Scharfe Schüsse auf den Strand (2): Die Wasserbewegung des Meeres
Die Überlegungen und Diskussionen in der Europäischen Union, die Möglichkeiten ihrer Antipiraterie-Mission Atalanta auf den Strand auszudehnen und dort Gerät der Seeräuber Somalias zu zerstören, laufen offensichtlich schon eine Weile – haben aber in der Berliner Politik zum Jahresende erheblichen Staub aufgewirbelt. Zur der Debatte haben deshalb die Sprecher von Verteidigungsministerium, Stefan Paris, und des Auswärtigen Amtes, Andreas Peschke, heute vor der Bundespressekonferenz Stellung genommen. Zur Dokumentation hier der Wortlaut – einschließlich der Klärung der Frage: Was ist Strand?
Paris: Ich möchte eine Agenturmeldung von heute Morgen zum Anlass nehmen, diese zu korrigieren.
Dort heißt es, dass die SPD der Bundesregierung vorwerfe, den Bundestag über den Anti-Piraten-Einsatz im Rahmen der Mission Atalanta getäuscht zu haben. Das ist nicht richtig. Wir haben zuletzt mit Datum vom 21. Dezember schriftlich das Parlament unterrichtet, wie der Diskussionsstand in Brüssel in Bezug auf das Thema Atalanta-Mission ist. Ich möchte das gerne auch zitieren. Das ist die Unterrichtung des Parlaments, herausgegeben vom Bundesverteidigungsministerium. Dort heißt es auf Seite 12 ‑ ich zitiere ‑:
„Am 20.12. befasste sich das Politische und Sicherheitspolitische Komitee mit der Thematik ‚Zerstörung von Piratenlogistik am Strand’ und bat den Auswärtigen Dienst der Europäischen Union erstens, das Unterstützungsangebot an die somalische Regierung anzupassen, zweitens deren Einwilligung einzuholen sowie drittens die Ratsentscheidung zur Anpassung der gemeinsamen Aktion vorzubereiten. Die somalische Übergangsregierung hat bereits im Vorfeld Unterstützung zu dieser Operation signalisiert. Der Operationskommandeur wurde beauftragt, den Operationsplan und die RUE („Rules of Engagement“) zu überarbeiten und dem PSK zur Indossierung vorzulegen. Vor einer eventuellen deutschen Beteiligung an Operationen am Strand ist eine Änderung des nationalen Mandats des Deutschen Bundestags erforderlich.“ ‑ Zitatende.
Ich habe Ihnen das in der Länge vorgelesen, damit deutlich wird, dass eine Unterrichtung des Parlaments zuletzt schriftlich am 21. Dezember des Jahres stattgefunden hat.
Peschke: Ich wollte dazu ebenfalls in zweifacher Sicht Stellung beziehen. Zum einen wollte ich ausdrücklich unterstützen und bekräftigen, was Herr Paris hier gerade eben gesagt hat. Es gab zu dem Anti-Piraterie-Einsatz im Rahmen der EU-Mission jederzeit eine transparente Unterrichtung des Parlaments, auch zu Überlegungen innerhalb der EU, wie diese Anti-Piraterie-Mission Atalanta effektiver gemacht werden kann.
Diese Überlegungen gibt es in Brüssel schon seit geraumer Zeit. Wir haben das auch noch einmal nachverfolgt. Bereits am 28. September wurde der Verteidigungsausschuss des Deutschen Bundestags ausführlich über die in Brüssel damals schon laufenden Diskussionen über eine mögliche Erweiterung der EU-Mission Atalanta im Sinne von Zerstörung von Piraterielogistik am Strand unterrichtet. Bei der Behandlung des aktuellen im Dezember verabschiedeten Bundestagsmandats für die deutsche Beteiligung an der Mission wurden die zuständigen Fachausschüsse des Deutschen Bundestages ‑ Verteidigungsausschuss und Auswärtiger Ausschuss ‑ auch über die in Brüssel laufenden Überlegungen unterrichtet. Das war Ende November vor der Verabschiedung des Atalanta-Mandats. Da wurde den zuständigen Fachpolitikern im Bundestag auch klar mitgeteilt, dass es diese Diskussion in Brüssel gibt, dass sie allerdings noch nicht abgeschlossen ist.
