Eine Warnung vom Bundespräsidenten
Bundespräsident Christian Wulff ist heute zu seinem ersten Besuch in Afghanistan (um zum ersten Besuch eines deutschen Bundespräsidenten seit 1967) in Afghanistan eingetroffen. Ausführliche Berichte über den Besuch sind überall zu finden, zum Beispiel hier und hier (und über das Kinderrad als Geschenk für Karzais Sohn), das muss ich nicht nacherzählen.
Aber einen Punkt greife ich auf: Wie Diplomaten gebraucht auch ein Bundespräsident eine sehr subtile Sprache. Und wenn man diesen Maßstab anlegt, ist diese Passage aus seiner Tischrede beim Mittagessen mit Präsident Hami Karzai schon ziemlich deutlich:
Vor Ihnen liegen große Aufgaben. Umso wichtiger wird es sein, dass die Menschen in Afghanistan im Zuge dieses Prozesses spürbare Verbesserungen ihrer Situation erfahren. Sie brauchen wirtschaftliche und soziale Perspektiven, aber sie müssen auch mehr Vertrauen in verantwortliche staatliche Institutionen und Sicherheitskräfte fassen können.
Weniger subtile Gemüter würden vermutlich sagen: Verdammt, Karzai. Ihr müsst auch selbst was tun, damit es in Afghanistan voran geht.
Aber leider weiß Herr Karsai, da wir ihn nicht fallenlassen werden, trotz Wahlfälschung und Korruption.
Denn wir habe keine Alternative, keinen Plan und wollen nur nach Hause. Das maximal erreichbare für die westliche Afghanistan-Politik ist, den Eindruck zu wahren, wie wenn wir es ernsthaft versucht haben.
Da guckt Karzai dann auf seine Kontoauszüge , alle dick im schwarzen Bereich, und gähnt.
Auch wenn sie verklausuliert sind – wir wissen alle, dass diese Hinweise völlig richtig sind. Nicht wenige Truppenteile der ANA sind völlig unzuverlässig, die ANP ist korrupt oder hilflos, Hilfsgelder helfen zweifellos vielen Falschen und die Kulturen bleiben sich fremd. Der Westen wollte „Demokratie exportieren“ und hat dazu den damals neuen Präsidenten im Handgepäck gleich mitgebracht. Beides bleibt eine politische Fehlleistung, die unsere Soldaten, unsere Alliiierten und die wenigen guten Jungs in Afghanistan bis heute mit Leib und Leben bezahlen. Zeit zu gehen.
Karzai hat alleine in der Schweiz schon 2.000.000.000 Euronen!
Öhm, war nicht Herr Köhler auch als Bundespräsident in AFG?
Das ist so richtig. Allerdings besuchte er die deutschen Soldaten, nicht afghanische Amtsträger.
Diese Rede ist nach afghanischem Verständnis nicht nur beleidigend, sondern vollkommen unangemessen:
– „Ich sehe, dass Kabul wieder eine pulsierende Hauptstadt ist. Überall entstehen neue Gebäude. “
Die Masse der Afghanen assoziiert dies mit Korruption und Drogenhandel.
– „Junge Menschen aus dem ganzen Land kommen in die Universitäten, um sich durch Bildung eine bessere Zukunft zu erarbeiten. “
Die große Mehrheit der Studenten hat im Land keine Perspektive und will auswandern.
– „Viele Afghaninnen und Afghanen aus dem Ausland kehren in ihre Heimat zurück, um beim Wiederaufbau ihres Landes mitzuhelfen. “
Das war nur in den ersten Jahren nach dem Sturz der Taliban signifikant der Fall, und viele bereuen es.
-„Frauen sind in der Regierung und im Parlament vertreten. “
Das mag für die Gender-Ideologen in Deutschland relevant sein, aber die meisten Afghanen folgen dieser Ideologie nicht. Man fragt sich, aus welchem Interesse Ausländer bestimmen möchten, wie Afghanen ihre Frauen und Töchter behandeln. Nicht wenige meinen, dass dahinter ein Angriff auf die afghanische Kultur steht, und der Kontrollanspruch westlicher Ausländer (die ihre eigenen Frauen und Töchter nackt im Fernsehen vorführen) bzgl. afghanischen Frauen hat allgemein den Ruch des Unanständigen und erzeugt zumindest Mißtrauen.
-„Aber es trifft auch unsere Landsleute, deutsche Soldaten und Entwicklungshelfer, die nach Afghanistan gekommen sind, um den Menschen hier Sicherheit zu bringen und den Wiederaufbau zu unterstützen. Gemeinsam mit Afghanistan trauern wir in Deutschland um alle Opfer.“
Ein anständiger Afghane bezeichnet Gefallene als Märtyrer und verachtet jemanden, der hier von „Opfern“ spricht. Schwächlinge werden Opfer.
