„Die Amerikaner haben verloren und gehen“
Wenn – vermutlich – zufällig befragte Afghanen meinen, die USA und letztendlich die NATO zögen aus Afghanistan ab, weil sie entweder inzwischen alle Bodenschätze ausgebeutet hätten…. oder aber verloren haben und gehen, hat der Westen am Hindukusch ein massives Problem. In der Kommunikation scheinen die ISAF-Nationen tatsächlich schon verloren zu haben?
So jedenfalls muss man das verstehen, wenn man den AFP-Bericht Afghan conspiracy theories as drawdown begins liest. (Sind auch genügend Stimmen aus dem deutschen Verantwortungsbereich im Norden dabei.)
Army Gen. David H. Petraeus, the outgoing Commander, International Security Assistance Force/U.S. Forces Afghanistan; Navy Adm. Mike Mullen, Chairman of the Joint Chiefs of Staff; German Army Gen. Wolf Langheld, Commander, Joint Force Command Brunssum; Marine Corps Gen. James N. Mattis, Commander, U.S. Central Command; and Marine Corps Gen. John R. Allen, the new ISAF commander, pay respect during the posting of the colors during the ISAF Change of Command ceremony held in Kabul, Afghanistan July 18, 2011. (Foto: ISAFmedia via flickr unter CC-Lizenz)
Dazu fallen mir zwei Dinge ein:
1. darf man sich tatsächlich fragen, ob dieser Rückzug der Allianz auf Raten auch nur im entferntesten damit begründet werden kann, dass irgendein Ziel mit nachhaltigen Folgen für die Region erreicht worden wäre.
2. stellt sich aber auch die Frage ob es für die abziehenden Mächte relevant ist, was Volkes Stimme in Afghanistan für eine Meinung zu diesem Rückzug hat. Spätestens ein Jahr nach dem Abschluss des Rückzugs sind die Karten vor Ort ohnehin neu gemischt, gleichgültig ob wir das Feld als Sieger oder als Verlierer verlassen haben.
In dem letzten Satz des verlinkten Artikels wird knapp und präzise ausgedrückt, was Sache ist:
„They killed Osama, their war is over, they don’t need to stay here,“ Kabul resident Ghulam Haidar said.“
Wenn wir mal die – noch auf lange Sicht wenig interessanten – Bodenschätze beiseite lassen, kann von Verschwörungstheorie doch kaum die Rede sein. Die NATO macht sich aus dem Staub, weil sie es nicht länger durchhalten kann oder will. Seinerzeit hieß diese Strategie vom ersten Abzug bis zur Flucht vom Dach der US-Botschaft „Vietnamisierung des Krieges“. Der Auftrag der ISAF ist nicht erfüllt, daran ändert Osamas Skalp nicht das geringste.
„Afghan conspiracy theories as drawdown begins“
Die Titelzeile müffelt nach „Orientalismus“.
Man sollte mal Deutsche befragen aus welchen Gründen den jetzt der Abzug aus Afghanistan erfolgt. Da würden wohl auch alle möglichen Theorien geäüßert werden die denen der „Hinterwältler“ in Afghanistan nicht unähnlich sein würden..
„In der Kommunikation scheinen die ISAF-Nationen tatsächlich schon verloren zu haben?“
Schon lange. Es gibt seit spätestens 2003 keinen richtig plausibelen Grund in Afghanistan zu sein. Wenn man nichts sinnvolles zu kommunizieren hat, dann kann man in der Kommunikation auch nicht gewinnen.
Ist natürlich recht schwer, sich von Deutschland aus ein Bild über die Gerüchteküche im RC Nord zu machen. Aber da scheint es durchaus noch „schlimmere“ Gerüchte zu geben.
Etwa dass die USA Taliban ins RC Nord einfliegen:
Anna Badkhen: „Is the U.S. airlifting Taliban troops into northern Afghanistan?“
(Das Gerücht wurde auch kürzlich von Free Range International aufgegriffen.)
Oder dass Deutschland und die USA versuchen sich in Afghanistan gegenseitig auszustechen, und dabei jeweils eigene Taliban-Gruppen unterstützen um dem anderen zu schaden:
RAWA: „This Time the American and German Invaders Took Lives in Takhar“
(Die Links wurden glaub schonmal gepostet, aber sie passen einfach zu gut zum Thema.)
Da stellt sich auch die Frage, wie ISAF überhaupt die afghanische Meinung beeinflussen will.
Die Mittel der Wahl auf deutscher Seite scheinen zu sein:
– ISAF-Medien (Sada-e-Azadi)
– Entwicklungshilfe-Projekte
– Gesprächsaufklärung
– Spenden an örtliche Warlords/Power-Broker
Es gibt ja durchaus einige Bücher, die sehr gut zeigen, wie diese Mittel sehr halbgar genutzt werden und an ihre Grenzen stoßen:
– „Kabul ich komme wieder“ (ISAF-Medienarbeit in Kabul)
– „Drachenwind“ (ISAF-Medienarbeit in Kunduz)
– „Unter Beschuss“ (Nachrichtenoffizier in Kunduz)
Da ist es dann wenig überraschend, dass ISAF anscheinend so gut wie keinen Einfluss auf die afghanische Gerüchteküche hat: Landesunerfahrenes Personal, stationiert in den Feldlagern, mit vorgegebenen Medien und Konzepten, von denen man nichtmal weiß wen sie überhaupt wie erreichen.
Dazu dann noch der von b angesprochene Punkt, dass die Internationale Gemeinschaft weder daheim noch in Afghanistan das Engagement wirklich klar darstellen kann: Was will man warum in Afghanistan erreichen, und wo bleiben die Ergebnisse angesichts der reingesteckten Milliarden?
Die Rohstoffe gehen doch nach China und nicht in den Westen. Die großen Eisenmine nördlich von Kabul gehört den Chinesen. Die bemühen sich auch um das Öl und Gas im Norden und werden es kriegen. China baut immer mehr Infrastrukturprojekte in Afghanistan, um sich den Zugriff auf die Rohstoffe (Lithium, u.a.) dort zu sichern. Der kämpfende Westen sieht in diesem Rennen um Rohstoffe ziemlich blaß aus!
Und die NATO oder einzelne Staaten werden auch nach 2014 noch dort sein; wie im Irak als Ausbildungs- und Unterstützungsmission. Ist irgendjemandem aufgefallen, dass es in der politischen Rhetorik an allen Stellen heißt „Abzug aller KAMPFtruppen“ und nicht „Abzug aller Truppen“?
Na, wenn die Verschwörungstheorien zur Nationbuilding-Legende taugen, soll’s mir recht sein. Denn das bedeutet auch, dass die Afghanen für das, was nach dem Abzug passiert, selbst verantwortlich sind. Wenn sie das Land also wieder zu Klump schießen, ist das im Einzelfall tragisch, kommunikativ wären wir aber aus der Sache raus.