Explosion in Oslo
Eigentlich wollte ich noch was ganz anderes schreiben… aber seit einer guten Stunde folge ich auf Twitter und diversen Fernsehkanälen der Entwicklung in Oslo: In der norwegischen Hauptstadt hat es heute in unmittelbarer Nähe des Büros des Ministerpräsidenten eine Explosion gegeben – und alles deutet auf einen Anschlag hin.
Wenn sich das mit dem Anschlag bewahrheitet, stellt sich natürlich sofort die Frage nach der Auswirkung auf andere europäische Länder. Norwegen ist in Afghanistan engagiert – norwegische Soldaten sind im deutschen Kommandobereich im Norden mit einem PRT in Meymaneh präsent. Aber Norwegen ist auch an der NATO-Operation gegen Libyen beteiligt… Im Moment ist allerdings alles noch Spekulation.
@chickenhawk
„…ein Foto, welches ihn in einer Freimaurer-Montur zeigt …“
Eines der vielen Rätsel. Freimaurertum und Nationalismus sind einander so nahe wie Feuer und Wasser. Man sollte die Möglichkeit bedenken, dass der Verdächtige falsche Spuren legen wollte, insbesondere in seinen jüngeren Beiträgen.
Auch die Verweise auf die absolut unpolitische Trance-Musik sind kryptisch. Nur die Titel der verlinkten Stücke kann man vielleicht in einen morbiden Kontext stellen.
Insgesamt ist alles, was bislang bekannt ist, wenig kohärent, voller Widersprüche und weit von einem ordentlichen Selbstbezichtigungsschreiben oder -Video entfernt, wie man es von üblichen Terroristen kennt. Man kann daraus vielleicht schließen, dass man es mit einem pathologischen Fall zu tun hat, nach dem Muster Loughners: http://en.wikipedia.org/wiki/Jared_Lee_Loughner
@Orontes – Umso erstaunlicher, dass sein Ziel keinerlei Islambezug aufwies. […] Fjordman, Spencer und Bat Yeor sind mit Sicherheit etwas überspannt und unreflektiert proisraelisch, aber die Bezeichnung “rechtsextrem” passt nicht, denn das würde den Willen zum Systemwechel voraussetzen.
Das ist nicht erstaunlich. Der Rechtsextremismus in Europa hat sich schon vor Jahren vom Antisemitismus als Aushängeschild abgewandt und propagiert seitdem pro-Israelische/pro-zionistische Kolonialideologie.
Ich sehe Fjordman, Spencer und Bat Yeor als rechtsextrem da sie eben diese likudversion des Zionismus, welcher eindeutig kolonialistisch/rechtsextrem ist (siehe Aussenminister Lieberman), stützen.
Insofern passt der Anschlag gut in das ideologische Bild.
– Die angegriffenen Sozialdemokraten in dem Jugendlager haben kurz vor dem Anschlag ihren Aussenminister aufgefordert ihren Israelboykott zu unterstützen (Maschinenübersetzung ins Englische – man beachte das Bild).
– Die norwegische Regierung plant der UN Erklärung zum Palestinänserstaat zuzustimmen. Die israelische Regierung ist derzeit massiv dabei eine solche Abstimmung zu verhindern bzw. die Stimmen zu drehen.
Der Terrorist hat also durchaus die direkten Gegner seiner Ideologie (und die seiner Vorbilder) angegriffen. Er hat nicht Islamisten zum Feind (die ohnehin nur ein Phantasmogegner sind) sondern diejenigen die seiner radikalen pro-likud-zionistischen Ideologie feindlich gegenüberstehen.
Im Sinne seiner Ideologie und die seiner Vorbilder hat er genau die „Richtigen“ umgebracht.
