Neue Technik für die Orion – und was das mit dem Bundesverfassungsgericht zu tun hat
Die Seefernaufklärer Orion P-3C der Deutschen Marine, im Einsatz derzeit in der EU-Antipirateriemission Atalanta vor der Küste Somalias (Foto oben), sollen modernisiert werden. Rund 250 Millionen US-Dollar (ca. 180 Millionen Euro) wird das Upgrade der Computer sowie der Systeme zur U-Boot-Jagd kosten. In dem Paket zur Kampfwertsteigerung, das von US-Firmen geliefert werden soll, sind auch eine Verbesserung des Simulators für die Orion und ein Missionsunterstützungssystem enthalten.
Woher ich das weiß? Nun, weil die US-Defense Security Cooperation Agency die grundsätzliche Entscheidung des State Departments zur Freigabe der Lieferung an einen ausländischen Partner dem US-Kongress mitgeteilt hat. Und zugleich öffentlich gemacht hat.
Damit sind wir schon mitten in der deutschen Debatte: Vor dem Bundesverfassungsgericht beginnt am (heutigen) Dienstag die mündliche Verhandlung über einen Antrag der Grünen-Bundestagsabgeordneten Hans-Christian Ströbele, Claudia Roth und Katja Keul, die von der Bundesregierung mehr Informationen über geplante deutsche Rüstungsexporte verlangen. Ausgelöst wurde das durch (meine) Berichterstattung im Spiegel 2011 über die geplante Lieferung von Leopard-Kampfpanzern an Saudi-Arabien. Die Argumentation beider Seiten, laut Verfassungsgericht:
Die Antragsteller argumentieren, es bestehe ein hohes öffentliches Informationsinteresse an der Kriegswaffenexportpolitik, gerade auch im konkreten Fall wegen des „arabischen Frühlings“. Angesichts verschiedener Aspekte – des weiten exekutiven Spielraums bei der Genehmigung von Kriegswaffenexporten, des Fehlens gerichtlicher Kontrolle und der Korruptionsanfälligkeit im Bereich der Waffenexporte – sei die Kontrolle der Regierung durch das Parlament hier grundsätzlich besonders wichtig. Hieraus folge eine gesteigerte Auskunftspflicht der Bundesregierung. (…)
Die Bundesregierung bringt im Wesentlichen vor, die Entscheidung über Genehmigungen für Kriegswaffenexporte sei nach dem Grundgesetz ausdrücklich ihr allein zugewiesen. Sie beruft sich auf ihren „Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung“, welcher dem Zugriff des Parlaments entzogen sei. Ein verfrühtes Publikwerden könne das Zustandekommen der geplanten Geschäfte gefährden. Geheimhaltungsgründe ergäben sich auch aus außenpolitischen Gründen und den Geschäftsgeheimnissen der Exporteure.
Mir ist schon bewusst, dass das US-System und der deutsche Rechtsrahmen, insbesondere der Artikel 26, Absatz 2 des Grundgesetzes, nicht direkt vergleichbar sind. Aber es geht ja in der aktuellen Befassung des Bundesverfassungsgerichts nicht darum, wer die Entscheidung über einen Rüstungsexport trifft – sondern wie die Informationspflichten der Bundesregierung gegenüber dem Parlament (und letztendlich der Öffentlichkeit) aussehen.
Angesichts des US-Verfahrens, solche geplanten Verkäufe ins Ausland öffentlich zu machen, stellt sich natürlich die Frage, inwieweit die Argumentation der Bundesregierung stichhaltig ist, ein verfrühtes Publikwerden könne das Zustandekommen der geplanten Geschäfte gefährden. Offensichtlich funktionieren die Geschäfte auch, wenn die Öffentlichkeit vorher davon weiß – oder verzichtet die Deutsche Marine jetzt auf das Upgrade der Orion, nur weil es öffentlich bekannt ist?
Na gut, etwas überzogene Frage. Aber noch mal anders gestellt: Wenn ein Rüstungsexportgeschäft dadurch gefährdet ist, dass es öffentlich bekannt wird – was sagt das über dieses Geschäft aus?
