Der General war sich der Gefahr bewusst
Der afghanische General Daoud Daoud, der am Samstag bei dem Bombenanschlag in Taloqan getötet wurde (dem auch zwei deutsche Soldaten zum Opfer fielen), hatte mit Attentätern in seinem Umfeld gerechnet. Aufständische sowohl des Haqqani-Netzwerks als auch der Taliban hätten versucht, seine Leibwächter und Polizisten zu bestechen, um ihn töten zu können, hatte der General der BBC erzählt.
Die Aufständischen hätten angesichts der Erfolge der ISAF und der afghanischen Sicherheitskräfte ihre Taktik geändert, sagte Daoud: They are not able to achieve any big victory in clashes with the security forces, so they have turned to rogue soldiers. Such attacks create mistrust within security agencies and demoralise them.
Das deckt sich zwar nicht mit der hier zu Lande gepflegten Wahrnehmung, dass der Anschlag vor allem einem deutschen General gegolten habe, aber offensichtlich mit der Ansicht des deutschen Verteidigungsministers Thomas de Maizière: Es gebe Hinweise, dass General Markus Kneip, Kommandeur der Internationalen Schutztruppe Isaf, der bei dem Anschlag verletzt wurde, nicht das Ziel war; der Terrorangriff galt afghanischen Zielen.
Sehr interessant dazu auch zu lesen: Deepening crisis feared after Taliban bomb kills Afghanistan general
Es waren sich alle Teilnehmer über die Gefahren bewußt und das ist auch jeder andere, der hier seinen Dienst versieht. Es ist nicht „Lummerland“ und die Gegner sind langsam aber sicher verzweifelt, weil es immer weniger werden und „wir“ langsam aber sicher (und erkennbar) voran kommen. Auf offenem Feld können sie uns nicht (mehr) begegnen und auch IED’s sind nicht mehr so effektiv.
Unsere Gegner versuchen wo immer sie können einen Keil zwischen uns, den Afg Sicherheitskräften und der Bevölkerung zu treiben. Dagegen anzukämpfen macht uns verwundbar und es ist nicht ungefährlich, aber momentan leider der einzige Weg.
Meiner Meinung nach war Daoud das Ziel, aber wer kann das schon mit Sicherheit sagen??!!
Der Samstag steckt uns noch sehr in den Knochen und viele werden diesen Tag nie vergessen. Unser Boss ist für immer „gezeichnet“ und doch (bzw. auch gerade deswegen) machen wir weiter, werden uns weiter kalkuliert der Gefahr aussetzen müssen und werden leider auch in absehbarer Zeit Kameraden auf dem Weg zu ihrem letzten Flug begleiten.
Heute morgen waren es drei Kameraden… die sich der Gefahr bewußt und davon überzeugt waren, trotzdem diese Shura durchzuführen. Denn die bewußt aufgeheizte Lage in Taloqan mußte beruhigt werden…
Zustimmung ;-)
In der Tat sind solche Taktiken eher ein Indikator für relative Schwäche. Viel problematischer waren m.E. Meldungen von 2009 und 2010, denen zufolge die Aufständischen in Teilen der Provinz Kunduz quasi-staatliche Strukturen betreiben würden. Das war ein Indikator für die Kontrolle von Räumen und reale Stärke, z.T. auch für Akzeptanz in der Bevölkerung.
Was folgt nun aus der Fähigkeit der Aufständischen zur Durchführung komplexer Anschläge gegen Hochwertziele im Norden?
Es bedeutet zunächst m.E. dass es dort eine sehr leistungsfähige Struktur entsprechend spezialisierter Zellen geben muss. Solche Strukturen haben Verwundbarkeiten in Form von Einzelpersonen, ohne die solche Zellen nicht operieren könnten.
Also käme es jetzt darauf an, diese Personen zu töten oder festzunehmen. Das würde nicht nur die jeweiligen Zellen schwächen, sondern auch der Bevölkerung vermitteln, dass die Aufständischen nicht so stark sind wie ihre erfolgreichen Anschlägen vielleicht vermuten lassen. Die Bundeswehr und andere relevante deutsche Stellen müssten also endlich ohne Einschränkungen am Kinetic-Targeting-Prozess der ISAF teilnehmen dürfen.
Fatal wäre es m.E. auf die Vorfälle so zu reagieren wie auf die Anschläge in Kunduz 2007, nämlich mit noch mehr Rückzug aus der Fläche. Dies würde den taktischen Erfolg der Anschläge nur potenzieren und vielleicht zu einem operativen Erfolg werden lassen.
Orontes
Keiner hat die Absicht den Rückzug anzutreten und seit 2007 hat sich politisch und militärisch einiges (positiv) verändert. Also wie gesagt, kein Rückzug.
Die sogenannten „shadow governments“ waren und sind immer noch ein Thema, welches wir sehr engagiert (und erfolgreich) angehen.
„Fähigkeit zu omplexen Anschläge gegen Hochwertziele im Norden“ würde ich diesen Vorfall und vielleicht kommende Versuche nicht werten.