@b
„Der Rechtsextremismus… propagiert …pro-Israelische/pro-zionistische Kolonialideologie.“
Das kann man so pauschal m.E. nicht sagen, v.a. für die klassischen völkisch orientierten Rechtsextremen. Diese sind zwar offener für anti-islamische Positionen geworden, aber ganz gewiss nicht für pro-israelische. Die nach 2001 entstandenen proisraelischen, antiislamischen Strömungen haben wenig mit dem klassischen Rechtsextremismus zu tun, der weiterhin eher antijüdisch und indirekt auch antiisraelisch ist. Zwischen klassischen Neonazis (repräsentiert z.T. durch die NPD) und diesen neuen europäischen Kräften (in Deutschland repräsentiert durch die Internetseite „politically incorrect“ und Parteien wie „Die Freiheit“) klafft eine tiefe Kluft.
Der Begriff „Extremismus“ definiert sich übrigens durch die Infragestellung der jeweiligen politischen Ordnung. Lieberman ist daher auf Israel bezogen nicht extremistisch, und die radikal proisraelischen, antiislamischen Kräfte in Europa sind es auch nicht. Lieberman könnte man im israelischen Spektrum vielleicht als rechtsradikal definieren, aber die europäischen Strömungen nutzen Israel nur als Projektionsfläche und rekrutieren sich z.T. auch aus der Linken. Diese Leute sind z.T. aus rechten (Abwehr des Fremden) oder linken (Feminismus, Schwulenbewegung, Ablehnung von „Obskurantismus“ im marxschen Sinne) Motiven antiislamisch und berufen sich auf nur deshalb auf Israel, weil es politisch korrekt ist und auch Probleme mit Moslems hat. Ich halte Schubladen wie „rechts“ oder „links“ hier nicht für hilfreich. Das ist ein ganz neues Phänomen.
Vielleicht ist der Verdächtige ein isoliert handelnder, besonders radikaler Vertreter jener relativ neuen proisraelischen, antiislamischen Bewegung. Seine Zielauswahl finde ich dennoch merkwürdig. Warum er nicht direkt ein islamisches Ziel angegriffen hat (was ihm in den entsprechenden Kreisen vermutlich auch einige Sympathie gebracht hätte), wird sich vielleicht noch zeigen.
Loughner ist ja nun ein echter Wahnsinniger, weswegen ihm vorläufig nicht der Prozess gemacht wird. In seinem Kopf spuken politische Versatzstücke herum, die aber kein geschlossenes Weltbild ergeben.
Von Breivik habe ich einige der Kommentare auf document.no gelesen, die wie gesagt im Oktober 2010 enden. Die maschinelle Übersetzung ist recht holprig, aber ein Geisteskranker war er – zumindest damals – nicht.
Er vertrat Ansichten, die hierzulande als „islamkritisch“ bezeichnet werden. Es ist aber nicht erkennbar, dass er – damals – in irgendeiner Form die Anwendung von Gewalt erwogen oder auch nur für gerechtfertigt gehalten hätte. Es fehlte auch das vulgäre Element, welches man sonst bei Islamgegnern oft antrifft.
Die Entwicklung zum Massenmörder lässt sich daraus nicht erklären, insbesondere nicht der Mord an Kindern.
@chickenhawk
„Die Entwicklung zum Massenmörder lässt sich daraus nicht erklären, insbesondere nicht der Mord an Kindern.“
Sie sagen es. Offene Fragen zuhauf.
@b
„Eine Oklahoma Bombe war das mit Sicherheit nicht. Eher so 50kg Kaliber.“
Es waren wohl rund 500kg: http://www.vg.no/nyheter/innenriks/oslobomben/artikkel.php?artid=10080646
Man hätte mit so viel Sprengstoff wesentlich mehr Schaden anrichten können.
