Organisation ist Politik.

Was hätte ein Karl Theodor zu Guttenberg aus einem solchen Anlass gemacht! Eine solche Neugliederung der Führungsorganisation von Bundeswehr und Verteidigungsministerium, traditionsbewußt Dresdner Erlass genannt und damit – nach Helmut Schmidts Blankeneser Erlass und Peter Strucks Berliner Erlass – erst die dritte Neuregelung dieses Bereichs in der sonst an Strukturänderungen nicht armen Bundeswehrgeschichte. Vorgestellt im noch neuen, öffentlich weithin bekannten Militärhistorischen Museum der Bundeswehr. Mit einer Rede des Ministers. Das öffentliche Trommeln bis hin zum TV-Auftritt kann sich jeder, der den früheren Verteidigungsminister Guttenberg erlebt hat, leicht vorstellen.

Der charakteristische „Keil“ im Gebäude des Militärhistorischen Museums in Dresden

Andererseits. Wie ist Peter Struck mit seinem Erlass umgegangen, 2005? Das Dokument wurde schlicht mit einer Unterschrift des Ressortchefs in Kraft gesetzt und ging dann per Hauspost an die betroffenen Offiziere und Beamten. Keine Feier, keine Rede (so war meine Erinnerung, und ich habe sie mir von Insidern noch mal bestätigen lassen).

Wenig überraschend wählte Thomas de Maizière bei der Vorstellung des Dresdner Erlasses am (gestrigen) 21. März bewusst den für ihn typischen Mittelweg: den der demonstrativen, offensiven Bescheidenheit.  Zwar schon im Militärhistorischen Museum, schon mit eingeflogenen Zuhörern aus den Spitzenetagen von Bundeswehr und Ministerium, schon mit Beteiligung des Stabsmusikkorps. Und doch: Statt Marschmusik ertönten Giovanni Simone Mayrs Bagatelle á tre – Marcia für Flöte, Klarinette und Fagott und Edmund Löfflers Kleines Hofkonzert von einem Holzbläser-Trio. Statt in die große, repräsentative Eingangshalle des Museums stellte er sich für seine Rede in das sehr schlichte dunkelgrau gehaltene Auditorium, das eher wie der Vortragssaal einer Sparkassenakademie wirkt.

(Foto: Andrea Bienert/Bundeswehr via flickr unter CC 2.0 Lizenz)

Vielleicht gar nicht so unpassend. Denn was de Maizière ganz offensichtlich beabsichtigte, hatte viel mit einem Management-Seminar für Führungskräfte zu tun. Da ging es weniger um den Erlass selbst (der übrigens den Spitzenbeamten und selbst den Inspekteuren der Teilstreitkräfte nach eigenem Bekunden zuvor nicht bekanntgegeben worden war). Sondern um eine Grundsatzrede des Vorstandsvorsitzenden an seine Spitzenleute, um sein Verständnis von Führung in einem Riesenladen wie den Streitkräften. Auch wenn der Redetext vom Ministerium gut eine Stunde vor Beginn verbreitet wurde: Die relativ kleine Gruppe, so mein Eindruck, sollte direkt vom Minister hören, was er von seinen Managern erwartet – und es solle sich niemand irren, wo oben ist: Der Primat der Politik verortet die letzte politische und militärische Verantwortung für die und in der Bundeswehr klar und eindeutig nach dem Grundgesetz beim Bundesminister der Verteidigung als Ressortchef und Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt, der wiederum Teil der Regierung und parlamentarisch kontrolliert ist.

Das bedeutet, darauf legte de Maizière wert, nicht weniger Verantwortung für die darunter. Fast schon süffisant zitierte er aus dem Spiegel-Artikel zu Helmut Schmidts Blankeneser Erlass 1970: Der Minister will Generale, die für ihren Laden verantwortlich sind und die er deshalb auch für Missstände zur Verantwortung ziehen kann. Und der heutige Minister will das nicht nur für Generale: Anders als im Blankeneser und im Berliner Erlass regelt der Erlass von heute daher auch die Verantwortlichkeiten der zivilen Strukturen. Wir müssen uns als EINE Bundeswehr begreifen – und als EINE Bundeswehr denken. Das klingt nur für Außenstehende harmlos, faktisch ist es die Ansage, dass de Maizière bis knapp unterhalb einer Grundgesetzänderung gehen will, um die Trennung von Streitkräften und Wehrverwaltung in den Grundgesetzartikeln 87a und 87b im Sinne des, pardon, Unternehmenszweckes aufzuheben.

Den Kern seiner Führungsphilosophie (das ist hier in den Kommentaren zur Rede auch schon thematisiert worden) breitete de Maizière zum Schluss der Rede aus – mit der eindrücklichen Mahnung: Das, was ich hier vortrage, ist im Kern mit „Führen mit Auftrag“ immer gemeint und gemeint gewesen. Manches in dabei durch „Absicherung von oben“ und „Absicherung von unten“ verdunstet. Trauen wir uns wechselseitig zu, uns so zu verhalten, wie es gelerent und gelehrt wird in der Bundeswehr.

