen 4-6 Tornados zur Verfügung zu stellen (ein Beitrag wie Belgien und Dänemark).
Ihre Vorstellungen eines Panzerangriffes sind auch aus meiner Sicht merkwürdig.
Mit den Realitäten eines solchen Kampfes (irreguläre vs. Panzer) und der Einsatzbereitschaft der Bundeswehr hat dies gar nichts zu tun.
Von einem UN-Mandat rede ich schon gar nicht.
@Closius
Es ist nicht die Aufgabe der Bw mit Bodentruppen im Irak oder Syrien zu kämpfen, zudem unser Bündnispartner alles tut um militärische Hilfe für die Kurden zu verhindern.
@ Closius
Wenn Sie lediglich meinen, ich hätte Sie nur auf persönlichem Niveau angegangen, haben Sie nichts von dem verstanden, was hinter der Aussage stand. Denn:
Sie posten hier offensichtlich noch nicht so lange mit und man merkt Ihnen dabei leider auch noch an, dass Ihnen jedweder zeitgenössische militärische Hintergrund abgeht, was Ihre Aussagen nicht besser macht. Selbst in der Replik auf meine Kritik bemühen Sie besagte KPz und PzH – ganz zu schweigen von der Friedensdividende – und blenden dabei aus, dass es z.B. Wochen dauern würde, diese in die TUR zu schaffen, nur um einen einzigen Schwachpunkt ihrer Ideen aufzugreifen. Dabei reden wir noch nicht vom außenpolitischen Tanz, der vorgeschaltet werden müsste und auch nicht über Munition und Personal – und schon gar nicht vom kruden Erguss, mit KEILER gegen etwaige Minen (in solch einem Szenario wohl eher IEDs…) anzugehen oder im Breitkeil gegen IS bei Kobane anzutreten. T.W. ist bemüht, hier hochwertige Informationen „zu handeln“, da macht es ihm so etwas nicht gerade leicht – zumal er eine One-man-show
betriebt.
Kurz: Sie verschieben Brigaden und Divisionen, KPz, Eurofighter und Tornados hin und her und scheinen dabei dieses Blog gelegentlich mit MP oder generell einem Forum zu verwechseln. Das schreckt Leser „alter Garde“ schlicht ab, die mehr auf dem Schirm haben, als nur „Antenne hoch – Luke dicht!“ und hat Ihnen übrigens bereits einen Warnschuß vom Hausherren zukommen lassen (falls Sie das nicht bemerkt haben sollten….). Nichts für ungut, ich bin hier nicht der Wachhund – aber auf herrlich-krude Großgerät-Ideen hat Alarich die älteren Rechte.
Ich freue mich wirklich auf sachliche Beiträge Ihrerseits, denn man kann immer etwas lernen! Wann und ob man die 7.PzDiv (man habe sie seelig!) wieder aufstellen sollte, gehört allerdings sicher nicht dazu ;-)
Wie ist die Lage eigentlich im NO des Irak, also dort wo unser Engagement ist? Kobane ist leider viel zu sehr in den medialen Fokus gerückt…
Guten Abend, eine vielleicht naive Frage, aber wie könnte ein etwaiger militärischer Einsatz gegen IS aussehen, der eben nicht nur Symbolpolitik ist (ohne militärisches wünsch-dir was denken)?
Das hierbei große Herausforderungen politischer / diplomatischer Art zu überwinden sind ist bekannt, aber welche Maßnahmen müsste man ergreifen um der Herausforderung IS zu begegnen?
Türkei lässt USA und Koalitionsstreitkräfte ihre Basen nutzen für Operationen gegen ISIS, sagte das US-amerikanischen Verteidigungsministeriums Sonntag.
US says Turkey OKs use of bases against militants
http://www.stripes.com/us-says-turkey-oks-use-of-bases-against-militants-1.308035
@Voodoo: Ich kommentiere manchmal zu ausführlich und manchmal OT zum Ärger des Hausherren. Und heute habe ich vielleicht auch schon zu viel geschrieben…..deshalb nichts mehr inhaltlich für heute.