Natürlich argumentiert die Industrie – zum Beispiel Krauss-Maffei Wegmann-Chef Frank Haun, der auch bei der Verhandlung in Karlsruhe dabei sein will – damit, dass ihr möglicherweise die Konkurrenz das Geschäft wegschnappt, wenn es frühzeitig öffentlich bekannt wird. Aber die Gefahr (aus Industriesicht) ist derzeit ja weniger die industrielle Konkurrenz aus anderen Ländern – sondern die politische Debatte in Deutschland, wenn auch nur die Exportabsicht bekannt wird. Das 2011 nach einer Voranfrage bekannt gewordene Leopard-Geschäft mit den Saudis ist, nach allem was zu hören ist, gescheitert; es kam kein Vertrag zustande (die aktuelle Debatte vom Wochenende über einen Lieferstopp von Leos für die Saudis durch Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel betraf eine Lizenzfertigung in Spanien). Und es ist nicht gescheitert, weil die Saudis jetzt lieber einen französischen Panzer kaufen würden.
Die Entscheidung und dann die Begründung des Verfassungsgerichts in dieser Frage wird spannend. Aber wohl noch eine Weile auf sich warten lassen.
Nachtrag 1: Einen Bericht aus Karlsruhe gibt es hier: Eine transparente Branche mag es lieber heimlich
Nachtrag 2: Die Erklärung des Bundesverbandes der deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV):
Zur mündlichen Verhandlung vor dem 2. Senat des Bundesverfassungsgerichts am 15. April 2014 zum Organstreitverfahren über die Information des Deutschen Bundestages bei Rüstungsexporten, erklärt der Hauptgeschäftsführer, Georg Wilhelm Adamowitsch:
Der BDSV hat dem Gericht vorgetragen, dass bei einer Weitergabe von Informationen durch die Bundesregierung zu erteilten Genehmigungen von Rüstungsexportanträgen an den Deutschen Bundestag, die Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse der antragsstellenden Unternehmen sowie die vereinbarten Geheimhaltungsverpflichtungen gewahrt bleiben müssen.
Die entsprechenden Regelungen des deutschen Rechts gelten auch uneingeschränkt für die deutsche Sicherheits- und Verteidigungsindustrie. Die von den Klägern eingeforderte Offenlegung von Informationen vor der Genehmigungserteilung entspräche nicht dem geltenden Verfassungsrecht sowie den einschlägigen Gesetzen. Aus Sicht der deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie kann, unter Berücksichtigung aller rechtlichen, politischen und wirtschaftlichen Erwägungen, eine Information von Parlament und Öffentlichkeit über erteile Exportgenehmigungen nur nach dem Erlass eines rechts- und bestandskräftigen Genehmigungsbescheides erfolgen. Dieses ist auch durch die jüngste Verständigung zur Information über erteilte Genehmigungen zu Rüstungsexportanträgen der Regierungsfraktionen im Deutschen Bundestag bestätigt.
(Archivbild 2010: Seefernaufklärer Orion P-3C in Djibouti – Bundeswehr/Piz EinFüKdo via Flickr unter CC-BY-ND-Lizenz)
Zu dem Thema gestern auf WDR2 ein interessantes Interview mit einem gewissen Herrn Wiegold.
Deutsche Rüstungsexporte: Frieden schaffen durch Entrüstung
http://www.wdr2.de/av/audiodeutscheruestungsexportefriedenschaffendurchentruestung100-audioplayer.html
Aus meiner Sicht muss man beim Vergleich mit anderen Ländern sauber zwischen Voranfrage und Ausfuhrgenehmigung unterscheiden.
Die genehmigte Voranfrage ist immer mehr Voraussetzung, um überhaupt als möglicher Auftragnehmer in Betracht gezogen zu werden. Daher ist diese oftmals in der frühen Phase notwendig. Somit ist diese auch weitaus sensibler, als das obige US-Beispiel in dem der Systemführer feststeht.
Die Tendenz bei vielen Systemhäusern ist immer mehr nicht nur „ITAR-free“, sondern „German free“.
Die öffentliche Wahrnehmung von der beinahe unbegrenzten deutschen Rüstungsexportpolitik (gerne als „Beweis“ die sehr hohe Quote der genehmigten Ausfuhrgenehmigungen) und die Realität sind eben doch recht unterschiedlich.
Da wäre mehr Transparenz vielleicht doch ganz gut.
@Memoria
Für die vielen Leser hier vielleicht ITAR noch mal erläutern? ;-)
Aber grundsätzlich: selbst nach einer endgültigen Genehmigung soll ja – siehe jüngste Koalitionseinigung zu Rüstungsexporten – nur das Nötigste mitgeteilt werden:
Und da reden wir nicht über die Voranfrage.
