Mehr Auslandseinsätze oder nicht? (mit Nachtrag)
Das Interview von Verteidigungsminister Thomas de Maizière im aktuellen Focus habe ich leider noch nicht im Wortlaut vorliegen erst nachträglich im Wortlaut zu sehen bekommen (siehe Nachtrag). Aber irgendwie stolpere ich über die Formulierung in der Nachrichtenfassung bei Focus Online
„Ein Einsatz mit internationalem Mandat muss immer ein Sonderfall sein. Und zwar nicht nur für Deutschland“, sagte Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) dem FOCUS. Es sei „nicht normal, dass in einem Land fremde Truppen stehen“, gab er zu bedenken. „Es ist nicht normal, dass man Frieden in einem Land nur schaffen kann durch Eingreifen von außen.“
wenn ich mich an die Rede des Ministers im Mai erinnere:
Militärische Einsätze ziehen weitreichende politische Folgen nach sich. In jedem Einzelfall ist eine klare Antwort auf die Frage notwendig, inwieweit die unmittelbaren oder sonst außenpolitischen Interessen Deutschlands den Einsatz erfordern und rechtfertigen und welche Folgen ein Nicht-Einsatz hat.
Deutschland wird in Zukunft von den Vereinten Nationen mehr als bisher um den Einsatz von Soldaten auch dann gebeten werden, wenn keine unmittelbaren Interessen Deutschlands erkennbar sind. Für andere demokratische Nationen ist so etwas längst als Teil internationaler Verantwortung selbstverständlich. Wohlstand erfordert Verantwortung. Das gilt auch für die deutsche Sicherheitspolitik. Ich werbe dafür, dass wir auch unter diesem Gesichtspunkt die Anfragen nach Einsätzen bewerten.
Mache ich da einen logischen Fehler, wenn ich da Ansätze eines Widerspruchs sehe?
(Ganz nebenbei, liebe Kollegen von bundeswehr.de: Es wäre hilfreich, wenn ihr die Links zu Minister-Reden nicht nachträglich verändern würdet. Das würde das Auffinden doch erleichtern.)
Nachtrag: Im Wortlaut des Interviews liest es sich deutlich differenzierter:
Ein Einsatz mit internationalem Mandat muss immer ein Sonderfall sein. Und zwar nicht nur für Deutschland. Es ist nicht normal, dass in einem Land fremde Truppen stehen. Es ist nicht normal, dass man Frieden in einem Land nur schaffen kann durch Eingreifen von außen. Aber unter Berufung auf unsere Geschichte im 20. Jahrhundert, von Hitlers Nationalsozialismus über Auschwitz zum geteilten Deutschland, Verantwortung abzulehnen, die andere, auch kleinere Demokratien selbstverständlich übernehmen – diese Ausrede haben wir nicht mehr.
Nüchtern abzuwägen sind vielfältige andere Gründe für oder gegen einen Einsatz. Was fordert die Bündnispflicht? Wie gut können wir das, reichen unsere Kräfte aus, haben wir geeignetes Material? Ist ein Einsatz, den die Vereinten Nationen (UN) planen, politisch und militärisch sinnvoll? Sind Deutsche im Einsatzland erwünscht? Aber allein zu sagen, wir haben dort keine deutschen Interessen, reicht nicht aus. Wenn das die Norweger, Polen, Neuseeländer, Japaner, Inder, Australier, Schweden sagen würden, gäbe es keine UN. Das geht nicht.
Da ist gar kein Widerspruch, sondern die schlichte Erinnerung an das Prinzip des deutschen Verständnisses von Rechtstaatlichkeit: 1. Zurückhaltung bei Anwendung des hoheitlichen Gewalt-Monopols national und international, und 2. Der UN-SR ist kein Internationaler Gerichtshof, der poltische und rechtliche Durchsetzungs-Mandate erteilen kann im Sinne einer Weltregierung.
Wie der Vater, so der Sohn….und das ist gut so !
Das ist nicht nur der Ansatz eines Widerspruchs, das ist sogar eine regelrechte Kehrtwende.
Zum einen erkennt de Maizière, dass es schwer ist bzw. schwer sein wird, für solche Einsätze in Deutschland einen gesellschaftlichen und politischen Konsens zu finden.
Zum anderen dürfte ihm, nachdem er sich ein wenig in sein neues Amt eingearbeitet hat, aufgegangen sein, dass die der deutschen Verteidigungspolitik zur Verfügung stehenden Ressourcen nun mal recht begrenzt sind.
@chickenhawk
…keine ‚Kehrtwende‘, sondern ‚back to the (Grundgesetz-) basics’…..und das ist gut so :-)
Korrekt. Wobei… Da muss ich immer an den fiktiven britischen Politiker Jim Hacker aus der Serie „Yes Minister“ denken:
Wir werden die 360-Grad-Wende wagen!
