Nichts ist gut in Afghanistan?
Wenn der Tag mit solchen Nachrichten beginnt, mag man Schlimmes befürchten. Vielleicht eine Frage der Perspektive.
The United States military has said in a secret report that the Taliban, backed by Pakistan, are set to retake control over Afghanistan after NATO-led forces withdraw from the country, Britain’s Times of London newspaper said Wednesday. – Reuters
(Nachtrag: Der ursprüngliche Bericht der Times ist zwar nicht offen zugänglich, ein Times-Korrespondent hat aber wesentliche Auszüge bei Google+ eingestellt.)
The Taliban in Afghanistan are being directly assisted by Pakistani security services, according to a secret Nato report seen by the BBC. – BBC
A man wearing an Afghan army uniform shot and killed a NATO service member, the international military coalition said Wednesday, the latest in a rising number of similar attacks. – AP
Hat man denn jemals etwas anderes erwartet? Die Frage ist doch nicht, ob man eine „Demokratie“ wird halten können, sondern wie lange man sie halten wird. Ich kann mir kaum vorstellen, dass dieser Berich hier neue Erkenntnisse gebracht hat…
Wenn man die Sonnebrille des PAO abnimmt dann sieht das in Afghanistan sicher nicht rosig aus. Das war aber alles bereits im Sommer klar als die NATO, nach Änderung der Definition von „Vorfällen“, verkündete das es davon nun weniger gäbe während alle anderen Organisationen, UN, ANSO etc., von mehr Vorfällen berichteten.
Zur letzten Meldung.
Könnte man da nicht auch „Afghan soldier shot and killed man in NATO uniform“ schreiben? Inhaltlich ist währe es genauso passend.
@b
Es ist ein Unterschied, ob der Täter afghanischer Soldat war oder zur Tarnung eine Uniform trug. Der eine wäre nämlich – ungeachtet seiner Motivation und ggf. bestehender Bezüge zu den Aufständischen – ein Innentäter und der andere hat die Uniform genutzt, um leichter, näher an sein Ziel zu kommen. Damit bestehen inhaltliche Unterschiede.
No shit, Sherlock.
Jedem war klar, days die Nennung eines definitiven Abzugtermins für den Feind eine willkommene Einladung war, so lange den Kof unten zu halten oder zumindest die eigenen Aktionen etwas zurück zu fahren, bis die NATO AFG verlassen hat.
Wer von den Aufständischen halbwegs pfiffig ist, liegt in PAK auf der faulen Haut, sammelt Geld und Waffen, und schlägt ab 2014 wieder zu.
Dann mit erheblich weniger Gegenwehr.
Wie bei den Wikileaks-Dokumenten konstruieren manche Medien jetzt aus der Tatsache, dass die Aussagen von Aufständischen in einem als „geheim“ eingestuften NATO-Bericht wiedergegeben werden, dass die NATO diese Aussagen quasi bestätige. Immerhin macht die BBC als Qualitätsinstitution diesen Fehler nicht.
Ein Beispiel für einen Fehlschluss, der bestimmt noch im Laufe dieses Tages aus dem Bericht gezogen werden wird, ist die Aussage, dass die Masse der Bevölkerung landesweit die Aufständischen unterstütze. Wenn man annimmt, dass die Aufständischen, die dies äußerten, ihre authentische Wahrnehmung vorbrachten, dann bedeutet dies jedoch nur, dass die Bevölkerung in den Herkunftsräumen dieser Aufständischen dies aus im Medienbericht nicht genannten Gründen tut. Wenn man die Herkunftsräume, ethnischen Hintergründe etc. dazu nennen würde, würde man aber erkennen, dass die Gefangenen keine repräsentative Stichprobe der Gesamtbevölkerung darstellen. Die Aussagen sind daher m.E. nur als Ausgangspunkt für weitere Fragen geeignet: Wo kamen die Aufständischen her? Wie äußert sich die mutmaßliche Unterstützung der Bevölkerung? Wie grenzt man Unterstützung von Akzeptanz ab? Ist die Sympathie oder Antipathie individueller Afghanen überhaupt relevant, oder überträgt man hier westliche Vorstellungen auf eine anders funktionierende Gesellschaft? Wie entwickelte sich die mutmaßliche Unterstützung? Welche Faktoren sind ausschlaggebend für Anstieg oder Rückgang der Unterstützung?
