Kempten künftig zentrale Staatsanwaltschaft für Auslandseinsätze
Der Ordnung halber bleibt nachzutragen: Der Bundestag hat am (gestrigen) Donnerstagabend mit den Stimmen von CDU/CSU und FdP beschlossen, dass künftig die Staatsanwaltschaft in Kempten im Allgäu für Ermittlungen gegen Soldaten im Auslandseinsatz zuständig ist. Erwartungsgemäß wurde der Gesetzentwurf der Bundesregierung gebilligt; die Oppositionsparteien hatten gegen den Entwurf Bedenken.
Die für die bayerische Stadt Kempten zuständigen Gerichte und die Staatsanwaltschaft sind damit zwar ein zentraler, aber auch nur zusätzlicher Standort für Verfahren bei (möglichen) Straftaten deutscher Soldaten im Einsatz. Wenn es um den Einsatz in einem bewaffneten Konflikt geht, auf gut Deutsch: einen Kriegseinsatz, ist ohnehin die Bundesanwaltschaft zuständig.
Mit der Neuregelung soll vor allem bei der zentralen Staatsanwaltschaft eine zügige Bearbeitung der Ermittlungen durch Experten möglich werden – damit sich nicht immer die (bislang allein zuständige) Ermittlungsbehörde am Standort eines Soldaten neu in die Besonderheiten des Militärs und der Auslandseinsätze einarbeiten muss. Allerdings, und das war auch ein Kritikpunkt vor allem der SPD, gibt es weiterhin keine Neuregelung für die deutsche Ermittlungsarbeit vor Ort in solchen Fällen: Die Staatsanwälte sind auf die Ermittlungen der Feldjäger angewiesen, die allerdings nicht – wie Polizisten in Deutschland – dann als Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft tätig werden.
Die Diskussion über das Gesetz und die Kritik hatte ich im Sommer mal für die NDR-Sendung Streitkräfte und Strategien zusammengefasst.
Bei NDR Info hieß es heute, dass in den letzten 2(?) Jahren, seit denen wohl die Kemptener Staatsanwaltschaft für alle bayerischen Soldaten zuständig gewesen sein soll, insgesamt 11 Fälle Zitat „nebenbei von einem Staatsanwalt“ bearbeitet wurden.
Aus Kreisen der Opposition wird der Vorwurf laut, von einer besonderen Expertise könne hier nicht die Rede sein, vielmehr gehe es um Regionalproporz, außerdem habe man mit einer, so wörtlich, Militärjustiz in der deutschen Geschichte schlechte Erfahrungen gemacht.
Ich kann beim besten Willen keine deutsche Militärjustiz erkennen, einer Spezialisierung einer wo auch immer verorteten Staatsanwaltschaft stehe ich aber sehr wohlwollend gegenüber.
Um für die besonderen Bedingungen eines Soldaten im Auslandseinsatz sensibilisiert zu sein, sollte es für die dann zuständigen Staatsanwälte meiner Meinung nach sogar regelmäßige Truppenbesuche geben, ähnlich denen des Wehrbeauftragten, ohne Vorankündigung und mit dem Ziel, sich in das „Lebensumfeld“ der Soldaten hineindenken zu können.
Dies soll natürlich nicht bedeuten, dass es eine „Verbrüderung“ oder ähnliches geben soll, aber es wäre doch wünschenswert, wenn ein ermittelnder Staatsanwalt und ggfs. sogar ein verhandelnder Richter schonmal irgend einem Soldaten in persona gegenüber gestanden hat und möglicherweise sogar mit diesem sprechen konnte.
Ermittlungen, deren einziger Anlass die in staatlichem Auftrag durchgeführte Berufsausübung durch den Verdächtigen ist, würden in anderen Zusammenhängen als Ausdruck eines diskriminierenden Generalverdachts abgelehnt werden. Dieser Generalverdacht bleibt regelmäßig an den Soldaten hängen, auch wenn man ihnen (wie etwa Oberst Klein) trotz aller Anstrengungen und Vorverurteilungen keine Schuld nachweisen kann.
In einem Rechtstaat, der beansprucht seine Soldaten als „Staatsbürger in Uniform“ zu betrachten, würde auch für Soldaten der Grundsatz der Gleichheit vor dem Recht gelten. Ermittlungen würden dann wie bei jedem anderen Bürger auch einen begründeten Verdacht voraussetzen. Dieser Staat hingegen behandelt seine Soldaten pauschal erst einmal als potentielle Kriminelle, wenn sie ihre Pflicht tun.