Meinen sie jetzt einen älteren Warnschuß oder habe ich heute was übersehen?
@ Thomas
Unter den Prämissen:
• Die Türkei kann nicht zur Kooperation bewegt werden
• Es stehen keine gesicherten Aufmarschräume zur Verfügung
• Die Intervention ist zeitkritisch und sollte in 48 – 72 Stunden erfolgen, bevor IS die komplette Stadt übernimmt und die kurdischen Kämpfer massakriert (.ggf ist es schon so weit, dass man sich besser um einen Fluchtkorridor kümmert, anstatt über den weiteren Kampf nachzudenken)
Bleibt als militärische Mittel eigentlich nur noch der Einsatz von Spezialkräften (Mit Fallschirm absetzen über der Stadt – sehr riskant bei Tag und gefährlich bei Nacht) und massiver Einsatz von allen Air-Assets: Kampfjets, Bomber, Kampfhubschrauber, Gunships, Drohnen etc… die von den Spezialkräften am Boden ins Ziel gelenkt werden.
US says Turkey OKs use of bases against militants http://apne.ws/1sx9bZ5
Dort sind seit Januar 2013 niederländische Flugabwehrsoldaten mit ihren »Patriot«-Raketensystemen stationiert.
Ich sehe bei jeder Form des Eingreifens mit Bodentruppen das Problem, dass sich einige bisher zerstrittene und untereinander bekämpfende Gruppen solidarisieren und gegen den äußeren Feind zusammen schließen. Diese Kohäsion gilt es meiner Meinung nach zu verhindern. Verstärkt würde das noch, wenn dies „Ungläubige“ wären. Dazu kommt, dass spätestens nach den ersten konventionellen Niederlagen die IS wieder in den Untergrund zurück zieht und ein Afghanistan/Irak Szenario ähnliches Vorgehen liefert: Ein ewiger Konflikt, der nicht zu gewinnen ist und wo die IS Ort und Zeitpunkt jeder (IED) Attacke wählt.
Bei der Aussicht ist es klar, warum weder USA, UK, FRA, DEU oder die Türkei sich mit Bodentruppen engagieren möchte. Also Kurden als Bodentruppen ausrüsten und ausbilden. Kurzfristig gegen IS eine Lösung, aber ob man die Geister die man ruft wieder los wird? Spätestens wenn ein Türkisch-kurdischer Konflikt aufflammen sollte, wird sich die Türkei für jede gelieferte Milan bedanken…
T.W
danke fuer die Karte
das ist mehr IS als ich gedacht hatte….das wird ein Lebenswerk…
@ Closius
Älter, direkt vorm Abschalten der Kommentare, nach dem OT zur schottischen Unabhängigkeit.
@Bang50 danke für die Info. Das bedeutet aber meiner Meinung nach, dass man zwei Optionen besitzt. Weiter wie bisher, mit geringen Erfolgsaussichten oder Soldaten in ein „Kreta 2.0“ zu schicken (oder man akzeptiert, dass Kobane verloren ist und konzentriert seine Kräfte auf das Schaffen eines Flüchtlingskorridors).
@Voodoo: An dem OT zur schottischen Unabhängigkeit war ich mitschuldig, aber dafür habe ich mich auch bei Herrn Wiegold entschuldigt.
Ihnen noch einen schönen Tag!
@Thomas: Tatenlos akzeptieren, dass Kobane verloren ist, d a r f keine Option sein, außer, jemand möchte sich an dutzenden, wenn nicht hunderten geköpfter oder geschändeter Kurden der Stadt ergötzen. Nachdem sich ja niemand freiwillig am Boden für die Stadt engagieren möchte, sehe ich als einzig praktikable Lösung, die Türkei endlich dazu zu bringen, die freiwilligen Kurden bewaffnet zurück über die Grenze nach Kobane zu lassen. Diese Option sollte sich doch mit internationalem Druck („Zuckerbrot und / oder Peitsche“) bewerkstelligen lassen!!!