Die Diskussion dieser Fragen findet statt und ist auch offen zugänglich (z.B. hier: http://publicintelligence.net/ufouo-center-for-army-lessons-learned-how-the-taliban-take-a-village/), aber offenbar zu komplex für viele Medien.
Was hingegen über die Rolle der Pakis gesagt wird, ist so offensichtlich wie die bis vor einigen Tagen ebenfalls nicht offizielle Durchführung von Drohneneinsätzen durch die Amerikaner in Pakistan.
Das Argument „ab 2014 schlagen die Taliban ungehemmt los“ greift auch in die andere Richtung, ab 2014 gibts auch für Nichtpaschtunen weniger Hemmnisse beim Zuschlagen. Und nach wie vor bleibt ja eine Luftwaffenbasis in Afghanistan erhalten, d.h. gelegentliche Eingriffe von oben sind weiterhin realistisch.
Im Prinzip gibts zwei Parteien in Afghanistan, die Paschtunen, extrem schlecht gebildet und bettelarm, und die Nichtpaschtunen, vergleichsweise wohlhabend und gut gebildet. Auf der einen Seite Steinzeitkrieger mit 90% Analphabeten, auf der anderen Seite Warlords mit Panzern, Kanonen, Luftwaffe und ausgebildeten Truppen. Beide Seiten ohne Regeln, das wird interessant.
@Crass
Hatten wir schonmal. Mao hat gewonnen.
In dem BBC-Artikel heißt es:
Wir erinnern uns: Auch Osama bin Laden lebte unmittelbar neben der pakistanischen Militärakademie in Abottabad. Die pakistanischen Streitkräfte nehmen ihre Schutzbefohlenen offenbar immer ganz intensiv unter die Fittiche.
@TomTom – Jedem war klar, days die Nennung eines definitiven Abzugtermins für den Feind eine willkommene Einladung war, so lange den Kof unten zu halten oder zumindest die eigenen Aktionen etwas zurück zu fahren, bis die NATO AFG verlassen hat.
Anscheinend halten die aber den Kopf garnicht unten:
On the Ground in Afghanistan, a Taliban Whose Momentum Seems Anything but Broken
Achtung OT:
8. Petersberger-Gespräche zur Sicherheit am 10. März 2012
Für diese Veranstaltung habe ich eine Einladung weiter zu geben, da ich selbst verhindert bin; bei Interesse bitte Mail an mich.
heiko.kamann ät kabelmail.de
Mal eine Frage in die Runde.
Wer hat warum ein interesse daran interne NATO Berichte zu veröffentlichen die die Situation in Afghanistan negativ darstellen?
Es sit bekannt das einige U.S. Militärs gegen den Abzug der „Surge“-Truppen am Ende des Jahres sind. Kommt das aus der Ecke?
Ein langer Auszug aus dem Bericht der Taskforce 3-10 (anscheined Night Raid SpecOps) den die London Times veröffentlicht hat findet sich hier
@b
„Es sit bekannt das einige U.S. Militärs gegen den Abzug der “Surge”-Truppen am Ende des Jahres sind. Kommt das aus der Ecke?“
Das Durchstechen des Berichts an die Medien könnte genausogut mit dem Motiv erklärt werden, dass man die Öffentlichkeit auf einen Rückzug vorbereiten will (Verweis auf die Unterstützung der INS in der Bevölkerung). Die Aussagen bzw. politischen Implikationen des Berichts sind m.E. zu uneinheitlich, um politische Motive zu unterstellen. Man hätte politische Zwecke viel besser durch Weitergabe eines enger gefassten Dokuments erreichen können, dass sich den Aspekt herausgreift, den man in der öffentlichen Wahrnehmung herausstellen will.
Vielleicht wollte sich ja auch nur jemand beim Journalisten wichtig machen oder hat in der Gandamack Lodge einen zuviel getrunken.
