‚Die Rahmenbedingungen müssen hervorragend sein‘ (Nachtrag: ARD-Interview)

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 Die Offensive der Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen für eine bessere Vereinbarkeit von Dienst und Familie bei Soldaten hat schon am (gestrigen) Sonntag Wellen geschlagen; und die Debatte darüber geht weiter. Zur Ergänzung und zur Dokumentation  hier der Wortlaut des Interviews, das die Ministerin am Sonntagabend im ZDF-heute journal auf Fragen von Claus Kleber gegeben hat:

Frage: Die Bild am Sonntag inszeniert Sie da heute als so etwas wie die oberste Truppenbetreuerin, die schöne Dinge verspricht wie Kitas und angenehmere Arbeitszeiten und Familienfreundlichkeit. Sind das wirklich die Themen, mit denen sich die neue Verteidigungsministerin am Anfang profilieren will?

Antwort: Es ist eines der wichtigsten Themen, denn mir ist völlig klar, dass der Soldatenberuf nicht ein Beruf wie jeder andere ist. Aber wir brauchen Nachwuchs, und da haben wir die gleichen Ansätze wie alle anderen Berufe auch. Die Rahmenbedingungen, unter denen man seinen anspruchsvollen Beruf ausübt, die müssen hervorragend sein. Und da gehört diese ganze Themenpalette dazu.

Frage: Gleichzeitig wirkt das so klischeehaft: Da kommt die neue Ministerin, eine Frau mit großer Erfahrung in der Sozialpolitik, und genau in diese Ecke stellen Sie sich jetzt selbst?

Antwort: Es hat seit Jahren Klagen gegeben bei der Bundeswehr, dass die Vereinbarkeit von Dienst und Familie nicht funktioniert, dass Karriereperspektiven sehr homogen sind, dass die Frage ist bei Zeitsoldaten, habe ich danach eigentlich eine Abbruchkante beruflich oder habe ich ein Sprungbrett. Das wollen wir schaffen. Und diese Klagen sind beim Wehrbeauftragten, die sind beim Bundeswehrverband. Ich habe mit beiden letzte Woche gesprochen, im Koalitionsvertrag ist das verankert. Das heißt, das ist eine Agenda, die überfällig ist und die wir uns selber ganz fest vorgenommen haben. Sie ist folgerichtig, denn wenn wir mit allen zivilen Unternehmen konkurrieren um die besten jungen Menschen…, dann müssen wir auch Rahmenbedingungen schaffen, dass optimal gearbeitet werden kann, aber die Balance von Soldatenberuf und Familienleben auch funktioniert.

Frage: Gleichzeitig ist das ein Thema, das Ihnen zunächst einmal eine Aufwärmphase gönnt, bevor Sie sich den ganz harten Themen widmen müssen, dem, was Thomas de Maizière in Afghanistan angesprochen hat als das, was die Bundeswehr gelernt hat dort: zu töten und zu sterben. Fühlen Sie sich bei diesen Themen jetzt… schon sattelfest?

Antwort: Die Themen kommen automatisch auf mich zu. Ich werde am Ende dieses Monats auf der Münchner Sicherheitskonferenz sein und reden. Das ist das ganze Thema der internationalen Bündnisse. Ich bin in Afghanistan gewesen, haben den ersten Eindruck gewonnen. Selbstverständlich kommt das Thema Rüstungsbeschaffung auf mich zu; das steht im Raum. Vor diesen Themen will ich auch gar nicht ausweichen. Aber die Grundbedingung, dass Soldatinnen und Soldaten und zivile Beschäftigte hier Arbeitsbedingungen vorfinden, die hochmodern sind, damit sie ihr Bestes geben können, die muss ich schaffen.

Frage: Sie haben am Hindukusch auch versprochen, der Schutz der Soldaten steht ganz im Vordergrund. Gleichzeitig haben Sie offenbar Zweifel bei der Anschaffung von Kampfdrohnen. Unter diesem Gesichtspunkt ist das die ideale Waffe: Kein Risiko auf der eigenen Seite, tödlich effizient gegen den Gegner. Und trotzdem sind Sie sich da noch nicht sicher?

Antwort: Wir haben die Aufklärungsdrohne, das ist so etwas wie Google-Earth in Echtzeit… Zu dieser Aufklärungsdrohne stehe ich uneingeschränkt. Bei den Kampfdrohnen haben wir eine breite Diskussion, die auch geführt werden muss. Denn ich finde, wenn wir den Rückhalt der Bevölkerung haben wollen, dann muss die Bevölkerung auch mit den Mitteln, die die Bundeswehr, ihre Bundeswehr, einsetzt, überzeugt sein, dass es das Richtige ist, muss mitgenommen werden.

Frage: Sind Sie denn überzeugt?

