Afghanistan: Teurer als der Marshallplan
Eine ernüchternde Statistik: Inflationsbereinigt haben die USA in den vergangenen zwölf Jahren mehr für den Aufbau Afghanistans ausgegeben als für den Marshallplan nach dem Zweiten Weltkrieg, mit dem das zerstörte Europa wieder aufgebaut wurde. Aus dem aktuellen Vierteljahresbericht des Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction (SIGAR):
Adjusted for inflation, U.S. appropriations for the reconstruction of Afghanistan exceed the funds committed to the Marshall Plan, the U.S. aid program that delivered billions of dollars between 1948 and 1952 to help 16 European countries recover in the aftermath of World War II. (…)
Those nominal-dollar amounts are dwarfed by the $104 billion Congress appropriated for Afghanistan reconstruction between fiscal years (FY) 2002 and 2014—until adjustment is made for the effects of inflation since 1948. Comparison requires the adjustment: a dollar in 1950, for example, had roughly the purchasing power of 10 dollars in 2014. Applying the year-end GDP Price Deflator from the U.S. Commerce Department’s Bureau of Economic Analysis to the streams of funding of both the Marshall Plan and Afghan reconstruction yields this result: “real” or inflation-adjusted Afghan- reconstruction appropriations amount to more than $109 billion, versus an adjusted total of $103.4 billion for the Marshall Plan.
Und das sind nur die Gelder der USA, Finanzhilfen vieler anderer Staaten und internationaler Organisationen sind offensichtlich noch nicht eingerechnet. Und offensichtlich auch nicht die Ausgaben für den Einsatz des US-Militärs.
Allerdings, darauf weist der Bericht auch hin, wurde das Geld des Marshallplans für Europa nicht in den Aufbau von Armee und Polizei gesteckt:
One critical difference should be noted: unlike Afghan- reconstruction funding, the Marshall Plan was not concerned with building and sustaining host-country armies and national police. But comparing the real purchasing-power funding of the two assistance programs does illustrate the scale of the U.S. aid effort in Afghanistan.
Wie oft Geld vergeudet wurde, für unsinnige Dinge ausgegeben – und trotz der hohen Summen kein befriedigendes Ergebnis erreicht wurde, dafür hat der Bericht viele Beispiele. Nicht zum ersten Mal – die SIGAR-Beschwerden ziehen sich durch die Jahre des US-Einsatzes am Hindukusch. Hier und hier hatte ich das schon mal aufgegriffen (und jedes Mal frage ich mich, warum es kein deutsches Prüfgremium gibt, das in ähnlicher Weise die deutschen Hilfen für Afghanistan durchleuchtet).
(Archivbild: U.S. Marines with Lima Company, 3rd Battalion, 5th Marine Regiment conduct a census patrol in Sangin, Afghanistan, Jan. 10, 2011 – U.S. Marine Corps photo by Lance Cpl. Dexter S. Saulisbury)
Weil die Wahrheit in Deutschland doch kaum einer Wissen möchte… die Story wäre doch dann: Alles umsonst gewesen…
Da war doch mal was mit einem Evaluationsbericht des BMZ und seiner Arbeit in Afghanistan… Der war doch seltsamerweise nur in Englisch verfügbar…
Da bleibt nur der Kalauer „das Geld ist nicht weg, es hat nur jemand anders“…
Das ist allerdings ziemlich happig…..auch wenn eine Billion bei den Amerikanern einer Milliarde entspricht……gleichwohl sehr viel Geld…
Auch wenn der Vergleich mittels inflationsbereinigter Preise nicht unpassend ist, berücksichtigt er aber nicht die gestiegene Wirtschaftskraft. In Anteilen am BIP der USA dürfte der Marshall-Plan da dann doch deutlich teurer gewesen sein.
104 Milliarden Dollar für den „Wiederaufbau“ sprich verlorenes Geld, das nun in der Hand einiger weniger Warlords und Drogenhändler ist. Die Kosten für den reinen Militäreinsatz sind da selbastredend nicht eingerechnet, da kommt nochmal das pro Einsatzjahr 1,5-fache hinzu.