Weil es so zentral die Sicht des Ministers vorgibt, die fünf Maßstäbe für gute Führung aus der Rede im Wortlaut:

1. Führen durch Vorbild
In der Bundeswehr gilt die Autorität des Amtes und des Dienstranges viel. Dies ist eine wichtige Voraussetzung für die Führungsfähigkeit und Einsatzfähigkeit der Bundeswehr. Das ist auch mehr als Tradition. Das ist notwendig. Schwarmintelligenz und kollektives Mitbestimmen sind ungeeignet, um die Bundeswehr zu führen. Führung muss in einer Armee Gefolgschaft verlangen können, natürlich das Recht auf Widerspruch in Ausnahmesituationen eingeschlossen.
Gute Führung verlangt aber, dass zur institutionellen Autorität die persönliche Autorität hinzutritt. Dafür ist entscheidend, dass unsere persönliche Diensthaltung und Leistung von den Mitarbeitern und Untergebenen jedenfalls im Großen und Ganzen als vorbildlich aufgefasst wird.
Führen durch Vorbild, das ist anstrengend. Das ist im Alltag auch zu viel verlangt. Vorgesetzte, unser Führungspersonal, müssen keine Heiligen sein. Auch der Umgang mit Fehlern kann ein Vorbild bewirken.
Entscheidend ist, dass sich die Vorgesetzten in entscheidenden Situationen als Vorbild begreifen, also an die Sache und nicht zuerst an sich selbst denken, andere mitziehen und sich nicht zuerst in Sicherheit bringen, wissen, was für die eigenen Leute wichtig ist. In diesem Sinne ist Führen durch Vorbild nicht unmöglich, sondern unentbehrlich.2. Führen durch Führung
Das mag auf den ersten Blick merkwürdig klingen. Aber Führungspositionen bringen es oft mit sich, dass ihre Inhaber nach kurzer Zeit glauben alles besser zu wissen. Diesem Trugschluss ist schwer zu widerstehen. Dennoch sollten wir verhindern, dass Führung dazu verkommt, alles am Ende am besten selbst zu machen. Führen heißt, Andere machen zu lassen, Anderen Erfolg zu gönnen, Anderen aus der Patsche zu helfen. Führung soll steuern, nicht rudern.
Führen durch Führung hat zum Ziel, nicht nur auf das Ergebnis, sondern auch auf den Weg dorthin zu schauen. Gute Führung verlangt Kommunikation, Konfliktfähigkeit und Konsensbereitschaft. Und sie verlangt eine regelmäßige und aufrichtige, auch selbstkritische Nachbetrachtung der Ergebnisse und der Prozesse.
3. Führen durch Handeln
Jeder militärische Führer unter Ihnen weiß, was ich damit meine. Und als Minister weiß ich von meinen Besuchen bei der Truppe: Die Soldaten wollen mehr Taten als Worte. Da sind die Soldaten wohl nicht alleine. Die allgemeine Geschwätzigkeit in unserer Gesellschaft geht vielen Menschen zunehmend auf den Geist. Führung muss sich in Entscheidungen und Taten manifestieren, wenn sie dauerhaft respektiert werden will.
Einschätzungen, Beratungen, Bedenken, alles das ist wichtig, gerade auch in einem Ministerium, reicht aber nicht aus. Von Führungskräften werden Bewertungen und Handeln verlangt. Eine solide Bewertung umfasst immer auch ein Urteil und trifft damit eine Entscheidung.
4. Führen durch Vertrauen
Auch hierzu hat Helmut Schmidt 1966 etwas Bemerkenswertes gesagt: „Da wird in akribischer Weise angewiesen und befohlen, die oft den uns Deutschen nachgesagten Hang zum Perfektionismus in schönster Weise bestätigt. Dagegen lehrt man jedoch an Offizierschulen und auf der Führungsakademie die großen Vorzüge der Auftragstaktik“.
Klar ist: Militärische Befehlsketten können nicht alleine auf Vertrauen angewiesen sein. Es macht den militärischen Dienstalltag des Soldaten aus, klar formulierte Aufträge zu erfüllen. Die Bedingungen für ministerielle Arbeit und Verwaltungshandeln sind anders: Da kann mehr Spielraum gegeben werden. Im Gegenzug ist aber auch in stärkerem Maße kreative Mitarbeit gefragt. Auch das gelingt nur in einem Klima des Vertrauens. Dieses Klima müssen wir als Führung gestalten – von oben nach unten, von unten nach oben, im Ressort und in die Bundeswehr.
Dieses Klima können wir etwa dadurch befördern, einmal nicht die abschließende Antwort zu formulieren, sondern eine Frage zu stellen. Fragende Vorgesetzte signalisieren Zutrauen, schaffen Motivation, ermutigen zur Mitverantwortung. Eine Bundeswehr, die gleichzeitig Neuausrichtung und Einsätze bewältigt, braucht Führungskräfte, die Fragen stellen. Vertrauensvolle Führung über Fragen muss auch fehlerhafte Antworten zulassen. Oder um es mit den Worten der Heeresdienstvorschrift 100/100 zu sagen: „Führen mit Auftrag setzt die Bereitschaft der bzw. des Vorgesetzten voraus, das Auftreten von Fehlern in der Durchführung hinzunehmen.“ Führung durch Vertrauen akzeptiert Fehler, weil sie um den Mehrwert an Erfahrung weiß. Aus Fehlern zu lernen heißt, an Erfahrung dazu zu gewinnen.
Ich rede hier nicht über blindes Vertrauen. Aufsicht, Kontrolle, Strenge – alles das muss sein. Es geht mir um die grundsätzliche Haltung zu den anvertrauten Menschen. Meine Überzeugung ist: Misstrauen schwächt Leistung und Charakter. Vertrauen stärkt Leistung und Charakter.
5. Führen durch Lob
Der richtige Umgang mit Lob zeichnet eine erfahrene Führungskraft aus. Viel zu oft – in Armeen auf der ganzen Welt – gilt jedoch: „Keine Kritik ist das größte Lob“. Sicher, der Dienst in der Bundeswehr ist keine Schönwetter-Veranstaltung. Aber gerade deshalb empfiehlt sich auch für die Bundeswehr das Prinzip Führen durch Lob.
Zu Recht fordern wir von der Gesellschaft Anerkennung für den Dienst, den die Mitarbeiter der Wehrverwaltung und die Soldaten hier in der Heimat und in den Einsätzen leisten. Diese Wertschätzung kann, sie muss dann aber auch bereits bei uns beginnen, – im Ministerium – und an jedem einzelnen Standort der Bundeswehr. Lob soll nicht alltäglich sein. Lob soll nicht schmeicheln. Lob soll nicht unehrlich sein. Lob muss auch differenziert sein. Lob kann persönlich ausgesprochen werden, aber auch „vor der Front“.
Ich rede hier nicht von Lobhudelei, die von Kommunikationsberatern zur besseren Stimmung in einem Betrieb empfohlen wird. Ich meine mit Führen durch Lob vielmehr, die Leistung anderer klug und differenziert anzuerkennen – insbesondere die Leistung von Untergebenen. Eine gute Konzeption zur Personalentwicklung gehört natürlich auch dazu.