Antwort: Ich habe viele offene Fragen, die geklärt werden müssen. Das sind Fragen vor allem auch, was geht technisch, was gibt es für rechtliche Fragen, was gibt es für ethische, moralische Fragen? Was sind eigentlich die Regeln, unter denen das aufgestellt wird? Wir haben noch nicht diese Regeln. Wir haben eine Parlamentsarmee. Die muss die Regeln gemeinsam mit uns allen aufstellen. Und diese Diskussion, die müssen wir führen. Dann bleibt die Bundeswehr auch verankert in der Mitte der Gesellschaft, mit ihrem besonderen Auftrag und Einsatz.

Frage: Thomas de Maizière hat beim Abschied… gesagt, bei der Bundeswehr ist vieles nicht in Ordnung. Und er hat das mit hoher Emotionalität gesagt. Was haben Sie dabei gedacht?

Antwort:… Thomas de Maizière hat Herkulesarbeit geleistet. Er hat hervorragend die Neuausrichtung auf den Weg gebracht. Ich kann darauf aufbauen. Und selbstverständlich gibt es Probleme, die ich anpacken will. Aber es gibt auch viel Gutes bei der Bundeswehr. Und das müssen wir auch herausstellen.

Nachtrag: Die ARD sendete am (heutigen) Montag im Morgenmagazin ebenfalls ein Interview mit der Ministerin (online ist das Gespräch lt. ARD bis 13.01.2015 hier  und hier verfügbar). Ein – leicht gekürzter – Wortlaut:

Frage: Was haben Sie eigentlich von Ihrer Truppe, Ihrer kleinen Kompanie zu Hause mit sieben Kindern, gelernt, was Sie der großen Truppe mitgeben können oder was Sie für sich selber mitnehmen können in diesen neuen Job?

Antwort: Ich glaube, Kinder lehren einen unendlich Disziplin im besten Sinne, nämlich verlässlich sein… Und Kinder lehren einen auch eine gewisse Erdung, also dieses Wissen, warum man Dinge tut, und viele soziale, emotionale Kompetenzen (…)

Frage: Es wird sicherlich etwas schwerer sein, ein solches Ministerium und die Soldaten zu organisieren, um dann tatsächlich das herzustellen, was Sie möchten, nämlich eine familienfreundliche Umgebung?

Antwort: Natürlich ist der Soldatenberuf kein Beruf wie jeder andere. Und das ist ganz klar, der Kampfeinsatz zum Beispiel in Afghanistan, da gibt es keine Teilzeit.

Aber im Grundbetrieb – also, mein Beispiel, wir haben für einen Soldaten in Afghanistan 35 Soldatinnen und Soldaten zu Hause, die dafür sorgen, dass der Grundbetrieb läuft. Das ist Logistik, das ist Sanitätswesen, das ist die Technik, die dahinter ist…

Und da müssen die Rahmenbedingungen optimal sein, denn wir haben keine Wehrpflicht mehr, das heißt, niemand muss zur Bundeswehr, sondern alle kommen freiwillig. Wir wollen ein attraktiver Arbeitgeber sein wie bei allen anderen Berufen auch.

Frage: Warum dieser Druck? Warum müssen Sie jetzt umstrukturieren und wollen Sie diese Familienfreundlichkeit?

Antwort: Gerade weil wir die Aufgabe gut erfüllen wollen, müssen die Rahmenbedingungen so sein, dass Menschen, die hohe Verantwortung tragen, auch Erdung haben. Menschen, die sehr hart arbeiten müssen, Soldatinnen und Soldaten in der Bundeswehr, die brauchen auch Regenerationszeit, die brauchen die Auszeiten, die brauchen die Balance zwischen Dienst und Familie. Und da können wir noch deutlich besser werden.

Ich höre auch aus den Klagen der Bundeswehr, dass es genau darum geht. Und der Koalitionsvertrag ist da ganz eindeutig. Also kann ich nur sagen, ‚ran an die Arbeit.

Frage: 48.000 Soldaten müssen umziehen jetzt noch wegen der Strukturreform. (…)  Andere wollen Sie ja nicht mehr so schnell versetzen. Wie können Sie denen noch helfen?

Antwort: Dass die Rahmenbedingungen stimmen – also, wenn Sie zum Beispiel pendeln, dass man auch weiß, dass sie durchaus ihre Woche anders strukturieren können, dass sie flexiblere Arbeitszeiten haben.

Flexible Arbeitszeiten heißt ja nicht, weniger arbeiten, sondern ein bisschen mehr sich anpassen an die Bedürfnisse, die jemand persönlich hat. Da ist das entscheidend, dass man die passende Lösung vor Ort für jeden findet.

Frage: Können Sie sich vorstellen, Ihre eigenen Kinder zur Bundeswehr zu schicken?

Antwort: Schicken nicht, sondern die Kinder müssen sagen, ich will zur Bundeswehr. Dann würde ich sagen, super, weil ich weiß, wie viel Möglichkeiten inzwischen bei der Bundeswehr da sind. (…)

Frage: Ihr Vater hat über Sie immer gesagt „Röschen“. Das klingt so weich, aber Sie scheinen doch mehr aus Stahl gemacht. Sie haben gleich zu Anfang zwei Staatssekretäre gefeuert. Warum haben Sie das gemacht?

