Alarmstimmung im Verteidigungsausschuss: „Kreative Mangelverwaltung“
Die jüngsten Berichte über defekte und deshalb gegroundete Hubschrauber bei der Deutschen Marine sind offensichtlich nur die Spitze des Eisbergs: Angesichts der Mängelmeldungen aus der Bundeswehr herrscht nun auch im Parlament Alarmstimmung. Im Verteidigungsausschuss des Bundestages ging es am (heutigen) Mittwoch in Anwesenheit der Inspekteure der Teilstreitkräfte um die Materiallage Hauptwaffensysteme – und noch während der laufenden Sitzung zeigte sich auch in den Reihen der Koalitionsabgeordneten blankes Entsetzen. Mit den Worten des CSU-Verteidigungspolitikers Florian Hahn zu Augen geradeaus!:
Es herrscht kreative Mangelverwaltung. Mit Ach und Krach kann [die] notwendige Verfügungsbereitschaft hergestellt werden. Langfristig fahren wir so gegen die Wand. Neue Systeme laufen nicht zu. Alte Systeme müssen aufwendig am Leben gehalten werden. Ersatzteile werden aus bestehenden Geräten ausgebaut.
Attraktiv ist das nicht! So gewinnt man nicht die besten jungen Leute. Angesichts zunehmender Bedrohungen muss man sich über die Wehrfähigkeit Sorgen machen.
Nun ist die bayerische Unionspartei bekanntermaßen kein großer Fan der CDU-Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen – aber diese Alarmstimmung dürfte über eine solche politische Distanz hinausgehen. Mal abwarten, was nach der Ausschusssitzung noch zu hören sein wird.
Nachtrag 1: Generalinspekteur Volker Wieker hat den Abgeordneten ein Papier zur Materiellen Einsatzbereitschaft der Streitkräfte vorgelegt, in dem einige Systeme auf rot gestellt sind – zum Beispiel beim Heer der Kampfhubschrauber Tiger und der Transporthelikopter NH90, aber auch die geschützten Boxer-Fahrzeuge. Aber bei der Marine zum Beispiel stehen sowohl der Sea Lynx als auch der Sea King auf gelb/rot – obwohl derzeit höchstens einer von 22 Sea Lynx abheben darf. Da muss man noch genauer reinschauen.
Nachtrag 2: Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen hat der Bild-Zeitung* ein Interview gegeben, das im Wortlaut auf der Internetseite des Ministeriums veröffentlicht ist: Dass die Bundeswehr einsatzbereit ist, beweist sie täglich und weltweit in 17 Auslandseinsätzen. Aber Fakt ist auch, dass wir gerade bei den Luftfahrzeugen in einer Umbruchphase sind.
* Deutsche Verlagswebseiten werden hier i.d.R. nicht verlinkt; dieser Link geht auf die Ministeriumsseite und nicht zu Bild.
(Archivbild 2012: Formationsflug von fünf SeaKing-Hubschraubern der Marine über der Kieler Förde, das Marinefliegergeschwader 5 verläßt Kiel in Richtung Nordholz. Ob ein solcher Formationsflug derzeit mit den verfügbaren Hubschraubern auch möglich wäre? – Bundeswehr/ Björn Wilke via Flickr unter CC-BY-NC-ND-Lizenz mit Freigabe für redaktionelle Nutzung)
@Closius
Die Lizenzfertigung war nach dem Krieg eine Erfolgsgeschichte für die deutsche Luftfahrt auch sind NATO Standart Waffensysteme und dezentrale Produktion ein Mehrwert für die militärische Schlagkraft. Wenn Lizenzverträge gut ausgehandelt sind, kann dieser Weg einer sein, der allen einen Vorteil bietet (CH53), das gleiche gilt für gut ausgehandelte Kooperationen (Trall, Patriot). A400M/NH90/EF sind eher keine guten Beispiele doch leider politisch gesteuert.