Solche Anschläge sind derzeit ein Punkt, an dem wir am meisten „Schaden“ erleiden können und auf diese Punkte konzentrieren sich die Gegner genauso wie wir uns auf deren wunde Punkte konzentrieren.
Die Kämpfe hier werden weniger (bzw nicht) auf dem offenen Feld gefochten, sondern verlaufen eher subversiv im Rahmen der jeweiligen Fähigkeiten.
Mir zeigt der Angriff auf den Stabilisierungsprozess und „Transition“ vom Samstag, dass wir die gegnerischen Kräfte an den richtigen Stellen bekämpfen und sie verzweifelt mit allen Mitteln versuchen, den Stabilisierungsprozess bzw. die Transition der Provinzen im Norden aufzuhalten.
@jetflyer
„Die sogenannten “shadow governments” waren und sind immer noch ein Thema, welches wir sehr engagiert (und erfolgreich) angehen.“
Das muss mir entgangen sein, falls mir „wir“ die Bundeswehr gemeint ist.
@jetflyer: Von wegen Rückzug oder nicht – da habe ich den einstmals großen Vorsitzenden der nun so kleinen Partei ganz anders verstanden …
@ Orontes
Man kann ja nicht immer und alles mitbekommen und wir ist ISAF, damit auch die Bw. Etwas umständliche Logik vielleicht.
@ Stoltenow
Ich meinte Rückzug im Kontext zu Orontes Äusserungen und nicht den Rückzug der Bw und anderer ISAF Nationen aus AFG. Das sind zwei paar Schuhe…. stimmts?
Stimmt ;-)
Mit Verlaub, mal die Meinung eines Außenstehenden: Der Verweis auf Verzweiflung oder Schwäche der Aufständischen nach tödlichen Anschlägen kommt wie schlechter ISAF-Spin rüber.
Ich will hier niemandem Täuschung unterstellen, es geht mir ich hier allein um die Art der Kommunikation. Als Denkansatz: Was spricht dagegen solche Kommentare als Durchhalteparolen wahrnehmen?
Das geht doch schon mit „Nachweis“ der eigenen Erfolge los. Nicht dass es da keine Ansatzpunkte gibt:
„In Takhar, insurgent attacks fell 74 per cent in the first quarter of 2011 compared to the same period in 2010, ANSO says. In Kunduz, which had previously deteriorated into one of the country’s most dangerous provinces, attacks fell 42 per cent.“ (The National)
Nur von ISAF/Bundeswehr werden solche Zahlen nicht angeführt, die meisten Ausführungen sind sehr vage/beliebig. (Ist das auch wieder Verschlusssache?)
An der Stelle sollte man dann auch mal anmerken: Letztlich sagen Informationen zu den Kämpfen ISAF vs. Aufständische über die Situation in Afghanistan ziemlich wenig aus.
Die beiden Punkte, an denen letztlich der „Erfolg“ der ISAF-Mission gemessen werden sollten dürften folgende sein:
– Der Einfluss der „Aufständischen“
– Die Stärke der „Nicht-Aufständischen“
Und da kommt von ISAF- und Bundeswehr-Seite sehr wenig konkretes.
Nochmal ganz deutlich: Die Ermordung des Polizeichefs betrifft beide Punkte: Den Einfluss der Aufständischen auf das Leben in Afghanistan (Sicherheit), und gleichzeitig die Schwäche der Gegenseite (Die Regierung kann sich nichtmal selbst schützen, die „Unersätzlichkeit“ Dauds und damit die Schwäche der staatlichen Strukturen, womöglich die Wankelmütigkeit der GiroA-Milizen etc.)
Dem hat das Narrativ von ISAF- und Bundeswehr oft wenig entgegenzusetzen. „Wir haben eine Schule eröffnet“ und „Es gab weniger Angriffe auf die Feldlager“ bzw. „Es wurden mehr von ISAF als Aufständische bezeichnete Personen getötet“ sind in dieser Hinsicht wenig aussagekräftig.
Und es ist ja nicht so, als ob ISAF-/Bundeswehr beim Kampf um die Wahrnehmung die Initiative hätten: Mit dem anstehenden Abzug der ISAF-Kampftruppen, der weithin negativen Einschätzung des internationalen Engagements („zu wenig, zu spät, zu ineffektiv“) und dem vorherrschenden negativen Narrativ über die Handlungsfähigkeit der ISAF-Partner „Nur für Geld, nicht mehr als nötig, selten kompetent“ besteht da eine gewisse „Bringschuld“. Es gibt keine Lorbeeren auf denen man sich ausruhen könnte, im Gegenteil.
Was waren denn so die letzten hier besprochenen Tendenzen aus dem RC Nord? Auf der Haben-Seite das Ausweichen der Aufständischen aus den bisherigen Krisen-Distrikten in Kunduz und Baghlan, mehr Milizen auf „Regierungsseite“.
Auf der Soll-Seite: Mehr Nicht-Paschtunen unter den Aufständischen, mehr Radikale unter den Mullahs, mehr Mißtrauen zwischen ANA und ISAF, keine Berichte über stärkere Präsenz der afghanischen Sicherheitskräfte, mehr Demonstrationen gegen internationale Akteure?