@M3M , dass hört sich richtig an, nur denke ich dass die Argumentation schwierig ist. In den Jahren davor wurde das Leid, Elend und Sterben der Menschen in Syrien letztendlich ausgeblendet. Jetzt wo eine neue „Macht “ auftaucht, geht der Blick „nur“ auf diese Stadt.
Für die Türkei ist der IS, so vermute ich, eine eher abstrakte Bedrohung während die Kurden mitsamt deren Streben nach Autonomie eine reale Bedrohung für den Staat Türkei darstellt. Deshalb wird der Ansatz Druck und Hilfe nur bedingt funktionieren.
Ansonsten wird vermutlich das geschehen, was Sie beschreiben. Wobei die Welt schon schlimmeres mit Schweigen und Nichtstun akzeptiert hat.
Was die Amerikaner und die Türken vielleicht unterschätzt haben, ist die Bedeutung von Kobane auf den Bildschirmen. Strategisch ist die Stadt sicherlich unbedeutend. Da sind die Gefechte Nahe Bagdad sicher eher entscheidend.
Aber: Kriege werden seit Vietnam oftmals auf dem Fernsehschirm gewonnen oder verloren. Da könnte die Wirkung der aktuellen Situation in Kobane z. B. für die innenpolitische Situation der Türkei oder für das Ansehen der USA noch erheblich sein.
Die ISIS scheint das besser verstanden zu haben, wenn man schaut, was die dort mobilisieren.
Allerdings sollte man bezüglich eines möglichen Eingreifens nicht nur mit dem Finger auf den Westen zeigen. Was tut eigentlich Russland? Russland ist an der Situation in Syrien sicherlich zu einem guten Teil als Waffenlieferant mitschuldig.
@StMarc: Genauso sehe ich das auch. Hier geht es um mehr als um eine Grenzstadt. Die strategische Bedeutung der Stadt ist zu vernachlässigen, aber die symbolische Bedeutung sollte niemand unterschätzen.
@Thomas: Natürlich kann ich die Angst der Türkei vor einer starken Kurdenregion direkt „vor ihrer Haustüre“ zum Teil nachvollziehen. Andererseits ist es deutlich zu kurz gedacht, „den Dingen (bzw. der IS) ihren Lauf“ zu lassen. Die Reaktion der Kurden im eigenen Land könnte mittelfristig deutlich unangenehmer werden als ein begrenztes Engagement in Kobane. Und ja, leider hat die Welt schon zu oft weggesehen (Srebreniza, Ruanda …). Genau das bringt mich ja so in Rage, diese „Appeacementpolitik 2.0“, die zur Zeit unserer Großväter schon nicht funktioniert hat. Aber das interessiert ja keinen. Ich finde nur traurig, dass die Medien nicht mehr Druck auf die Politik ausüben.
@M3M ich stimme Ihnen zu, dass es vermutlich zu kurz gedacht ist, IS gewähren zu lassen. Nur, ein militärischer Einsatz mit welchem Kräfteansatz auch immer, erfordert denke ich vor allem die Bereitschaft Opfer zu bringen und zu ertragen.
Bang50 hat zumindest eine Möglichkeit des Handelns skizziert. Wie zweckmäßig diese ist, steht nicht zur Diskussion, aber sie wird Opfer fordern und zwar nicht nur bei dem Gegner sondern auch bei den eingesetzten Soldaten bzw unter der noch vor Ort befindlichen Zivilbevölkerung.
Weiterhin stellt sich die Frage, warum „wir“ diese Opfer bringen sollten? Um Menschenleben zu retten ist ein sehr hehres Ziel, welches das Herz wärmt aber auch nur das.
Ich habe mich ja schon damit abgefunden, dass niemand bereit ist, sich über das aktuelle Maß hinaus zu engagieren (eigene Verluste sind halt auch in den westlichen Medien nicht „sexy“). Aber ich wiederhole nochmal meine Forderung von vorhin: Lasst wenigstens die Kurden sich selbst helfen, anstatt sie mit Gewalt am Grenzübertritt nach Kobane zu hindern. Außerdem bin ich sicher, dass solch eine Geste dem zarten Pflänzchen Aussöhnung zwischen Türken und Kurden in der Türkei sehr zuträglich wäre!