Antwort: Erstens, ein Staatssekretär ist in den vorzeitigen Ruhestand entlassen worden, und das ist typisch, wenn man einen Übergang hat. Ich habe einfach den Staatssekretär, der seit zehn Jahren mich begleitet, brillant, mitgenommen hierher. Und im Übrigen muss man sagen, Röschen und weich – ich finde kein Röschen ohne Dörnchen.

Frage: Wie wollen Sie sich den Respekt der Männer erarbeiten, die ja doch auch skeptisch sind?

Antwort: Da zählt nur eins – gute Arbeit… Aber ich merke, dass die Soldatinnen und Soldaten sehr offen im Gespräch auf mich zugehen und dann auch ganz klar sagen, was ihre Erwartenshaltung ist und wo sie Sorgen und Nöte haben.

Frage: Nun sind Ihre Vorgänger ganz schön ins Stolpern geraten über verschiedene Rüstungsvorhaben. (…) Wie wollen Sie denn verhindern, dass es Ihnen genauso geht und sie plötzlich, bevor Sie wissen, wie Ihnen geschieht, und bevor Sie richtig eingearbeitet sind, vor irgendeiner Rüstungskatastrophe stehen?

Antwort: Ja, mein Vorgänger hat bittere Erfahrungen mit diesem Thema gemacht und hat daraus die richtigen Konsequenzen gemeinsam mit dem Parlament gezogen, nämlich ein ganz modernes Rüstungscontrolling einzuziehen. Man muss dazu wissen, dass so Rüstungsvorhaben zum Teil fünfzehn, zwanzig Jahre laufen.

Und Controlling heißt, da wird permanent jetzt geguckt, wie ist der Stand der Dinge, wo müssen wir nachsteuern, wo gibt es Probleme. Und da gibt es bei diesen Großvorhaben immer Probleme, das ist in der Wirtschaft auch so. Aber dass das viel transparenter ist, das ist jetzt eingeführt, und da werden wir konsequent nachsteuern, aber auch nachbohren.

Frage: Sie haben gesagt, man braucht eine Fehlerkultur. Das heißt, man darf Fehler machen?

Antwort: Ja, man braucht eine Fehlerkultur. Das heißt nämlich, dass, wenn Fehler im frühen Stadium auftauchen, nicht vertuscht wird, bis es hinterher ein richtig dickes Problem ist, sondern dass derjenige, der einen Fehler frühzeitig meldet, keine empfindlichen Strafen hat, sondern wir lernen aus dem Fehler für den nächsten Schritt. Das kennen wir aus der Luftfahrt, und das kennen wir aus der Medizin sehr gut, dass man dann einen guten, sauberen Prozess hinkriegt.

Frage: Das nächste, was ansteht, ist der Abzug aus Afghanistan. Es gibt noch kein Truppenstatut. Wie werden Sie das machen, kann es sein, dass Ende 2014 kein Soldat mehr in Afghanistan ist?

Antwort: Also ganz sicher ist, dass der Kampfeinsatz Ende 2014 vorbei ist. Das ist verabredet, und das weiß übrigens auch die afghanische Bevölkerung.

Auf einem zweiten Blatt steht, wir arbeiten ja immer im Bündnis, wir sind da in Afghanistan, wir sind da im Camp Marmal mit sechzehn verschiedenen Nationen, und das heißt, im Bündnis brauchen wir die Einladung der afghanischen Regierung, ein Truppenstatut, dass wir hinterher unterstützen können, beraten können, das, was entstanden ist, nachhaltig sichern. Das ist das Ziel, aber wie gesagt, Verteidigungspolitik findet immer im Bündnis statt, das ist kein Alleingang.

Frage: Da findet jetzt auch statt in der EU, dass man in Zentralafrika eingreifen möchte, auch EU-Truppen gefordert sind. Die Deutschen wollen einmal mehr Luftunterstützung geben. Kämpfen wollen sie nicht. Wir das unter Ihnen anders werden in Zukunft?

Antwort: Naja, es ist so, dass in den unterschiedlichen Einsätzen aus der NATO heraus unterschiedliche Nationen den Schwerpunkt haben. Wir sind die Leitnation im Norden Afghanistans gewesen über viele, viele Jahre und haben dort eben auch gekämpft. Das ist zu recht als Krieg bezeichnet worden.

Es gibt andere Einsätze, wo wir andere Fähigkeiten dann auch zur Verfügung stellen, zum Beispiel Piratenbekämpfung, im Mittelmeerraum oder die türkisch-syrische Grenze sichern. Das sind ganz unterschiedliche Situationen, und das zeigt eben auch, dass die Bundeswehr, aber auch wir im Bündnis, ganz vielfältig aufgestellt sein müssen.

(Bild: Screenshot des ZDF-Interviews)