Lagebeobachtung Ukraine, 22. Juli
Der Absturz – besser: der inzwischen als gesichert geltende Abschuss – des Fluges Malaysia Airlines MH 17 über der Ostukraine am 17. Juli und die Folgen stehen weiterhin im Mittelpunkt des Interesses der Ereignisse in der Ukraine. Der Übersichtlichkeit halber eine neue Faktensammlung, ausgehend vom Stand am 22. Juli:
Die Flugdatenschreiber der Maschine wurden in der Nacht von den pro-russischen Separatisten an Vertreter der malaysischen Regierungsdelegation übergeben, nach stundenlangen Verhandlungen. Einen Bericht (mit Video der Übergabe) hat der britische Guardian: Ukraine rebels hand over MH17 black boxes and let train carrying bodies leave
Die New York Times hat Fotos von Wrackteilen einem Experten von Jane’s zur Analyse vorgelegt; das – nicht ganz überraschende – Ergebnis: Jet Wreckage Bears Signs of Impact by Supersonic Missile, Analysis Shows
Weiterhin stehen die russischen Angaben vom Montag im Raum, ein Erdkampfflugzeug vom Typ Su-25 sei zum Zeitpunkt des Absturzes/Abschusses in geringem Abstand dem Passagierjet gefolgt (hier in den Kommentaren schon ausführlich debattiert). Die Forderung Russlands an die USA, die Satellitendaten mit den Aufnahmen eines Raketenabschusses zu veröffentlichen, wird vermutlich ungehört verhallen – die USA werden kaum offenlegen, über welche technischen Aufklärungs- und Detektionsmöglichkeiten sie bei Raketenstarts verfügen. (Falls sich noch jemand erinnert: Im April hatte die NATO über eigene Erkenntnisse von russischen Truppenkonzentrationen an der ukrainischen Grenze berichtet – aber sorgfältig vermieden, eigene Daten zu veröffentlichen, und sich statt dessen auf zivile Satellitenfotos bezogen.)
Der UN-Sicherheitsrat hat in der vergangenen Nacht den Absturz der Boeing 777 verurteilt, mit Zustimmung der Veto-Macht Russland, allerdings nach entschärfter Sprache. Die Rede des niederländischen Außenministers Frans Timmermans dazu hier zum Nachlesen und Nachhören.
Und eine andere besorgniserregende Entwicklung, jenseits des MH17-Geschehens: Aus der Ostukraine gibt es erste, noch unbestätige Meldungen von einem Selbstmordattentäter. Sollte sich das bestätigen, wäre das etwas völlig Neues in diesem Konflikt.
Weiter nach Entwicklung, gerne in den Kommentaren, mit der üblichen Bitte um faktenorientierte Debatte.
(Foto von der Absturzstelle am 20. Juli 2014 mit freundlicher Genehmigung von Jeroen Akkermans)
@klabautermann Kein Problem. Das war auch nur eine Bewertung des Artikels und in keinster Weise gegen den Einsteller gerichtet.
Die Schlacht läuft aus allen Rohren, ganz speziell auch medial. Wenn man bedenkt, dass ca. 90% aller Russen ihre Nachrichten aus dem gleichgeschalteten Fernsehen bekommen und entweder nicht die Möglichkeit haben oder das Internet nicht nutzen, dann erklärt das diese immense Putin-Zustimmung. Die Propagandamaschine läuft auf „Grosse Fahrt voraus“.
Focus Ticker:
„Zwischen dem 12. und 21. Juli hätten Regierungstruppen und regierungsnahe Milizen im Raum Donezk mindestens viermal „Grad“-Raketen russischer Bauart eingesetzt, heißt es in einer Mitteilung. Solche zielungenauen Raketen in dicht besiedelten Gebieten abzuschießen verstoße gegen das Kriegsrecht und könnte als Kriegsverbrechen eingestuft werden.“
N-TV Ticker:
„Durch die Ukraine-Krise werden mittlerweile 230.000 Menschen zu Flüchtlingen. Rund 130.000 Ukrainer fliehen vor den Kämpfen nach Russland, fast 100.000 weitere Menschen verlassen ihr Zuhause und sind nun Binnenflüchtlinge.“
Kiew ist in der Volloffensive um die Köpfe und Herzen der Ostukrainer zu gewinnen…
@svenga
Das unknown/unknown-Szenario ist ja noch gar nicht hochgekommen: das beide offiziellen Propaganda-Kanäle recht haben könnten.
Könnte mir vorstellen, dass die ukrainische LV aus Gründen der demonstrativen Verteidigungsbereitschaft gegen russische Luftunterstützung der Separatisten tatsächlich dort rumgestrahlt hat. Andereseits ist die ukrainische LV ja nun nicht besonders „kriegsrelevant“ und wird bestimmt nicht so gut alimentiert wie die Bodentruppe. What if, and if what, wenn ein Kommandeur sich hat bestechen lassen und die Separatisten haben ein BuK System inkl Bedienung und Codes „ge-chartert“ und konnten sich in den Radarverbund der ukrainischen LV einklinken…..
