Wirtschaftsminister stoppt Rheinmetall-Ausbildungszentrum für Russland

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Da waren im Bundeswirtschaftsministerium wohl die Informations- und Entscheidungswege ein bisschen länger: Am (heutigen) Mittwochabend hat das Ministerium der Deutschen Presse-Agentur auf Anfrage mitgeteilt, dass ein Millionenprojekt des deutschen Rüstungskonzerns Rheinmetall, die Lieferung eines modernen Ausbildungszentrums für die russischen Streitkräfte, vorerst gestoppt wird. Ein wenig überraschend, denn noch am Mittag hatte sich Ministeriumssprecher Adrian Toschev vor der Bundespressekonferenz ahnungslos gegeben, während Regierungssprecher Steffen Seibert auf Europa verwies:

Frage: Die britische Regierung hat angekündigt, dass sie Waffenexporte aus Großbritannien in die Russische Föderation stoppen will. Deshalb stelle ich die Frage: Teilt die Bundesregierung diese Einschätzung in Bezug auf deutsche Waffenexporte? Würden Sie also sagen, dass deutsche Unternehmen bis auf Weiteres keine Rüstungsgüter mehr nach Russland exportieren sollen und dass Sie bereits erteilte Genehmigungen zurückziehen?
StS Seibert: Ich habe gesagt, dass wir jetzt in Brüssel auf europäischer Ebene darüber sprechen, welche Maßnahmen zu ergreifen sind, und zwar welche Maßnahmen von den Maßnahmen, die wir uns für die zweite Phase der Sanktionen, wenn Sie so wollen, vorgenommen haben. Darüber werden wir sprechen. Natürlich werden die Briten auch ihre Ideen, sofern sie darüber hinausgehende haben, einbringen. Uns geht es jetzt um diese Maßnahmen, die wir eben für die zweite Phase miteinander besprochen haben.
Grundsätzlich wissen Sie, wie unsere Haltung zu Rüstungsexportgenehmigungen ist: Dabei wird immer der Einzelfall geprüft, und er wird natürlich auch immer mit Blick auf die aktuelle Situation geprüft.
Zusatzfrage: Es geht ja wohl im Augenblick konkret darum, dass der Rheinmetall-Konzern ein sogenanntes Gefechtsübungszentrum liefern soll, in dem dann russische Panzereinheiten und deren Soldaten sozusagen unter echten Bedingungen Krieg üben sollen. Dieses Zentrum soll demnächst in Russland aufgebaut werden. Ist es in der gegenwärtigen Situation eine gute Idee, dort mit deutscher Technik so eine Anlage aufzubauen?
Toschev: Ich kann das vielleicht noch ein bisschen ergänzen. Der Regierungssprecher hat ja gerade schon grundsätzlich gesagt, wie sich die Rüstungsexportkontrollpolitik gestaltet, nämlich immer in Abhängigkeit vom Einzelfall und von der Lage vor Ort. Für Russland gilt: Für den Export von Kriegswaffen nach Russland gab es schon seit vielen Jahren – mindestens seit zehn Jahren – keine Genehmigungen mehr.
Für sonstige Rüstungsgüter gab es hin und wieder Genehmigungen. Das bezog sich aber zum Beispiel auf Jagdwaffen und dergleichen.
Das Zentrum, das Sie ansprechen, betrifft meines Erachtens einen Sachverhalt, der aus dem Jahr 2011 stammt; zumindest liegen mir jetzt keine aktuellen Erkenntnisse vor. Dazu ist auch im damaligen Rüstungsexportkontrollbericht berichtet worden. Das fällt, wie gesagt, wenn es denn darunter fällt, unter die Kategorie „sonstige Rüstungsgüter“, die im Vergleich keine großen Beträge ausmachten. Einzelheiten dazu liegen mir jetzt nicht vor, auch nicht zur aktuellen Lage vor Ort. Ich verweise noch einmal auf den Bericht aus dem Jahr 2011.

Ob rund 120 Millionen Euro keine großen Beträge ausmachen, ist sicherlich Ansichtssache. Und der Chef des Wirtschaftsministeriums, SPD-Minister Sigmar Gabriel, scheint da im Laufe des Tages zu einer anderen Einschätzung gekommen zu sein, wie dpa meldete:

Bundeswirtschaftsminister Gabriel hat angesichts der Krim-Krise ein Geschäft des Rüstungskonzerns Rheinmetall mit der russischen Armee vorerst gestoppt. (…)
„Die Bundesregierung hält in der gegenwärtigen Lage die Ausfuhr des Gefechtsübungszentrums nach Russland für nicht vertretbar“, erklärte das Wirtschaftsministerium in Berlin. (…)
Man stehe in Kontakt mit Rheinmetall, teilte das Resssort von Minister Sigmar Gabriel, SPD, weiter mit. Derzeit seien keine Lieferungen für das Gefechtsübungszentrum vorgesehen. Das Düsseldorfer Unternehmen werde rechtzeitig über geplante Ausfuhren informieren, „damit die Bundesregierung im Licht der weiteren Entwicklungen gegebenenfalls notwendige Schritte ergreifen kann“, erklärte das Wirtschaftsministerium weiter.

Das jetzt gestoppte Geschäft, ein Ausbildungszentrum nach dem Vorbild des Bundeswehr-Gefechtsübungszentrums bei Magdeburg, hat für Rheinmetall über die Summe hinaus Bedeutung, wie das Unternehmen nach Vertragsabschluss 2011 selbst betont hatte:

Der Auftrag ist für den Düsseldorfer Konzern von besonderer strategischer Bedeutung. Mit ihm ist der deutschen Wehrtechnik erstmals in bedeutendem Umfang der Zugang auf den russischen Markt gelungen. Im Hinblick auf die geplante Modernisierung der Ausrüstung der russischen Streitkräfte bieten sich damit gute Chancen für Folgebeauftragungen aus der Russischen Föderation. (…)
Die Ausbildung mittels Simulationstechnik gewährleistet den Streitkräften nicht nur eine realitätsnahe und effiziente Vorbereitung von Truppenteilen in unterschiedlichen  Einsatzszenarien, sondern auch erhebliche Einsparungseffekte durch geringeren Material- und Treibstoffverbrauch sowie reduziertem Verschleiß an schwerem Gerät. Nach Schätzungen des russischen Militärs soll sich die jetzt beauftragte Anlage bereits nach wenigen Jahren amortisiert haben.

Mit der Entscheidung des deutschen Wirtschaftsministers  und der vorangegangenen britischen Entscheidung, militärische Zusammenarbeit und Rüstungsexporte nach Russland zu stoppen wächst – beabsichtigt oder unbeabsichtigt – der Druck auf das EU-Partnerland Frankreich. Das wäre von einem EU-weiten Lieferstopp am stärksten betroffen: Französische Werften wollen für die russischen Streitkräfte Schiffe der Mistral-Klasse liefern. (Ironie am Rande: Eines der beiden Schiffe soll unter dem Namen Sewastopol Flaggschif der Schwarzmeerflotte werden.)  Der Gesamtwert beträgt nicht nur 1,2 Milliarden Euro – sondern von diesem Auftrag hängen auch rund 1.000 Arbeitsplätze ab, wie die Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses in der Nationalversammlung, Elisabeth Guigou, vorrechnete. Allerdings hatte Frankreichs Außenminister Laurent Fabius schon angekündigt, dass ein Stopp dieses Geschäfts denkbar sei.

(Foto: Kampf in urbanem Gelände beim Gefechtsübungszentrum der Bundeswehr – Pressefoto Rheinmetall)