Ich denke es ist für die Türkei schlicht eine Risikoabwägung.die Kurden wegen unterlassener Hilfeleistung am Hals zu haben ist immernoch aus türkischer sicht beherschbarer als sich mit der IS rumzuschlagen. Ausserdem ist Syrien zumindest auf dem Papier ein souveräner Staat und ohne einen eindeutigen Hilfegesuch vor der UNO hatt dort niemand was zu suchen. (privatmeinung)
@: StMarc, 11:26
Wenn überhaupt, wird Rußland sich nur verdeckt einmischen (und sich dabei auch mehr Mühe geben, als in der Ukraine).
Sicher würde Putin Assad gern mehr unterstützen. Ist er doch – zusammen mit dem Iran – einer der letzten Freunde, den Rußland in der Ecke hat. Und ich könnte mir auch vorstellen, daß die einen säkularen, unabhängigen Kurdenstaat als Stabilitätsanker durchaus unterstützen würden, selbst um den Preis, daß auch Syrien dafür Land abgeben muß. Der Irak ist eh Geschichte, egal, wer dessen Staatsgebiet früher oder später erbt.
Aber da ist auf der anderen Seite immer noch die Türkei. Bisher hat sich Erdogan mehr oder weniger neutral gegenüber Moskau verhalten. Russische Schiffe dürfen nach wie vor den Bosporus passieren, die Sanktionen hat die Türkei abgelehnt (und im nachhinein profitiert). Und soweit ich gelesen habe, hat sich die Türkei auch gegen diverse Aufmarschpläne der NATO (außer den Schwarzmeermanövern) zum antirussischen Säbelrasseln verwahrt (Da gibt es hier im Kommentarbereich sicher Kundigere als mich). Das alles kann sich aber schnell ändern, denn Erdogan ist im Moment auf seiner ganz eigenen Spur unterwegs, gegen Assad, gegen die Kurden und irgendwie auch gegen das Abendland. Wenn Rußland jetzt zu offen Partei ergreift, dürfte es vorbei sein mit der Toleranz.
Und selbst, wenn Rußland diesen Aspekt ignoriert, bleiben da auch noch 2 weitere große Risiken:
Erstens besteht durchaus die Gefahr, daß der Racheterrorismus wieder aufflammt (Grundschule Beslan, Metro und Musicaltheater in Moskau). Und die Grenzen und die Infrastruktur eines so riesigen Land überwachen zu wollen, halte ich für Illusion. Selbst Tschetschenien wird nur mit Zuckerbrot und Peitsche unter Kontrolle gehalten (Und dadurch, daß sich die Kriegsjunkies dafür woanders austoben dürfen.).
Zweitens stellt sich Putin sicher auch die Frage, was passiert, wenn er Truppen (oder einzelne Spezialeinheiten/Bomber/Kampfjets) nach Syrien schickt und diese dann durch die Allianz der (Un-)Willigen „versehentlich“ ausgelöscht werden.
Wie will er das dann seinem Volk erklären? Denn Absicht oder nicht, die Russen werden das als direkten Angriff von USA/NATO/Westen werten. Und werden Rache fordern (erst recht nach allem, was dieses Jahr geschehen ist). Soll er sich dann letzten Endes doch noch ganz offiziell mit den Amis klopfen (und dann per Bündnisfall vielleicht sogar mit der kompletten NATO)? Nachdem er sie fast ein halbes Jahr lang immer wieder hat ins Leere laufen lassen? Und gleichzeitig noch mit ISIS? Und mit einheimischen Terroristen? Nee, Putin ist sicher selbstbewußt. Aber wahnsinnig ist er nicht!
Also wird er die Füße stillhalten und dem Morden ebenfalls zusehen, auch wenn es weh tut. Einen Vorteil hat die ganze Show ja immerhin für ihn: Die ganze Welt ist Zeuge, wie jämmerlich der Westen, mitsamt seinen stolzen Werten, versagt. Und zumindest ein Teil der Welt wird sich die Frage stellen, ob es tatsächlich so weise war, Rußland derart zu isolieren.
