Angriff auf Camp Bastion: Mehr Details – von beiden Seiten
Zum komplexen – und angesichts der (materiellen) Verluste vor allem auf Seiten der U.S. Marines verheerenden Angriff der Taliban auf das britisch-amerikanische Camp Bastion in Südafghanistan am 14. September werden immer mehr Details bekannt. Von beiden Seiten: Die Taliban veröffentlichten ein Video, in dem die Vorbereitung auf diesen Angriff gezeigt wird. Die Aufständischen tragen schon bei diesem Training amerikanische Uniformen und lassen sich in einem Briefing in die Lage von Camp und Flugfeld einweisen.
Kollegen und Kenner der Region weisen darauf hin, dass die Schriftzeichen auf dieser Briefing-Tafel auf dem Urdu-Alphabet basieren, also offensichtlich pakistanisch seien…
Die BBC hat für heute einen Beitrag mit weiteren Einzelheiten zu dem Angriff angekündigt, einen Bericht dazu veröffentlicht, unter anderem mit Interviews mit britischen und amerikanischen Soldaten. Außerdem gibt es eine interaktive Grafik: Inside Camp Bastion – mal mit der Taliban-Briefing-Zeichnung vergleichen…
Nachtrag: Der BBC-Kollege Quentin Sommerville hat einiges aus den Interviews auch via Twitter verbreitet:
In dem Video sind die Gesichter einiger der Trainierenden verpixelt worden. Dieses sind wahrscheinlich Kämpfer die bei der Camp Bastion Aktion nicht zum Einsatz kamen und noch für andere Aktionen.verfügbar sind. Interessant ist auch das einer der Kämpfer ein recht gutes Englisch spricht.
Das die Schriftzeichen Urdu sind muss nicht heissen das ISI die Karte gezeichnet hat. Viele Pashto-Sprecher besuch(t)en pakistanische Schulen und schreiben eher im Urdu Alphabet (abgeleitet vom persischen) als im Pashto Alphabet (abgeleitet vom arabischen).
Das Tragen der Uniform des Gegners während einer Kampfhandlung ist übrigens ein Kriegsverbrechen. Aber im Zusammenhang mit den Taliban ist das fraglos nur eine Marginalie.
@Chickenhawk
Das ist aber wirklich ganz tiefstes 19. Jahrhundert.
Nach dem selben Verständnis müßten US-Piloten wohl Orden und Ehrenzeichen tragen damit im Falle eines Fallschirmabsprungs die Taliban nicht das Recht haben, sie als Spione standrechtlich zu erschießen?
Und wurde im 2. Weltkrieg von allen Seiten ständig praktiziert, z.B. Brandenburger, SAS oder Amerikaner („Ragtag Bunch“)
@ JCR
Nein, das ist nicht richtig. Das Tragen einer fremden Uniform während einer Kampfhandlung verstößt gegen das Humanitäre Völkerrecht, vgl. z. B.:
http://www.icrc.org/customary-ihl/eng/docs/v1_rul_rule62
Im Zweiten Weltkrieg wurde es zwar von allen Seiten praktiziert, die Beteiligten waren sich aber im Klaren, dass ihnen bei Gefangennahme der Tod drohte. So passierte es z. B. mit den Wehrmachtsangehörigen, die während der Ardennenoffensive hinter den amerikanischen Linien und in amerikanischen Uniformen Verwirrung stifteten (»Unternehmen Greif«). Die wurden nach Gefangennahme standrechtlich erschossen.
Bisweilen versuchte man, die Grenzen auszuloten: In Nordafrika setzen die Deutschen für Kommandounternehmen britische Beutefahrzeuge ein, die mit deutschen Hoheitsabzeichen (dem Balkenkreuz) versehen wurden. Man verschmutzte die Fahrzeuge aber so stark, dass man schon unmittelbar davor stehen musste, um das zu erkennen. Von weitem sahen sie aus wie britische Fahrzeuge.
Gut aber das Tragen von Uniformen nimmt auch die NATO nicht wirklich ernst.
Ob ein Ghillie Suit wirklich den Anforderungen der LKO enspricht weiß ich nicht, von den Spezialkräften in Pyjamas und Afghanenmütze ganz zu schweigen.
