Politikberatung: „Strategielos in Afghanistan“
Die Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) gilt oft als ein (zu) regierungs-naher Think Tank. Das recht aktuelle Papier Strategielos in Afghanistan –
Die Operationsführung der Bundeswehr im Rahmen der International Security Assistance Force von Philipp Münch zeigt, dass die auch mal draufhauen können…
Aus der Zusammenfassung:
Diese Studie zeigt, dass von Seiten des Militärs das Fehlen einer klaren politischen Strategie für Afghanistan nicht kompensiert werden kann. Vielmehr führt dieses Defizit im Fall der ISAF dazu, dass strategische Entscheidungen innerhalb der NATO-Kommandostrukturen immer weiter nach unten delegiert werden. Somit sieht sich dann die niedrigste operative Ebene mit dem Problem konfrontiert, Operationen ohne ein konkretes übergeordnetes Ziel führen zu müssen.
(Danke für den Leserhinweis.)
Schön, dass sich die Einrichtung, die sich als zentraler sicherheitspolitischer Think-Tank in Deutschland wahrnimmt, im elften Einsatzjahr auch mal grundsätzlich zum Thema Afghanistan-Strategie äußert. Als solche Beiträge wichtig gewesen wären (zuletzt 2008/2009 als der deutsche Ansatz in Kunduz/Baghlan endgültig scheiterte), hat man sich ja deutlich zurückgehalten, was auch damit zusammenhängen dürfte, dass allzu frei denkende Mitarbeiter bei der SWP keine Perspektiven haben. Wenn man also nun kritischer klingt als früher bzw. relevantere Fragen berührt, dann dürfte dies weniger mit inhaltlichen Gründen zusammenhängen als damit, dass der politische Konsens, dem man in der Regel folgt, sich langsam in Richtung eines Endes des Einsatzes verändert. Als Gradmesser für diesen Konsens taugen die Arbeiten der SWP also immerhin noch etwas.
@ Orontes
„Als Gradmesser für diesen Konsens taugen die Arbeiten der SWP also immerhin noch etwas“
Eine elegante Formulierung aus Ihrer Feder, die ja ansonsten sich eher nicht zurückhält. Da bin ich schon überrascht.
Nix für ungut
@Orontes: Dass sich Wissenschaftler der SWP nicht bereits grundsätzlich zu Defiziten der AFG-Strategie oder Strukturen geäußert haben, stimmt nicht. Zur Verdeutlichung zitiere ich kurz die Afghanistan-Expertin Citha Maaß aus einer Studie von 2008 (Nr. 23), S. 14: „Da das Grunddesign den Bodenverhältnissen nicht angepasst wurde und die tragenden Wände falsch konzipiert waren, droht dem ganzen Haus nun der Einsturz.“
Entsprechend ist das folgende Kapitel auch mit „Probleme der Nato-Strategie“ betitelt und dort schreiben Timo Noetzel und Benjamin Schreer auf S. 31: „Wenig diskutiert, aber umso dringlicher ist eine diskussion über die veränderte Einsatzrealität in Afghanistan und die sich hieraus ableitenden Konsequenzen.“
@Stefan
„Timo Noetzel und Benjamin Schreer auf S. 31: “Wenig diskutiert, aber umso dringlicher ist eine diskussion über die veränderte Einsatzrealität in Afghanistan und die sich hieraus ableitenden Konsequenzen.”“
Leider hat die SWP die angemahnte Diskussion selbst nicht führen wollen. Was die Herren Noetzel und Schreer z.B. in der zitierten Studie über die Operation Harakate Yolo II schreiben, bleibt an Analyse noch hinter dem zurück, was sich damals in besseren Tageszeitungen fand, umschreibt die Probleme allenfalls indirekt und so, dass es keinem wehtut, und spricht die „veränderte Einsatzrealität und die sich hieraus ableitenden Konsequenzen“ so indirekt und verwässert an, dass alle Relevanz verloren geht.
An die konkreten Fragen, die damals zu diskutieren gewesen wären, hat die SWP sich zumindest in ihren öffentlichen Produkten überhaupt nicht herangewagt. Es gab z.B. eine lebhafte „Diskussion“ (eigentlich war es eher ein kollektiver Aufschrei der Empörung) zum Thema „gezielte Tötungen“. Die SWP hätte hier z.B. sachlich und unaufgeregt völkerrechtliche Situation und taktisch-operative Wirkung anhand vorliegender Erfahrungen analysieren können. Aber wer in diesem Bereich Karriere machen will, liefert eben nur das ab, was der Auftraggeber hören will.
Wirklich interessant wären mal die quantitativ-empirischen Untersuchungen des Einsatzes. Hier wäre aber dann das DIW gefragt und die verbrennen sich da sicher nicht die Finger.
Bei der Bewertung von SWP-Gutachten sollte man nicht vergessen, dass -ganz abstrakt- zwischen „ist der Einsatz grdsl. sinnvoll“ und „ist der Einsatz zweckmäßig“ unterschieden werden muss.