@Orontes
Einziger Anlass ist nicht die in staatlichem Auftrag durchgeführte Berufsausübung, sondern die (natürlich auch in staatlichem Auftrag) ausgeübte Anwendung von Gewalt. Und da ist es bei Soldaten nicht anders als bei Polizisten: ob die geltenden Gesetze eingehalten wurden, muss überprüft werden (können). Davon abgesehen werden die Verfahren meist nach den Vorermittlungen eingestellt, ohne dass es zu einem förmlichen Ermittlungsverfahren kommt. Und nach Gefechtshandlungen wird normalerweise nicht gegen die Soldaten ermittelt.
Wenn dieser Staat davon ausginge, dass die – dann auch tödliche – Anwendung von Gewalt pauschal immer von vornherein rechtmäßig ist, hätte ich ein Problem.
Mich hat übrigens in Kempten weniger das Schild der Staatsanwaltschaft beeindruckt, sondern eher dieses hier.
(SCNR)
sieht irgendwie aus wie ein moderner Gaskammerzugang ;-)
Na ja, die Raucher sind eben heutzutage ein Ersatz für…………………………ergänzen Sie sinngemäß…..
Gibt es eigentlich schon einen „Raucherstern“ ?
@klabautermann
Örrgs. Finde ich nicht gut, den Dreh. (Ich weiß, ich habe den OT gestartet, aber so was sollten wir lassen.)
Das erinnert mich eher an die Gerichtsmedizin.
Netter Flickr Stream übrigens, schöne Fotos.
@T.W.
d’accord…..
@T. Wiegold
Es geht mir nicht darum, jede militärische Gewaltanwendung pauschal für rechtmäßig zu erklären, sondern darum, Soldaten nicht bei jedem Gebrauch von der Waffe pauschal unter Generalverdacht zu stellen. Dies ist nicht nur eine Frage des rechtstaatlichen Empfindens, sondern eine Frage von Menschenleben. Vor allem jüngere Kameraden sind durch die gegenwärtige Regelung stark verunsichert. Es gab Fälle, bei denen man sich im Hinterhalt zunächst nicht traute, das Feuer zu erwiedern, weil man sich unsicher war wie dies rechtlich zu beurteilen war.
Den Vergleich zur Polizei, die in ganz anderen Situationen und auf anderer Rechtsgrundlage operiert, halte ich für unangemessen. Man hat auch bei anderen Themen mittlerweile anerkannt, dass der Einsatz der Bundeswehr im Ausland eben keine Polizeiarbeit ist. Die Ermittlungen gegen Soldaten halte ich für ein Relikt aus der Zeit, als man noch unrealistischen Vorstellungen über den Einsatz anhing.
Davon abgesehen wäre das gegenwärtige Vorgehen ohnehin nicht praktikabel, wenn die Bundeswehr einmal in einem intensiveren Konflikt eingesetzt sein sollte. Spätestens dann wird man zu einer realitätsgerechteren und rechtsstaatlicheren Lösung finden müssen, bei der erst dann ermittelt wird, wenn ein Verdacht vorliegt.
@Orontes:
Das aktuelle Verfahren ist rechtsstaatlich. Rechtsstaatlicher geht -sprachlich wie praktisch- nicht.
Es wird nur dann ermittelt, wenn es einen Anfangsverdacht gibt. Und je nachdem wie stark der Anfangsverdacht ist, wird mehr oder weniger intensiv vorermittelt, bis es zur Entscheidung Einstellung/förmliches Ermittlungsverfahren kommt.
Es wäre auch heute möglich und zulässig, bei jedwedem Gewalteinsatz auch weit unterhalb des Schusswaffengebrauchs Vorermittlungen einzuleiten. Und vermutlich würden diese auch in dem einen oder anderen Fall zu förmlichen Ermittlungsverfahren und ggf. sogar einer gerichtlichen Entscheidung führen. Aber darauf wird zumeist zum Vorteil der Soldaten verzichtet; wenn die Vorgänge überhaupt der StA bekannt gegeben werden.
Zur Polizei: Auch gegen die wird bei Gewaltanwendung (vor)ermittelt. Aber haben Sie den Eindruck, dass Polizisten deswegen(!) zögerlich agieren?
@Tom
„Das aktuelle Verfahren ist rechtsstaatlich. Rechtsstaatlicher geht -sprachlich wie praktisch- nicht.“
Ich behaupte, dass die gegenwärtige Regelung vom Grundsatz der Gleichbehandlung her problematisch ist. „Schusswaffengebrauch, Verletzungen und Tötungen Dritter“ (in diesen Fällen muss gegen den Soldaten ermittelt werden) sind zwangsläufig mit bewaffneten Konflikten verbunden, weshalb sie grundsätzlich Teil des Dienstes jedes Soldaten sein können. Hier pauschal zu ermitteln ist so, als würde man gegen jeden Chirugen ermitteln, sobald er sein Messer benutzt. Soldaten werden rechtlich eben nicht gleich behandelt, und das entspricht nicht rechtsstaatlichen Grundsätzen.
