Von Besuchten und Intervenierten: Die Afghanistan-Debatte in Deutschland
Bevor wir alle (hoffentlich) in ein low ops Wochenende gehen, möchte ich den Lesern hier noch ein Buch fürs trübe Wochenendwetter vorschlagen: Es heißt ganz schlicht Deutschland in Afghanistan und ist eine vom Soziologen Michael Daxner herausgegebene Textsammlung, in der es vor allem um die deutsche Sicht auf und deutsche Debatte über den Afghanistan-Einsatz geht.
Manches ist einfach nur nett zu lesen, wie die Schilderung des Grünen-Bundestagsabgeordneten Tom Koenigs (Foto oben), der als Leiter der UN-Mission in Afghanistan zu den Besuchten am Hindukusch gehörte, als MdB aber auch die andere Seite kennt:
Feld- und Truppenbesuche deutscher Politiker sind zu einem wichtigen Bestandteil politischer Arbeit geworden. Früher waren es nur die ganz Harten. Seit deutsche Soldaten im Balkan, am Hindukusch, in Afrika kämpfen, gehören sie zum guten Ton. Dauert der Einsatz lange genug, kommt auch der letzte Hinterbänkler. (…)
Ich habe es nämlich nicht nur von einer Seite, der des Reisenden, sondern von beiden erlebt. Klar, als Besucher, denn ich fahre jedes Jahr einmal nach Afghanistan, ich muss doch dran bleiben, wissen, wie sich die „Lage vor Ort entwickelt“ und erzählen können, was weiter geschah. Aber auch zwei Jahre lang als Besuchter in Afghanistan, selbst ein Akt im Interventionstheater, vielleicht manchmal ein Akteur, meistens jedoch eine kleine Szene. 2006 und 2007 als Leiter der Mission der Vereinten Nationen, war ICH ein „MUST“ auf dem Terminplan eines jeden Ministers, jeder VIP oder hochgestellten Persönlichkeit – „Haben Sie mit dem VN-Vertreter gesprochen? Wie heißt er noch gleich? Dönitz, Wenix, ach ja Königs … Müssen Sie unbedingt machen, die VN ist wichtig“.
Zum Brüllen ist Koenigs Schilderung des Besuchs von Peter Scholl-Latour. Aber bitte selbst lesen…
Manches ist auch recht wissenschaftlich, sogar soziologisch gehalten. Zum Beispiel, und das wird hier etliche interessieren, das Kapitel Heimatdiskurs im sozialen Netz – Analyse eines Weblogs, in dem es – welche Überraschung – um die Kommentare bei Augen geradeaus! in einem bestimmten Zeitraum geht. Das Fazit in bestem Sozialoginnenjargon:
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Weblog als frei zugängliches Medium einer ungezwungenen Meinungsäußerung den Heimatdiskurs der Printmedien um pragmatische, an militärischer Praxis und Realität ausgerichtete Argumentationsmuster, erweitert. Das soziale Netz öffnet einer breiten Öffentlichkeit den Zugang zur Diskursteilnahme. Diesen Zugang nutzen nicht nur, aber in hohem Maße aktive und frühere BundeswehrsoldatInnen. So werden die möglichen und in dieser Studie erarbeiteten Perspektiven zwar eingeengt. Der Heimatdiskurs öffnet sich aber für die Inhalte eines spezifischen Alltagsdiskurses, der aufgrund erfahrungsgesättigter Ansichten der SoldatInnen nicht ausschließlich auf „subjektiven Theorien“ ohne Rückbindung auf die Handlungsebene beruht.
Alles klar? Steht im Buch ab S. 225. Das ganze Buch lässt sich hier herunterladen.
Schönes Wochenende!
(Foto: Tom Koenigs im Februar 2014 – Bundestagsfraktion Bündnis90/Die Grünen via Flickr unter CC-BY-Lizenz)
@ -MK20-
Man bräuchte vorrangig ein mehr an qualitativen Blogs.
Die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen: Man bräuchte a) ein mehr an qualitativen Beiträge, und b) eine öffentliche Möglichkeit die leicht zu finden. ;)
(Privat läßt sich das ja gut über RSS-Feeds lösen. Aber auch damit verpaßt man neue Blogs und manch guten Artikel.)
Vorhandene Beiträge irgendwo zusammenzutragen ist vergleichweise einfach, sei es als „Repost-Blog“ wie die Sandbox, oder als „Weekly Links“ wie bei pv@g. Es ist zwar immer noch Arbeit, aber die kann arbeitsteilig durch eine weitgehend anonyme Redaktion geleistet werden.
Im Gegenzug dazu ist das Auftreiben von Gastautoren für einzelne Artikel glaub schon ein gutes Stück mehr Arbeit. Und was, wenn der Gastautoren-Artikel dann doch Mist ist?