Und wofür ?
Dass wir alle US+NATO inkl.Deutschland nun abziehen und das Land der Steinzeit überlassen so wie vorher ?
Wieso Steinzeit? Es gibt doch eine einigermaßen funktionierende mobile Kommunikationsinfrastruktur. Teilweise sogar 3rd Gen. Und wenn sich mal die Preise anschaut, die damals in Deutschland dafür aufgerufen wurden, dann waren das auch etliche Millarden.
SCNR.
Dann hat es sich also letztlich doch gelohnt.
Billiges UMTS für alle.
Daran hat es AFGH davor gemangelt.
Nun wird doch noch alles gut.
Langsam, langsam, liebe Kollegen
der Clou der Nachricht besteht in einem Punkt, den T.W. auch anmerkt: Beim Marshall-Plan floss das Geld NICHT in den Aufbau von Kräften der inneren und äußewren Sicherheit, sondern in die wirtschaftliche Entwicklung der Empfängerländer – das ist ein in der Tat wesentlicher Unterschied. Grund genug, noch einmal über Sinn und Unsinn der „Versicherheitlichung“ von Entwicklungshilfegeldern nachzudenken.
Übrigens: Im Irak dürfte diese Billianz trotz der erheblich größeren Eigenbeiträgel des Empfängerstaates noch desaströser ausfallen.
Es gibt auch die Absicht, dass der Marshallplan für Deutschland nicht relevant war. Die deutsche Wirtschaft konnte sich vor allem durch die Rüstungsexporte für den Koreakrieg erholen.
Wie war das noch einmal mit der „Nachhaltigkeit“? Womit will das Land denn seinen Sicherheitsapparat (u.a.) überhaupt finanzieren?
Food for thought.
Zusammen mit den Kosten für den Militäreinsatz (derzeit über 736 Mrd. US-$) sind das an die 850 Mrd US-$ – nur für die USA. Bei etwa 30 Mio EW in Afghanistan wären das knapp 28.000 US-$ pro Nase, oder mehr als 55 durchschnittliche Jahresgehälter (das lag dprt 2013 bei um die 501 US-$…).
Stark vereinfacht, zugespitzt und (frei nach le Carré) entsprechend der Maxime „You cannot buy an Afghan, but you can rent one“, hätte man sich also den Krieg sparen und das wohlwollen der Afghanen einfach kaufen sollen.
Vielleicht sollte man angesichts der, vorsichtig ausgedrückt, problematischen Bilanz von ISAF nochmal Gedanken über die viel gescholtene „Scheckbuchdiplomatie“ machen?
Wenn wir jetzt mal entlang der Wirkungen schauen, was passiert ist, kann man das dann so zusammenfassen?
1) Eine Terrororganisation organisiert unter Duldung der aktuellen Machthaber aus Afghanistan heraus die Anschläge des 11. September 2001. Sie jubelt uns damit einen „schwarzen Schwan“ unter, mit dem unsere Denkschule und Reaktionsmechanismen nicht umgehen können.
2) Statt klassischen Sicherheitsdoktrinen zu folgen, und die Angreifer und ihre Unterstützer zu töten bzw. maximalsmöglich zu bestrafen, beschließt die ach so aufgeklärte westliche Welt, dass die Afghanen ja nur Opfer widriger Umstände seien und bezahlt ein Entwicklungshilfeprogramm.
3) Weil die Afghanen zwar das Geld gern nehmen, sich ihre Art und Weise des Lebens aber nicht ändern/vorschreiben lassen wollen (Wo kommt ein Taliban denn auch hin, wenn Frauen plötzlich Rechte haben …) kommt es ca. ab 2005 zu einem Aufstand gegen die von ISAF initiierten gesellschaftlichen Veränderungen.