ITAR= Amerikanische Rüstungsexportrichtlinie, die die unkontrollierte Weitergabe von US-Technologie an Dritte verhindern soll. In der Praxis jedoch ein sehr bürokratisches und zeitaufwendiges Verfahren sogar innerhalb der NATO. Daher werden Produkte – wo immer möglich – ohne ITAR-Komponenten entwickelt. Der Werbeslogan dazu ist „ITAR free“.
@T.W.
Klares Interview, danke dafür!
Andererseits:
Einige Parteien und Gruppierungen in DL benutzen offenbar die Waffenexport-Debatte zur Selbstdarstellung und zum Stimmenfang.
Begruendung fuer meine Ansicht: Wenn in ‚angenehme‘ Regionen exportiert wird, kommt keine Kritik, selbst wenn DL dabei den Auftrag bezahlt, wenn in ‚unpassende‘, jedoch gleich oder aehnlich brisante Regionen exportiert wird gibt es staendig die ‚Friedens-Erhalt-Keule‘.
Man sollte sich bei Waffenexporten, aehnlich wie DL es bei anderen internationalen Fragen tut an die uebliche Usance halten – und exportieren, denn die Mitbewerber aus allen Lagern tun es auch.
„Offensichtlich funktionieren die Geschäfte auch, wenn die Öffentlichkeit vorher davon weiß – oder verzichtet die Deutsche Marine jetzt auf das Upgrade der Orion, nur weil es öffentlich bekannt ist?“
Es ist (aus verschiedenen Gründen) immer noch ein Unterschied, ob sich NATO-Partner gegenseitig beliefern oder ob ein Staat „außerhalb“ der NATO bzw. der – ich nenne sie mal – „westlichen Wertegemeinschaft“ beliefert wird.
Wobei dieser Unterschied gerade in der emotionsgeladenen Debatte in Deutschland besonders betont wird. Wie oben schon beschrieben wurde: Die Saudis verzichten jetzt ja nicht auf zusätzliche Panzer, sondern kaufen halt woanders ein… Haben halt die Franzosen nicht nur mehr Umsatz für ihre Eisenautos, sondern auch gleich den Fuß in der Tür für weitere Geschäfte oder *pfuiiiiii* politische Gespräche….
Es dürfte doch aufgrund der bisherigen Anfragefragepraxis bzw. der medialen Selbspositionierung jedem klar sein, dass die Beschwerdeführer hier keine Bereicherung parlamentarischer Rechte beabsischtigen, sondern noch frühzeitiger als bisher versuchen wollen eine rationale Sicherheitspolitik (zu der selbstverständlich auch exporte gehören) aus innenpolitischen gründen zu sabotieren.
entprechend sollte man auch damit umgehen
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vielleicht springt ja immerhin eine großspende von Nexter bzw. Textron für Linke und Grüne heraus nachdem sie sich so vehement für die französische bzw. amerikanische panzerindustrie eingesetzt haben
Unsachlichkeit, ein Markenzeichen sicherheitspolitischer Diskussionen in Deutschland entspringt nicht selten profunder Unkenntnis hinsichtlich der Fakten. Was also spricht gegen Offenheit und Transparenz? Auf lange Sicht sehe ich da eher Vorteile.
Übrigens: Wer die richtigen Fragen stellt, ist doch egal. Meinetwegen auch Herr RAF-Anwalt Ströbele. Egal welche Motivation nun dahinter stecken mag.
@z25
theoretisch ein nobles Sentiment.
de facto führt die immer weiter um sich greifende Rechts- und Anspruchsinflation (nicht nur im verteidigungsbereich) aber zunehmend in die Selbstparalyse.
Es wird immer mehr lamentiert und immer weniger gehandelt.
Wenn mich nicht alles täuscht wird die Orion P-3C nicht nur mit neuer Technik versehen. Es werden wohl auch noch diverse Arbeiten durchgeführt um das Flugzeug weiterhin fliegen zu können.
Das Thema fing vor hmm, ich glaube ca 20 Monaten an, als der damalige AL AIN eine Studie bzgl. P -3C in Auftrag gab.
Die FFF dazu müsste bereits seit Februar durch sein.
„Es werden wohl auch noch diverse Arbeiten durchgeführt um das Flugzeug weiterhin fliegen zu können.“
Ja ein Milliardengrab, das der Rechnungshof zurecht gerügt hat. Die P8 ist seit 2013 IOC und eine SIGINT-Variante wäre sicherlich möglich gewesen.