Blauhelme für Mali – kein Thema?
(United Nations Photo/Marie Frechon)
Vielleicht ist es für Deutsche ja wirklich kein Thema: Während in der hiesigen Politik über ein Tankflugzeug für die Franzosen in Mali debattiert wird, finde ich ausschließlich in angelsächsischen und französischen Medien den Hinweis, dass die Vereinten Nationen die Überlegungen für eine Blauhelm-Truppe für das westafrikanische Land beschleunigen wollen. (Am Rande hatte ich das heute schon mal erwähnt.) Wie zum Beispiel Associated Press berichtet:
The U.N. Security Council will consider plans to deploy a new U.N. peacekeeping force to Mali to help pacify the northern part of the West African country following France’s ejection of hard-line Islamists from the cities there, a senior diplomat said Thursday.
The Security Council last month passed a resolution approving a multinational African force to help stabilize Mali. But with the Islamist forces in retreat, that plan has been overtaken by events on the ground.
Instead, the Security Council will discuss a regular U.N. peacekeeping force for Mali instead, the senior Western diplomat said, speaking on condition of anonymity because the plans were in an early phase of discussion.
In Frankreich haben Außen- und Verteidigungsministerium das ausdrücklich befürwortet, auch wenn sie der Meinung sind, es sei noch ein wenig früh für eine solche Truppe. Die würde ja schließlich die seit Monaten geplante afrikanische Eingreiftruppe für das westafrikanische Land überholen, sozusagen überflüssig machen.
Aus Deutschland kenne ich merkwürdigerweise bislang noch keine einzige Aussage, Stellungnahme, Positionierung zu einer solchen UN-Friedenstruppe, möglicherweise mit robustem Mandat. Angesichts der Tatsache, dass hier zu Lande immer von einer Stärkung der Vereinten Nationen die Rede ist, ein wenig merkwürdig. Oder herrscht die Angst vor, jemand könnte fragen, ob sich Deutschland daran beteiligt?
Aus den 90ern sind dem einen oder anderen die würdelosen VN-Spektakel der damaligen Zeit vielleicht noch in Erinnerung. Die Niederländer arbeiten heute noch Srebrebnica auf, und die belgischen Fallschirmjäger haben ihre blauen Barette 1994 sogar demonstrativ öffentlich verbrannt.
Hier der inoffizielle Marsch der VN-Blauhelme, der allen Waffenstolz ausdrückt, den die durch ihre Blaumützen stigmatisierten bzw. degradierten Soldaten wohl noch empfinden mögen: https://www.youtube.com/watch?v=VNTQT9gvWNQ
Ja, der Balkan, Afrika und Co der 90er Jahre waren nicht gerade die Ruhmeszeit der Blauhelmeinsätze und haben deren Grenzen ganz klar aufgezeigt.
Und wer stellt am Ende wieder Blauhelmtruppen? Indien und Pakistan, um den Frieden effektiv vorzuleben?
Und warum schon wieder ‚peace keeping‘, wo dort noch gar kein Frieden herrscht? ‚Peace making‘ oder ggf. auch ‚peace enforcement‘ halte ich zur Zeit, auch im Hinblick auf die Gefahr für die eingesetzten Kräfte, für deutlich realistischer.
Zitat Orontes: Würdelose Spektakel – wahr gesprochen. Ich habe die Filme noch vor Augen, wie die Serben die NL- Blauhelme zu Kasper und Seppel gemacht haben. Das braucht kein Mensch mehr.
Nicht so lange her und nicht viel besser: Beobachtermission in Syrien
Mag ja alles sein. Erklärt aber nicht, warum die deutsche Politik das Thema bislang noch nicht mal ignoriert.
@TW: Schockstarre: Solange sich niemand in der Angelegenheit bewegt, kommt auch keiner auf dumme Gedanken. Vielleicht sollten wir es dabei belassen?
Seit wann wird denn v o r einer Entscheidung sicherheitspolitisch diskutiert???
Außerdem: Solche Beschlüsse des UN- Sicherheitsrates stellen immer nur den kleinsten gemeinsamen Nenner dessen dar, was die Interessen der Mitglieder so hergeben. Hat also grundsätzlich nichts mit den Interessen der Bevölkerung im Einsatzland zu tun.