4) Weil ISAF die Probleme bei der Vermittlungen der Wohltaten der westlichen Werte und Lebensweise nicht sauber analysiert, wirft man noch mehr Geld hinein, was mit noch mehr Sicherheitskräften flankiert werden muss.
5) 2010 geht ISAF die Puste aus, 2011 erklärt man den Abzug (auch „Der Endsieg steht bevor!“ genannt).
6) Ab 2012 beginnt der militante Islamismus weitere Schlachten/Stellvertreterkriege in diesem Kampf der Kulturen, Stichwort ISIS. Der in seinem Selbstverständnis und materiell ausgelaugte Westen hat dem nichts mehr entgegenzusetzen.
Als auf der Petersberg-Konferenz 2001 sachkundige Personen vor diesem Mechanismus warnten und vorschlugen, unsere sicherheitspolitischen Interessen durchzusetzen und vom Nation-Building-Ansatz die Finger zu lassen, weil das Brett einfach zu dick ist und wir eh nicht dazu bereit wären, den dafür notwendigen Zwang auszuüben, wurden diese Warner von unseren vereinigten Gutmenschen beschimpft.
Irgendwie war das alles vorhersehbar, siehe z.B. dieser Kommentar aus 2010: http://augengeradeaus.net/2010/09/plan-b-fur-afghanistan-sud-vs-nord/#comment-802
Wir müssen uns langsam fragen, wer bzw. was der Feind ist! Andernfalls werden unsere Normen und Werte und unsere Art des Lebens bald auf dem Müllhaufen der Geschichte landen.
@ADLAS-Doe | 31. Juli 2014 – 6:50
Scheckbuch-Geld an Warlords, Drogisten und Politiker. Und das Wohlwollen haette den Afghanen dann genuetzt?
@jugendoffizier
Umsonst ist wohl eine euphemistische Ansicht der öffentlichen Meinung zum Einsatz in Afghanistan
@ADLAS-Doe:
Zustimmung. Allerdings würde ich einen Punkt etwas anders sehen, auch wenn es zynisch klingt:
– Das theoretische „Grundgehalt für afghanische Meinungsbildung“ ist ausgegebenes und verlorenes Geld,
– Das für den Afghanistan-Konflikt investierte Geld kommt zu einem sehr großen Teil der US-Amerikanischen Wirtschaft zugute: Rüstungskonzerne, Gehälter für Soldaten welche wohl größtenteils in den USA ausgegeben werden, etc…
Just my 2 cents
@Sun Tzu
Noch for dem nation building kommt das state building – man hätte eben auf die nachhaltige Entwicklung der Stammesstrukturen hinwirken müssen. AFG war ja ‚mal ein „recht moderner“ Staat (so bis in die 70er), aber an einer Transformation nach westlichem Vorbild sind schon die Sowjets gescheitert (Stichwort: Aufhebung der Geschlechtertrennung in Schulen, das war dann doch zuviel „change“).
Zudem haben sich die USA mit den Taliban recht gut verstanden wenn sie auch nicht als regierung anerkannt wurden – zumindest wollte man mit ihnen Geschäfte machen, was auch auf einem guten Weg war.
Die AQ-/Bin Laden-Geschichte hätte man auf dem Verhandlungsweg lösen bzw. nach einer kurzen Operation (OEF – Zerschlagen der Strukturen) alles so lassen können wie es war.
Interessant übrigens, wer die Taliban seinerzeit als rechtmäßige Regierung anerkannt.hat – KSA, PAK, UAE.
Der Unterschied ist nicht, ob man das Geld unmittelbar in die Wirtschaft steckt oder in den Sicherheitsapparat. Wenn die afghanische Polizei von dem ihr zugeteilten Geld eine neue Kaserne bauen lässt landet das Geld ja schließlich auch bei der Wirtschaft. Genau so, wenn sie es als Gehalt auszahlt und die Polizisten damit in der Kneipe an der Ecke eine Wasserpfeife rauchen. Es ist erstmal eine deutlich gestiegene Menge Geld im Wirtschaftskreislauf, so oder so.