Das eigentliche Desaster jedoch ist der Eurofighter, so ein führender General (###) der Lw 2013.
@Jas:
„- Wüllner (LW) stellte klar, daß von “grüner Ampel” für die Luftwaffe keine Rede sein könne, die Grenze der Belastbarkeit sei erreicht (das dürfte vdL beim Irak-Ausflug ja auch selbst bemerkt haben).
– Schimpf (Marine) widersprach der Ministeriums-Aussage, der Verzicht auf die kaputten Lynxe sei kein Problem, man habe ja die Orion. Die sinngemäße Aussage von Schimpf dazu: “wer so etwas sage, habe offenkundig keine allzu tiefe Kenntnis der Materie”
Hört sich für mich ziemlich deutlich nach Aufstand der Inspekteure der Teilstreitkräfte gegen den GI an? Jedenfalls setzt vdL diesem Artikel zufolge voll auf das Analyse-Ergebnis der externen Berater, das in der zweiten Oktoberwoche vorgestellt werden soll. Bis dahin hat sie sich wohl Schweigen auferlegt.“
Schlimm, dass die Herren das Extra erwähnen müssen… ich stellen mir grade die Landung einer P3C auf einer Fregatte vor… ;)
Der GI Vertritt die Linie von Frau vdL… und die wird nicht müde zu betonen, dass wir keine Probleme haben… man kann Probleme also auch einfach wegreden.
Was Wüllner angeht: das eine zweite oder dritte Transall für eine kaputte erste kommt ist ja schon mit erfrishcender Regelmäßigkeit so
@Closius
Wenn man bedenkt an wen Russland überall Waffen verkauft glaube ich nicht dass ein gemeinsames Transportflugzeugprojekt die Beziehungen ernsthaft verbessert. Vor allem wenn wir an Ersatzteilen sparen, also auch keinen besonders hohen Umsatz erzeugen. Und in der jetzigen Situation hätte Russland sicher gesagt: kein Übungszentrum – keine Schraube P/N 123. Selbst wenn die Ukraine der Vertragspartner wäre so wäre die AN70 doch voller russischer Komponenten.
Das Problem mit den Entscheidungen der 80er/90er ist doch grundsätzlich dass damals niemand dran gedacht hat die Systeme die bestellt wurden auch wirklich einzusetzen. Je mehr high-tech desto größer die Abschreckung nach Osten hin! So treibt man den Russen weiter in die Aufrüstungsspirale die ihm dann wirtschaftlich den Hals bricht.
Nun haben sich die Zeiten geändert und wir fangen langsam an unsere Armee auch tatsächlich einzusetzen. Und jetzt rächen sich die Entscheidungen der Vergangenheit…
@Elahan: Daß die Luftwaffe den Eurofighter als Problem ansieht, sind damit die Fertigungsmängel und Probleme von EADS/Airbus oder die Kosten oder Ersatzteile gemeint?
Wir wollten einen Luftüberlegenheitsjäger – mit zwei Triebwerken – haben. Die Schweden beweisen mit dem Grippen, daß auch ein kleineres Land ein Kampfflugzeug heute noch alleine entwickeln und bauen kann, was leistungsschwächer, aber auch billiger ist, und seine Aufgaben zum Schutz des Baltikums z.B. auch erfüllt.
@Brabax: Die Fakten, deren klaren Herleitungen samt deren Hintergründe sind längst bekannt und wurde in Masse auch hier in das Blog – natürlich „scheibchenweise und fein abgewogen“ von Insidern – benannt. Es liest halt nicht jeder wachsam mit und es liest auch nicht jeder überhaupt bei AUGEN GERADEAUS.
Ich gehe mal davon aus, dass binnen Tagen diese Fakten in den reputierten Medien ihren festen Platz gefunden haben und die heftigsten Debatten bis in den Bundestag zu Folge haben werden. Genauso wie schon jetzt sehr hart diskutiert wird, nach dem die Süddeutsche protokollarisch über den Verlauf der Sitzung des Vtdg-Ausschusses berichtete. Doch Fakten, Herleitungen und Hintergründe wollen auch recherchiert und verifiziert sein.