@ Orontes
Na, da hat jetzt aber jemand seinen Sündenbock gefunden. ;)
Die europäischen Streitkräfte im Bosnienkrieg haben durch die Bank versagt, und den europäischen Regierungen war der Konflikt keinen Tropfen Blut wert. Alle haben die Augen verschlossen und die Situation schöngeredet, selbst als schon hunderte Nato-Soldaten als Geiseln genommen waren, die Nato keine Luftunterstützung hinbekam und es sowieso nie einen Plan gab, wie man die im Land eingesetzten Hundertschaften verstärken könnte (von der Absicht ganz zu schweigen).
Manche Länder haben daraus gelernt (insbesondere die Niederlande). Deutschland eher nicht (außer man wollte das Konzept „Bunkermentalität“ als Entwicklung zählen).
Die Bosnienmission ist an Schönfärberei, Kurzsichtigkeit, Geiz und Feigheit gescheitert. Die Afghanistan-Mission auch. Und jetzt Mali?
@J.R.: In Mali ist die Situation eine grundsätzlich andere: Die Radikalislamisten haben die Unranversorgung der französischen Nuklearindustrie bedroht. Dieses Szenario hat im Elyseé- Palast deutlich mehr Kopfzerbrechen und Stirnrunzeln ausgelöst, als die paar hunderttausend bedrohten Bosnier damals.
Zudem FRA (und auch UK) und Serbien auf eine lange Freundschaft zurückblicken konnten. Den Amis war’s wurscht und und wir haben durch die Anerkennung Sloweniens mit der Fackel im Pulvermagazin herumgewedelt. Das Ergebnis war denn auch danach.
Neenee, das will keiner nochmal erleben
@ Iltis
Neenee, das will keiner nochmal erleben
Es interessiert aber auch keinen genug, dass er wirklich seine Gewohnheiten ändert.
Um mal so ein paar Konflikt-Kennzeichen aufzuzeigen:
– Ein optimistsch geplanter Einmarsch unter der Prämisse, dass es nicht zu teuer wird und nicht zu lange dauert – Einmarschieren, FOBs bauen, glücklich sein.
– Blitzkrieg mit konventionell agierenden Streitkräften
– Die Annahme, dass man als Befreier und nicht als Besatzer gesehen wird
– Eine instabile und ineffektive befreundete Regierung, deren reale Macht gering ist
– Dezentral organisierte Gegner mit berechtigten Anliegen und der Unterstützung einer größeren Bevölkerungsgruppe
– Kein politisches oder gesellschaftliches Konzept, dafür die Annahme, dass man mit einigen Personaländerungen an der Spitze alles geregelt bekommt.
Weiss nicht, mich erinnert das an Irak und Afghanistan, und ich kann da keine Einstellungsänderung erkennen.
Sehr schön! Genau das Kochrezept für eine garantiert unverdauliche Suppe. Im Falle Malis paßt es nur begrenzt.
-Die Blitzkriegstrategie könnte aufgehen. Mal sehen…
-In Südmali werden die Franzosen als Befreier gesehen und hatten noch nicht genug Zeit, die Bevölkerung vom Gegenteil zu überzeugen.
-Den Tuareg ist jeder lieb, der ihnen Eigenständigkeit verspricht. Die sind von den Islamisten schneller abgerückt, als Wasser in der Wüste versickert. Die kennen immerhin ihre Ziele und sind recht elastisch in ihrer Bündnispolitik
@iltis
Welches malische Uran?
Bis auf die dunkelsten Defätistenecken mit reichlich Alufolienhüten habe ich bisher keine konkreten Hinweise auf faktische malische Rohstoffe gesehen.
Das nächste wären die malischen Uran-Minen und die sind 500km von Mali entfernt. Genausogut hätte man den Bosnienkrieg ablehnen können mit der Begründung es gehe ja in Wirklichkeit um die Uranförderung im Erzgebirge – das ist rund genau so weit weg.