„Zur Polizei: Auch gegen die wird bei Gewaltanwendung (vor)ermittelt. Aber haben Sie den Eindruck, dass Polizisten deswegen(!) zögerlich agieren?“
Wir reden von zwei völlig unterschiedlichen Sitiuationen. Bei der Polizei dienen Schusswaffen in erster Linie der Eigensicherung. Die Situation des Polizisten in der deutschen Fußgängerzone kann man weder rechtlich noch auf andere Weise mit der des Soldaten im Feuergefecht in Afghanistan vergleichen. Wer Polizisten und Soldaten gleichsetzt, produziert damit zwangsläufig in der einen oder in der anderen Situation unangemessenes Verhalten. Zurecht wird der Einsatz der Bundeswehr im Innern verbreitet skeptisch gesehen, weil beide Aufgabenbereiche und die zugrundeliegende Einsatzlogik sich radikal voneinander unterscheiden. Ebenso unangemessen wäre es aber, polizeiliche Grundsätze jeder Art auf den Soldaten im Einsatz zu übertragen.
@ Orontes | 26. Oktober 2012 – 18:50
Auch bei diesem Thema muss Deutschland das Rad doch nicht neu erfinden. Man könnte einfach mal schauen, wie andere Länder das so handhaben, die mehr Einsatzerfahrung haben als wir.
Handlungen von Soldaten unterliegen der juristischen Kontrolle, das ist so auch vollkommen richtig. Die Frage ist hier doch, wie man diese juristische Kontrolle organisiert. Die Bildung einer Schwerpunktstaatsanwaltschaft ist hier sicherlich richtig.
Dann ist eben die Frage, wann diese tätig werden muss. Hier kann man durchaus darüber diskutieren, welcher Maßstab angemessen ist. Es muss nicht grundsätzlich staatsanwaltschaftliche Ermittlungen geben, wenn Soldaten in einem Einsatzland beim Feuerkampf einen Feind getötet haben. Das setzt aber voraus, dass eben in den Einheiten eine angemessene Sensibilität vorhanden ist, die beurteilen kann, was „regelkonform“ ist und wo Unklarheiten sind. Sobald Dinge unklar werden, sollte das von einem fachlich geschulten Juristen geklärt werden. In vielen US-Einheiten ist da z.B. der JAG Bestandteil des Stabs, was den Soldaten wesentlich mehr Rechtssicherheit gibt.
Wieso gerade in Kempten?
Hätte Potsdam in der Nachbarschaft zum EinsFüKdoBw nicht mehr Sinn gemacht?
@Sun Tzu:
Einen „JAG“ im eigenen Stab zu haben, muss nicht unbedingt ein Plus an operativem Nutzen bringen.
Vielmehr zeigt es sich, dass ein Rechtsberater „an der Front“ oder „auf der Brücke“ oftmals seinen Beruf eher als Einsatzverhinderer verstehen könnte, denn als juristischer Berater der eingesetzten Soldaten.
Nur als Vorwarnung der berufsmäßig Empörten: Niemand fordert, dass Soldaten sich außerhalb der freiheitlich demokratischen Grundordnung bewegen sollen.
Aber einen Juristen hinter jeden abgesessenen Soldaten zu stellen, sehe ich kritisch.
Es ist ein Spannungsfeld zwischen meinem ersten Posting und diesem, das ist mir durchaus bewußt.
Im Grundsatz befürworte ich eine räumliche zeitliche Trennung zwischen den Aktionen des Soldaten und einer juristischen Bewertung dieser, allerdings mit einer spezialisierten und sich der Besonderheiten des Soldatenberufes bewussten Staatsanwaltschaft / Gerichtsbarkeit.
@ TomTom | 26. Oktober 2012 – 20:32
Selbstverständlich muss sich der Jurist auch für sein Handeln rechtfertigen. Verhindert er ungerechtfertigt Einsätze, so muss das für ihn Kosequenzen haben. Der Focus muss eindeutig auf Beratung der Soldaten liegen. Es ist ein eklatanter Missstand, dass Soldaten aus Rechtsunsicherheit/Unwissen mit einer „ich sitze ja mit einem Bein im Knast“-Einstellung in den Einsatz gehen.
Aus grundsätzlichen Überlegungen will ich nur so wenig Juristen wie möglich verwenden. Aber die Anwendung rechtlicher Fragestellungen nimmt inzwischen einen erheblichen Raum im Soldatenalltag ein. Das operativ etwas zu professionalisieren, könnte die Effizienz steigern.