Stellen Sie sich mal vor, die „Kölner Sonntagszeitung“ oder das „Führungskräfte Magazin“ würde morgen unrecherchiert und nicht verifiziert schreiben, „die Ampelliste des GI, samt Anschreiben der StSin-Rü an die Obleute, hat der Haussprecher der Ministerin entworfen (das sind alles natürlich absolut hypothetische Beispiele, aber in derartigen Verläufen wird man sich bewegen und damit ist es zum echten Skandal nicht mehr weit). Genauso wenig wird „Herr Oberst i.G. Bannewitz als Referatsleiter von BMBw-Rü XII 7 die Wahrheiten und Klarheiten als Leserbrief im Magazin Morgennebelspalter einstellen“. Deshalb wird über die „Ampel-Liste“ sicherlich auch nicht „Traline“ oder sonst ein „schiefes Blatt“ berichten.
Warten wir also ab, was so die nächsten Tage noch kommt..
Oder kaufen Sie sich doch einfach mal ob der „Fakten und Hintergründe“ das E-Paper der heutigen Ausgabe der Münsterländischen Volkszeitung. Da schreibt über mehr als eine halbe Seite der IGTH-Vorsitzende und Insider (vgl. http://www.igth.de/) unter dem Titel „Die Situation ist deutlich schlechter als dargestellt“ ausführlich zum Thema und u.a. (inhaltlich), daß z.B. die älteren Systeme bei der Lw wie Transall C 160 und Tornado über relativ akzeptable Klarstandsraten verfügen, wogegen bei den neuen Hubschraubern NH90 und UH-TIGER sowie beim Kampfjet EuroFighter kathastrophale Klarstände gegeben sind. Den Herstellern ist es offensichtlich nicht gelungen Waffensysteme zu liefern, die den Anforderungen gerecht werden. Im Zivilen gilt ein Klarstand von 75% als wirtschaftlich akzeptabel.
Und genau das sind nun mal die knallharten Fakten, die sich Spitzenbeamte, Generale, Obristen und zivile BMVg Mitarbeiter auch oder gerade hier in das verteidigungspolitische Blog AUGEN GERADEAUS vorhalten lassen müssen, ohne daß es wie Ihrer Meinung nach des Einschreitens der Blogger oder von T.W. bedarf.
@Closius
„Daß die Luftwaffe den Eurofighter als Problem ansieht, sind damit die Fertigungsmängel und Probleme von EADS/Airbus oder die Kosten oder Ersatzteile gemeint?“
Die Einsatzverfügbarkeit.
Das Problem ist nicht das Waffensystem (siehe Einsatz GB und SA), sondern das Beschaffungsverfahren, der daraus resultierende Preis, die Verfügbarkeit und dies, seit den glorreichen Maßnahmen des ehem IBuK Rühe.
Die Gripen reicht um über der Schweiz im Kreis zu fliegen, auch um IS Stellungen im Irak zu bombardieren, aber sobald es tatsächlich einmal gegen eine SU-27 oder höher geht ist die Gripen am Ende ihrer Leistungsfähigkeit angelangt.
Und auch wenn sie billiger ist befürchte ich dass es in unserer Luftwaffe ganz genau so aussehen würde wie es jetzt mit dem Eurofighter aussieht.
Die Luftwaffe hat sich doch selbst da hineingeritten. Das MFG2 abzuschaffen war auch und vor allem dadurch motiviert dass dessen „altmodisches“ Logistikmodell mit höherem BW-Eigenleistungsanteil statt Industriewartung so deutlich und objektiv messbar besser und billiger war das man für die eigenen damals relativ neuen „Haus&Hof Verträge“ zur Industriewartung Angst haben musste. Denn da hätte selbst der BRH mal was kapiert…
@Brabax:
Das Zustandekommen und die Präsentation der Mängelliste ist eben nur ein Symptom für das kuturelle Kernproblem der Bundeswehr: Die Null-Fehler-Kultur.