Eine führende islamkritische Stimme (allerdings nicht aus dem von „b“ erwähnten prozionistischen Spektrum) in Deutschland kommentiert zum Vorfall selbstkritisch:
„Und gewiss wird man in diesem Zusammenhang auf den Zorn stoßen, der in dieser Szene herrscht; es wäre ganz unsinnig, diesen Zorn abzustreiten. Es ist plausibel, dass eine zorngeladene Szene auch Psychopathen anzieht…Der Zorn in der oppositionellen Szene ist enorm. Er ist so enorm, dass es, rückblickend gesehen, nur eine Frage der Zeit war, wann der Erste ausrasten würde.“
http://korrektheiten.com/2011/07/23/warum-oslo-hintergruende/
@Orontes
Das ist nicht selbstkritisch. Das ist die Rechtfertigung einer bestimmten politischen Sicht, die nach den Vorfällen von Oslo fürchtet, als Grundlage für diese Taten angesehen zu werden.
„Der Zorn in der oppositionellen Szene ist enorm. Er ist so enorm, dass es, rückblickend gesehen, nur eine Frage der Zeit war, wann der Erste ausrasten würde.” – das sagt eine Menge über diese „oppositionelle Szene“.
@T. Wiegold
„Das ist nicht selbstkritisch. Das ist die Rechtfertigung einer bestimmten politischen Sicht, die nach den Vorfällen von Oslo fürchtet, als Grundlage für diese Taten angesehen zu werden. “
Diese Furcht ist vermutlich nicht unbegründet, da es nach jedem Anschlag unabhängig von seinem Hintergrund Bestrebungen gibt, diesen zur Durchsetzung nicht immer direkt damit zusammenhängender Forderungen zu benutzen.
Tatsächliche Sympathisanten würden solche Vorwürfe jedoch nicht befürchten, sondern begrüßen. Das Muster von Sympathisanten in solchen Situationen wäre u.a. es zu erklären, dass die Opfer durch angebliche oder tatsächliche Provokation etc. ihr Schicksal selbst herbeigeführt haben und Konzessionen von den Opfer fordern. Ich würde nicht ausschließen, dass es solche Sympathisanten auch in der aktuellen Situation gibt, aber die zitierte Person gehört m.E. nicht dazu.
Ein Sympathisantentext sähe ungefähr so aus:
„Die schwedischen Sozialdemokraten haben durch ihre jahrelange Propagierung unkontrollierter Zuwanderung viele Norweger vor den Kopf gestoßen. Wir verurteilen die Überreaktion des Attentäters und fordern die norwegischen Sozialdemokraten dazu auf, jetzt besonnen zu reagieren und zu prüfen, welchen Beitrag sie zur Deeskalation leisten können. Ein Generalverdacht gegen Zuwanderungskritiker und Zwangsmaßnahmen gegen sie wäre genau das, was die Extremisten wollen. Eine intelligente Kontrolle von Zuwanderung und Dialog mit moderaten Zuwanderungskritikern würde ihnen jedoch den Wind aus den Segeln nehmen.“
Mittlerweile macht ein 1500 Seiten langes und dem Attentäter zugeschriebenes Manifest die Runde, welches u. a. detaillierte Aufzeichnungen – in Tagebuchform -über den Bau der Bomben aus Kunstdünger enthält.
Eine Twitter-Suche nach:
european declaration of independence
liefert den Link. Es scheint authentisch zu sein.
Das komplette Buch/Manifest ist bei Storyful ansehbar:
http://storyful.com/stories/1000005656
Ich fürchte allerdings, dass das hier zu Diskussionen führen wird, die den thematischen Rahmen dieses Blogs deutlich sprengen. Sag‘ ich nur mal vorsichtshalber.
@Orontes
„Das Muster von Sympathisanten in solchen Situationen wäre u.a. es zu erklären, dass die Opfer durch angebliche oder tatsächliche Provokation etc. ihr Schicksal selbst herbeigeführt haben“
In der Tat, genau so verstehe ich den Satz
“Der Zorn in der oppositionellen Szene ist enorm. Er ist so enorm, dass es, rückblickend gesehen, nur eine Frage der Zeit war, wann der Erste ausrasten würde.”
