Gabriel und die Rüstungsexporte
Für’s Archiv: Von der Bundespressekonferenz mit Bundeswirtschaftsminister (und Vizekanzler) Sigmar Gabriel, SPD, am (gestrigen) Dienstag gibt es eine Videoaufzeichnung des Bundespresseamtes – und darin sind auch die Aussagen zu Rüstungsexporten enthalten. Auch die Voranfragen für die Genehmigung, meinte Gabriel, könnte man durchaus dem Bundestag mitteilen. Die Grenze sei für ihn die innere Willensbildung der Regierung, die nicht offengelegt werden dürfe.
Das Thema im Video von Minute 39:15 bis 46:40
(Direktlink: http://youtu.be/6rmGPOL7dNg)
Die Voranfragen finden zu einem Zeitpunkt statt, wo das Geschäft noch nicht in trockenen Tüchern ist… Da kann man sich an einer Hand abfingern, dass die Inhalte der an den BT weitergeleiteten Voranfragen ruckzuck in der Öffentlichkeit sind und dann kann man zu 97% auch das dahinter stehende/geplante Geschäft in die Tonne treten.
Dann bauen wir die dt. Industrie ab und kaufen nur noch bei den Franzosen, Briten und Amerikanern ein – feine Idee, Herr Gabriel! Klingeln die Gewerkschaften schon Sturm? Ja? Verdient ist verdient…
Ganz wie Genscher: Was schwimmt geht immer.
Bei allem Anderen nimmt er das „Kaputt-gehen“ billigend in Kauf.
Auch interessant, dass der BSR seit spätestens Herbst 2013 nicht mehr getagt hat.
Sagt ja auch schon etwas – bei der Weltlage.
Vernetzte Sicherheit eben…
Rüstung ist halt pöhse, wie das Militär.
Leider sind wir bei dem „was schwimmt“ auch nicht unbedingt führend, dafür aber bei den Landsystemen.
@ Memoria
Der BSR hat noch nie das gemacht, was sein Name verspricht. Leider. Daran ändert auch der wohlklingende, aber in der Realität uneingelöste Begriff der Vernetzten Sicherheit nichts.
@KeLaBe:
Schon klar, aber selbst für den Kernbereich Rüstungsexport ist die lange Zeitspanne bemerkenswert. Vor der Wahl hat man ja auch nichts mehr großartig entschieden (sonst hätten wir es irgendwo gelesen): Somit werden seit ca. 1 Jahr Entscheidungen schlichtweg ausgesessen, die für die beteiligten Firmen erhebliche Auswirkungen haben können.
Zumal die Botschaft bei der Kundschaft (nicht „nur“ beim Endkunden) sicher immer mehr ankommt: Die deutsche Politik will das alles nicht – auch nicht auf einem Niveau wie es andere EU-Staaten betreiben.
Da braucht man sich dann auch bald nicht mehr so viele Gedanken darüber machen, ob man Entscheidungen über Voranfragen ans Parlament weitergibt.
Wenn man so oder so ähnlich noch 5 Jahre weiter macht (und damit ist mit Blick auf die nächste Wahl zu rechnen), dann wird die Fallzahl deutlich zurückgehen.
Franzosen, Briten, Italiener, Türken und Polen bereiten sich bereits darauf vor, die „deutschen Nischen“ (insbesondere Landsysteme und U-Boote) zu füllen.
Hier werden die Weichen in den nächsten 5 Jahren gestellt – noch ein paar längere Verzögerungen von Entscheidungen bzw. negative Entscheidungen, dann stellt sich für viele auf System und – oftmals übersehen – Subsystemebene die Existenzfrage.
Das wiederum verbunden mit der Weltlage – und da schließt sich der Kreis zum Kernthema des BSR mit der „allgemeinen Politik“ – wäre Grund genug sich mal zusammen zu setzen.
Aber das interessiert im Kern ja auch nicht. Gabriel hat erkannt, dass er sich mit diesem Thema perfekt als nächster Kanzler profilieren kann.
Die Union hingegen läuft voll in die Falle und „adelt“ ihn noch mit der Unterstellung,
er wolle die deutsche Rüstungsindustrie kaputt machen.
Sicherheitspolitische Strategie, Technologiestandort Deutschland, max 80.000 Jobs vs. ca. 500.000 zusätzliche Wählerstimmen (….die Union will Panzer nach KSA verkaufen… Ich sage NEIN! Rüstungsindustrie ist eh komisch…)
Kann man alles machen, aber dann muss auch klar sein, dass es politische, wirtschaftliche und militärische Folgen hat.