Fast könnte man übrigens vermuten, de Maizière habe damit – auf seine Art – auch Teile der Vorschrift für die Innere Führung formuliert. Vielleicht sollte, überspitzt gefragt, das dann auch in diese Vorschrift hineingeschrieben werden?

Der Dresdner Erlass und auch die Rede des Ministers sind nur vordergründig Entscheidungen in organisatorischen Fragen – wie nicht zuletzt seine fünf Führungs-Beispiele deutlich machen. Auch wenn er in einer anderen Partei engagiert ist als der frühere SPD-Vorsitzende Franz Müntefering, hat sich de Maizière offensichtlich dessen Aussage als Leitschnur genommen: Organisation ist Politik.

Auf den Erlass selber will ich an dieser Stelle nicht im Detail eingehen; aber auf eine Fußnote (!) verweisen. Vordergründig nur organisatorisch heißt es in dem Abschnitt Leitung des BMVg unter anderem:

Dem Bundesminister der Verteidigung sind neben Entscheidungen, die ihm Gesetze oder sonstige Vorschriften zuweisen, abschließende entscheidungen über folgende Angelegenheiten seines Geschäftsbereiches vorbehalten:

(…)

Einsätze der Bundeswehr außerhalb des Hoheitsgebiets der Bundesrepublik Deutschland (…)

mit der Fußnote dazu:

Der Begriff des Einsatzes wird hier und in der weiteren Folge des Erlasses im militärfachlichen Sinne verwendet, unabhängig davon, ob es sich dabei um einen Einsatz i.S.v. Art 87a Abs2 GG oder einen Einsatz bewaffneter Streitkräfte i.S.d. Parlamentsbeteiligungsgesetzes oder um eine schlichte Verwendung von Streitkräften, beispielsweise im Rahmen der Amtshilfe handelt. Ein Einsatz in diesem Verständnis liegt danach vor, wenn die Streitkräfte einen besonders angeordneten, in der Regel befristeten, jenseits von Routinedienstbetrieb, Ausbildung und Übung angesiedelten Auftrag erfüllen, unabhängig davon, wie dieser Einsatz rechtlich einzuordnen ist.

Der Primat der Politik halt. Ausbuchstabiert.