Der Unterschied ist einzig und allein, dass das Geld des Marshallplans in zivilisierte Gegenden ging, und dieses Geld ging nun mal in ein korruptes Drecksloch aus der Steinzeit. Man bedenke zudem, dass der Marshalplan an ganz Europa ging, und wir hier nur von einem Land reden. Was für ein Unterschied in den Dimensionen! Was für ein Unterschied in der betroffenen Bevölkerungszahl.
Natürlich könnte man argumentieren, dass in Afghanistan wenig war auf dem man aufbauen konnte, und dass deshalb das Geld – im Unterschied zu Europa – erstmal in ganz grundlegende Sachen gesteckt werden musste und nicht von einer dynamischen Wirtschaft genutzt wurde. Ich halte dem entgegen, dass insbesondere eine zunächst schwache Wirtschaft von einem Geldregen profitieren sollte. Es gilt hier, das BIP zu vergleichen. Wenn ich – nur als Rechenbeispiel – 100 Milliarden Dollar in einen Kontinent mit einem BIP von 15000 Milliarden Dollar stecke, dann ist das nur ein „Tropfen auf den heißen Stein“. Wenn ich die gleiche Summe in eine Volkswirtschaft stecke, die bisher einen BIP von 5 Milliarden hatte, ist das nochmal eine ganz andere Dimension.
Selbst wenn bei der Verteilung des Geldes Fehler gemacht wurden: es ist ja erstmal da und hätte so oder so seinen Weg in die Wirtschaft gefunden und diese angekurbelt. Wenn die betroffenen Menschen denn dazu in der Lage wären, so etwas wie eine Wirtschaft zu führen, und nicht das Hüten von Ziegen vorzuziehen.
Mir geht der alte Römer nicht aus dem Sinn: Cui bono? Hier mal ein völlig neues Spektrum an Antwortmöglichkeiten!
Liege ich falsch, wenn ich bei – ex post „unglücklichen“ – Entscheidungen immer die Frage stelle: War es Absicht oder Dummheit?
Um wirksam zu sein benötigt der Ansatz „Hilfe zur Selbsthilfe“ ein Mindestmaß an Altruismus und Kooperationsbereitschaft in der Gesellschaft.
Winfried Nachtwei informiert auf seiner Webseite über die Neuerscheinung eines Buches, welches sich u.a., fast schon „abschlussbilanzierend“ mit dem ISAF Einsatz befasst.
Hier eines Leseprobe, die der Verlag selbst auf seiner Webseite eingestellt hat:
https://www.verlag-koester.de/magento/media/custom/upload/File-1396803247.pdf
@ Sun Tzu
Klare Antwort auf Ihre Frage: Nein, so kann man das nicht zusammenfassen.
Ja, ich verstehe den Zynismus in vielen Posts, aber Abseits des Geldes sind Soldaten für unsere Normen und Werte im Einsatz getötet worden. Wird sich unsere Gesellschaft diesem Problem stellen und die Politik ob ihrer Verantwortung hinterfragen, oder bleibt es bei einer Fußnote der Geschichte?
@Andreas
Die Etablierung unserer Normen und Werte ist a) doch sehr vermessen (wollen das die Afghanen überhaupt?) und b) wurde doch um 2010 offiziell las Ziel aufgegeben.
Der Fisch fängt immer am Kopf an zu stinken.
Und da die Staatengemeinschaft es nicht geschafft hat, das System Kabul demokratisch/rechtstaatlich zu stabilisieren – wie man dieser Tage ja wieder feststellen kann – sind „ISAF und Co“ wahrscheinlich die größten sunk cost in der Geschichte dieses Planeten.
Wenn man ein gutteil des Geldes den NGO,s gegeben hätte….was dann wohl pssiert wäre?
Mal abgesehen davon dass auf die Anfrage, ich denke nicht mal einer reagiert hätte. Aber das konnte damals kein Politiker durchhalten (Schröder) und heute leider auch nicht.