„SpecOps“ heissen übrigens SOF oder ganz altmodisch SpezKr, und „Night Raids“ heissen „Direct Action“ (die auch tagsüber stattfinden kann). In der deutschen Diskussion proliferieren leider gerade wieder Pseudofachbegriffe wie „targeted killing“ (kinetic targeting), die nicht korrekter werden, weil sie englisch klingen.
Eigentlich kann die jetzt veröffentlichte Situationsbeschreibung niemanden überraschen. Die Zustände hat sowohl Ahmed Rashid in seinem Buch über die Rückkehr der Taliban, als auch der Reporter der New York Times „A Year at War“ über den Krieg im Korengal Tal beschrieben.
Es ist an der Zeit, dass die Staaten der Nato ein paar Fakten über den Krieg in AFG anerkennen :
1. Es ist ein ähnlicher Stellvertreterkrieg zwischen Indien und Pakistan wie er seinerzeit zwischen Sowjetunion und den USA stattfand.
2. Pakistan ist unser Feind in Afghanistan. Insofern waren der Luftschlag gegen einen pakistanischen Grenzposten mit 24 toten pakistanischen Soldaten meiner Meinung nach kein Versehen sondern die Abriegelung des Nachschubweges in der Tiefe.
Das Haqqani- Netzwerk wird direkt vom ISI gesteuert, ist quasi die Exekutive des pakistanischen Geheimdienstes.
3. Die ehemaligen „Warlords“ des Nordens, die sich kürzlich im Aspen Institut in Berlin mit amerikanischnen Kongressabgeordneten trafen, bereiten sich auf den Nato-Abzug vor und wollen ein Bollwerk gegen die Taliban und gegen Karzai, allgemein gegen die Paschtunen aufbauen.
4. Man kann mit den Taliban aushandeln was man will, sie werden sich sowieso nicht an die Abmachung halten. Maximal kann man einen relativ geordneten Abzug aushandeln, aber nicht weil die Taliban uns mögen, sondern nur um die Verluste der Gegner in der Abzugsphase zu minimieren. Dies muss aber mit überragender militärischer Macht abgesichert werden.
5. Saudi Arabien ist der weltweite geistige Brandstifter des islamischen Extremismus. Sie fördern weltweit extremistische Koranschulen, die Madrassas, die Moscheen, die Aufstandsbewegungen usw. mit ihrem Geld.
6. In den Stammesgebieten gibt es weit über 50 Ausbildungslager für die Taliban und andere Aufständische, von Pakistan geduldet, für die Nato trotz Drohnenangriffe oftmals nicht erreichbar.
7. Der Westen finanziert die Taliban über die Transport- und Schutzgeldzahlungen für den Nachschub der Nato-Truppen.
Die Frage ist also nur noch wie kommen unsere Truppen da einigermaßen heil raus ?
Danach wird die afghanische Armee nach den Ethnien der Soldaten aufgeteilt werden, die Warlords übernehmen, stecken ihre Einflussbereiche ab und Präsident Karzai muss um sein Leben fürchten. Immerhin sind erst zwei Präsidenten in AFG im letzten Jahrhundert eines natürlichen Todes gestorben.
Georg | 01. Februar 2012 – 20:27
„Die Frage ist also nur noch wie kommen unsere Truppen da einigermaßen heil raus ?“
Ich ertappe mich dabei, das ich beim lesen Ihres Beitrags zustimmend genickt habe … jedoch stellt sich für mich die Frage nach Ihrer Analyse: Für was sind Soldaten der Bundeswehr gefallen; bzw. verletzt oder erkrankt?
Bitte nicht antworten … die Frage war rhetorisch.
Ich versuche mich doch in einer Antworten; sagen wir es mal so – die Erfahrungen aus AFG haben (den Großteil) unsere(r) Armee in die Realität katapultiert und wir haben eine Entwicklung durchlebt, die vor zehn Jahren schlichtweg undenkbar war.
@ Heiko Kamann
So bitter wie es klingt, ich befürchte Voodoo hat größtenteils recht!
Und ich bitte die Rechtschreibfehler zu entschuldigen, war wohl ein wenig zu spät gestern abend…