@T. Wiegold
Wie auch immer man solche Worte deutet: Der Verdächtige hätte auf jeden Fall weitaus mehr Sympathisanten mobilisieren können, wenn er nicht Dutzende europäischstämmige norwegische Jugendliche getötet, sondern z.B. einen Anschlag auf eine Moschee beim Freitagsgebet verübt hätte. Das Netz wäre jetzt voll von Unterstützungserklärungen mehr oder weniger offener Art.
Momentan versucht die gesamte „islamkritische“ Szene sich jedoch zu distanzieren und klagt auch über die politischen Probleme, die ihr die Tat vermutlich bereiten wird. Wenn die Absicht der Anschläge die Mobilisierung dieser Szene und zusätzlicher Sympathisanten gewesen ist, dann waren die Anschläge zwar taktisch brilliant ausgeführt, aber auf strategischer Ebene dilettantisch geplant. Das ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass hier ein Einzeltäter ohne direkte Anbindung an eine breitere Bewegung handelte.
Auf der von Breivik zum Thema Revolution zusammengestellten Leseliste finden sich u. a. folgende Autoren:
Hannah Arendt, Antonio Gramsci, Todd Gitlin und nicht zuletzt Karl Marx („Der Bürgerkrieg in Frankreich“).
@b
> Der Rechtsextremismus in Europa hat sich schon vor Jahren vom Antisemitismus als
> Aushängeschild abgewandt und propagiert seitdem pro-Israelische/pro-zionistische
> Kolonialideologie.
Und im Gegenzug sind inzwischen die Linken Antiisrael/-semitisch/-zionistisch. Was mal wieder zeigt daß das politische Spektrum in einer höheren Dimension ein Kreis ist: wer weit genug auf eine Seite geht kommt auf der anderen Seite wieder raus.
http://www.faz.net/artikel/C30190/utoya-und-die-arbeiterpartei-das-wichtige-kleine-eiland-30472093.html
@Orontes
…….europäischstämmige norwegische Jugendliche getötet, sondern z.B. einen Anschlag auf eine Moschee beim Freitagsgebet verübt hätte…..
Das Ziel waren nicht europäischstämmige norwegische Jugendliche sondern sozialdemokratische Jugendliche die multikulturell orientiert gewesen sind. Die Feinde der europäischen Neofaschisten sind nicht die Moslems, sondern die liberal-sozialistisch-demokratisch politische Klasse in Europa, die ihrer Ansicht nach Europa zerstören. In ihrem psychopathischen Weltbild gilt es diese Klasse mit symbolischen Taten zu bekämpfen. Auch die Attentäter von 9/11 hatten sich keine Kirchen ausgesucht, sondern Gebäude mit symbolcharakter. Die Attentäter von 9/11 und die die der europäischen rechten Szene sind im Denkmuster gleich! Da sie nicht politisch bekämpft werden sondern polizeilich und somit in den Untergrund gedrängt wurden bauen sie im Moment ihre Ideologie ungeachtet der Öffentlichkeit aus und viele die den den politischen Gegenüber als „Gutmenschen“ diskretitieren wenn er sozial-liberal-demokratische Werte vertritt, schaffen den Nährboden in der Gesellschaft für diese Radikalen! Alle Extremisten sind eine Gefahr für die Sicherheit unabhängig ihrer politischen Richtung!
Sehr schöner Kommentar:
http://www.faz.net/artikel/C30280/fernsehkommentare-zum-terror-wer-solche-experten-kennt-braucht-keine-laien-30472105.html
@Polybos
Stimmt, nur dass Al Qaida nicht unser Denken bestimmt, sondern die die Al Qaida zu dem gemacht haben was es in unseren Augen/Gedanken ist und nicht was es in Wirklichkeit war! Jetzt fehlt nur noch, dass jemand eine Organisation die für die Taten dieses Rechten-Schläfers verantwortlich war konstruiert und im Anschluß das Land welches der Organisation als Unterschlupf dient angegriffen wird!