@Crass Spektakel: Gerade nachgelesen… Nein ich schrieb nichts von Uran in Mali. Gönnen Sie sich doch mal diese halbe Stunde:
http://www.zdf.de/ZDFmediathek/kanaluebersicht/aktuellste/857392#/beitrag/video/1826518/Die-Herren-der-Wüste
In etwa bei 22min kommt das mit dem Uran in Arlit im Norden Nigers. FRA kann alles mögliche brauchen, aber ganz sicher keine sich verfestigende islamistische Struktur im Sahel.
@Crass Spektakel
Rohstoffinteressen wären m.E. ein besserer Grund für Interventionen als „Wiederherstellung von Demokratie“. Ich persönlich hätte mich gefreut, wenn Deutschland z.B. in Afghanistan tatsächlich die konkreten Interessen gehabt hätte, die aus der Friedensbewegung immer wieder unterstellt wurden.
Bei den Franzosen scheint das Hauptmotiv für die Intervention aber die Unterstützung für einen ihrer Klientelstaaten gewesen zu sein, dessen Regierung ernsthaft bedroht war. Hätten die Franzosen dies nicht getan, hätten andere Klientelregierungen in Westafrika sich vielleicht anderen Schutzmächten zugewandt. Dass französische Unternehmen von diesen Regierungen bevorzugt behandelt werden, ist ein Nebeneffekt dieser Politik.
Aus französischer Sicht geht es in Mali also um konkrete Interessen, die aber nicht mit deutschen Interessen deckungsgleich sind.
@Ilits: -Den Tuareg ist jeder lieb, der ihnen Eigenständigkeit verspricht. Die sind von den Islamisten schneller abgerückt, als Wasser in der Wüste versickert. Die kennen immerhin ihre Ziele und sind recht elastisch in ihrer Bündnispolitik.
Mal geschaut wer ANSAR DINE anführt? Das ist Iyad Ag Ghaly, auch bekannt als Anführer der MPLA (Mouvement Populaire de Libération de l’Azawad) in Mali in den 1990er Jahren. Er ist TUAREG, sein Cousin Hamada Ag Hama, ebenfalls Tuareg, ist in der Führungsriege von AQIM (Al Qaeda in the Islamic Maghreb).
Richtig ist, dass die MNLA unter Führung von Ibrahim Ag Bahanga, sich von den Zielen der Ansar Dine & Co losgesagt haben. Zu glauben, dass die MNLA jetzt plötzlich mit der malischen Regierung oder mit französischen Truppen sind, ist jedoch falsch. Die werden von der MNLA immer noch als Feind betrachtet. Ist halt eine Dreiecksbeziehung da unten.
Tipp: In der englischsprachigen Wikipedia gibt es sehr gute Artikel zum Thema MNLA, Ansar Dine und AQIM.
Schöner Leitartikel heute in der FAZ zum Thema deutsche Sicherheitsinteressen…
@ Crass Spektakel und Orontes
Nur eine kurze Anmerkung zu dem oben genannten Rohstoffargument:
Rohstoffinteressen zu haben und ihnen zu entsprechen ist legitim. Dazu darf und sollte man auch stehen. Trotzdem: Wenn Rohstoffinteressen zum vorherrschenden Motiv für militärische Interventionen werden, stehen wir flugs wieder im Zeitalter des Kolonialismus. Dieses ist aber mit Recht und zum Glück vorbei. M.E. sollte man auch den Franzosen nicht unterstellen, mithilfe des Beispiels Mali das Rad der Geschichte in Nordafrika wieder zurückdrehen zu wollen. Und auch in Afghanistan ist die Rohstofffrage (z.B. seltene Erden) nur eine unter vielen – die, wenn überhaupt, dann eher aus chinesischer Sicht Top-Priorität erfährt.
In Wirklichkeit besteht ein enger Zusammenhang zwischen den Zielen unserer gesicherten Rohstoffversorgung und der Förderung stabiler, rechtlich gefestigter Staaten. Nur wo ein Mindestmaß an demokratischer und menschenwürdiger Grundlage herrscht, nur wo Konflikte unter Beachtung international anerkannten Rechts ausgetragen werden, nur wo die Grundbedürfnisse der örtlichen Bevölkerung fair gesichert sind, werden wir Partner finden, auf die wir mit Blick auf unseren enormen Ressourcenbedarf auch auf lange Sicht rechnen können. Das gilt für den nordafrikanischen und arabischen Raum ebenso wie für Russland und Zentralasien und andere relevante Regionen. Hören wir also auf, die letztlich nur auf Ausbeutung gegründeten Philosophien des Kolonialzeitalters wiederzubeleben.