@chickenhawk
lol….völlig kondom…;-)
TdM will wohl sagen, daß Interessen und Werte Grundlage von sicherheitspolitischen Entscheidungen sein sollten, Aber das sollte er dann aber auch mal der FüAk beibringen, die ganze GenStOffz-Generationen eine rein interessen-geleitetes und technokratisches Politikverständnis eingetrichtert hat („wir müssen unsere nationalen Interessen definieren“).
Zudem sollte TM dringend „Yes, Minister“ schauen, vielleicht merkt er dann, daß er von der militärischen Führung andauernd an der Nase herumgeführt wird.
Wenn ich den zitierten Wortlaut des Interviews lese, kommt mir eher in den Sinn dass die grundgesetzliche Definition über die Bundeswehr und deren Einsatzmöglichkeiten nicht ausreicht, um die weltweiten Einsätze als „Regelfall“ zu begründen.
Art 87 a: „Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf…
Art 35 : „Rechts- und Amtshilfe, Katastrophenhilfe“
Art 24 „Zwischenstaatliche Einrichtungen“
(2) „Der Bund kann sich zur Wahrung des Friedens einem System kollektiver Sicherheit einordnen; er wird hierbei in die Beschränkungen seiner Hoheitsrechte einwilligen, die eine friedliche und dauerhafte Orndung in Europa und zwischen den Völkern der Welt herbeiführen und sichern.“
Nun sind wir zwar der UN beigetreten, aber dadurch automatisch für jeden Konflikt Truppen zu stellen kann man daraus nicht ableiten. Zumal ja das Parlamentsbeteiligungsgesetz von 2005 mit den Stimmen von SPD und Grünen erst mehr als 10 Jahren nach dem Spruch des BVerfG entstanden ist. Daran sieht man, wie uneinig sich die Deutschen über den Einsatz ihrer Streitkräfte sind.
Wenn jetzt im Gegensatz zu den Erklärungen im Weissbuch von 2006 behauptet wird, wir sollten in den Auslandseinsatz gehen, obwohl wir keine nationalen Interessen in dem Konflikt haben, dann ist dies politischer Selbstmord. Welches Parlament soll bitte nach der Pleite von ISAF in AFG jemals wieder deutsche Soldaten in solch einen Einsatz schicken, ohne der Bevölkerung nachvollziehbar und schlüssig die deutschen Interessen darlegen zu können ?
@ memoria
nicht nur das Politikverständnis ist technokratisch, auch das Führungsverhalten wird negativ geprägt.
@ JeffCostello:
Volle Zustimmung und mit der Comprehensive Operational Planning Directive als neuer NATO-Planungsgrundlage wird alldas wohl nochmal ne Runde schlimmer.
@Georg:
Man kann ja über die Sinnhaftigkeit von Einsätzen unterschiedlicher Meinung sein, aber die fortlaufende Unterstellung die Einsätze würden einer verfassungsrechtlichen Grundlage entbehren ist weder plausibel noch bei einer inhaltlichen Diskussion hilfreich, da damit „Andersdenkende“ a priori als Verfassungsfeinde abgestempelt werden. Ihre GG-Auslegung entspricht weder der herrschenden Meinung der Rechtswissenschaften noch den Entscheidungen des BVerfG.
Einen Automatismus kann man nicht ableiten, aber der ist ja auch nicht das Thema, oder?
Daher meine Bitte: Nicht dauernd die „alles grundgesetzwidrig!“-Keule schwingen. Dies wäre für die Diskussion sicher hilfreich.
@ Memoria
Ich denke Sie interpretieren in meinen Beitrag eine Aussage, die ich nicht machen wollte und auch nicht gemacht habe ! Ich möchte ausdrücklich niemanden zu einem Verfassungsfeind stempeln.
Es gibt laut GG genau 3 Paragraphen, nach der die Bw eingesetzt werden kann. Der aus meiner Sicht am wenigsten konkreteste ist der Art 24, wonach wir Systemen kollektiver Sicherheit beitreten können. Daraus abgeleitet UN-Einsätze, Nato-Einsätze, WEU-Einsätze usw. Das sich Deutschland mit Auslandseinsätze der Bw extrem schwer tut, sieht man gerade an dem BVerfG-Urteil von 1994. Bis dahin war die deutsche Militärbürokratie ja nicht einmal bereit die Behandlungskosten von verletzten Soldaten im „out of area“ Einsätzen verzugslos zu übernehmen.
Übrigens hat die jetzige Regierungspartei FDP an mehreren Verfassungsbeschwerden gegen die Auslandseinsätze von deutschen Soldaten mitgewirkt.
Allein der lange Zeitraum, 11 Jahre vom Spruch des BVerfG wie deutsche Soldaten in einem bewaffneten Einsatz im Ausland eingesetzt werden dürfen, bis zu einem Parlamentsbeteiligungsgesetz, zeigt schon die Abneigung der Parlamentarierer diese Problematik anzugehen.
