Der Bündnisfall geht weiter
Die Fregatte Sachsen der Deutschen Marine, hier bei einem Übungsschießen vor Südafrika (Foto: Bundeswehr via flickr unter CC-BY-ND-Lizenz)
Auch mehr als elf Jahre nach den Anschlägen des 11. September 2001 in New York und Washington hält die Verteidigung dagegen weiter an. Der Bundestag billigte am (heutigen) Donnerstag mit den Stimmen von CDU/CSU und FDP die Fortsetzung des letzten Einsatzes, an dem sich Deutschland noch unter der 2001 ausgerufenen kollektiven Verteidigung nach NATO-Artikel 5 beteiligt, der Operation Active Endeavour im Mittelmeer. Aus Sicht von Bundesregierung und Koalition, wie aus Sicht der angegriffenen USA, ist dieser Krieg gegen den Terror nicht beendet:
Der Angriff auf die USA im Sinne des Artikels 51 der Satzung der Vereinten Nationen, aus dem die gemeinsame Reaktion der NATO resultierte, war mit den Anschlägen des 11. September 2001 nicht abgeschlossen, sondern wurde fortgesetzt, hat auch in weiteren Anschlägen und Anschlagsversuchen seinen Ausdruck gefunden und dauert bis heute an.
Die Bundesregierung verbindet die Gegenwehr gegen diesen Angriff zugleich, wie schon aus einem Schreiben von Außenminister Guido Westerwelle und Verteidigungsminister Thomas de Maizière im November hervorging, mit den Entwicklungen nach dem arabischen Frühling:
Die Umbrüche in der arabischen Welt haben zu einer erhöhten Volatilität insbesondere unseres südlichen Sicherheitsumfelds geführt. In Nordafrika sind Aktivitäten terroristischer Gruppierungen festzustellen, insbesondere der Al-Qaida im Maghreb (AQM). Es besteht weiter die Gefahr, dass Al-Qaida-Ableger oder lokale, AQM-affine Gruppen unkontrollierte Gebiete als Rückzugsräume nutzen.
Die Krise in Syrien hat mittlerweile eine regionale Dimension angenommen. Terroranschläge sind inzwischen Bestandteil der bewaffneten Auseinandersetzung. Auch Jabhat al Nusra, eine von Al-Qaida anerkannte Terrorgruppierung, profitiert zunehmend von der unübersichtlichen Lage.
Die Operation Active Endeavour leistet einen Beitrag dazu, unser Lagebild zu verdichten. Sie entfaltet durch ihre abschreckende Funktion eine präventive Wirkung.
Der NATO-Bündnisfall nun also vorbeugend gegen eine Bedrohung aus dem Nahen Osten. Ich bin mir ja nicht sicher, ob es wirklich so etwas wie einen permanenten und dann auch noch vorbeugenden Bündnisfall gibt – ob man also sozusagen einen Beistand nach Artikel 5 zum Dauerzustand erklären kann. Die Koalitionsmehrheit im Bundestag meint Ja. Und hat deshalb auch einen Antrag der Grünen abgelehnt. diesen Bündnisfall nach elf Jahren zu beenden.
In der Praxis, übrigens, beteiligt sich Deutschland an der Operation Active Endeavour eher sparsam – eigentlich erstaunlich, wo man doch laut eigener Argumentation damit intensiv an einem Lagebild der Entwicklungen in Syrien beteiligt wäre, wozu diese Operation ja einen Beitrag leistet. Die vorerst letzte Beteiligung war Ende November die Unterstellung, für ein paar Tage, der Fregatte Sachsen (Bild oben).
Wo man da die Sachsen beim scharfen Schuß sieht.
Wie viele Standard 2 Block III hat die Marine eigentlich?
Mehr als ein Dutzend?
Und wie viele ESSM?
Ich meine mich daran zu erinnern daß eine volle Bestückung aller 3 124er mit SM-2 und ESSM beschafft werden sollte, aber wenn es nur 24 PAC-3 gibt, vielleicht ist es bei der Marine ein ähnliches Trauerspiel…
[Hm, ich vermute, der Kommentar gilt dem Foto der Sachsen im Eintrag zu Active Endeavour – ich verschieb‘ ihn mal da rüber… T.W.]