@Elhanan
„Die Feinde der europäischen Neofaschisten sind nicht die Moslems, sondern die liberal-sozialistisch-demokratisch politische Klasse in Europa…“
„Die europäischen Neofaschisten“ gibt es so monolithisch nicht. Das Spektrum, auf das sich der Verdächtige beruft, ist aber ganz eindeutig antiislamisch ausgerichtet. Es als „neofaschistisch“ zu bezeichnen, passt aber nicht, denn mittlerweile haben sich z.B. auch Feministinnen wie Alice Schwarzer sowie einige Homosexuellen-Aktivisten diesem Spektrum angenähert. Es ist auch nicht grundsätzlich antiliberal. Man schaue sich z.B. den Niederländer Pim Fortuyn an, der eine der frühen Figuren in diesem Spektrum war und im niederländischen politischen Spektrum die liberalsten Positionen (außer in Fragen der muslimischen Zuwanderung) verkörperte. Eine betont antidemokratische Haltung (also Ablehnung von Wahlen etc.) findet man hier auch nicht.
Bezüglich des Multikulturalismus wird nicht die rechte Kritik übernommen (Forderung nach homogenen Nationalstaaten), sondern die liberale Kritik (Bereitschaft des Multikulturalismus zur relativierung liberaler Werte und Behauptung einer Gleichwertigkeit aller Kulturen auch wenn diese z.B. systematisch Frauenrechte verletzen etc.). Die Selbstdarstellung des Verdächtigen als Freimaurer überrascht in diesem Zusammenhang wenig. Möglicherweise wollte er dadurch eine Vereinnahmung durch tatsächliche „Neofaschisten“ verhindern, auf deren Positionen er sich eindeutig nicht beruft.
Die Kräfte, die man tatsächlich als neofaschistisch bezeichnen könnte, stehen diesem Spektrum größtenteils ablehnend gegenüber. Man unterstützt weder dessen Identifizierung mit Israel oder den USA noch dessen z.T. libertäres Denken oder demonstrative Unterstützung von Positionen der Frauen- oder Homosexuellen-Bewegung.
Auch wenn es manche enttäuschen wird: Die mutmaßlichen ideologische Grundlage des Täters lässt sich nicht so ohne weiteres in bequeme Schubladen einordnen oder für den „Kampf gegen Rechts“ instrumentalisieren.
In dem FAZ-Kommentar heißt es zum Schluss:
Mich würde doch mal interessieren, wie diese erstaunlichen Zahlen im einzelnen ermittelt wurden.
@chickenhawk
Der jährliche TESAT-Bericht der EU, auf den sich Niggemeier wohl beruft, wertet jeden Brandflaschenwurf von Separatisten auf Korsika genaus als Terroranschlag wie z.B. die Anschläge auf die Londoner U-Bahn 2005.
http://www.consilium.europa.eu/uedocs/cmsUpload/TE-SAT%202010.pdf
Die Schlussfolgerungen, die man aus solchen Statistiken sinnvoll ziehen kann, snd natürlich begrenzt.
Niggemeiers Kritik ist auch sonst mindestens so oberflächlich wie die von ihm kritsieirten Theveßens etc. Man kann durchaus unmittelbar nach einem Anschlag auf Grundlage begrenzter Informationen Rückschlüsse auf die Täter ziehen. Das ausgewählte Ziel, die eingesetzte Vorgehensweise und Vergleich mit früheren Vorfällen sind in der Regel schon aufschlussreich genug. Man kann darüber streiten, was einem solche frühen Bewertungen bringen, aber unseriös sind sie nicht, solange sie auf begründeten Schlussfolgerungen beruhen.