@Memoria
Die unterschiedlichen Folgen muss man wohl betrachten, was i.d.R. auch geschieht. Rüstungsexporte sind ein klassisches Beispiel für Konflikte zwischen Werten und Interessen und auch innerhalb des Interessenspektrums. Da sind sowohl allgemeine Grundsätze als auch eine Abwägung im Einzelfall erforderlich. Die Fragen von Arbeitsplätzen und technologischen Marktpositionen sind wichtig, aber eben nicht die einzigen. Insbesondere bei Spannungsgebieten (wovon es leider allzu viele gibt) muss m.E. extrem scharf geprüft werden, inwiefern unsere konkreten sicherheitspolitischen Interessen berührt sind.
@KeLaBe:
Ach wirklich?
Nicht-Entscheidungen sind jedoch auch Entscheidungen und eine umfassende Güterabwägung sehe ich immer weniger, stattdessen ein immer stärker innenpolitisch geprägter Entscheidungsfindungsprozess.
Was nicht heißen soll, dass man überall hin alles liefert.
Aber wenn man genauer hinschaut, dann ist die Abwägung innerhalb der EU beim selben Vorhaben jedoch recht unterschiedlich.
Und von der Eidgenossenschaft reden wir wohl besser gar nicht:
http://www.spiegel.de/politik/ausland/schweiz-erlaubt-waffenexporte-in-laender-mit-menschenrechtsproblemen-a-957286.html
Kann man alles machen – nur halt nachher nicht wundern
Damit dürfte der GTK Boxer Export auch gestorben sein, wäre wichtig gewesen. Die Saudi-Luftwaffe fliegt übrigens mit Eurofightern und Tornados rum. Untersuchungsausschuss?
Nahezu zeitgleich zu den Äußerungen des Wirtschaftsministers haben Vertreter der Bundesregierung in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht nach Medienberichten den Standpunkt vertreten, Voranfragen zur Genehmigungsfähigkeit müssten auch künftig der Geheimhaltung unterliegen. Die Argumentation dazu wurde – man glaubt es kaum – durch das BMWi vorbereitet. Die Aussagen des Ministers sind daher entweder entstanden aus Unwissenheit, aus Gleichgültigkeit oder aus gezieltem innenpolitischen Kalkül – allen drei Möglichkeiten gemeinsam ist die fehlende Ernsthaftigkeit bei der Beschäftigung mit dem komplexen und sensiblen Thema Rüstungsexportpolitik, das vor allem außen-, sicherheits- und menschenrechtspolitische Facetten hat.
Aber nach diesen Antworten wissen wir nun, dass selbst der Wirtschaftsminister Saudi Arabien nicht zu seiner Kategorie der Unrechtsregime zählt, an die die deutsche Rüstungsindustrie unter keinen Umständen liefern dürfe. Den Marktplätzen, die es nicht auf dem Wasser gibt, sei Dank.
Mit seiner Antwort und der Wiederholung zum Termin des BSR würde er sich, wenn er Soldat wäre, im vordisziplinaren Raum bewegen.
Herr Arnold könnte den Wirtschaftsminister mal fragen, wie er denn als Verteidigungsminister nach der gewonnenen BT-Wahl 2017 die europäische Inegration im Verteidigungsbereich weiter vorantreiben soll ohne auf eine kooperationsfähige nationale Rüstungsindustrie zurückgreifen zu können.
@ Memoria
Der fehlende Konsens innerhalb der EU in diesen Fragen ist ein Armutszeugnis. Eigentlich unglaublich.
Aber mal konkret: Ich halte von Rüstungslieferungen in den Nahen und Mittleren Osten grundsätzlich gar nichts. Es sei denn, es sprechen im konkreten Fall sehr harte sicherheitspolitische Gründe dafür. Die Tatsache, dass etwa die Saudis viel Geld haben, das sie herzlich gern in Rüstung investieren, reicht als Argument jedenfalls eher nicht aus. Das wäre allzu kurzsichtig. Wir können einfach kein Interesse an einer allseitigen Hochrüstung in dieser explosiven Region haben. Israel ist dabei ein gesonderter Fall, aber auch da finde ich Zurückhaltung sinnvoll.