Was Urdu angeht, vielleicht ein Hinweis darauf, daß es die selben Planer sind, die die Angriffe auf pakistanische Basen durchgeführt haben.
Das ist aber letztlich nur eine Frage der Tarnung. Es geht ja auch nicht darum, dass jeder Soldat im großen Dienstanzug und mit poliertem Helm daherschreiten soll.
Natürlich deckt sich der Scharfschütze am besten von oben bis unten mit Laub zu und legt sich in den Hinterhalt. Eine andere Sache ist es aber, den Gegner vorsätzlich dadurch zu täuschen, dass man seine Uniform trägt.
Hinzuzufügen wäre vielleicht noch folgendes: Umstritten ist es wohl, ob jedes Tragen einer fremden Uniform ein Verstoß gegen das HVR darstellt, oder nur dann, wenn man an Kampfhandlungen teilnimmt. Darum ging es übrigens in dem Prozess 1947 gegen Otto Skorzeny (der im Rahmen der Mussolini-Befreiung bekannt wurde). Skorzeny befehligte das Unternehmen Greif und wurde dafür nach dem Krieg vor einem amerikanisches Militärgericht angeklagt, aber freigesprochen.
Die Verteidigung konnte nämlich beweisen, dass amerikanische Militärvorschriften ebenfalls unter bestimmten Voraussetzungen das Tragen fremder Uniformen vorsahen. Knackpunkt ist dabei jedoch, ob dies konkret im Rahmen von Kampfhandlungen geschieht. Da die deutschen Soldaten beim Unternehmen Greif jedoch nicht direkt kämpften (sie stifteten Verwirrung, leiteten als vermeintliche Militärpolizisten Kolonnen in die Irre usw.), kam das Gericht 1947 zum dem Schluss, dass kein Verstoß gegen das Kriegsrecht vorlag. (Davon hatten freilich diejenigen deutschen Soldaten nichts mehr, die bereits 1944 standrechtlich erschossen worden waren).
Ab wenn ist denn eine Uniform eine Uniform? Welche Kennzeichen müssen vorhanden sein?
Wäre die Verwendung von Multicam auch ein Kriegsverbrechen?
Eine Uniform erkenne ich in dem Video nicht.
Die Typen tragen gepflegtes Univil mit ACU Feldblusen und Hosen mit Turnschuhen :)
Das dürfte es in Pakistan an jeder Ecke geben, aus den Containern von Karachi nach Afghanistan verschwindet ne Menge….
In den früheren Berichten über den Angriff war zu lesen, die Angreifer hätten amerikanische Uniformen getragen. Vermutlich haben sie sich etwas dabei gedacht.
Klar kann ich mich auch hierzulande in jedem NATO-Shop um die Ecke einkleiden. Und hinterher sehe ich aus wie Colonel Kurtz.
@chickenhawk, zog, JCR
Die Aufständischen dürften in jedem Fall ein Kriegsverbrechen begangen haben.
Haben sie tatsächlich amerikanische Unformen getragen, gilt dieser Fall:
http://www.icrc.org/customary-ihl/eng/docs/v1_rul_rule62
Sie hätten gemäß Art. 44 des „Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte“ ein Kennzeichen tragen müssen, das es ISAF-Soldaten ermöglicht, sie von Zivilbevölkerung zu unterscheiden.
Die Aufständischen provozieren regelmäßig Opfer unter der afghanischen Bevölkerungen, weil sie völkerrechtlich geforderte Unterscheidung gezielt verhindern.
Wenn sie keine amerikanischen Uniformen, aber auch keine geforderten Kennzeichen getragen haben, dann haben sie ebenfalls ein Kriegsverbrechen begangen. Das „Vortäuschen eines zivilen oder Nichtkombattantenstatus“ gilt im HVR (Art. 37 des bereits zitierten Protokolls) als verbotene „Heimtücke“.
Die ganze Diskussion ist aber theoretisch, da die Aufständischen das Völkerrecht nicht anerkennen und laufend Kriegsverbrechen begehen, ohne das dies für sie irgendwelche Konsequenzen hätte. Von den Leuten, die sich sonst jedes Gerücht bzgl. mutmaßlicher Völkerrechtsverletzungen durch ISAF direkt aufgreifen und ungeprüft so behandeln als sei es bestätigt, habe ich diesbezüglich auch noch kein Wort der Kritik an den Aufständischen gehört.