Niggemeier ging es wohl auch eher um den erhobenen Antidiskrimierungs-Zeigefinger als um fachliche Kritik. Manche Opportunisten wollen offenbar die einzigartige Gelegenheit nicht versäumen darauf hinzuweisen, wie sehr sie sich schon immer schützend vor unsere muslimischen MitbürgerInnen gestellt und gegen deren Diskriminierung durch Berichterstattung über Terrorismus gekämpft haben.
Die FAZ hat es zu einem bemerkenswerten Kommentar geschafft:
http://www.faz.net/artikel/C30280/fernsehkommentare-zum-terror-wer-solche-experten-kennt-braucht-keine-laien-30472105.html
Eine Kernaussage ist in meinen Augen (Bezug auf Al Qaida): „Es ist auf eine perverse Art ein Erfolg für sie, wenn Menschen ihr automatisch jeden Anschlag zuschreiben; wenn Medien sich sofort aufgerufen fühlen, aufzuzählen, welche Gründe sie haben können, ein Land wie Norwegen anzugreifen, und wie groß die Bedrohung ist. Das Ziel von Terrorismus ist es, Angst und Schrecken zu verbreiten. Sie müssen dazu nicht einmal selbst Bomben legen, um es zu erreichen.“
Damit käme eine fatale Struktur vom Vorschein: Weil unsere Medien- und Öffentlichkeitslandschaft so funktioniert, wie sie funktioniert, hat die Strategie von Al Qaida Wirkung. Diese verhältnismäßig keine Gruppierung diktiert die Agenda. Zudem ergehen sich zahlreiche Politiker in Bekundungen, man müsse den Dialog suchen und macht Fehler bei sich selbst für die Al Qaida- Bomben aus. Dies bereits ist eine Unterordnung unter die Logik der Gewalt. Statt selbstbewusst zu sagen: „Jeden, der uns angreift, machen wir platt, egal ob rechts, links, religiös verblendet oder vom Mars!“, ergeht man sich in Unterwerfungsbekundungen, sucht den Dialog, will sich verändern/unterwerfen, damit wer auch immer keinen Grund mehr für Gewalt sieht. Damit hätte eine freie Gesellschaft verloren. Die wehrhafte Demokratie outet sich als doch nicht so wehrhaft. Extremisten, von welchem Rand auch immer, werden daraus ihre Schlüsse ziehen.
Menschen wie der aktuelle Attentäter scheinen daraus zu schließen, dass die Verfolgung einer gesellschaftspolitischen Agenda mit Gewalt eine dominante Strategie ist, man schaue sich nur die Erfolge von Al Qaida an …
Im Ergebnis läuft das auf Bürgerkrieg hinaus. Die Infragestellung des staatlichen Gewaltmonopols wird mit politischen Zugeständnissen belohnt, damit wird Gewalt zur dominanten Strategie und als Konzept kopiert.
Erleben wir gerade eine „Balkanisierung“ Mitteleuropas?
@ Chickenhawk
Den Europol-Bericht hat es etwa hier.
Die Zusammensetzung der durchgeführten Terrorakte:
160 durch Seperatisten
45 durch Linke/Anarchisten
3 durch Islamisten
1 Single-Issue (Umweltschutz, Tierrechte,…)
40 unbekannt
——
249 insgesamt
@ Elhanan | 24. Juli 2011 – 11:11
Ich denke, Ihnen unterläuft ein Fehler.
Eine freiheitlich demokratische Gesellschaft muss den scharfen Dialog ausdrücklich begrüßen. Dazu gehören auch Ausdrücke wie „Gutmensch“ oder „Mit Verlaub, Herr Präsident, Sei sind ein A…!“ Die Pointierung im Dialog wirkt oft wie ein reinigendes Gewitter.
Gerade der tabulose, scharfe Dialog hilft dabei, ein Abgleiten in gewaltsamen Extremismus zu verhindern. Werden jedoch Themenfelder tabuisiert, werden Diskussionen über gesellschaftliche Probleme verboten, dann entsteht auch gewaltsamer Extremismus.