Foxy | 13. Oktober 2014 – 14:07
“ Die ganze Welt ist Zeuge, wie jämmerlich der Westen, mitsamt seinen stolzen Werten, versagt.“
Das ist einfach zynisch … jetzt wegen einer kleinen syrischen Stadt soll der große Zampano gemacht werden. Was in Syrien passiert ist uns doch schon seit Jahren egal und es gibt jede Menge Kriege und Konflikte, bei denen wir auch zu sehen; so what?
@Foxy – sehr gute Analyse.
Mein Ziel war es, darauf aufmerksam zu machen, dass in solchen Situationen, wie in Syrien, immer gleich mit dem Finger auf den Westen gezeigt wird. Einerseits aus der Historie verständlich.
Auf der anderen Seite gibt es in Russland auch einen Player, der in dieser Gegend schon sehr lange mitmischt. In einem interessanten Artikel, ich glaube es war in der FAZ, wurde pointiert geschrieben, dass Diktatoren in solchen Ländern mittelfristig eben keine Stabilitätsanker sind, sondern die Aushandlung und Lösung von Konflikten solange verhindern, bis ihr Staatsgebilde irgendwann auseinanderfliegt, wie im arabischen Frühling. Ergo eben auch Russland als Assad-Untertsützung Verantwortung trägt.
@ Thomas 13. Oktober 2014 – 9:14: Kreta 2.0 (wenn auch nicht in dem quantitativen Ausmaß) oder die Flucht organisieren (auch nicht möglich ohne erheblichen Kräfteeinsatz) – trifft es denke ich ganz gut. Wobei ich seit heute Nacht der Meinung bin, dass wir unsere Politik und die operativen Planungen auf eine organisierte Flucht aus der Stadt ausrichten sollten (nur wohin und wie?). Wenn die Türken nicht einlenken, ist das einfach eine Falle, aus der keiner mehr lebend raus kommt.
@ M3M: Die Türken sind tatsächlich der Schlüssel in dieser Schlacht. Die türkische Armee müsste mit ihren Panzern „nur“ bis zum Stadtrand vorfahren um einen Korridor zu öffnen und die gesamte taktische Situation würde sich sofort ändern. Die kurdischen Kämpfer hätten eine Fluchtmöglichkeit, die kurdische Verstärkung auf der türkischen Seite könnte einrücken. Wir könnten über die Türkei die Kämpfer mit Waffen versorgen und Spezialkräfte in die Stadt bringen ohne einen gefährlichen Fallschirmstunt ausführen zu müssen. Aber, es sieht nicht danach aus als würde die Türkei einlenken. Ich bin mir nicht einmal sicher ob selbst schwerstes diplomatisches Geschütz Erdogan zum Einlenken bringt (der spielt auf Zeit und ist auch sonst Argumenten nur schwer zugänglich). Also was sollen wir tun? Ich denke, wir sollten uns schleunigst Gedanken machen wie wir die kurdischen Kämpfer auch ohne die Türkei aus der Stadt bekommen. Auch wenn wir strategisch den Verlust der Stadt verschmerzen können, den Verlust von mehreren tausend kurdischen Kämpfern und die demoralisierende Wirkung eines Massakers auf die ganze Region können wir nicht verschmerzen.
Die Türkei dementiert die vom Pentagon getroffene Aussage über die Zustimmung bezüglich der Nutzung türkischer Militärbasen durch die Anti-IS-Allianz. Ich muss mich mal schlau machen wie die Türkei in der NATO gelandet ist.
@Heiko Kamann:
Ehrlich gesagt, bin ich etwas verwundert, daß ausgerechnet Sie mir Zynismus vorwerfen. Waren Sie es nicht, der (sinngemäß) sagte: Der ganze Streß da unten geht uns nichts an und wir wissen eh nicht, was wir mit den Flüchtlingen machen sollen, also warum halten wir uns nicht raus?