– „….denn der Konflikt in Afghanistan wird sich nicht militärisch lösen lassen.“
Afghanen dürften sich fragen: Warum ist die Bundeswehr dann dort, und warum ist der wichtigste Schwerpunkt von ISAF der Aufbau afghanischer Sicherheitskräfte?
-„Umso wichtiger wird es sein, dass die Menschen in Afghanistan im Zuge dieses Prozesses spürbare Verbesserungen ihrer Situation erfahren. Sie brauchen wirtschaftliche und soziale Perspektiven, aber sie müssen auch mehr Vertrauen in verantwortliche staatliche Institutionen und Sicherheitskräfte fassen können. “
Afghanen empfinden es allgemein als beleidigend, wenn ausländische Gäste ihre Fehler öffentlich kritisieren. Selbst wenn es zutreffend ist, wäre es unangemessen, diese Kritik auf diese Weise zu übermitteln.
-„Wir Deutsche werden verlässlich an Ihrer Seite stehen.“
Hr. Wulffs Humor in allen Ehren, aber für Sarkasmus sind solche Reden vielleicht nicht das richtige Forum.
@ Arminius: ich habe die Berichterstattung um Präsident Wulff nicht detailliert verfolgt, war Wulff somit nicht auch auf einen kurzen Abstecher bei der Truppe?
@ Thomsen
… dort ist er gerade …
@ Orontes
was wird da gemacht?
http://www.sowi.bundeswehr.de/portal/a/swinstbw/!ut/p/c4/DcnBDYAgDEDRWVygvXtzC_ViCkFtwLahKOtL_unl444joY8vaqxCBVfcIs-hg-dweGfxNnBqtarg8e6pGtDrJY0FLC3VrI-h5WX6AVkZMfA!/
@J. König
Höre ich da Kritik durch? Mit einem hochkarätigen Experten (http://tinyurl.com/6hkc5mt), dessen Lebenslauf zwar keinerlei Erfahrung im untersuchten Kulturraum ausweist, der aber statt dessen u.a. zu den Schwerpunkten Gender, homosexuelle Lebenskontexte, sexuelles Risikoverhalten schwuler und bisexueller Männer sowie transdisziplinäre Geschlechterstudien geforscht hat, ist man zweifellos optimal aufgestellt, um traditionelle afghanische Weltanschauungen zu verstehen. Wer den Eindruck hat, dass es auch hier weniger um für den Einsatz verwertbare Ergebnisse als um die Erfüllung bestimmter Minderheitenquoten geht, irrt sich bestimmt.
@ Orontes
Von den aufgelisteten Sachverhalten der noch zur Veröffentlichung anstehenden Studie verstehe ich eh nix.
Vielleicht lese ich sie demnächst (sofern zur Veröffentlichung freigegeben) für meine persönliche Aus- Fort- und Weiterbildung.
Nix für ungut
@J. König
Ich hätte auf meinen Sarkasmus hinweisen hinweisen sollen. Selbstverständlich wird bei diesem Projekt nichts militärisch verwertbares herauskommen. Das Thema ist gerade in Mode, also muss die Bundeswehr etwas dazu machen und hat jemanden dafür eingestellt, dessen Biographie sicherstellt, dass das Ergebnis ausreichend politisch korrekt ist und keinen Politiker stört. Das Ergebnis der Studie wird daher sein, dass die Soldaten im Einsatz von ihren unhinterfragten Vorurteilen über fremde Kulturen beeinflusst werden, weshalb man ganz dringend eine Menge neuer Stellen für Sozialpädagogen braucht, die mit Soldaten Antirassismustrainings vor dem Einsatz durchführen. Dass zu den verbreiteten Stereotypen mit negativer Wirkung aber auch z.B. eine spezifisch deutsche Angst gehört, als „martialisch“ etc. wahrgenommen zu werden, wird nicht zu den Ergebnissen zählen, was schon der geschickte Entwurf der Fragebögen sicherstellt.
Was es in der Bundeswehr zumindest offiziell jedoch nicht geben wird, ist eine einsatzorientierte Auswertung von Erfahrungen darüber, wie man z.B. im kulturellen Umfeld Afghanistans die geforderte militärische Wirkung optimal erzielen kann. Davor hat man Angst, denn es könnte ja herauskommen, dass militärische Stärke mitunter positive Wirkung auf Wahrnehmungsebene haben kann.