Eine freie Demokratie lebt vom freien tabulosen Dialog. Man darf da natürlich den Begriff „Gutmensch“ für bescheuert halten, ihn verbieten, oder als Vorstufe zum Terrorismus definieren, darf man jedoch nicht.
@ Sun Tzu
die norwegische Außen- und Sicherheitspolitik war immer die einer Konditions-freien Dialog-Bereitschaft. Dies hätte man vielleicht auch besser nach Innen kommunizieren können.
Der Schlüssel zur Vermeidung, Minderung etc von katastrophalen, gesellschaftlichen Singularitäten ist Kommunikation…tabulos, emotionsfrei und ohne Klischee und Klientel-Denke. Dies ist aber im Zeitalter des Universal-Kommerziellen-Komplexes mittlerweile eine Utopie. Es ist halt wie mit Piraterie…..man kann es nicht ausmerzen, man muß lernen damit zu leben und kann allenfalls die systemischen Schäden im Sinne von any governance is better than no governance versuchen zu begrenzen.
In einem darwin’schen Universum ist Sicherheit eine Illusion und das ehemals aristotelische Universum ‚Westliche Welt‘ wird im Zuge der Globalisierung eben wieder darwinisch; ‚overregulated, but under-controlled‘ könnte man auch formulieren.
@Sun Tzu
Ich denke, Sie hatten mich nicht verstanden!
Gerade ich fordere den scharfen Dialog ausdrücklich!
Ich hatte auch nicht ein Verbot der Verwendung des Begriffes „Gutmensch“ gefordert! Meiner Meinung nach fördert die Diskretitierung nur das Gegenteil einer sozial-liberal-demokratischen Gesellschaft, nur man muss und darf ja auch anderer Meinung sein. Man sollte dies politisch bekämpfen und damit meine ich den scharfen Dialog!
„……Da sie nicht politisch bekämpft werden sondern polizeilich und somit in den Untergrund gedrängt wurden bauen sie im Moment ihre Ideologie ungeachtet der Öffentlichkeit aus……. “
@Orontes
“Die europäischen Neofaschisten” gibt es so monolithisch nicht.“
Stimmt, deshalb hatte ich den Begriff Neofaschist verwendet, gerade weil er sich nicht in eine Schublade stecken läßt und ich wollte da auch keine monolitische dahinterstehende Struktur ansprechen!
Es gibt eben viele Richtungen und die werden dann noch durch persönlichen Ansichten/Ideologien ergänzt.
Dies gilt eben auch für die Attentäter von 9/11. Erst im Nachhinen hat man dann eine Organisation und eine einheitliche Ideologie hineininterpretiert.
Wie jetzt bekannt wurde (man muss wohl genauer sagen: nachdem sich Leute die Mühe gemacht haben, sein 1500-Seiten-Pamphlet durchzuarbeiten) hat Breivik Teile seines Texts wörtlich bei Ted Kaczynski, dem „Unabomber“, abgeschrieben, ohne ihn als Quelle anzugeben.
Beispiel:
Zitat „Unabomber“:
Zitat Breivik:
Im antiken Griechenland ermordete ein Täter einen angesehenen Würdenträger. Er ließ sich widerstandslos festnehmen. Gefragt nach dem Motiv gab der Täter an: „Mein Name soll für immer genannt bleiben, mein Name soll durch diese Tat unsterblich werden“
Das wurde sein Namen aber nicht. Gericht und Geschichtsschreiber verschwiegen diesen konsequent .
Bei der medialen Behandlung des Täter aus Norwegen ist es umgekehrt. Er hat Attentat und Internetpräsenz fast perfekt aufeinander abgestimmt.
Sein (größtenteils abgeschriebenes) Pamphlet und seine fotographische Selbstinzsenierung wird überall weiterverbreitet, interpretiert und zitiert. Er hat eines seiner Ziele – leider- erreicht, dank der Mithilfe der Medien.