… worauf ich Ihnen erst einmal erklären mußte, daß eine Handelsnation wie Deutschland dann doch nicht ganz unbetroffen sein wird von den Rohstoffkriegen im nahen und mittleren Osten und von der Gefährdung diverser Logistikströme.
Ich wüsste auch nicht, was an meiner Analyse zum Verhalten Rußlands in dieser Situation zynisch sein sollte. Wenn, dann ist es die Situation selbst, die zynisch ist. Zum Beispiel, daß man ein mögliches Massaker an Tausenden schulterzuckend hinnimmt, weil die grad greifbaren Verbündeten nicht wollen oder können oder die Vorgänge sogar begrüßen. Und daß sich mögliche weitere Unterstützer deshalb raushalten, weil sie selbst mit Gegenfeuer der angeblichen Verteidiger rechnen müssen. Der Westen bekleckert sich da weiß Gott nicht mit Ruhm.
In einer anderen Welt wäre Rußland vielleicht ein wertvoller Partner oder zumindest Ratgeber, denn immerhin sind die Russen meines Wissens nach die einzigen, die in einem islamistisch verseuchten Land (Tschetschenien) nachhaltig für Ruhe gesorgt haben. Das geschah sicher auf sehr robuste Art, über die wir uns gerne aufregen, aber die USA und ihre Vasallen sind ja auch nicht gerade fürs Leisetreten bekannt. Wenn auch mit weniger Erfolg.
Und wenn Sie mir jetzt mit dem russischen Afghanistankrieg kontern wollen, dann möchte ich zumindest darauf hinweisen, daß die Aufrüstung der Mudschaheddin auch nichts anderes war, als die Situation, die wir jetzt haben.
Der ursprüngliche Förderverein (USA/SA) ist sogar noch der gleiche.
Auch das ursprüngliche Ziel: Destabilisierung eines anderen Staates in einem Stellvertreterkrieg.
Sogar das Ergebnis ist ein Deja-vu: Erstarken radikaler Kräfte im Machtvakuum, Unterdrückung und Abschlachten der einheimischen Bevölkerung und kopfkratzende Ratlosigkeit des Westens.
Um das ganze abzuschließen (und auch hier muß ich Ihnen leider widersprechen) bin ich ganz bei Bang50:
Kobane mag nur eine verhältnismäßig kleine und militärisch eher unwichtige Stadt sein. Aber ein Fall Kobanes wird live und in Farbe vom Medienhügel auf sicherer türkischer Seite verfolgt und in alle Welt übertragen werden. Ein deutlicheres Signal, demoralisierend und haßerzeugend (auf den „moralisch verkommenen“ Westen), kann ich mir kaum vorstellen.
Örgs. Wie sind wir jetzt bei russischer Ausbildung vs. US-Ausbildung gelandet? Dieser OT wandert ins Bällebad…
@ T.W.: Ups, mea culpa. Die Wißbegier ist mir durchgegangen…
Danke übrigens für die Karte zur Ausbreitung von ISIS! Ist doch um einiges anschaulicher (und leider auch beängstigender) als die Comics der „Allgemeinbildenden“.
Die internationale Gemeinschaft aggiert nach dem St. Florian Prinzip, „Heiliger Sankt Florian / Verschon‘ mein Haus / Zünd‘ and’re an!…“
Niemand in der Weltgemeinschaft will sich im Kampf gegen IS exponieren, vermutilch aus Angst vor Vergeltung, eine Bedrohung die weit über die übliche militante Gewalt hinausgeht und sich wohl mit den schlimmsten Szenarien des tschetschenischen Terrorismus messen kann. Und gerade die Türkei ist in einer besonderen Zwickmühle, handelt sie gegen IS dann delegitimiert sie ihre Haltung gegenüber Assad. Oder zumindestens schätzt das Erdogan so ein.
Also schauen die Anreiner zu wie die Brandstifter von einem Haus zum nächsten gehen und drohen „wer uns aufhalten will ist als nächster dran“.