Man wird sicherlich forensisch nachweisen können, dass MH17 von einer oder zwei SA-11 getroffen wurde, solange man aber nicht den launcher in die Finger bekommt wird das alles schwer zuortbar sein. Und dieser launcher dürfte mittlerweile „sanitarisiert“ sein.
@klabautermann: First steps first. Zuerst gehts tatsächlich mal um den Nachweis, dass der Flieger kein Strukturversagen oder sonstwas hatte. Das werden wir hoffentlich aus den Data Recordern erfahren. Dann steht auch der Beschusszeitpunkt sowie der Flugvektor fest. Wenn danach die Wrackteile vollständig untersucht wurden lassen sich sowohl Flugkörper-Typ als auch Anflugvektor mit ziemlich hoher Genauigkeit bestimmen.
Dass die Unfalluntersuchung uns leider nicht das amtliche Kennzeichen des BUK-TELAR liefern wird, ist logisch. Ich seh das wie Du, das Ding ist entweder schon in der Wolga versenkt oder in irgendeinem Hochofen eingeschmolzen.
Das Ergebnis der Untersuchungen wird im besten Falle eine relativ gut einzukreisende „probable area of launch“ geben. Eine 100%ige Zuweisung jedoch wird es wohl nie geben. Selbst wenn man die „Human factors“ einrechnet und sich irgendwann jemand verplappert und zugibt „wir waren es“ werden genügend Leute schreien das sei Propaganda.
Die krude SU-25 Theorie wäre damit aber vom zumindest vom Tisch und Onkel Vlads Märchenstunde entlarvt.
@swenga: Natürlich haben Sie recht, daß eine reguläre Flugunfalluntersuchung so abläuft. Ein Strukturversagen, das innerhalb einer 100stel Sekunden an der ganzen Außenhaut Löcher macht, ist bislang nur einer ganz bestimmten Sorte Unfall zuzuweisen gewesen. Man muß sich nicht jeden Tag aufs neue wundern, daß die Katze dort die Löcher im Fell hat, wo die Augen sitzen.
Erfreulicherweise sind die Bilder von den Resten aufschlußreich genug, daß man sich ein genaues Bild von der „äußeren Ursache“ machen kann. Auch ohne daß man 150 Tage Puzzle spielt.
edit: Und die SU25 Story ist eh Unsinn, es sei denn die Ukrainer hätten das Ding um 3 Tonnen erleichtert und mit Helium gefüllt.
@svenga
Na, und dann braucht man natürlich auch das forensische Material von den Trümmern.
@klabautermann: Das war gemeint mit „Wenn danach die Wrackteile vollständig untersucht wurden…“.
@iltis: Dennoch plädiere ich dafür die Experten Ihre Arbeit machen zu lassen. Alle Forderungen nach möglichst schnellen Zwischenergebnissen werden das Geschrei „abgekartetes Spiel“ wieder anheizen. Wahrscheinlich wird es, selbst wenn der Report dann draussen ist, noch Leute geben denen man damit den Schädel impulsartig beschleunigen muss und sie werden es immer noch verneinen.
Aus dem Lifeblog des Telegraaf.nl
Der Kommandeur der NL 11 luftmobilen Brigade (BrigGen N. Geerts) schreibt:
Luftmobil steht bereit. Im Auftrag der Streitkräfteführung eineinhalb Batallion, Brigadestab und Unterstützungskräfte alarmiert. Wir hatten keine Bereitschaft, standen nicht stand by, viele von uns im Urlaub. Innerhalb von 12 h waren 80% anwesend, aus der ganzen Welt zurück für den einen Auftrag in der Ukarine. Keine Fragen über unseren Auftrag, keine Fragen über Vergütung der extra Kosten wegen dem abgebrochenem Urlaub oder extra Transportkosten. Maximale Vorbereitung, Gerät und Waffen empfangen und unsere Fahrzeuge fertigmachen. Unser Stab die Planung des Einsatzes. Kurze Nächte, aber viel Einsatz und Fexibilität. Ich bin Stolz auf meine Leute die ohne Klagen ihre Familie auf dem Campingplatz zurücklassen und stehen für ihre Sache. 11 luchtmobiele Brigade, die Männer, Frauen und unerere Zivilisten, da kann ich drauf bauen. JEDEN MOMENT, JEDER AUFTRAG (Wahlspruch)
(Eigene Übersetzung)
Liest unsere Presse dann keine ausländischen Zeitungen oder Ticker?
@Deacon
Sah das heute morgen, weil es zuerst auf der Facebook-Seite der Brigade veröffentlicht wurde, ist allerdings noch recht vage: Es scheint, dass Teile der 11AMB in Alarmbereitschaft versetzt wurden, als Backup für die Marechaussee (Militärpolizei), die in die Ukraine geht.