Mich muss zugeben, ich kann den Begriff „Abschreckung“ als Rechtfertigung für das unmotivierte Kleinklein der BW nicht mehr hören. Abschreckung erreicht man durch das glaubwürdige Drohen mit wirksamen Mitteln. Warum sich Terrorgruppen hingegen durch Marinemanöver im Mittelmeer berührt fühlen sollten erschließt sich mir nicht.
So einen Rüstungszirkus dann auch noch (immer noch) mit Artikel 5 zu begründen ist schlicht schändlich und schädlich.
Aus eine Verteidigungsbündnis wird immer mehr ein mili. Interessenbündnis ohne Interessen.
Es gibt interessen. Es sind aber anscheinend nicht unsere.
In jedem Fall keine Gemeinsamen und keine Verteidigungspolitischen!
Ein Schritt weiter zur alten Kanonenbootpolitik nur wir nennen es „smart defense“ weil uns die Kanonenboote fehlen!
China und Japan führen uns es gerade wieder vor!
Natürlich gibt es ein „deutsches“ Interesse an der Nato:
Letztlich ist die Nato immer noch ein rüstungswirtschaftliches „Kartell“, dass sich bisher recht erfolgreich gegen auswärtige Anbieter, insbesondere Russland und China, abschottet. Gerade die Rüstungsindustrie in Deutschland profitiert davon.
Und Nato ist immer noch das Deckmäntelchen der Wahl um Rüstungsgeschäfte voranzutreiben ohne als Regierung dafür in die Verantwortung zu übernehmen. Siehe europäische Raketenabwehr.
@J.R.: (Das ich hier in die Rolle gerate, die NATO zu verteidigen . . . sei`s drum): Ihre skeptische Sicht hat (glaube ich jedenfalls) sehr viel mit der Verschiebung der Grenzen zu tun: Die Dringlichkeit und Wertschätzung der NATO-Mitgliedschaft verhält sich offenbar reziprok zur Entfernung Betrachters zur Außengrenze des NATO-Gebiets. Fragen Sie nur mal in den baltischen Staaten oder Polen. Wir neigen daher dazu, die NATO schlechter zu reden als sie ist. Man muss sich doch nur den „robusten“ Umgang Russlands mit den anderen Bruchstücken der verblichenen UdSSR anschauen, um den aktuellen, praktischen Wert des Bündnisses zu erkennen. Dieser rein defensive Sinn der NATO existiert weiter.
Das Problem scheint mir eher darin zu liegen, dass mit dem Ende des Kalten Krieges der Gegner und damit ein operativer, fassbarer Auftrag über das „für den Fall der Fälle“ hinaus fehlt. „Nicht untergehen“ und deshalb brav die Versicherungspolice bedienen ist halt keine besonders heroische Zielvorgabe.
@ Zivi a.D.
Nichmal. Was Sie ansprechen ist die Idee des Nato-Vertrags, die solidarische Bündnisverteidigung. Der ist ja unabhängig von der Organisation Nato, unabhängig von der Sicherheitslage, und kostet keinen Unterhalt. ;)
Ausschlaggebender ist aber, dass alle von Ihnen genannten Staaten auch in der EU sind. Die politische Bereitschaft zur europäischen Solidarität ermöglicht die Nato in Europa – die Nato kann umgekehrt aber diese Bereitschaft nicht schaffen. (Ein Papier ist eben immer nur so stark wie der Wille zur Einhaltung.)
Und mit Verlaub: Beispielsweise die enormen Summen, die jetzt wegen der Finanzkrisen in die Hand genommen werden, demonstrieren die europäische Solidarität deutlich eindrucksvoller als Active Endavour. Denn diese Operation verhöhnt mittlerweile nur noch Artikel 5, und zeigt dass sich die Organisation Nato eben nicht auf aktuelle Bedrohungen einstellen kann.
Gleich vorneweg: Standardisieren und Vernetzen der „westlichen“ Streitkräfte ist ein tolles Prinzip.
Nur braucht es für ersteres nicht den derzeitigen Apparat, und mit letzterem geht es seit Jahrzehnten kaum noch voran. Was bleibt ist ein auf die nationalen Streitkräfte aufgepfropfter Wasserkopf, der langsam und stetig weiterwächst während die Streikräfte drunterwegschrumpfen.