Alles ist immer prima.
Diese Kultur widerspricht den Anforderungen einer jeden erfolgreichen Organisation. Zudem widerspricht diese Kultur der Inneren Führung.
Der Widerspruch zwischen Reden und Handeln der mittleren und höheren Führung ist zudem ein sehr bedeutender Unattraktivitätsfaktor – für nicht wenige Soldaten ein wichtiger Grund nicht Berufssoldat zu werden.
Es geht hier also nicht um Frust oder sonst etwas, sondern um das Kernproblem der Bundeswehr.
Wie sagte Herr Weise erst wieder in loyal:
Probleme muss man erkennen, anerkennen und lösen.
Bei der Bundeswehr geschieht das Gegenteil – das zeigt die Mängelliste exemplarisch.
Aber leider spielt das Thema Führungskultur in der politischen und medialen Debatte noch keine Rolle.
@Memoria:
„Aber leider spielt das Thema Führungskultur in der politischen und medialen Debatte noch keine Rolle.“
Weil wir ja _auch dort_ gemäß offizieller Kommunikation auch keine Probleme haben. Da man Probleme wir auch Rechtsverstöße gut wegreden konnte und kann gibt es ergo nichts zum Thema zu besprechen.
@Kerveros:
Das die Politik das nicht thematisieren will, ist ja nachvollziehbar.
Aber die Medien verlieren sich aus meiner Sicht in den Details und hinterfragen zu wenig.
Warum fragt niemand, warum die Bundeswehr die weiterhin geschönte (!) Einsatzbereitschaft erst nach Presseberichten dem Bundestag vorlegt?
Was sind nun die Konsequenzen im Haushalt 2015?
Was kann man hieraus allgemein über das Kommunikationsverhalten der Generalität lernen?
Wie kann man in der aktuellen Weltlage das Nichteinhalten von NATO-Verpflichtungen im Bereich der Luftwaffe einfach hinnehmen? Wann wird die Kanzlerin mal dazu befragt?
Aber dazu müsste man sich eben wirklich mal mit dem Thema beschäftigen. Tja….
@ memoria
„Aber dazu müsste man sich eben wirklich mal mit dem Thema beschäftigen. Tja….“
dies enstehungsgeschichte dieses blogs ist ja gewissermaßen symptom des journalistischen qualitätsdefizits in sachen Sicherheits-Verteidigungspolitik.
Um einen versierten Verteidigungsredakteur wie Herrn T.W. müssten sich die etablierten redaktionen gerade jetzt eigentlich reißen. Stattdessen muss er als einzelkämpfer operieren (kann natürlich auch autonome entscheidung sein, vermag ich nicht beurteilen. stichwort fokus abgang)
Wie viele hauptamtliche SiPo redakteure gibt es denn hierzulande noch die überhaupt die grundexpertise (kriegstheorie, moderne kriegsbilder, angewandte geopolitik, rüstungstechnisches grundverständnis) usw. besitzen bzw. Interesse an der thematik haben? ohne permanente und langfristige bschäftigung mit dem sujet kann man auch nicht in die tiefe gehen und produziert letzlich nur „content“ und keine erkenntnis.
an mangelnder relevanz des themas kann es angesichts der momentanen weltlage ja wohl nicht liegen.
es fehlt einfach das diskursive ökosystem (think tanks, aktive militärs, unideologische(emphasis added) akademische forschung, politik und medien) die in anderen Ländern funktionierende debattenkultur in SiPO sachen ermöglichen.
stattdessen friedhofsruhe un demostrative ignoranz. „was mit waffen? nee ich bin für’n frieden“