Was die individuellen Blogs angeht: Da sehe ich das Problem wirklich nicht im Aufwand eins anzulegen. Das ist mittlerweile dank WordPress, Blogger und Co. eine Sache von ner halben Stunde. Die Frage die sich ein potentieller Artikelschreiber doch eher stellt, ist doch „Warum ein Blog, wenn das eh keiner liest?“. Gerade für selten geupdatete Blogs stellt sich die Frage ja durchaus.
Eine Art das anzugehen wäre da durchaus die angedachte Gastautoren-Seite. Die andere wäre, dem vorhandenen, sporadisch geupdateten Blogs mehr Aufmerksamkeit zukommen zu lassen (wenn es deutschsprachig sein soll beispielsweise Andrea Böhm, Ronja von Wurmb-Seibel, Winfried Nachtwei, Sicherheitspolitik-Blog, Medico-Hausblog etc.).
Es gibt sie eben, die Blogs, die aus dem Drang zu informieren entstehen. Und deren größtes Hindernis ist glaub wirklich das „liest ja eh keiner“-Gefühl. Ist halt auch ein Henne-Ei-Problem. Aber mehr Leser (etwa über das Aufgreifen von Artikeln auf einer die Leserschaft bündelnden Seite), dürfte letztlich auch zu mehr Artikeln führen.
Letztlich spricht auch wenig dagegen, beides zu kombinieren.
Gerade bei Gastautoren stelle ich mir ein eher professionelles Herangehen an die Aufgabe vor, um dem Qualitätsanspruch gerecht zu werden. Ist in der Verlagsbranche mit den Lektoren nicht anders. Sonst könnte man ja auch die Zugangsdaten für den Blog mit in die Überschrift stellen, damit sich jeder bedienen kann. Potentielle Schreiberlinge mit Rat und Tat beiseite stehen kostet natürlich auch seine Mühe, klar – aber irgendeinen Preis muss man schon zahlen, damit HG Dosenbier (ja, lasset auf jeden Fall die Mannschaften zu Wort kommen!) nicht einfach so seine private Meinung dahinrotzt. „Das und jenes ist doof, weil isso“ endet denn meist eher nicht so schön. Ein Gastautor sollte ein zweites Gehirn, was ihn unterstützt, auf mögliche Denkfehler hinweist, einen Blick für Schrift und Form hat und generell das Voranschreiten vom Konzept bis zum Einstellen des Beitrags im Auge hat, nicht scheuen oder gar als Gefahr ansehen, die krampfhaft versucht beim eigenen Denkprozess dazwischen zu funken.
Ein bekannteres Gesicht (Mehrzahl wäre natürlich noch besser – auch um die anfallende Arbeit abfedern und besser aufteilen zu können) aus der Medien-, Verlags- oder Journalismusbranche könnte dem Ganzen einen guten Schub geben und macht sich vor allen Dingen als Multiplikator nützlich. In einer möglichen Diskussion vielleicht sogar als Moderator. Gerade dann, wenn man es mit anonymisierten Beiträgen zu tun hat ist ein Vermittler zwischen Autor und Leserschaft vielleicht nicht schlecht.
Das mit dem Aufwand im Sinne von der Erstellung eines Blogs sehe ich überhaupt nicht als Problem an. WordPress und Co. wurden ja bereits genannt. Nein, das bezog sich schon wirklich auf die persönliche Hemmschwelle von jedermann, ob die Arbeit denn überhaupt Sinn macht, wenn es möglicherweise nur eine handvoll Leute mitbekommen und das ganze dann auf immer und ewig im Nichts versinkt.
Eine Kombination wäre natürlich mit der einfachste Weg, weil man da hübsch experimentieren kann. Dazu bedarf es natürlich der Mitarbeit der einzelnen Blog-Autoren. Von mir aus legt man dann eine Reihenfolge fest, sodass Autor A einen längeren Gastbeitrag zum Thema X auf der Bündelungsplattform verfasst und die einige Tage / eine Woche später erst auf seinem eigenen Blog veröffentlicht (vorher aber schon „seine“ Meute auf die neue Plattform aufmerksam macht). Zwei Wochen später folgt Autor B mit derselben Masche zu Thema Y, usw. Rinse and repeat. Reines Beispiel, aber die Überlegung sollte klar sein. Geht das Ganze in die Hose kann man sich wieder auf den status quo besinnen und jeder macht nach wie vor sein eigenes Ding.
@-MK20-, J.R.
Ich denke ein solcher Bündelungsansatz wäre zum einen einfacher zu etablieren als ein ganz neues Blog und zum anderen effektiver. Wenn man eine Seite hätte, die die relevanten Artikel aus ausgewählten Blogs technisch zusammenfasst und zudem regelmäßig Gastbeiträge bringt, dann hat man nicht nur ein breiteres Publikum und regelmäßigen Inhalt, sondern tut auch etwas für die Vernetzung. Gerade letzteres ist immens wichtig, denn kaum jemand, den man mit dem Thema ansprechen oder informieren will hat Zeit sich quer durchs Netz zu lesen.