Zurück in die Tube (2)

Der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages fühlt sich in einem Kommentar des Deutschlandradios Kultur persönlich angegriffen, verlangt vom Sender die Entfernung des bereits gesendeten Kommentars zum öffentlichen Gelöbnis am 20. Juli von den Internetseiten des Deutschlandradios – und hat damit auch Erfolg. So weit sind die Fakten um diese Kontroverse bereits bekannt, und der gelöschte Kommentar ist sowohl als Audiodatei wie auch als Abschrift beim Bendler-Blog zu finden.

Im Zusammenhang mit diesem Vorfall haben Spiegel Online und die Bild-Zeitung ausführlich aus dem Brief zitiert, den der Wehrbeauftragte Hellmut Königshaus am 23. Juli, drei Tage nach Veröffentlichung des Kommentars, an den Autor Klaus Pokatzky wie an die Spitze des Deutschlandradios Kultur gesandt hat. Im Unterschied zu dem Kommentar selbst gibt es allerdings bislang den Brief nur in Auszügen zu lesen, damit fehlt das ganze Bild. Deshalb habe ich hier unten den Wortlaut mal eingestellt.

Um meine Sicht der Dinge noch mal auf den Punkt zu bringen: Über den Kommentar kann man durchaus heftig debattieren. Aber es handelt sich um einen Text, der in dem öffentlich-rechtlichen Sender nach den gültigen Regeln für solche Beiträge freier Mitarbeiter abgenommen und gesendet wurde. Nach der Veröffentlichung gibt es verschiedene Wege, damit umzugehen. Die Löschung von der Webseite des Senders, um damit den Text aus dem öffentlich zugänglichen Archiv zu tilgen, gehört aus meiner Sicht nicht dazu.

Der Brief:

Sehr geehrter Herr Pokatzky,

Sie haben es für richtig befunden, mich am 20. Juli in einem Kommentar im Deutschlandradio Kultur mit einer kräftigen Schmähkritik zu überziehen. Ich habe lange gezögert, zu reagieren, denn ich bin fassungslos, so etwas bei einem öffentlich-rechtlichen Programm erleben zu müssen.

Sicher haben Sie übersehen, dass Sie mit Ihrem Kommentar grob gegen den Pressekodex verstoßen, wo es heißt: “ Es widerspricht journalistischer Ethik, mit unangemessenen Darstellungen in Wort und Bild Menschen in ihrer Ehre zu verletzen.“ Das aber  haben Sie mit Ihrem Kommentar getan, denn die Schmähungen sind in der Form unzulässig und in der Sache unbegründet.

Die Maßlosigkeit, derer Sie sich bedienen, widerlegt Paul Sethes Anmerkung, die Pressefreiheit sei die Freiheit von (nur) 200 reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten. Sie haben natürlich ebenfalls dieses Recht, obwohl Sie vermutlich nicht zu „den Reichen“ zählen, wenngleich allerdings wohl auch nicht zu den Kenntnisreichen, zumindest nicht in dem Zusammenhang, den Sie in so überheblicher Weise kommentiert haben.

Wie kommen Sie eigentlich dazu, eine Meinungsäußerung zum Anlass einer so herabsetzenden, ja beleidigenden Kritik zu nehmen? Wieso behaupten Sie, ich nehme mich „vor allem selbst sehr wichtig“? Ich bin von einer Journalistin gefragt worden, wie ich die Verlegung des Gelöbnisses sehe, und habe darauf geantwortet. Darf ich das nach Ihrer Auffassung nicht? Gilt die Freiheit, eine Meinung zu äußern, nur für Sie und nicht auch für mich? Und wo nehmen Sie eigentlich das Recht her, aus einer einzigen Äußerung eine geradezu vernichtende Bewertung einer inzwischen mehr als zweijährigen Amtszeit herzuleiten, für die ich gelegentlich Kritik, aber gerade auch aus der Truppe viel Zustimmung erfahre?

Sie kommentieren im übrigen Sachverhalte, die Sie sich wohl so vorstellen, die aber nichts mit der Realität zu tun haben. Hätten Sie recherchiert oder mich gefragt, hätten Sie mir nicht unterstellen können, ich wisse nicht, was 1944 am Bendlerblock geschehen ist. Dann wüssten Sie auch, dass ich, wie übrigens bereits in den Vorjahren, an jenem Tag sowohl dort als auch an der Gedenkstätte in Plötzensee im Rahmen der Gedenkveranstaltungen einen Kranz niedergelegt habe, wie übrigens auch bereits am Tag zuvor in der Henning-von-Tresckow-Kaserne in Geltow zu Ehren des Namensgebers dieser Kaserne, der ebenfalls dem militärischen Widerstand angehörte.

Ich unterstelle einmal, dass Sie es nicht besser wussten, als Sie kommentierten, denn sonst müssten wir über eine strafbare Verleumdung (u. a. § 188 StGB) sprechen. Aber das kann Sie nicht entschuldigen. Auch insoweit setzt der Pressekodex klare Regeln. Unter dem Stichwort „Sorgfalt“ stellt er u. a. folgendes fest: „Recherche ist unverzichtbares Instrument journalistischer Sorgfalt. Zur Veröffentlichung bestimmte Informationen in Wort, Bild und Grafik sind mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen und wahrheitsgetreu wiederzugeben ….. “ Natürlich gilt dies erst recht, wenn Tatsachenbehauptungen im Rahmen eines Kommentars verbreitet und dann auch noch zur Grundlage einer herabsetzenden Würdigung gebraucht werden.