In Deutschland kommt allerdings noch ein Sonderproblem dazu. Viele Mandate sind von der Politik aus einer „wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass“- Einstellung heraus so formuliert, dass den Soldaten faktisch die Hände gebunden sind. Für die Soldaten wäre es hier von Vorteil, wenn der Stabsjurist am Besten noch vor der Presse feststellt: „Mit dieser Mandatierung können wir nur im Lager sitzen und Däumchen drehen.“ Gegenwärtig begeben sich verantwortungsvolle Soldaten bei ihrer Pflichterfüllung all zu oft in rechtliche Grauzonen und holen so der Politik die Kastanien aus dem Feuer. Warum eigentlich?
Gegenwärtig gibt es bei vielen Soldaten die Denkschule, dass Juristen/Staatsanwälte der „Feind“ seien, weil sie den Soldaten nur in die Pfanne hauen wollen. Aufgrund der Erfahrungen der Vergangenheit mit dezentralen ideologisierten/inkompetenten Staatsanwaltschaften kann ich das sogar verstehen. Eigentlich sollte es da eher eine Partnerschaft geben, die eben klärt, was geht und was nicht. Die Bildung einer Schwerpunktstaatsanwaltschaft könnte hier Fortschritte bringen.
@TomTom
„Vielmehr zeigt es sich, dass ein Rechtsberater “an der Front” oder “auf der Brücke” oftmals seinen Beruf eher als Einsatzverhinderer verstehen könnte, denn als juristischer Berater der eingesetzten Soldaten.“
Ich habe beide Seite erlebt, die deutsche und die amerikanische. Dass sich der Rechtsberater als Verhinderer verstand, gab es nur auf der deutschen Seite. Bei den Amerikanern war der Rechtsberater ein „enabler“; er erklärte, wie man die Dinge darstellen musste, damit sie rechtlich Bestand haben. Er verstand sich nicht, wie auf deutscher Seite, als Anwalt des Feindes, sondern als Anwalt der eigenen Kräfte im Kampf gegen einen gesetzlosen Feind.
@Orontes | 26. Oktober 2012 – 18:50
Nahezu jede Diensthandlung eines Polizisten greift in Rechte anderer ein und ist somit juristisch prüffähig. Und spätestens bei geschlossenen Einheiten geht eine Vielzahl der Einsätze mit der Anwendung von Gewalt durch die Polizisten einher. Und wenn sich jemand wegen eines Remplers beschwert, dann wird ermittelt.
Da gibt es keinen Unterschied zwischen Polizisten (Inland) und Soldaten (Ausland). Der Gesetzgeber legitimiert Gewalt unter bestimmten Auflagen. Ob die Auflagen eingehalten werden, prüft die StA unmittelbar nach Kenntnisnahme von ggf. kritischen Umständen. Und bei Verdacht wird durchermittelt.
Sie können hier auf unterschiedliche Gefährlichkeiten des Gegenübers oder die höhere Letalität des Einsatzmittels abstellen, aber genau diese Unterschiede bei Ursache-Wirkung kürzen sich in der juristischen Prüfung raus. Das Ergebnis führt zu einer ungefähr gleichhohen „Gefahr“ intensiver/langwieriger Ermittlungen bei Polizisten und Soldaten.
Wenn man Ihrem Gedankengang folgt, dann wollen Sie für jeden Berufsstand unterschiedliche Ermittlungsschwellen. Was beim Verwaltungsbeamten automatisch zu Ermittlungen führt, wird beim gemeindlichen Vollzugsdienst noch toleriert sowie beim Polizisten im Regelfall und beim Soldaten zwingend nicht verfolgt?
Nö, alle stehen im selben Rechtssystem. Und manche Jobs bergen halt ein hohes (Soldaten) und manche ein geringeres (Gärtner) Risiko strafrechtlicher Ermittlungen.
@Orontes | 26. Oktober 2012 – 18:50:
„“Schusswaffengebrauch, Verletzungen und Tötungen Dritter” (in diesen Fällen muss gegen den Soldaten ermittelt werden) …“
Ich vermute mal, Sie haben Ihr Zitat aus dieser G1/A1-Information: http://www.stoka-laupheim.de/download_files/rechtschutz/RechtsschutzG1A1Info.pdf
Punkt 1: Nicht der bloße Schusswaffeneinsatz führt zu Ermittlungen. Sondern die (tödliche) Verletzung eines Dritten.
Punkt 2: Es wird nicht gegen den Soldaten ermittelt, sondern der Sachverhalt wird ermittelt. Und nur wenn danach Fehlverhalten für mehr als abstrakt möglich gehalten wird, wird anschließend gegen den Soldaten ermittelt.
Zunächst einmal OT, aber mit Parlamentsbezug, eine große Anfrage der SPD zu Kampfdrohnen:
http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/111/1711102.pdf
Wobei natürlich auch ein Sachverhalt mit einer „Kampfdrohne“ in Kempten untersucht werden könnte.
@Tom
Gut, Sie haben mich überzeugt, danke für die ausführlichen Antworten.