Abgestürzt in Afghanistan? Notruf nur eingeschränkt möglich

Bundeswehr-Hubschrauber CH-53 bei einer Staublandung in Afghanistan (Foto: Bundeswehr/PIZ Einsatzführungskommando via flickr unter CC-BY-ND-Lizenz)

Die Beziehungen zwischen dem Bundesrechnungshof und der Bundeswehr und dem Verteidigungsministerium sind, zurückhaltend gesagt, nicht ganz einfach. Mit schöner Regelmäßigkeit geißelt die Aufsichtsbehörde Verschwendungen im Verteidigungsetat, einem der größten Investitions- und Ausgabenhaushalte des Bundes. Oft genug muss sich der Rechnungshof dann auch gefallen lassen, dass ihm Ministeriale wie Soldaten vorwerfen, mit seiner Ausgabenkritik besondere Bedingungen der Streitkräfte nicht zu berücksichtigen.

Heute hat Rechnungshof-Präsident Dieter Engels die diesjährigen Bemerkungen zur Haushalts- und Wirtschaftsführung des Bundes vorgelegt, und natürlich war die Bundeswehr wieder mit prominenten Beispielen von Fehlausgaben und Verschwendung vertreten.

An dieser Stelle will ich aber nicht auf die Kritik an falschen Ausgaben eingehen, sondern auf einen Punkt, der die Sicherheit von Soldaten im Einsatz angeht: Mit harschen Worten hat Engels den Umgang mit Notrufsendern für fliegende Besatzungen in Afghanistan bemängelt. Kurz gefasst: Die Bundeswehr hat Notfunkgeräte beschafft, die mit dem System der Verbündeten nicht kompatibel waren – und in den Bergregionen am Hindukusch zum Teil einfach nicht funktionieren konnten. Aus dem Bericht:

Die Bundeswehr hatte für ihre Luftfahrzeugbesatzungen ein Notfunkgerät für den Einsatz in Krisenregionen gefordert. Die Luftlande- und Lufttransportschule erprobte unter einsatznahen Bedingungen die Vorserie eines Notfunkgeräts. Sie stellte dabei fest, dass das getestete Modell nicht ausreichend kompatibel mit der Notfunkausstattung der verbündeten Streitkräfte ist. Ferner konnten die Notsignale nicht über einen Satelliten, sondern nur über eine direkte Funkverbindung übertragen werden. Die Bundeswehr beschaffte in den Jahren 2006 bis 2009 für 7,7 Mio. Euro 711 Notfunkgeräte des zuvor erprobten Modells. Diese Geräte nutzen die Luftfahrzeugbesatzungen des deutschen Einsatzkontingents in Afghanistan ab dem Jahr 2007.
Im November 2009 überprüfte die multinationale Rettungsleitstelle in Afghanistan die Funktion der deutschen Notfunkgeräte. Sie stellte fest, dass die Geräte nicht in die multinationale Rettungskette eingebunden werden konnten. Sie konnte keine Notsignale empfangen, da die Berge eine Ausbreitung der Funkwellen verhinderten. Die deutschen Notsender waren nicht in der Lage, die verfügbaren Satelliten als Übertragungsstation zu nutzen. Die Bundeswehr hätte eine eigene nationale Rettungskette im Einsatzgebiet aufbauen müssen, um zu erreichen, dass die Notsignale sicher empfangen werden können. (…) Im Notfall hätten die Luftfahrzeugbesatzungen nicht die multinationale Rettungsleitzentrale alarmieren können und wären erheblichen Gefahren für Leib und Leben ausgesetzt gewesen. Der Bundesrechnungshof hat auch beanstandet, dass die Bundeswehr nicht schnellstmöglich für Ersatz sorgte, nachdem sie die Schwächen der Notfunkgeräte im Afghanistan-Einsatz erkannt hatte.
(…)
Die neuen Funkgeräte für den Einsatz in Afghanistan hat die Bundeswehr im November 2011 beschafft. Sie nutzt fortan das gleiche Modell wie die Verbündeten.

Auf diesen Fall angesprochen, sagte der Rechnungshof-Präsident, seine Leute hätten sich dieses Themas nicht in erster Linie, wie sonst üblich, aus Gründen möglicher finanzieller Verschwendung angenommen. Vielmehr habe die Prüfungsbehörde geärgert, wie leichtsinnig mit Leib und Leben der Soldaten umgegangen worden sei.

Als staatsbürgerliche Dokumentation hier zum Nachhören die ganze Pressekonferenz mit Engels. (Die Zeiten für die Bundeswehr-relevanten Aussagen trage ich später nach, zum gezielten Anhören.)

Bundesrechnungshof_BPK_13nov2012     

Die Pressemitteilungen mit Einzelbeispielen (nicht nur aus der Bundeswehr) und der gesamte Bericht finden sich hier.

Nachtrag: Ich habe natürlich beim Verteidigungsministerium nachgefragt, hier die offizielle Stellungnahme:

Der dargestellte Sachverhalt trifft im Ergebnis zu.
Aufgrund der Einsatzbesonderheiten wird explizit für den Einsatzraum ISAF auf eine nationale Rettungskette verzichtet. Zukünftig wird diese Lösungsmöglichkeit auch bei multinationalen Einsätzen in anderen Regionen berücksichtigt. Für das Einsatzgebiet ISAF ist der vom Bundesrechnungshof beanstandete Sachverhalt mittlerweile behoben.

Das ist, nun, ebenso richtig wie hinreichend vage. Ich habe mich deshalb noch mal umgehört: Offensichtlich stand zunächst eine nationale Beschaffung mit nationaler Kommunikationskette im Vordergrund. Die wurde dann auch umgesetzt, statt gleich zu überlegen, ob man sich im ohnehin multinationalen ISAF-Einsatz nicht in ein multinationales System einklinkt… Die positive Seite: Mit den 711 Notfunksendern plus Infrastruktur hat man doch was für andere Einsätze. Und nicht nur eine ISAF-only-Lösung…