Und solange die Linkspartei oder die Böll-Stiftung nicht das Geld haben, eine große SWP-Studie zu finanzieren, wird der Tenor eben schon grob im Sinne der Zahler sein. Anders als bei wirtschaftlichen Fragen ist die Zahl der an objektiven Meinungen zu Afghanistan Interessierten doch -vorsichtig ausgedrückt- eher gering…
Aktuelle Beispiele für Dinge, die man weder von Generalen auf Konferenzen noch von der SWP jemals hören wird:
http://ricks.foreignpolicy.com/posts/2011/11/09/19_true_things_generals_cant_say_in_public_about_the_afghan_war_a_helpful_primer
@Orontes: starke Worte, die bei FP aufgelistet werden. Aber es sind doch größtenteils Spekulationen und Meinungen, im Übrigen „nur“ pessimistisch geprägte Aussagen ohne Hand und Fuß. Was die SWP betrifft, solche emotionalen (von Leuten aus dem Einsatz) Meinungen haben ja nunmal keine empirische Basis und werden damit auch schlecht Ergebnisse von Studien sein können. Zudem gibt es durchaus Generäle, die sich öffentlich – auf Konferenzen oder Vortragsveranstaltungen/Podiumsdiskussionen – sehr kritisch äußern. Und einige der auf der FP-Seite zu findenden Sätze wurden auch bereits (dfast eins zu eins ins Deutsche übersetzt) bspw. von ehemaligen RC-North Kommandeuren öffentlich geäußert!
@Stefan
„Aber es sind doch größtenteils Spekulationen und Meinungen, im Übrigen “nur” pessimistisch geprägte Aussagen ohne Hand und Fuß….solche emotionalen (von Leuten aus dem Einsatz) Meinungen haben ja nunmal keine empirische Basis…“
Direkte Erfahrungen aus dem Einsatz haben m.E. auf jeden Fall eine bessere empirische Basis als das meiste, was ein Auswerter der SWP auch unter den besten Bedingungen von Deutschland aus produzieren könnte. Und jede der von Ricks aufgeführten Thesen wäre zudem empirisch prüfbar, wenn sich denn jemand an die Prüfung wagen würde. Aber die SWP bleibt lieber bei unverfänglichen Themen, die man mit gängigen Floskeln wie „wir brauchen eine Stärkung der zivil-militärischen Zusammenarbeit“ abdecken kann. Wenn eines Tages die Geschichte des gescheiterten Einsatzes der Bundeswehr in Afghanistan geschrieben wird, sollte man ein Kapitel auch dem Scheitern der deutschen Think-Tanks widmen (die SWP hat nicht als einziger schlechte Arbeit geleistet), die zu keiner der relevanten Fragen von Einzelfällen abgesehen Substanz geliefert oder notwendige Diskussionen angestoßen haben.
@Orontes: Spätestens nach Ihrem letzten Kommentar bin ich mir nicht mehr sicher, ob Sie diese Studie überhaupt gelesen haben…
@Punchball
„“Spätestens nach Ihrem letzten Kommentar bin ich mir nicht mehr sicher, ob Sie diese Studie überhaupt gelesen haben…“
Wenn Sie konkreter werden, erkenne ich vielleicht, worin Ihr Einwand genau besteht. Ich wiederhole nochmals zur Klarstellung: Die Beiträge sind m.E. voller Platitüden und umschiffen die wesentlichen Fragen größtenteils. Am deutlichsten erkennbar wird dies am Beitrag von Schreer und Noetzel zum Thema Counterinsurgency, den ich gerne mit Ihnen Absatz für Absatz durchgehe.
@Orontes: Volle Zustimmung! Mein Kommentar bezog sich aber auf die aktuellste Studie, auf die dies m.E. nicht zutrifft.
Der Soldat der Bundeswehr soll Loyal gegenüber der Sache und nicht gegenüber Personen oder Ideologien sein. Wie kann der Soldat den Loyalität auf Grundlage einer Sache (hier: politische Strategie)entwickeln, die defakto nicht existent ist ?
Ergebnis ist, dass sich der Soldat im Einsatz wieder auf die Androhung und Anwendung militärischer Gewalt konzentriert. Der Soldat wird wieder zum Kämpfer, eingebunden in die kleine Kampfgemeinschaft, geprägt durch Kameradschaft, Männlichkeit, Tradition und Härte. Das Ideal des Staatsbürgers in Uniform tritt in den Hintergrund. Nicht die Prävention, sondern der Kampf an sich wird zum Ziel militärischen Handelns.
@ Patrick
“ ..sondern der Kampf an sich wird zum Ziel militärischen Handelns.
Ist die Erkenntnis neu?
Aus den bisherigen Kommentaren entnehme ich eine grundsätzlich positive Lesart der SWP-Studie.
Leider kann ich mich dem überhaupt nicht anschließen, da sie zwar auf die richtigen (i.S.v. existierenden) Problemfelder blickt, indes derart viel handwerkliche (i.S.v. augenscheinlicher Unkenntnis des Systems Bw u.a.) Fehler beinhaltet, dass ich sie weder als wissenschaftlich noch als wegweisend / relevant betrachten kann.
Beispiel:
Es ist zwingende Voraussetzung zu verstehen, was für die Bw strategisch – operativ – taktisch bedeutet – und was es in der NATO bedeutet,
um kritisieren zu können, dass sich diese Begrifflichkeiten / Führungsebenen in dem eher neuartigen ISAF-Szenario mglw verschoben haben und anders zu bewerten / zu sortieren sind.