Es ist ja auch heute der Stand, dass die Diskussion noch nicht abgeschlossen ist, dass die Überlegungen weiterhin angestellt werden, es aber noch keine politische Entscheidung gibt und dass im Fall eines entsprechenden EU-Beschlusses selbstverständlich der Bundestag in aller Form dann auch wieder beteiligt werden würde, wie sich das gehört. Auch Bundesaußenminister Westerwelle hat in seiner Bundestagsrede zur Einbringung von Atalanta deutlich gemacht, dass für ihn die Beteiligung des Bundestages in dieser Frage natürlich eine Selbstverständlichkeit ist. Das zum einen zu Atalanta.
(…)
Frage: Eine Frage an das Auswärtige Amt beziehungsweise das Verteidigungsministerium zur Mission Atalanta. Es gab unter den politischen Reaktionen auch eine Reaktion in dem Sinne: Wenn man den Operationsplan der EU entsprechend ändert, heißt das noch nicht, dass die Bundeswehr daran beteiligt wird. Ist für die Bundesregierung auch eine Option, dass man in Brüssel zustimmt, aber das Mandat nicht ändert und damit die Bundeswehr weiter aus dieser Art von Operation am Strand heraushalten würde?
Peschke: Ich habe auch vernommen, dass diese Diskussion im politischen Raum geführt wird. Allerdings ist es für die Bundesregierung für eine solche Diskussion noch zu früh. Zunächst einmal sind wir in Brüssel dabei, die technisch-operative Machbarkeit einer solchen Operationserweiterung zu prüfen. Das Politische und Sicherheitspolitische Komitee der EU hat dazu am 20. Dezember einen entsprechenden Auftrag erteilt. Jetzt ist der EAD, der Operation Commander beauftragt, entsprechende Planungen vorzulegen. Dann wird sich die EU auf politischer Ebene im PSK wieder über diese Planungen beugen und festzustellen haben, ob diese Planungen politisch umsetzbar und machbar sind. Dann kann es erst zu einer EU-Beschlussfassung kommen, die dann voraussichtlich beim Rat der Außenminister erfolgen würde.
Bevor diese Überlegungen nicht abgeschlossen sind, bevor kein Beschluss gefasst ist, ist es natürlich zu früh, die Frage einer Beteiligung zu erörtern. Fest steht, dass in jedem Fall der Deutsche Bundestag befasst wird, wenn es zu einer signifikanten Änderung der bisherigen EU-Beschlusslage zu Atalanta kommt ‑ umso mehr, wenn die Frage anstehen sollte, ob sich deutsche Kräfte dann an einem solchen Einsatz beteiligen.
Paris: Kein Zusatz meinerseits. Genauso ist es richtig dargestellt.
Zusatzfrage: Eine eher technische Frage: Wie definieren Sie „Strand“? Wie tief ist der „Strand“? Wie weit würde eine entsprechende Operation „am Strand“ gehen?
Paris: Es gibt eine juristische Definition zum Begriff „Strand“. Das ist die sogenannte Küstenlinie. Das ist die Linie, wo die Wasserbewegung des Meeres stattfindet. Damit ist natürlich einbezogen, dass, wenn es zu Ebbe und Flut kommt, immer entlang der Küstenlinie der Strand definiert wird. Eine nähergehende Definition zum Beispiel in dem Sinne „10 Meter von der Wasserlinie weg“ gibt es nicht, sondern es ist auf die Wasserlinie und auf einen entsprechenden adäquaten Raum bezogen, der dazu gehört. Dieser ist aber durchaus von einem begrenzten Horizont.
Frage: Herr Peschke, Sie haben gerade so schön beschrieben, was alles noch geprüft, geplant und dann wieder geprüft wird, bevor es dann eventuell zu einer Beschlussfassung kommt. Gibt es dafür ungefähr einen Zeithorizont? Reden wir von der ersten Jahreshälfte oder von Anfang des Jahres? Könnten Sie das vielleicht ein bisschen eingrenzen?
Zweitens. Was weiß man über die Infrastruktur, die es zu zerschlagen oder zu kontrollieren gilt? Wie gefährlich wäre eine solche Mission? Können Sie dazu etwas sagen?