Also meine Auslegung der Ministerworte sind die, dass er mehr will was im Weissbuch 2006 steht. Dass es nicht nur um den Schutz der Handelswege und die lebenswichtige Rohstoffversorgung Deutschlands geht, sondern nur um Bündnisräson, Staatsräson usw. Damit wird er meiner Meinung nach keine Mehrheiten im Parlament bekommen.
Allein das Ziel der wirtschaftlichen Interessen, bzw die Sicherung der Rohstoffversorgung hat schon zum Rücktritt des Bundespräsidenten geführt (zumindestens nach seinen eigenen Angaben). Die Bevölkerung ist sowieso in der großen Mehrheit gegen dieser Art von Auslandseinsätzen mit entsprechenden Opfern.
Also ich stemple niemanden zum Verfassungsfeind, schon gar nicht den Verteidigungsminister. Ich bin nur davon überzeugt, dass er im konkreten Einsatzfall der Bundeswehr aus Staatsräsongründen keine Mehrheit bekommen wird, weder im Parlament noch in der Öffentlichkeit.
@Memoria
das erste was in Brüssel, Mons und Neapel in Sachen NATO-Einsatz in Lybien aus dem Fenster flog war die COPD ;-)…und 2 Minuten später die operative Komando-Funktion durch die etablierte NATO Kommando-Struktur……….. Nicht nur die Bundesrepublik hat mit einem solchen Einsatz verfassungsrechtliche Probleme, insbesondere dann, wenn mal wieder kein political endstate definiert ist, und das Mandat der VN wieder mal den mission creep kreativ semantisch verpackt hat.
„….über Auschwitz zum geteilten Deutschland, Verantwortung abzulehnen, die andere, auch kleinere Demokratien selbstverständlich übernehmen – diese Ausrede haben wir nicht mehr…..“ TdM
„…Viele sind schon zu schwach, … Ziemlich viele Kinder sterben bereits auf dem Weg ins Lager…“ .sueddeutsche.de
Wer es ernst mit dem Verhindern von Todeslagern meint ,könnte schnell loslegen, jedoch geht es doch nicht um christliche/humanistische Werte. Es geht um kurzfristige, wirtschaftliche/politische Interessen.
Nicht um Nachhaltigkeit, Frieden, Sicherheit und langfristigen Zugang zu Rohstoffen.
Noch immer sehen wir alles durch die militärische Brille und haben keine Ahnung was vernetzte Sicherheit ist! Da wird um ein paar Mädchen in eine Schule zu bringen oder um ein paar lokale Fanatiker zu bekämpfen ein unglaublich teurer und tötlicher Aufwand betrieben. Wer Menschenleben retten möchte könnte das in den ostafrikanischen Ländern tun, mit wenig Geld und mit Aussicht auf Erfolg.
http://www.sueddeutsche.de/kultur/jean-ziegler-im-gespraech-empoert-euch-1.1124101-2
„Nüchtern abzuwägen sind vielfältige andere Gründe für oder gegen einen Einsatz. Was fordert die Bündnispflicht? Wie gut können wir das, reichen unsere Kräfte aus, haben wir geeignetes Material? Ist ein Einsatz, den die Vereinten Nationen (UN) planen, politisch und militärisch sinnvoll? Sind Deutsche im Einsatzland erwünscht? “
Na ja.
Nun sind die Fragen berechtigt. Aber wer gewichtet und gibt welcher Antwort den Vorzug und stellt die anderen Antworten hinten an? So kann es sein, dass die Antworten zueinander in Widerspruch geraten können.
Politisch und militärisch sinnvoll und sind Deutsche im Einsatzland erwünscht? Na wie soll das denn vernünftig aufgehen.
Mein Fazit: Eher mehr Nebel als Klarheit.
Erstaunliche Aussagen von TdM auch zu einer möglichen VN-Mission Palästina:
„Nach meinen jüngsten Gesprächen in Israel ist die Antwort eindeutig: Selbst wenn es im Herbst bei den UN zu einer einseitigen Form politischer Anerkennung eines Palästinenserstaates käme, ist die Wahrscheinlichkeit ganz gering, dass Israel um eine internationale Friedensmission bittet. Warum sollte Israel Sicherheit erwarten von Vereinten Nationen, deren Mehrheit ohne Einbettung in einen Friedensprozess einen Palästinenserstaat anerkennen würde? Deswegen haben sich diese Überlegungen, die sicher ihren Sinn hatten, meines Erachtens erledigt.“
Noch vor anderthalb Wochen hat TdM gegenüber Journalisten im Rahmen seiner Israel-Reise verkündet, er werde mit der israelischen Regierung erörtern, welchen deutschen Beitrag sich Israel im Rahmen einer VN-Mission wünsche… Nach dem Gespräch war er dann ganz erschüttert, dass Israel nicht sonderlich geneigt ist, sich mit einer VN-Mission zu beschäftigen. Lernen durch Schmerzen nennt man das wohl. Ist die zum Ausdruck gebrachte Skepsis an der Nahost-Politik der VN, die in den Äußerungen von TdM durchschimmert, eigentlich Position der Bundesregierung???