Keine Zahlen lügen nicht

Verdammte Statistik. Mit diesen ganzen Zahlen kann man schon mal durcheinander kommen. Erst recht, wenn man auf wichtige Zulieferung von Daten angewiesen ist und da nicht die Hand drauf hat… Dann muss man womöglich die Statistik korrigeren – oder, halt, super Idee: Wir schaffen die Statistik einfach ab.

So ungefähr hat sich das offensichtlich die internationale Afghanistan-Schutztruppe ISAF überlegt. Vor einer Woche räumte ein Sprecher ein, dass die zuvor veröffentlichten – und im Januar zurückgezogenen – Statistiken über die sicherheitsrelevanten Zwischenfälle in Afghanistan fehlerhaft waren. Mit dem problematischen Ergebnis, dass die in den Monaten zuvor als Erfolg verbreitete Meldung vom Rückgang der Angriffe Aufständischer so nicht stimmte. Tatsächlich war die Zahl der Angriffe im vergangenen Jahr gleich geblieben. Ähnliche Probleme mit den Zahlen hatte auch die Bundeswehr in ihrem Bereich in Nordafghanistan – und deswegen schon Mitte Januar ihre zu positiven Angaben korrigiert.

ISAF hat dagegen eine viel einfachere Lösung gewählt: Weil die Zahlen so unzuverlässig sind, gibt’s einfach keine Statistiken mehr. Was nicht veröffentlicht wird, kann auch nicht falsch sein. So ähnlich hat das jedenfalls ein ISAF-Sprecher der Associated Press erklärt:

The U.S.-led military command in Afghanistan said Tuesday it will no longer publish figures on Taliban attacks, a week after acknowledging that its report of a 7 percent decline in attacks last year was actually no decline at all.
A spokesman for the International Security Assistance Force, or ISAF, Jamie Graybeal, said Tuesday that its reporting on the number of attacks will grow increasingly inaccurate as Afghan forces move further into the battlefield lead.
„Because (Afghan forces) are now conducting an increasing number of successful unilateral operations, often beyond the view of ISAF, we have determined that our databases will become increasingly inaccurate in reflecting the entirety of enemy initiated attacks,“ Graybeal said in a written statement.

Ja. Kann man machen. Interessant ist nur, dass die Bundeswehr bei der Korrektur ihrer Zahlen betont hatte, künftig werde die Statistik genauer sein als bisher, weil die Erfassung der Sicherheitsrelevanten Zwischenfälle (SRZ) durch die afghanischen Sicherheitskräfte (Afghan National Security Forces, ANSF) verbessert werde:

Durch die zunehmende Übernahme von Sicherheitsverantwortung durch die ANSF fällt diesen auch vermehrt die Zuständigkeit für die Erfassung und Meldung von SRZ zu. Dies hatte zunehmende zeitliche Verzögerungen bei den Meldungen der SRZ durch die ANSF zur Folge, was dazu führte, dass manche SRZ nicht bzw. verspätet erfasst wurden, weil bis zur Drucklegung des jeweiligen Dokuments eine Meldung zu solchen SRZ noch nicht vorlag.Im Zuge einer jetzt im Bereich der Bundesregierung erfolgten retrospektiven quantitativen und qualitativen Überprüfung der SRZ wurde festgestellt, dass die tatsächlichen Fall-Zahlen im Schnitt um etwa zehn Prozent höher ausfallen, als bisher in den Unterrichtungen des Parlaments und im Fortschrittsbericht Afghanistan berichtet wurde. Durch die Verlängerung der Frist für die rückwirkende Nacherfassung (zwei Wochen anstatt wie bisher drei Tage) ist künftig eine deutlich verbesserte Genauigkeit der Erfassung sichergestellt.

Das gibt eine interessante Diskussion innerhalb des ISAF-Gefüges. Die US-geführte Spitze sagt, die Zahlen werden künftig zu ungenau, als das sie noch einen Wert hätten – und schafft damit de facto das so genannte Green Reporting ab, die Einbeziehung der Zahlen von afghanischer Armee und Polizei in die Gesamststatistik der Vorfälle. Die Bundeswehr geht, jedenfalls nach den bislang veröffentlichten Erklärungen, im Gegenteil von einer deutlich verbesserten Genauigkeit der Erfassung aus . Zudem warteten die Deutschen darauf, dass ISAF seine Zahlen korrigiere – das Verteidigungsministerium teilte noch vergangene Woche den Abgeordneten im Verteidigungsausschuss mit: Bezugnehmend auf die angeführte Überprüfung der SRZ-
Statistiken bei ISAF liegen unverändert keine abschließenden Ergebnisse vor.

Irgendwie sehe ich da, wie heißt es militärisch, ein Delta bei den Bündnispartnern. Wird doch interessant zu sehen, was demnächst mit der deutschen Statistik passiert: wird sie genauer oder verschwindet sie einfach?

(Und gerade fällt mir noch ein Problem ein: Wie können die Deutschen künftig sagen, die Sicherheitslage im Norden sei besser als in anderen Landesteilen, wenn sie keine Vergleichszahlen mehr haben?)

(Foto: Afghan National Army recruits stand boot to boot before entering a room during building clearing tactics as part of their Military Operations in Urban Terrain training at Camp Zafar, Herat Province, Feb. 21, 2011 – U.S. Navy Photo by Mass Communications Specialist 1st Class Stephen Hickok via ISAF Media auf Flickr unter CC-BY-Lizenz)