Wirkt das wirklich wie ein positiver Trend? Und ist das gezeichnete Bild in den Mainstream-Medien nicht noch düsterer?
@J.R.
„Der Verweis auf Verzweiflung oder Schwäche der Aufständischen nach tödlichen Anschlägen kommt wie schlechter ISAF-Spin rüber.“
„ISAF-Spin“ liegt mir fern. Ich halte nichts von dem Einsatz und glaube auch nicht an seinen Erfolg. Mein Argument war, dass Einzelaktionen kein Indikator für Stärke der Aufständischen in einem Raum sein müssen. Ich kann mich nur auf die allgemein zugängliche Berichterstattung beziehen, aber solche Indikatoren wären z.B. das Halten von Räumen durch Aufständische oder die Kontrolle von Bevölkerung durch diese, und davon wurde noch 2009 oder 2010 m.E. deutlich mehr berichtet.
Auch solche Statistiken können täuschen. Gibt es doch in Nuristan jetzt viel weniger Kämpfe, nachdem man dort weitestgehend geräumt hat…
Auch aussenstehende Meinungen sind immer herzlich willkommen :-)
Wie kann bzw. sollte man denn den Einfluss der “Aufständischen” und die Stärke der “Nicht-Aufständischen” messen?
Den „Erfolg“ werden wir in XY Jahren sehen, wenn eine Ordnung in AFG bestehen geblieben ist oder nicht. Jetzt schon über Erfolge nachzudenken erscheint mir verfrüht.
Erkennbar für uns ist es, dass es ruhiger geworden ist und die Sicherheitskräfte effektiver werden.
Gewalttätige Demos gibt es bei uns bzw. auf der ganzen Welt und bei Demos im „zivilisierten“ Mitteleuropa oder Nordamerika (etc) gibt es auch Tote… das ist kein Indikator für Effektivität der Sicherheitskräfte.
@ jetflyer
Wie kann bzw. sollte man denn den Einfluss der “Aufständischen” und die Stärke der “Nicht-Aufständischen” messen?
Sollte ISAF und die Bundesregierung da nach zehn Jahren nicht einen Kriterien-Katalog haben? Oder wie kann man sonst ständig „Erfolge“ melden, wenn man sie nicht messen kann? ;)
Aber etwas konstruktiver: Wie würde man denn in Deutschland die Stärke der Rechtsextremisten messen, oder die Stärke des organisierten Verbrechens?
Vermutlich würde man da nicht mit der Anzahl der Übergriffe aufs Militär anfangen, sondern beispielsweise mit:
– Anzahl der Mitglieder und Unterstützer
– Umfang der Vermögenswerte und Einnahmequellen
– Zahl und schwere der Übergriffe auf die Bevölkerung
– Aufklärungsquote
– Zustimmung zu deren Ansichten in der Bevölkerung
– Gefühltes Sicherheitsgefühl, Vertrauen in die Staatlichen Institutionen, Gefühlte „Relevanz“ von Neo-Nazis oder Organisierter Kriminalität für das eigene Leben.
Klar, Afghanistan ist nicht Deutschland, und an belastbare Daten zu kommen nicht immer einfach und auch logistisch auf jeden Fall schwerer.
Aber wenn ich ehrlich bin: Ich habe nicht den Eindruck, dass es überhaupt ernsthaft versucht wird. (Siehe auch: „Why metrics matter“)
Mit Verlaub, nach 10 Jahren klingt ein „Den Erfolg sieht man wenn er da ist“ ziemlich hohl.
Zum Thema „sicherer geworden“: Aus Baghlan wird folgende berichtet:
„Faizabad has 33 villages. Nine of the most populous — Haidar listed their names, using his orange prayer beads as an abacus to keep count — fell into Taliban hands in the last 10 months. Haidar’s 25 police officers, virtually immured inside their chipped adobe checkpoints, are no match for the insurgents, who, he estimates, number between 110 and 120 in his district and appear to enjoy popular support. “ (Anna Badkhen, „The fight goes on“, 11. Mai 2011)
Hier halt auch wieder die Frage: Wie soll sich ein deutscher oder afghanischer Bürger aus solchem Kleinklein ein Bild machen? Wie wollen ISAF, Bundeswehr, Bundesregierung glaubhaft machen, dass die Afghanistan-Mission nicht nur ein fruchtloser Kampf gegen die Hydra ist? Dass man eben nicht ziellos Geld und Menschenleben verpulvert, bestenfalls die Aufständischen von Distrikt zu Distrikt jagt, nur um dann in ein paar Jahren ergebnislos abzuziehen?
Und an der Stelle dann auch: Wenn die es nichtmal hinkriegen das mir weißzumachen – jemanden der auch der europäischen Kultur entstammt, der die Lage vor Ort nicht aus erster Hand kennt, der über Internet verfügt und Englisch und Deutsch versteht, der aktiv nach Informationen sucht und gerne an Erfolge glauben würde: Wie erfolgreich wird dann erst die Kommunikation drüben sein?