Peschke: Zu dem ersten Punkt: Es gibt eine Zeitvorstellung, die noch weiter konkretisierungsbedürftig ist. Die Erwartung ist, dass erste Überlegungen und Planungen seitens des EAD, des Operationskommandeurs im Januar vorliegen sollen, damit man sich damit erstmals beschäftigen kann. Ob das schon der ausgearbeitete Operationsplan ist, ob das nur Optionen sind oder ob das Überlegungen auf dem Weg hin zu einem Operationsplan sind, sei noch offen gelassen. Aber anhand von jetzt zu leistenden Vorarbeiten der europäischen Institutionen und der Einsatzgruppe soll dann im Januar die Diskussion fortgesetzt werden.
Paris: Das Zweite ist Gegenstand dessen, was der im Hauptquartier in Northwood zuständige Befehlshaber als Auftrag durch die Europäische Union, durch das Politische und Sicherheitspolitische Komitee bekommen hat, nämlich festzustellen: Was ist da? Was kann man dort machen? Welche Möglichkeiten bestehen? Wie sind sie gegebenenfalls militärisch umsetzbar? All diese Fragen werden durch diesen Auftrag des PSK an den zuständigen Befehlshaber beleuchtet.
Ich möchte einfach noch einmal auf etwas hinweisen: Das ist eine lange Landesgrenze zur See. Wenn ich es recht in Erinnerung habe, sprechen wir über rund 3.000 Kilometer Küste Somalias zum Meer. Insofern ist das natürlich auch Gegenstand dessen, was der Befehlshaber zu untersuchen hat.
Frage: Herr Paris, müssten die eingesetzten Kräfte dann nachgeschult werden? Oder gehören Strandeinsätze jetzt schon zum Ausbildungsspektrum?
Paris: Die Frage ist geschickt gestellt.
Zusatz: Danke.
Paris: Bitte. ‑ Ich würde mich auf das beschränken, was Herr Peschke gesagt hat, dass wir zunächst einmal sehen müssen, wie die Aufbereitung des Auftrags durch den zuständigen Befehlshaber erfolgt, mit welchen Handlungsoptionen, mit welchen Möglichkeiten er dann das PSK befassen wird und wie dort die Beratungen laufen werden. In Abhängigkeit dessen muss dann natürlich auch festgestellt werden, wer das wie machen kann.
Es wäre zum heutigen Zeitpunkt viel zu weit vorgegriffen, sich jetzt darüber Gedanken zu machen, wer das explizit machen kann, wer dafür trainiert ist, wer die Ausrüstung hat etc. Das eine folgt immer dem anderen: Erst einmal darüber nachdenken, ob man etwas machen will. Zweitens muss man darüber nachdenken, was man machen kann, wenn man etwas machen will. Wenn man die ersten beiden Fragen beantwortet hat, stellt sich drittens die Frage: Wer kann es am besten tun? Aber davon sind wir noch ein gutes Stück weit entfernt.
Peschke: Ich möchte noch eine Ergänzung machen, um die Sache einzuordnen.
Man gewinnt jetzt ein bisschen den Eindruck, als ob diese beschränkte Erweiterung der EU-Beschlusslage zu Atalanta ‑ namentlich die Zerstörung von Piraterielogistik am Strand ‑ das einzige Thema wäre, was wir im Zusammenhang mit Somalia hier in Deutschland beziehungsweise in der Bundesregierung oder in der EU besprechen würden. Das ist natürlich Teil von sehr grundsätzlichen und umfassenden Überlegungen, wie wir mit dem Problem der staatlichen Instabilität und in weiten Teilen mit den nicht vorhandenen staatlichen Strukturen in Somalia umgehen und wie wir das daraus abgeleitete Problem der Piraterie angehen können.
Dagegen ist sozusagen die Flanke EU/Atalanta als Teil einer internationalen Anstrengung zur Sicherung von Schifffahrtswegen, zur Sicherung von humanitären Transporten und zur Eindämmung von Piraterie nur ein kleiner Teil der Überlegungen, die wir anstellen. Allein die EU hat noch zahlreiche andere Aktivitäten und laufende Überlegungen angestellt. Zum Beispiel gibt es diese European Training Mission Somalia für somalische Soldaten, die in Uganda stattfindet, in deren Rahmen bisher schon 1.900 Soldaten ausgebildet wurden und die der Übergangsregierung zur Verfügung gestellt wurden, um im Rahmen der Möglichkeiten für eine verbesserte Sicherheitslage in Somalia zu sorgen.