Dazu kommt, dass die Nato ohne die USA schlicht nicht handlungsfähig ist. Die Reihe des peinlichen Versagens zieht sich doch vom Bosnienkrieg fortlaufend bis zum Afghanistaneinsatz. Wer hat denn die Strategie in Afghanistan nach Jahren endlich auf Aufstandsbekämpfung und Präsenz in der Fläche umgestellt? Die Truppenstärke und das Ausbildungskonzept entsprechend angepaßt? Den defakto belagerten deutschen Soldaten in Kunduz endlich Verstärkung geschickt? Eben nicht die Nato, sondern die USA.
Was ist den das Leuchtturmprojekt der Nato in Europa? Der Raketenschirm – damals zur politisch-wirtschaftlichen Unterstützung von Bushs amerikanischen Missile Defense-Plänen ins Rollen gebracht, und mittlerweile zum Selbstläufer geworden. Zur den tatsächlichen sicherheitspolitischen Herausforderung der Region – Revolution, Bürgerkrieg und das Einmischen von Nachbarstaaten – bleibt die Nato hingegen wort- und konzeptlos.
Als Interessensverband für auf das Wohl der Rüstungsindustrie ausgerichteten weltfremden Kasernenarmeen ist die Nato ein Problem und ihr Geld nicht wert.
Aber Active Endavour passt da ins Bild: Während man sich nach 10 Jahren mit immer wilderen Argumentationen immer noch auf Artikel 5 beruft, stellt Deutschland gerade mal noch 5(!) Soldaten dafür ab. Dafür werden durchfahrende Schiffe mal eben der Operation zugeteilt – das gibt dann Zuschüsse von der Nato, und tolle Pressenachrichten und „Ich war dabei“s für Schiff, Bundesregierung und Nato. Wirkt nur bis zur Unglaubwürdigkeit lächerlich, beschäftigt ein paar Stäbe und bringt nix.
(Der Artikel „Geisterschiffe im Mittelmeer“ heute in der Frankfurter Rundschau bringt es ziemlich gut auf den Punkt.)
@J.R.:
Gerade in Bezug auf die östlichen NATO-Außengrenze muss ich Zivi a.D. zustimmen.
Natürlich sind Polen und die baltischen Staaten in der EU.
Aber die Bedrohungs- und Beistandsperzeption dieser Länder ist nunmal eine andere als die unsrige. Für sie sind die USA als strategisches Backup von unverzichtbarem Wert.
Das ist ja auch nicht verwunderlich, wenn von den großen EU-Partnern der eine eine Gas-Pipeline bewusst an ihren Grenzen vorbeibaut und der andere dem östlichen Nachbarn modernste Marineschiffe verkauft.
@ K.B.:
Dass eine deutlich größere Angst vor Russland besteht, damit haben sie sicherlich recht. Dass man insbesondere auf Schutz durch die USA wert legt ebenfalls (und dafür ist man ja auch bereit sich jenseits der Nato an amerikanischen Aktionen wie Irakkrieg, Raketenabwehr und Rüsungsprojekten zu beteiligen).
Und sicherlich war der Nato-Beitritt da die Möglichkeit um mit den USA ins gleiche Boot zu kommen. Ziel war sicherlich auch, den Status als „Pufferstaat im Hinterhof Russlands“ loszuwerden, wie er etwa Georgien zum Verhängnis wurde. Und da war ein Nato-Eintritt für die meisten Staaten schlicht deutlich vor dem EU-Beitritt in Aussicht (der Unterschied betrug um die 4 Jahre, und beim EU-Eintritt einiger Staaten war einiges an politischem Goodwill dabei.)
Wie gesagt, da will ich Ihnen und Zivi a.D. gar nicht widersprechen.
Aber es betrifft halt die Nato-Idee/Nato-Vertrag (in dem Fall: ganz konkret die schriftliche Beistandsverpflichtung der Nato-Staaten; vor allem der USA, aber auch der EU). Und eben nicht die tatsächliche Leistungsfähigkeit der Nato als Organisation.
Es fehlt der NATO eben der europäische Verteidigungspfeiler!
Aber solange die NATO eben nicht nur Verteidigung praktiziert sondern die USA und GB mit den Bündnissen der Willigen bei der Durchsetzung derer Interessen unterstützt wird das nicht!