@KeLaBe:
Genau in dieser Region werden die Weichen gestellt. So oder so.
Wir halten uns dort – aus nachvollziehbaren – Gründen heraus – dann wird es sehr schwer sein die Kompetenzen im Bereich der Rad- und Kettenfahrzeuge in Deutschland zu erhalten.
Denn anderswo gibt es auf absehbare Zeit kaum Neukunden für die hochwertigen und hochpreisigen Produkte aus Deutschland. Auch für die Komponentenhersteller in Deutschland, die in europäischen (!) Plattformen dort erfolgreich sein wollen, wird dies verwehrt
Am konkreten Beispiel KPz Leopard 2 für KSA:
Wir liefern nicht, dann wird eben M1 gekauft.
Da stellt sich dann für KMW die ein oder andere Frage, wenn dann GTK Boxer auch nicht geliefert werden kann, dann ist KMW bald nur noch ein Systembetreuer für die Systeme in Nutzung (ungefähr wie Panavia). Ähnliches gilt dann bald für RLS.
Oder wir machen dort begrenzt mit – wobei bspw. Qatar als Partner ja durchaus auch fraglich ist.
Sicher ist jedoch: Für ein weiteres Durchwursteln nach tagespolitischer Laune fehlt so langsam die industrielle „Puste“.
Wie sagte schon Heinrich Heine:
„Franzosen und Russen gehört das Land,
Das Meer gehört den Briten,
Wir aber besitzen im Luftreich des Traums
Die Herrschaft unbestritten.“
Nachtrag am Beispiel Boxer:
http://www.bits.de/public/unv_a/orginal-081212.htm
Das BITS gilt ja nun auch nicht gerade als rüstungsfreundlich.
Aber es ist wohl eine recht treffende Lagebeschreibung.
Ohne Bundeswehr und Nicht-EU-Kunden wird es in verschiedenen Bereichen in den nächsten Jahren sehr eng. Kann man aber auch einfach ignorieren – bis es zu spät ist.
Zu Ende gedacht dürfte man dann überhaupt keine Geschäfte mehr mit fragwürdigen Staaten wie Saudi Arabien machen, weil die Gewinne, welche die daraus ja auch in Waffen investiert werden könnten! Das wäre konsequent. So leidet leider nur die deutsche Industrie darunter, die ja aufgrund der auch zukünftig niedrigen Auftragslage ihr Heil im Export suchen soll!
Und bei all diesen Überlegungen darf man auch nicht vergessen, wer ein Waffensystem liefert, der kontrolliert es auch! Jedes System hat (leider) immer eine Handvoll Komponenten die sehr wartungs-/verschleißanfällig sind. Würden die Leos dann zweckentfremdet könnte man den Nachschub einfach kappen und die Leos bleiben im Depot.
Im Gegensatz zu UK, F und USA hat Deutschland noch nicht verstanden dass Waffenexport auch Außenpolitik sein kann. Wenn jemand einen kulturell bedingten Waffenfetisch hat, dann steige ich in seinem Ansehen eben stärker wenn ich ihm nen Leo auf den Hof stelle, als wenn ich ihm ein Windrädchen aufs Dach setze.
Es ist gut und richtig dass wir sorgfältig prüfen, an wen wir Waffen verkaufen, aber was Gabriel hier abzieht ist Stimmenfang vor den Ostermärschen.
„Wir können einfach kein Interesse an einer allseitigen Hochrüstung in dieser explosiven Region haben.“
Welche Staaten in einer nicht explosiven Region investieren denn relevante finanzielle Mittel in die Rüstung? Exportmöglichkeiten finden sich nunmal überwiegend in Regionen mit naheliegenden Bedrohungsszenarien. Heisst das wir dürfen in Zukunft nicht mehr nach Südostasien und Ostasien liefern?
Mit der Logik können wir unsere Industrie gleich aufgeben.
Das uralte Dilemma: Man kann eigentlich nur bedenkenlos Waffen an Leute verkaufen, die eigentlich gar keine Waffen benötigen, weil sie im tiefsten Frieden leben.
Sehr geehrter Herr Gabriel,
ich schlage vor, die Firma KMW an einen Herrn im Osten Europas zu verkaufen, bei dem das böse militärische Teufelszeug nicht nur rumsteht – wie bei der Bundeswehr – sondern sogar echt und gerne eingesetzt wird:)
an Gospodin W. Putin !