Was das zu bedeuten hat, ist allerdings eine noch offene Frage, auf die es auch in den niederländischen Quellen bislang keine Antwort gibt.
Verschiedene Quellen berichten darüber, dass Zitat: die Niederlande den Einsatz einer bewaffneten Militäreinheit an der Absturzstelle von Flug MH17 in der Ost-Ukraine nicht ausschliessen. Darüber werde am Wochenende von seiner Regierung entschieden, teilte Ministerpräsident Mark Rutte mit. Nach Angaben von Rutte führen die Niederlande darüber zurzeit Gespräche mit den Vereinten Nationen und der Ukraine. Ein Militär- oder Polizeieinsatz hänge ab von politischen Fragen, dem völkerrechtlichen Mandat und der Mitarbeit der Ukraine und Russlands, betonte Rutte. „Die Risiken sind aber groß“, sagte Rutte. Pro-russische Rebellen könnten das als Provokation auffassen, warnte er. Zitat Ende.
Das wird spannend, vorallem die Mitarbeit Russlands ist doch eigentlich unnötig, weil die haben ja garnix mit der Situation zu tun, oder habe ich P. falsch verstanden?
[Das wiederum gehört und passt in den Thread Lagebeobachtung, dort verschiebe ich es hin. Und Links zu den genannten niederländischen Quellen gerne. T.W.]
http://www.volkskrant.nl/vk/nl/2686/Binnenland/article/detail/3699429/2014/07/25/Dit-weekend-besluit-over-bewapende-missie-naar-rampgebied.dhtml
In Englisch bei den DutchNews:
http://www.dutchnews.nl/news/archives/2014/07/dutch_to_decide_this_weekend_o.php
Die 11AMB ist doch der DLO (DSK) unterstellt !?
@Selber denken
„Das wird spannend, vorallem die Mitarbeit Russlands ist doch eigentlich unnötig, weil die haben ja garnix mit der Situation zu tun, oder habe ich P. falsch verstanden?“
Naja.. bei einem Einsatzort ein paar Dutzend Kilometer vor der russischen Grenze sollte man die schon irgendwie beteiligen… auch wenn es vielleicht ganz formal gesehen nicht erforderlich wäre. Dass es auch anders gemeint ist, dürfte allen klar sein, aber ob Putin auf den Köder hereinfällt… ich denke nicht. Ist aber geschickt gemacht von den Niederländern, denn wenn er behauptet, damit gar nichts zu tun zu haben, kann es losgehen, wenn er dagegen Einwände hat, ist er schnell der internationale Buhmann.
In dem Zusammenhang bemerkenswert finde ich die Konsultationen zwischen Ukraine, Australien und Niederlanden kürzlich. Da kann man doch fest annehmen, dass dort mehr als das offiziell bekanntgemachte Papier beschlossen wurde.
Zur Person Girkin:
Christo Grozev hat dessen Kriegsmemoiren aus dem Bosnienkrieg ausgegraben:
http://cgrozev.wordpress.com/2014/07/25/girkins-memoires/?preview=true&preview_id=606&preview_nonce=af4fcfbe5c
Noch mehr Girkin, aber aktuell:
http://www.thedailybeast.com/articles/2014/07/25/putin-s-number-one-gunman-in-ukraine-warns-him-of-possible-defeat.html
Ich weiß nicht, ob dieses Video vom Donnerstag bereits bekannt ist – es soll Überreste der 72. mechanisierten Brigade der Ukraine zeigen. Auch wenn das nicht bestätigt ist: die Zerstörung ist bemerkenswert,
http://youtu.be/7XM7yV18kto
Deutliche Zeugenaussagen zum Abschuß von MH-17:
http://hosted.ap.org/dynamic/stories/E/EU_UKRAINE_PLANE_WHAT_HAPPENED?SITE=AP&SECTION=HOME&TEMPLATE=DEFAULT
Die Kollegen von AP haben mal die bekannten Fakten zusammengetragen und mit Interviews von Separatisten vor Ort ergänzt:
What happened? The day Flight 17 was downed
/edit: @califx: Da haben wir uns überschnitten; habe jetzt mal den Link auf eine Zeitungs-Webseite mit der AP-Story gesetzt, da der Link dauerhafter sein dürfte.
Ein neues Video mit abgehörten Telefongesprächen. Offenbar stochert der SBU jetzt genüßlich in den Wunden:
https://www.youtube.com/watch?v=hpHJKaPTlfg&list=UURxyjhmvBewJIRb2yku5EuQ
Allerdings gibt es da auch noch eine andere Version. Da wurde eine BUK von den Ukrainern weiter Nördlich erbeutet, die dann nach Tores transportiert wurde. Die im Norden konnten mit der BUK nichts machen, was die Gruppe in Süden damit gemacht haben, wussten die nicht. Es gab nur eine BUK um Tores. Den Aufschlag der MH17 haben die gehört, ein Abschuss der BUK nicht. Meinen zu wissen, ist ein Unterschied zu wissen! Da muss etwa konkretes kommen.