Wir benötigen eine Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik für die willigen Europäer und wenn GB nicht mit macht, dann ist das eben so!
Dieser Weg wird demnächst alternativlos :-)
Die NATO hilft bei einem Angriff aus dem Osten nicht zwingend! Dies haben bei dem ganzen Hype wohl schon einige vergessen!
Artikel 5 Nordatlantikvertrag
…… Beistand leistet, indem jede von ihnen unverzüglich
für sich und im Zusammenwirken mit den anderen Parteien die Maßnahmen,
einschließlich der Anwendung von Waffengewalt, trifft, die sie für erforderlich erachtet, um die Sicherheit des nordatlantischen Gebiets wiederherzustellen und zu erhalten.
…die sie für erforderlich erachten! Weder die USA noch irgend ein anderer Staat hat dies bisher in einem Konflikt gegen einen militärisch gerüsteten Gegner beweisen müssen!
Ich würde mich im V Fall eher auf unsere EU Leidensgenossen verlassen! Denn der Osten ist auch nahe bei uns und bei dem was im Nahen Osten, Kaukasus, Weißrussland, Ukraine und Russland so passiert, glaube ich an 10 Jahre Vorwarnzeit nicht wirklich! Es geht nicht um den großen Krieg, sondern um die pol. wirtschftl. Erpressbarkeit (z.B. Gaslieferungen, Warenströme uvm.)
Wenn wir mal richtig Sicherheitspolitik für EU Bürger betreiben wollen hätte ich da noch ein anderes Arbeitsgebiet! 30’000 Verkehrstoten pro Jahr in der Europäischen Union! Da spricht kein Mensch drüber! Ganze Familien werden ausgelöscht! An die Rüstungsindustrielobbyisten: Wir haben einen unglaublich großen Verkehrsmarkt in der EU und könnten ein Vielfaches an Umsatz und Arbeitsplätzen generieren, wenn wir endlich den Verkehr sicherer machen würden! Im Übrigen sind gerade viele Rüstungsfirmen auch auf dem Verkehrssektor tätig, aber dort bremst die Politik! Alles weitere wäre jetzt wohl O.T.
Die ganze Nato-Diskussion läuft nach meinem Verständnis darauf hinaus, dass auf der Versicherungspolice zwar „NATO“ drauf steht aber außer „USA“ eigentlich nichts Ernstzunehmendes drin steckt. – Was mich zur Frage bringt: Haben die USA irgendwo aus militärischer Sicht einen echten, handfesten technologischen Vorteil oder einfach nur die bessere politische Tradition die für halbwegs rationale, nachvollziehbare Strategien sorgt? Damit meine ich: Es wird wohl kaum jedem immer gefallen, was der große Verbündete da so treibt. Es ist aber so etwas wie ein Plan erkennbar, den man für gut oder schlecht; falsch oder richtig halten kann. Vergleichbares vermisse ich in Europa. Oder habe ich da was verpasst?
Denn dass die Potenziale EU-Europas (sofern v.a. UK, F, D wirklich kooperieren ) in militärischer, technischer und industrieller Hinsicht grundsätzlich völlig ausreichend sein müssten zur Selbstverteidigung sowohl konventionell wie nuklear, halte ich für gegeben. Warum klappt es dann trotzdem nicht?
„Warum klappt es dann trotzdem nicht?“
Zu viele Köche verderben den Brei, vor allem wenn man sich nicht darauf einigen kann, was man kocht.
warum klappt was nicht? In Europa herrscht frieden! Ein unglaublicher Erfolg! Ein Angriff auf Europa wäre für jeden Gegner unberechenbar! Die Frage ist doch nur, bekommen wir dieses Ergebnis auch noch mit weniger Einsatz von Pers und Mat! Können wir dieses Ergebnis auch für die Zukunft garantieren? Das bei den Abenteuern nicht jeder Staat mit macht zeugt ja eher von Überlegtheit als von Unzuverlässigkeit! Bei der Verteidigung waren bisher ja eher alle verfügbar! Ein USA Gen oder Minister sagte: das EU mil Fass ist voll, das Problem ist, dass der Hahn oben angebracht ist (und das ist unwirtschaftlich, für den Steuerzahler; aber gut für die Geschäftemacher :-)) !