Wer hat im Kurden-ISIS-Konflikt( oder sollte man besser Schiiten-Sunniten-Konflikt oder noch besser Konflikt zur Sicherstellung des Zugangs zu den Energieressourcen des Nahen und Mittleren Ostens sagen) welche Interessen?
1. Der ISIS, zum Teil geführt von sunnitischen Offizieren der von US-Bremer aufgelösten Saddam Hussein-Armee, nutzt gegenwärtig die Schwächen der schiitisch geführten Staaten Syrien und Irak mit dem Ziel , ein Kalifat zu errichten. Das Sykes-Picot-Abkommen wankt.
2. Die Kurden blicken seit Juni des Jahres auf die zunehmend deutlicher werden Konturen eines eigenen Staates mit dem ölreichen Zentrum Kirkut. Nun sollen sie die „Drecksarbeit“ gegen die ISIS machen. Aber so richtig will sie niemand unterstützen.
3. Die Ölmonarchien um Saudi-Arabien fürchten um ihren Einfluss in der Region, fürchten eine nukleare Bewaffnung des schiitischen Irans und fürchten ein denkbares iranisch-amerikanisches Atomabkommen. Sie finanzieren die salafistischen Eiferer und destabilisieren alles, was schiitisch ist.
4. Und die transnationalen Muslim-Brüder? Katar und die Türkei unterstützen sie und Riad zahlt gewaltige Summen an Ägypten und lässt sie durch General Sisi bekämpfen. Fast wären sie auf der Welle des „Arabischen Frühlings“ an die Macht gelangt.
5. Iran, Schutzmacht aller Schiiten, beschuldigt die Saudis und Ägypten, in der Region der größte Destabilisierungsfaktor zu sein und ISIS zu unterstützen. Acht Jahre dauerte der erste Golfkrieg, den der Irak unter sunnitischer Führung gegen die schiitischen Revolutionsgarden des Iran bis zur Erschöpfung führte. Derzeit kämpft man um Macht und Einfluss auch bei den Glaubensbrüdern in Syrien.
6. Der Irak? Zerschlagen, zuerst durch die US-Amerikaner und danach durch den ISIS. Geblieben ist Hilflosigkeit und ein Land, das zum Spielball all jener wird, die dort Interessen verfolgen. Und davon gibt’s viele.
7. Syrien: Die Zeit spielt für Assad. Er hat die ISIS in Ruhe gelassen und die ISIS hat dafür die Anti-Assad-Rebellen bekämpft. Und angesichts der Horrortaten der ISIS sieht der Westen nun in Assad ein „stabilisierendes Element“.
8. Die Türkei unter Erdogan vollzieht mehr und mehr den Wechsel von einer laizistischen hin zu einer islamischen Republik. Von „Neo-Osmanismus“ ist die Rede. Ankara unterstützt die ISIS und den Kampf gegen Assad, hilft aber auch den irakischen Kurden ihr Öl an den Westen zu verkaufen.
9. Die Europäische Union ist hin-und hergerissen, wenn es um die Türkei als EU-Kandidat geht. Den Konflikten an ihren Außengrenzen steht sie politisch hilflos gegenüber. Die zu tausenden nach Europa zurückkehrenden Dschihadisten werden diese Hilflosigkeit nutzen und ihren Konflikt in unsere Straßen tragen. Und dann?
10. Und die USA? Sie sichern sich Macht und Einfluss und den Zugang zu den Rohstoffen in der Region. Dabei hinterlassen sie eine „schreckliche Unordnung“. Sie stürzen Regierungen, zetteln Kriege an und unterstützen Aufständische, gegen die sie dann wieder einen „War on Terror“ führen. Es ist ein politischer Alptraum.
Insgesamt ein politisch-religiöser Hexenkessel gefüllt mit Raffgier, Machtgier und religiösem Wahn. Jeder verrät jeden und ist morgen neuer Bündnispartner. Verlass ist nur darauf, dass nichts verlässlich ist. Wer ist in der Lage, dieses explosive Gebräu zu neutralisieren?