Hier dreht sich wieder einmal alles im Kreis.
Kombattant oder Nichtkombattant, in AFG ist gem.
Völkerrecht kein Krieg, denn auch der ist völkerrechtlich normiert.
Also können auch keine Kombattanten hier eingesetzt sein, gegen wen auch?
So Klugscheißmoduss off.
Ich denke wir befinden uns in AFG in einer „Polizei- und Unterstützungsmission“.
@Orontes: Sie hatten doch ein Kennzeichen, nämlich Uniformen in UCP.
Rangzeichen oder Flaggen erkenne ich auf den Bildern nicht. Also auch keine Impersonierung des Feindes.
Und ich wiederhole meine Frage bzgl. Multicam.
Ich fürchte, die Taliban haben die Paragraphen im Völkerrecht nie gelesen.
Das wird wohl in der Koranschule eher nicht vermittelt.
Wir müssen den Taliban dringend Geschichtsbücher übersetzen, damit sie wissen wie es bei uns im WK2 war und sie nicht gegen das HVR verstoßen!
Ich glaube, die Opposition wird dazu einen Untersuchunsauschuss bilden müssen!
Wenn man die Kommentare hier so liest … Ich bin dann mal afk, im Keller weinen.
Hier jetzt der angekündigte kurze BBC Bericht
http://www.bbc.co.uk/news/world-asia-19704120
4 1/2 Stunden um 14 Gegner auszuschalten in einer Basis die 20,000 Mann beherbergt.
Dabei auch noch zwei Einsatzfahrzeuge durch, vermutlich, RPG Beschuss verloren. Das es dunkel war ist ja wohl kein Argument mehr. Auf den Wachtürmen gibt es sicherlich Nachtsichtgeräte und auch die Wachbereitschaft/Eingreiftruppe wird nachtkampffähig ausgerüstet sein. Der Apache-Einsatz wird für zusätzlichen Flurschaden gesorgt haben. Da stellt sich wirlich die Frage wieviele der Harrier die Angreifer vernichtet haben und viele die britischen Kräfte.
Für die Briten ist das insgesamt eine Blamage und das das USMC sauer ist kann man da schon nachvollziehen.
@ Peter
Ich wollte meinen ursprünglichen Hinweis wirklich nur als Fußnote mit leicht ironischem Unterton verstanden wissen. In einer Diskussion kommt man aber nun einmal leicht vom Hölzchen aufs Stöckchen.
Mir ist auch klar, dass sich die Taliban einen feuchten Kehricht um Rechtsnormen jeglicher Art scheren.
supi ;)
Jetzt sprechen die bei der Beeb schon Irisch oder was das auch immer für ein Akzent ist.
Was ist aus „BBC English“ geworden?
@ JCR
Quentin Sommerville kommt aus Schottland! Die BBC ist keine rein-englische Veranstaltung.
;-)
Der Vollständigkeit halber:
→ Auf Afghanistan findet nur EINES der beiden Zusatzprotokolle der Genfer Konventionen Anwendung. ENTWEDER das erste, falls man der Ansicht ist, dass es sich um einen INTERnationalen bewaffneten Konflikt handelt ODER das zweite, falls man Afghanistan für einen NATIONALEN bewaffneten Konflikt hält. Die (wohlbegründete) Einschätzung der Bundesanwaltschaft darf man im Fall Oberst Klein nachlesen.
→ Nichtstaatliche Akteure sind sehr wohl an das Humanitäre Völkerrecht gebunden. Ihr Problem, wenn sie es nicht kennen (auch da gilt wohl „Unwissenheit schützt vor Strafe nicht.“).
Und, was mir am Wichtigsten ist:
Das Gegenteil eines Kombattanten ist NICHT der Nichtkombattant. Es ist der Zivilist.
Zivilist und Nichtkombattant sind auch AUF KEINEN FALL Deckungsgleich, da der Nichtkombattant Teil der Streitkräfte (!) ist und somit nahc den Genfer Konventionen bspw. Anspruch auf Kriegsgefangenenstatus hat – der Zivilist hat den nicht!