Ein Viertel mehr zivile Opfer in Afghanistan: Mehr ferngesteuerte Sprengfallen
Die Zahl der zivilen Opfer in Afghanistan ist in den ersten sechs Monaten dieses Jahres fast um ein Viertel im Vergleich zum ersten Halbjahr 2012 gestiegen – vor allem deswegen, weil mehr Zivilisten Opfer von Sprengfallen, so genannten Improvised Explosive Devices (IED) wurden. Die Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) veröffentlichten am (heutigen) Mittwoch ihren Jahresbericht mit den bedrückenden Zahlen: Im Berichtszeitraum wurden 1.319 zivile Tote und 2.533 Verletzte registriert, 14 Prozent mehr Tote und 28 mehr Verletzte als in den ersten sechs Monaten des vergangenen Jahres. Damit sei der Rückgang des vergangenen Jahres umgekehrt, warnte UNAMA.
Die größte einzelne Gefahr für Zivilpersonen sind die Sprengfallen, die für 35 Prozent aller Opfer verantwortlich sind – 433 Tote und 917 Verletzte. Werden Selbmordanschläge und andere Angriffe der Aufständischen hinzugezählt, fallen solchen Attacken sogar 52 Prozent der betroffenen Zivilisten zum Opfer. Kämpfe zwischen Aufständischen und Soldaten Afghanistans oder der internationalen Truppen waren für ein Viertel der Opfer verantwortlich.
Indirekt hat offensichtlich die weitgehende Übernahme der Sicherheitsverantwortung durch afghanische Polizei und Streitkräfte zur höheren IED-Gefahr beigetragen: Die Aufständischen gingen nach dem Bericht wieder vermehrt dazu über, ferngesteuerte Sprengfallen einzusetzen, die zum Beispiel über Mobiltelefone gezündet werden. Da die internationalen Streitkräfte über elektronische Gegenmaßnahmen verfügen, hatten die Taliban und andere Aufständische in den vergangenen Jahren mehr so genannte Opfer-ausgelöste (victim operated) IEDs benutzt – nach dem Rückzug der ISAF-Truppen aus der Fläche verwendeten sie wieder die ferngesteuerte Variante, da die afghanischen Sicherheitskräfte erst seit kurzem über die Abwehreinrichtungen verfügen:
Civilian casualties resulting from remote-controlled IEDs (RC-IEDs) increased by 130 percent, with 136 civilian deaths and 426 injuries (562 civilians casualties) recorded in 160 RC-IED attacks, compared with the same period in 2012. Radio- or RC-IEDs are a common form of Command-Operated IEDs that are operated from a distance and enable individuals to detonate a pre-placed device at the precise time a target moves into the target area. This may enable more discriminate targeting providing the operator is trained to properly operate the device. (…)In previous years, ISAF’s use of electronic countermeasure systems may have led to a heavier reliance by Anti-Government Elements on more basic types of detonation of IEDs, including pressure plate IEDs which are victim-activated (rather than activated by telephone or two-way radio) and therefore not detected by electronic counter measures. Prior to June 2013, ANSF did not possess ISAF’s electronic counter measures’ capacity to detect RC-IEDS before detonation which may have been a factor in the increased use of RC-IEDs by Anti-Government Elements, and less use of PPIEDs. The reduction in patrolling by ISAF may have been viewed as an opportunity by Anti-Government Elements to increase the use of RC-IEDs and reduce the use of victim-operated devices. ANSF have been using electronic counter measures since June 2013.
Unverändert sind nach dem UNAMA-Bericht die Aufständischen für die größte Zahl der Opfer verantwortlich: 74 Prozent aller zivilen Opfer gingen auf ihr Konto, 16 Prozent mehr als im ersten Halbjahr 2012. Die so genannten Pro-Government Forces, also sowohl afghanische Sicherheitskräfte als auch die internationalen Truppen, waren für neun Prozent verantwortlich. Zwölf Prozent aller Opfer gerieten bei Schusswechseln zwischen die Fronten, so dass nicht klar ist, wer an ihrem Tod oder ihrer Verletzung Schuld ist. Fünf Prozent der Fälle konnten nicht zugeordnet werden.
Interessant ist aus deutscher Sicht natürlic der Blick auf den Norden Afghanistans:
Dort ist zwar die absolute Zahl der zivilen Opfer deutlich niedriger als im umkämpften Süden. Dennoch gibt diese Statistik Anlass zur Sorge: Zum einen ist die Zahl mit 137 höher als im Osten – der als unruhige Region gilt. Zum anderen fällt der Anstieg von 76 im ersten Halbjahr 2012 auf 137 im ersten Halbjahr 2013 prozentual deutlich höher aus als in den anderen Regionen, wiederum mit Ausnahme des Südens. Und: nur im Regionalkommando Nord zeigt sich eine fast ungebrochene kontinuierliche Steigerung seit 2009.
(Foto: UNAMA via Flickr; Grafik aus dem Bericht)
Es stellt sich die Frage ob „government officials“ auch zu den zivilen Opfern gezählt werden? Dies würde Aufschluss über die „Effect List“ der Gegenseite geben schließlich werden effektive Staatsdiener und Milizionäre mehr und mehr konsequent „weggebombt“. Weniger ISAF in der Fläche bedeutet auch eine weniger gefährdete Verbringung der IEDs. Wenn man Polizisten und Armee noch vor dem Abzug.. ähh sorry Rückverlegung.. zum arbeiten bringen will, sollte man die einfachen Störmaßnahmen einfach da lassen.
Zivile Regierungsangestellte werden zu den zivilen Opfern gezählt. Der 2012-Bericht hat an der Stelle die gezielten Tötungen nochmal nach Regierungsangestellten und Zivilisten insgesamt aufgeschlüsselt.
„Within the 1,077 civilian casualties from overall targeted killings, the deliberate targeting
of Government employees increased by almost 700 percent. In 2012, UNAMA documented 47 separate incidents of targeted killings of civilian Government workers which killed 107 civilians and injured 148. In 2011, UNAMA documented 23 of the same type of targeted killing incidents which killed 23 and injured 11 civilians.“
OT aber trotzdem interessant
„Am 29. Juli wurde der Leiter der Beratergruppe der Bundeswehr im Senegal tätlich durch einen ihm unterstellten deutschen Soldaten angegriffen.
Im Handgemenge stürzte der Offizier und erlitt einen Knochenbruch im Bein.“
Wird ja immer abenteuerlicher
http://bit.ly/16JG8mc
Katzen würden CIVCAS kaufen. Will heißen: Nicht jeder zivile Verlust ist gleichermaßen ein Problem. Solange die Aufständischen dafür verantwortlich sind, ist der Verlust gutes PSYOPS-Material, zumindest solange man damit Empörung und Verachtung für die Feigheit der Aufständischen erzeugen kann.
Solange sich so viele Afghanen als Ziele für die Aufständischen zu erkennen geben, würde ich mir keine Sorgen machen, denn das bedeutet, daß die Motivation unter regierungsnahen Afghanen noch relativ hoch ist. Wenn die Verlustzahlen irgendwann zurückgehen, würde ich mir eher Sorgen machen, denn das könnte bedeuten, dass die regierungsnahen Afghanen durch die Anschläge erfolgreich eingeschüchtert werden, was bislang offenbar nur eingeschränkt der Fall ist.