MfG
semper fortis
@Memoria:
Die Politik hat aktuell nur zwei Punkte auf die sie sich achtet:
1. Wie kann ich die Klientelpolitik für den Kopf der Bevölkerungspyramide weiterführen unter
2. Erreichen der schwarzen Null.
in der F.A.S. war ein ganz guter Artikel über Schäuble und sein Ziel.
Einerseits will man ja ganz dolle GSVP machen. Dazu muss man aber verlässlich sein. Verlässlichkeit bedeutet aber auch ich muss finanzielle Zusagen bei Kooperationen machen können. Nur wie will ich das, wenn wir keinen regulären Haushalt haben. Durch das Aussitzen kommt wie es hier schon gesagt wurde eben zu nichts. Und damit können die beiden Regierungsparteien im Moment wohl ganz gut leben. Die schauen halt zu wie sie durch die Legislatur kommen, ohne dem anderen zu viel Punkte machen zu lassen, ohne dass die Regierung scheitert.
Also, Gabriel hatte definitiv keine Detail- oder Verfahrenskenntnis.
Was er da über das Wesen der Exportvoranfrage erzählt hat, ist ausschweifende Spekulation. Und dafür ist schon mancher Pressesprecher gefeuert worden. Wenn es aber der Chef macht…
Ich gehe davon aus, dass die Referatsleiter seines Hauses ihm kurzfristig aufschreiben, wie das alles wirklich funktioniert und geregelt ist. Wenn Gabriel das nicht passt, dann sollte er ein neues Gesetz und eine neue Außenwirtschaftsverordnung machen. Auch dafür gibt es dann viele lustige ahnungslose Diskussionen und das Werben um eine Mehrheit.
Entscheidungen gibt es sowieso nur noch dort, wo das Nichtstun mehr Ärger und Aufwand macht als die Aktion.
Es ist davon auszugehen, dass eine Befassung auf Ebene der Minister im Bundessicherheitsrat entsprechend durch Vorlagenweitwurf und Mitzeichnungsorgien angebahnt wird. Das Resultat und damit die Entscheidungsvorlage wird daher nicht ein dicker Ordner, sondern ein zusammengeschrumpfter glattgebügelter Dreizeiler pro Projekt sein. Ist das wirklich eine Entscheidungsgrundlage? Natürlich nicht. Aber wir haben ja am Beispiel von TdM erleben müssen, dass Aktenfresser auch keine überzeugende Ministerleistung erbringen.
@Memoria: Bei den Nationen, die Rüstungsindustrie und Export als nationales politisches Instrument nutzen bzw. wiederentdecken, können Sie Schweden hinzufügen. Gripen und bald auch wieder eigene Uboote (nach dem Vertreiben von ThyssenKrupp) sind hier sehr deutlich zu beobachtende Aktivitäten. Saab als Staatskonzern ist das Instrument und die haben jetzt schon alle Vielfliegerkarten in alle Welt – im Export.
Ich sehe das Problem mit der Rüstung weit tiefer in den Köpfen und Bäuchen der Politiker und Verwaltungsebenen in Deutschland, aber auch weit unlösbarer, weil ein gesundes nationales und auch multinationales Interessendenken hier praktisch komplett aberzogen worden ist. Diejenigen Politiker, denen wir gerne markige Positionen und „klare Kante“ bescheinigen, die sind eher auf Machterhalt und Machtausbau aus denn an Themen und Überzeugungen orientiert. Wo sind denn hier bitte unsere Konservativen mit einem verlässlichen und klaren Weltbild? Und wo bitte sind unsere apolitischen Generale, die solche Ausrüstung brauchen, um ihren verfassungsgemäßen Auftrag zu erfüllen? Schweigen im Walde und Einfordern der korrekten Anzugsordnung. Oder eben Elfenbeindiskussionen an heruntergekommenen Institutionen wie BAKS, KAS, FES, HSS etc. Es ist zum Heulen und man möchte am liebsten zum Franzosen überlaufen. Der ist zwar total pleite und im Inneren verfault, aber (grundlos) stolz, (fatalistisch) willens und (noch) in der Lage, ein Interesse festzulegen und zu verfolgen. Traurig. Für uns.
Der SPIEGEL greift das Thema nun auch prominent auf:
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/waffenexporte-ruestungsfirmen-kritisieren-minister-gabriel-a-965023.html
Ist eben ein tolles Thema zur koalitionsinternen Profilierung.