Zu Unrecht unterstellen Sie, dass sich der derzeitige Wehrbeauftragte, also ich, im Gegensatz zu seinen Vorgängern nicht auch beispielsweise um Probleme bei den Truppenküchen kümmere. Das ist einfach unwahr, wie kommen Sie eigentlich zu einer solch infamen Behauptung, die ja den Vorwurf enthält, ich vernachlässige meine Pflichten? Natürlich kümmere ich mich auch um die Truppenverpflegung. wenngleich ich dazu nicht jedes Mal eine Pressekonferenz oder einen Fototermin mache.

Lesen Sie doch in Zukunft einfach im Internet die Jahresberichte des Wehrbeauftragten, ehe Sie das Gegenteil behaupten. Aber das „Kümmern“ um die Probleme im Soldatenalltag schließt natürlich nicht aus, dass der Wehrbeauftragte sich zugleich mit jenen Themen befasst, die den Soldatinnen und Soldaten aktuell ganz besonders am Herzen liegen: beispielsweise die Frage nach einer besseren Wahrnehmung der Lasten und Belastungen, die sie für unser Land im täglichen Dienst auf sich nehmen. Wenn Sie dazu mehr wissen wollen: Neben den Jahresberichten finden Sie viele weitere Informationen auf www.bundestag.de/wehrbeauftragter. Noch nie war es so einfach, sich sachkundig zu machen, ehe man kommentiert.

Auch in der Frage der Wahl des „Gelöbnisortes“ liegen Sie falsch. Natürlich kann man auch die Meinung vertreten, der Bendlerblock sei besser geeignet als der Platz der Republik. auch wenn ich selbst anderer Meinung bin. Ich käme aber nicht auf die Idee, jemanden, der eine gegenteilige Auffassung vertritt, zu schmähen und der Geschichtslosigkeit zu zeihen. Ungeachtet dessen sollte Ihnen vielleicht zu denken geben, dass es zu dieser Debatte viele Berichte und auch Kommentare gab, aber fast alle mit deutlicher Tendenz zugunsten des Platzes vor dem Reichstagsgebäude, übrigens auch der nachdenkliche Kommentar von Rolf Clement im Deutschlandfunk. Aber niemand hat es für nötig befunden, seine eigene Auffassung so sehr zu überhöhen, dass er glaubte. andere persönlich herabsetzen zu müssen.

Es gibt für den Platz der Republik eben doch sehr viele gute Argumente. Wären Sie geschichtlich so sattelfest, wie Sie offenbar annehmen, dann wäre Ihnen auch nicht entgangen, dass eine Gelöbnistradition am Platz der Republik in doppelter Hinsicht eine wegweisende Symbolwirkung für die heutige Parlamentsarmee entfalten könnte. Genau gegenüber dem Reichstagsgebäude, wo heute über jeden Einsatz der Bundeswehr nachdenklich, ernsthaft und bis ins Detail leidenschaftlich debattiert und entschieden wird, stand einst die Kroll-Oper, wo 1939 die braunen Schreihälse eines Scheinparlamentes grölend aufsprangen und jubelten, als Hitler ihnen den bereits begonnenen Überfall auf Polen bekannt gab. Was für ein Kontrast zu heute. An der Nordseite des Platzes stand übrigens bis zu seiner Zerstörung das Gebäude des Generalstabs. Auch ein geschichtlicher Ort, der den demokratischen Wandel unseres Landes deutlich macht.

Es soll also nur Ausdruck von Selbstbezogenheit, Ahnungslosigkeit und Geschichtsvergessenheit sein, wenn ich wie die überwiegende öffentliche Meinung diesen Ort als den geeigneten Ort für ein Gelöbnis halte? Für ein Gelöbnis an einem Tag, an dem zuvor erst im Bendlerblock und danach in Plötzensee wie seit 60 Jahren selbstverständlich ohnehin des 20. Juli gedacht wird?

Inwiefern dies eine Verhöhnung des Widerstandes und eine Beleidigung der Soldaten sein soll. erschließt sich wohl nur Ihnen. Der Bundeswehrverband jedenfalls teilt meine Auffassung uneingeschränkt und hat dies auch gegenüber den Medien so kommuniziert. Auch aus der Truppe selbst habe ich nur Zustimmung erfahren.

Ich fühle mich durch Ihren Kommentar persönlich verunglimpft. Ich erwarte daher eine Entschuldigung von Ihnen. Vom Sender erwarte ich eine Stellungnahme, wie er diese Art der Kommentierung bewertet. Vom Verlangen nach einer Richtigstellung sehe ich zunächst ab, obgleich ich darauf einen Anspruch hätte. So stellt der Pressekodex in diesem Zusammenhang folgendes fest: „Veröffentlichte Nachrichten oder Behauptungen, insbesondere personenbezogener Art, die sich nachträglich als falsch erweisen, hat das Publikationsorgan, das sie gebracht hat, unverzüglich von sich aus in angemessener Weise richtig zu stellen.“ Das gilt natürlich erst recht dann, wenn die Behauptung von vornherein erkennbar falsch war. Ich möchte aber Ihren Beitrag nicht überbewerten, da Sie mit dieser Art der Kommentierung völlig allein dastanden und in Ihrer Haltung durch die öffentlichen Reaktionen nachdrücklich widerlegt wurden.

Dennoch kann die vorsätzlich verletzende Art, mit der Sie Ihre Stellung als Kommentator eines öffentlich-rechtlichen Senders ausnutzten, nicht ohne Reaktion bleiben. Ich erwarte, dass der Kommentar in der Audio- wie in der Textvariante schnellstmöglich aus dem Internetangebot des Deutschlandradios entfernt wird. Eine Kopie dieses Schreibens habe ich auch an den Intendanten des Deutschlandradios, den Vorsitzenden des Hörfunkrates und den Chefredakteur des Deutschlandradio Kultur gesandt.

Zur Ergänzung der angesprochene Kommentar im Deutschlandfunk: Am besten oder am zweitbesten Ort