An dieser Stelle merke ich an, dass stabile und minimalen Demokratie-, bzw.Rechtstaatlichkeits-Kriterien entsprechende staatliche Strukturen Vorraussetzung dafür sind, dass BP, SHELL und Co überhaupt Erschliessungs- bzw. Förderlizenzen erwerben können……das ist der eigentliche Grund für diese ganzen Demokratisierungs- und Stabilisierungskonzepte unter einem Mandat der VN.
@ klabautermann
Und was heißt das? Ist es verwerflich, auf rechtsstaatlicher Grundlage Lizenzen zu erwerben? Sollte man auf UN-Engagements oder andere Ansätze verzichten, nur weil internationale Rohstoffkonsortien (und letztlich auch wir selbst) Nutznießer einer Demokratisierung und Stabilisierung konfliktträchtiger Regionen werden könnten?
@ LTC007
Danke für den Hinweis. Guter Artikel. Freilich gibt auch Berthold Kohler keine Empfehlung für das konkrete Mali-Problem. Aber er weist darauf hin, was alles vor einer Entscheidung zu bedenken ist, und er befeuert damit (hoffentlich) eine dringend benötigte Debatte und Transparenz in der deutschen Öffentlichkeit und wohl auch Politik über unsere sicherheitspolitischen Interessen.
@KeLaBe
ich meinte das in keinster Weise verwerflich, denn natürlich ist die Erschließung von Ressourcen eines Landes Teil seiner Stabilisierung und so weiter.
Man muß eben die volkswirtschaftliche Dimension von Stabilisierung im Zeitalter der Globalisierung nicht immer hinter „Menschenrechten“, R2P etc quasi verstecken. Ihren o.a. Kommentar kann ich voll mittragen.
In dem Zusammenhang muß man natürlich auch erwähnen, dass es Staaten gibt, denen eine volkswirtschaftliche Stabilisierung eines anderen Staates vielleicht ein politisch, wirtschaftlicher Dorn im Auge ist. So sollte man sich mal anschauen, welche Rolle Quatar in den letzten Jahren in Nordwestafrika gespielt hat…..
@ klabautermann
D’accord. War ein Missverständnis. Zu Ihrem letzten Gedanken: Ruanda und Kongo ist ebenfalls ein (besonders krasses) Beispiel unter leider viel zu vielen.
Wenn der UNO-Sicherheitsrat ein Mandat für eine Unterstützungsmission durch afrikanische Länder gegeben hat und die NATO es nicht als Aufgabe ansieht, in den Konflikt im westafrikanischen Land einzugreifen (laut Rasmussen), was ist dann das Problem der BRD?
Das trifft den Nagel mal wieder präzise und mit voller Wucht auf den Kopf: Da wird in diesen Tagen in Berlin mehr als ein Stoßgebet gen Himmel gesandt, dass dieser Kelch an uns vorbeigehen möge.
@KeLaBe
„Wenn Rohstoffinteressen zum vorherrschenden Motiv für militärische Interventionen werden, stehen wir flugs wieder im Zeitalter des Kolonialismus.“
Um nicht mißverstanden zu werden: Ich bin nicht dafür, Kriege wegen Rohstoffinteressen zu führen. Es ist ohnehin viel günstiger, den Zugriff auf Rohstoffe auf andere Weise zu erlangen, weshalb die Chinesen bislang ja auch keine Rohstoffkriege führen, sondern ihre Interessen in diesem Bereich subtil aber effektiv durchsetzen.
Ich wollte nur sagen, dass der Zugriff auf Rohstoffe immerhin ein rationaler Grund dafür ist Opfer zu bringen, während Leerformeln wie „Wiederherstellung der Demokratie“ oder „Sicherung des Betriebs von Mädchenschulen“ politische Bankrotterklärungen sind. Jeder, der dafür gefallen ist, ist umsonst gefallen. Wenn es mich erwischt hätte, wäre ich lieber für konkrete Interessen Deutschlands gefallen als für solche Floskeln, die ohnehin nur andere Motive verschleiern sollen.