Dann gibt es, wenn ich das richtig in Erinnerung habe, die Überlegung ‑ ich las das heute in einer Zeitung ‑, Küstenwachfähigkeiten im Bereich der ostafrikanischen Küsten aufzubauen. So ähnlich wie jetzt mit der Beauftragung des EAD und des Force Commander hinsichtlich von EU-Atalanta Planungen angestellt werden, gibt es einen Auftrag an den EAD, eine mögliche zukünftige europäische Mission unter dem Namen „Regional Maritime Capacity Building“ vorzubereiten, also zum Aufbau von regionalen maritimen Fähigkeiten. Im Rahmen dieser Mission soll es zum Beispiel auch um die Befähigung der Nachbarstaaten Somalias gehen, noch engagierter in den Kampf gegen die Piraterie einzugreifen, um die dortigen Küstenwachfähigkeiten auszubauen.
Es soll darum gehen, dass man in den derzeit schon etwas stabileren Regionen Somalias ‑ zum Beispiel in Puntland in Somaliland ‑ zu einer besseren Strafverfolgung von Piraten kommt, die zum Beispiel die Nutzung des Strandes auf diese Art und Weise für die Piraten unmöglich machen soll. Das sind Überlegungen, die in der EU angestellt werden, um unsere Bemühungen hinsichtlich Somalia zu flankieren.
Darüber hinaus möchte ich sagen, dass die humanitäre Notlage in Somalia für uns eines der ganz wesentlichen Handlungsfelder ist. Wir gehen davon aus, dass sich 12, 13, 14 Millionen Menschen in einer akuten humanitären Notlage befinden. Wir reagieren natürlich darauf mit einer massiven Zurverfügungstellung von humanitären Mitteln für Somalier und für die gesamte ostafrikanische Region, die aufgrund von Nahrungsmittelknappheit in den letzten Monaten zudem noch von einer Hungerkatastrophe ereilt wurde. Allein die Bundesregierung hat in der aktuellen Krise ‑ verteilt über verschiedene Kanäle internationaler Organisationen ‑ 170 Millionen Euro für das gesamte Horn von Afrika zur Bewältigung dieser humanitären Notlage zur Verfügung gestellt.
Das soll Ihnen verdeutlichen, dass im Rahmen der Krise von Somalia unsere Gedanken niemals still stehen, sondern sich in ganz verschiedene Richtungen bewegen, wie wir diese Krise bewältigen oder wenigstens im Interesse der Menschen vor Ort lindern können.
Frage: Trotzdem noch eine Frage zu dieser begrenzten Erweiterung des militärischen Mandats. Gibt es zum jetzigen Zeitpunkt schon eine rote Linie, die die Bundesregierung für die Erweiterung ziehen würde? Zum Beispiel „no boots on the ground“?
Peschke: Es ist in der Tat wiederum zu früh, (dazu etwas zu sagen), so lange die Details der Planung nicht vorliegen. Ich kann Ihnen nur die Beschlusslage schildern, was also im PSK beschlossen wurde, was auch vorgeschlagen wurde. Was vonseiten des Force Commander vorgeschlagen wird, ist eine begrenzte Zerstörung von Piraterielogistik am Strand, kein Einsatz zu Lande.
Diplomatenlogik: Am Strand ist nicht zu Lande.
Soso.
Es geht doch um die Zerstörung von Piratenlogistik an Land und nicht an der Wasserlinie. Dort wo die „Wasserbewegung des Meeres“ ist ist sicher keine Piratenlogistik zu finden. Da versucht man uns offensichtlich auf die Schippe zu nehmen.
Dass der Sprecher des Verteidigungsministeriums tiefschürfende Betrachtungen darüber anstellt, wo das Meer aufhört und der Strand anfängt, das gibt es wohl nur in Deutschland. Als Satiriker wird man da arbeitslos.